Ein ausgeglichenes Bildungsangebot für den Vinschgau

Publiziert in 40 / 2010 - Erschienen am 10. November 2010
Vinschgau – Das bildungspolitische Ziel einer Neuordnung der Oberstufe rückt auch in Südtirol in greifbare Nähe und beschäftigt Schulamt, Land- und Schulführungskräfte ebenso wie Lehrpersonen, Eltern, Jugendliche, Bezirke, Gemeinde- und Gewerkschaftsvertreter. Mit der Neuordnung der Oberschule wird versucht, die Flut an Fachrichtungen und Schulversuchen in geregelte Bahnen zu bringen und einen Überblick über das Bildungsangebot zu schaffen. Nun liegt ein erster Entwurf des Schulverteilungsplans zur Diskussion vor. Aussprachen­ der Landesräte mit allen Partnern sind derzeit in Gange. Die Landesregierung hat kürzlich die Grundzüge der Reform noch einmal bestätigt. Die beiden Reform-Grundsatzbeschlüsse wurden am 8. November gefasst, Mitte Dezember soll die Landesregierung die Rahmenrichtlinien und den endgültigen Schulverteilungsplan absegnen. von Ingeborg Rechenmacher Im Vinschgau sind die Oberschulen von Schlanders und Mals, die Fachschule für Land-, Forst- und Hauswirtschaft in Burgeis und Kortsch sowie die Landesberufsschulen in Schlanders und Laas von der Oberstufenreform betroffen. „Der Vinschger“ hat mit den Direktoren dieser Schulen Gespräche geführt: „Der Vinschger“: Es gibt italienweit fast 900 verschiedene Abschlussprüfungen der Oberschulen, und die Gymnasien haben derzeit 396 Fachrichtungen und 51 Schulversuche. Dieses unübersichtliche Überangebot wurde auf einige wenige Bereiche reduziert. Finden Sie diese Reduzierung auf nur mehr drei Säulen ideal? Herbert Raffeiner: Ob das ideal ist, wird sich erst zeigen. Hintergrund der Reform ist der Einsparungsgedanke des Staates; in Südtirol soll dies nicht der Fall sein. Schule aus Sparsamkeitsgründen einzuschränken, ist nie ideal. Gustav Tschenett: Grundsätzlich betrachte ich diese „Flurbereinigung“ als positiv. Im Entwurf ist ein wichtiger Punkt die „territoriale Chancengleichheit“, das heißt die Bildungsangebote sollen ausgewogen über das Land verteilt werden. Kritiker behaupten, es wurden nicht so sehr bildungspolitische, sondern vor allem lokalpolitische Überlegungen berücksichtigt, manche Bezirke aus wahlpolitischen Gründen bevorzugt, manche benachteiligt. Wie sehen Sie die Verteilung aus der Sicht Ihrer Schulen? Herbert Raffeiner: Im Großen und Ganzen zeigt der Entwurf für den Vinschgau, dass die konkreten Vorschläge, die wir unterbreitet haben, berücksichtigt worden sind. Das Bildungsangebot im Vinschgau ist damit ausgewogener geworden. Unseren Jugendlichen stehen zukünftig zwischen Schlanders und Mals neun verschiedene Angebote zur Auswahl. Die bestehenden berufsbildenden Schulen sind dabei nicht eingerechnet. In Schlanders gibt es das Realgymnasium und das Sprachengymnasium. An der heutigen GOB, die in Zukunft „Fachoberschule für Technologie“ heißt, haben wir den attraktiven Schwerpunkt Maschinenbau und Mechatronik gewonnen; gewünscht hätten wir uns auch den Schwerpunkt Energie, doch der ist in Meran angesiedelt worden. Um den Verbleib des Schwerpunktes Sport an der Fachoberschule für Wirtschaft müssen wir uns noch weiter bemühen. Gustav Tschenett: In Mals wird die LESO nicht mehr existieren, dafür haben wir ein Sozialwissenschaftliches Gymnasium mit Schwerpunkt Volkswirtschaft und das Biennium für eine Berufsfachschule für Soziales hinzubekommen. Diese Schule schafft die Basis für die Berufsausbildung in sozialem Bereich und dürfte eine gute Vorbereitung sein für Berufe, bei denen der Mensch im Mittelpunkt steht. Und die Sportoberschule ist uns natürlich auch geblieben. Ist der Schwerpunkt Volkswirtschaft im Oberen Vinschgau interessant? Gustav Tschenett: Ja der Schwerpunkt ist auf jeden Fall interessant. Es handelt sich nicht ausschließlich um Volkswirtschaft, sondern genauso um Rechtskunde, Ökonomie und um Wirtschaftskreisläufe insgesamt. Was passiert mit den Lehrkräften der bisherigen LESO? Werden sie arbeitslos? Gustav Tschenett: Nein, einige können ihr Fach am neuen Sozialwissenschaftlichen Gymnasium unterrichten, und einige eventuell an der Berufsfachschule für Soziales. Es gibt sowohl in Schlanders als auch in Mals die Wirtschaftsfachoberschule mit Schwerpunkt