10 Jahre Wohnheim „Bahnhof“ in Schlanders Ein Haus zum Ankommen
Betreuer, Freunde und Bewohner freuen sich über die vielen Gäste zur Jubiläumsfeier

Ein großes Haus für eine schwierige Familie

Publiziert in 26 / 2009 - Erschienen am 8. Juli 2009
Schlanders – Die Errichtung des Wohnheims „Bahnhof“ in Schlanders vor 10 Jahren durch den Sanitätsbetrieb Meran war für viele Patienten von ­Pergine und Stadelhof nach vielen Jahren wie eine Rückkehr nach Hause. „Für die Schlanderser Bürger war das Wohnheim auch die Rückkehr des Psychiatrie-Gespenstes: der gefährliche Irre lebt wieder unter uns“. Diese deutliche Aussage machte der Psychiater Georg Vallazza bei der 10-Jahr-Feier des Wohnheims „Bahnhof“ Ende Mai dieses Jahres. Dabei hatte Schlanders immer eine Vorreiterrolle gespielt, denn dort gab es bereits 1950 die erste ambulante Einrichtung für psychiatrische Patienten, im sogenannten „dispensario“, der Vorratskammer für Medikamente. „Inzwischen hat sich die Akzeptanz des Übergangswohnheims auch in Schlanders deutlich gebessert; Angehörige und Betroffene können sich heute unter Psychiatrie und Therapie etwas Konkretes vorstellen, weil sie den Alltag im Wohnheim kennengelernt haben“, so Dr. Vallazza, der ärztliche Leiter des Hauses, weiter. Der Weg zur Integration war weit. Ebenso weit ist der Weg der inneren Migration, der immer wieder in die Einsamkeit führt. „Das Wohnheim ist ein Modell für gemeindenahes, praktisches Arbeiten mit Migranten der Psyche, die immer wieder zurückkehren und irgendwo ankommen wollen“, erklärte Georg Vallazza. Über 1700 psychiatrische Wohnheime gibt es in Italien, davon sind über 10 in Südtirol. Durchschnittlich werden dort an die 12 Personen rund um die Uhr betreut. „Der Vinschgau hat eine Zone zu betreuen, die flächenmäßig die größte in Südtirol ist. Das Einzugsgebiet reicht von Kastelbell bis Reschen und Schnalstal“, ergänzte der zuständige Psychiater. „Die Arbeit im Wohnheim ist vordergründig eine Begegnung mit Menschen, nicht nur mit Symptomen oder Erkrankungen“, betonte der Psychologe Harald Tappeiner. Es werde bewusst vermieden, eine Atmosphäre von „Behandlung“ und „Betreuung“ zu erzeugen. „Die Bewohner des Übergangswohnheims erfahren hier seit Jahren eine Situation des persönlichen Akzeptierseins, die ihnen die Zuversicht vermitteln soll, dass sie selbst mit Unterstützung der professionellen und persönlichen Begleiter in der Lage sein werden, ihre Krisen zu meistern.“ Gesundheitslandesrat Richard Theiner hielt ein kurzes Plädoyer für die Integration psychisch erkrankter Menschen und für die Aufmerksamkeit den Betroffenen gegenüber. Besonders hob Richard Theiner die wertvolle Arbeit und Unterstützung der Angehörigen, aber auch der Betreuer im Wohnheim hervor. Vizebürgermeisterin Monika Holzner brachte ihre Freude und Dankbarkeit darüber zum Ausdruck, dass es die Struktur „Wohnheim Bahnhof“ seit 10 Jahren in Schlanders gibt, in dem Menschen für kurze oder längere Zeit „daheim“ sein dürfen. Koordinatorin Sabina Tinti zeigte sich bei der 10-Jahr-Feier sehr erfreut über die Besucher von