Verwaltung, Finanzen und Marketing. Besteht auch in Zukunft genügend Nachfrage im Tal? Herbert Raffeiner: Im Sinne der talweiten Angebotsvielfalt hätte ich es mir auch anders vorstellen können, aber der Schwerpunkt Verwaltung, Finanzen und Marketing gilt als der attraktivste Zweig der Fachoberschule für Wirtschaft. Zudem hat sich der Lehrkörper ganz eindeutig für die Beibehaltung ausgesprochen. Strebt die Fachoberschule für Technologie immer noch eine Kooperation mit der Landesberufsschule an? Herbert Raffeiner: Ja, wir sehen es als wirtschaftlich und vernünftig an, dass die beiden benachbarten Schulen enger zusammenarbeiten. Das wird sich auch aus dem neuen Schulbau der Fachoberschule für Technologie ergeben müssen. Inwieweit sind politische und demokratische Bildung bisher an Ihren Schulen berücksichtigt? Herbert Raffeiner: Diese gehörten bisher schon zu den Grundpfeilern des schulischen Arbeitens. Es ist aber vorgesehen, diese in allen Schultypen aufzuwerten. Für einige Absolventinnen Ihrer Schule war der Übertritt an die Fachoberschule für Soziales (FOS) in Meran die Möglichkeit, die Matura zu machen. Die FOS soll es in Zukunft nicht mehr geben. Welche Möglichkeit haben Ihre Absolventinnen stattdessen? Monika Aondio: Wir haben in den letzten Jahren sehr gut mit der FOS und auch mit der HOB Mals zusammengearbeitet. In Meran wird es in Zukunft anstelle der FOS eine Technische Fachoberschule (TFO) mit Fachrichtung Chemie, Werkstoffe und Biotechnologie im Sanitätsbereich geben, vielleicht gibt es für die Fachschule für Hauswirtschaft dort eine Möglichkeit der Zusammenarbeit. Die Oberschule für Landwirtschaft bietet eine TFO mit Fachrichtung Landwirtschaft, Lebensmittel und Verarbeitung an. Diese Schule wäre ebenso wie die HOB auch eine Möglichkeit für unsere Absolventinnen und Absolventen der Fürstenburg. Wir sind auf jeden Fall bestrebt, auch in Zukunft mit weiterführenden Schulen zusammenzuarbeiten. Könnten die Übertritte nicht landesweit an allen Schulen für alle Schüler gleich sein? Monika Aondio: Für die Übertritte waren bisher die Klassenräte der jeweiligen Schulen zuständig; anscheinend soll in nächster Zeit die Landesregierung für die Übertritte in andere Schulen zuständig sein. Das bedeutet, dass die Anforderungen und Zusatzprüfungen je nach Schultyp tatsächlich für alle Schülerinnen und Schüler gleich sein würden. Hat die handwerkliche Lehre noch Zukunft oder droht sie zum Stiefkind in einem riesigen Schulressort zu werden? Franz Waldner: Das Land Südtirol hat primäre Zuständigkeit für die Berufsbildung und vorausgesetzt, dass diese auch in der Zukunft im vollen Umfang von der Politik ausgeschöpft wird, mache ich mir für handwerkliche Ausbildungen, Lehre oder Vollzeit, keine Sorgen. Die Zusammenführung der Abteilung 20 Deutsche und Ladinische Berufsbildung mit den Abteilungen 21, 16 und 17 (Entscheid der Landesregierung, Umsetzung zum 1. September 2011) hat laut Landesrätin Sabina Kasslatter Mur ausschließlich verwaltungstechnische Hintergründe zur Ressourceneinsparung. Wenn dem so ist, bedeutet die Integration des Berufsbildungssystems nicht Unterordnung in andere Abteilungen, sondern Fortbestand der Eigenständigkeit. Die Berufsbildung hat von ihren Anfängen seit den 1950er Jahren herauf bis heute sich zu dem entwickelt, was sie ist: Ein hochwertiger, moderner Bildungsträger für Jugendliche, die zur beruflichen Qualifikation geführt werden, damit auch morgen Südtirol genügend Fachkräfte hat. Im ­Übrigen werden wir dafür - wohl wegen der besonderen Ausrichtung der Ausbildung auf Theorie und Praxis - aus dem Ausland beneidet. Es ist höchst an der Zeit, die Gleichwertigkeit der dritten Bildungssäule mit den anderen Bildungsträgern durch die Reformmaßnahmen hervorzuheben bzw. in den Köpfen zu verankern. Im neuen Bildungsressort sind also gleichwertige Organisationsstrukturen - jede von ihnen mit einer Dienststelle - zukünftig vereint. Die Vollzeitangebote und Lehrberufe werden jährlich im Ausbildungsplan der Berufsbildung festgelegt. Hat das nur mit Flexibilität zu tun und was bedeutet das konkret für die Berufsfachschulen in Schlanders? Franz ­Waldner: Im Ausbildungsplan der Berufsbildung wird das Soll beruflicher Ausbildungen bzw. auch die Genehmigung der entsprechenden Klassen von der Abteilung 20 festgelegt. Diese Planung, an der die Berufsschuldirektoren mitentscheiden, ermöglicht im Prinzip, flexibel auf veränderte Wirtschaftssituationen im Land zu reagieren und gegebenenfalls in Absprache mit den Sozialpartnern mit neuen, innovativen Angeboten darauf zu reagieren. Das heißt natürlich nicht, dass die Berufsschul-Landschaften jährlich total umgestaltet werden - es gibt fixe Bildungsstandorte z.B. für die Lehrlingsausbildung als auch die Vollzeitausbildung. Schwierigkeiten treten ein, wenn z.B. für Splitterberufe, bei rückläufigen Schülerzahlen oder einfach durch Ressourceneinsparungen berufliche Ausbildungen nicht zu halten sind oder Standorte durch Ausgleichsmaßnahmen der Abteilung gestrichen werden. Der Fortbestand der beiden vollzeitlichen Fachausbildungen an der Landesberufsschule Schlanders, die Metallfachschule und die Fachschule für Steinbearbeitung in Laas ist sicherlich auch in Zukunft gewährleistet. Stimmt es, dass der Tischler-Lehrgang in Schlanders gestrichen werden soll? Franz Waldner: Die Tischlerlehrlinge im Vinschgau sind momentan unser größtes Sorgenkind: Einst die stärksten Klassen und beinahe die Schwerpunktausbildung an der Berufsschule in Schlanders, gibt es seit den letzten Jahren - der Trend zeichnete sich ab dem Schuljahr 2007/08 ab - mittlerweile nur mehr so wenige Lehrabschlüsse, dass eine Klassenbildung mit der Auflage der Mindestzahl von 15 Schülern nicht möglich ist. Aus diesem Gund führen wir derzeit nur die Abschlussklasse der Tischlerlehrlinge mit 13 Schülern, die wenigen aus den unteren Klassen besuchen den Berufsschulunterricht in Meran. Der Rücklauf mag konjunkturbedingt, aber auch mit Geburten schwachen Jahrgängen in Verbindung stehen, Tatsache ist, dass ganz Südtirol unter dem Tischlerschwund zu leiden hat. Wohin das wohl führen wird? Die Landesberufsschule Schlanders jedenfalls verfügt über eine hochtechnisch ausgestattete und teure Tischlerwerkstatt, die unter diesen Gegebenheiten morgen schon geschlossen werden kann, falls sich nichts ändert. Tatsächlich haben wir Ähnliches vor Jahren bei den Maler-Lehrlingen erlebt, die aus ganz Südtirol zum Berufsschulunterricht im Block nach Schlanders kommen. Damals hat die Berufsgemeinschaft der Maler zusammen mit der Berufsschule Schlanders alle Anstrengungen unternommen, aus diesem Tief herauszukommen. Mit verschiedenen Aktionen - gemeinsame Projekte, Werbeauftritte auf Messen, Aktualisierung der Ausbildung und kontinuierlicher, reger Austausch - hatten wir Erfolg: Der Malernachwuchs für die 1. Klasse steht zum heutigen Stand bei 36 Schülern und dürfte sich zum letzten Schulturnus vom April bis Juni 2011 noch erhöhen. Für Berufsfachschulen kann ein 5. Schuljahr errichtet werden, das zur staatlichen Abschlussprüfung eines entsprechenden staatlichen Schultyps führt. Also ist der Begriff „Berufsmatura“ eine Augenaus­wischerei? Franz Waldner: Das lang ersehnte Ziel der Berufsbildung, den Weg nach oben zu öffnen und ihre Schüler zu einer Matura zu führen, ist gesichert. Über die vollzeitliche Fachausbildung, die angeschlossene Spezialisierung und ein 5. Vorbereitungsjahr in Ergänzung haben talentierte und zielstrebige Schüler/innen auch bei uns die Möglichkeit, sich auf diesem Weg Zugang zu einer Hochschule zu verschaffen. Wenngleich es mit Sicherheit nur eine kleine Minderheit an Schülern ist, die das will und einen Vorbereitungskurs auf Landesebene dafür absolvieren wird, fehlt bis heute das komplette Anforderungsprofil für diese Herausforderung. Auf alle Fälle wird die Latte sehr hoch gelegt sein und ob man über dieses eine Vorbereitungsjahr die Hürden für einen staatlich gleichwertigen Abschluss schafft, wage ich persönlich zu bezweifeln. Leider ist die ursprüngliche Version der Fachmaturität wie sie der frühere zuständige Landesrat der Berufsbildung Otto Saurer in Rom verhandelt hatte und die praktikabler gewesen wäre, nicht realisiert worden. So kann man auch nicht von „Berufsmatura“ sprechen, die es in dieser Form nicht gibt.
Ingeborg Rainalter Rechenmacher
Ingeborg Rainalter Rechenmacher
Vinschger Sonderausgabe

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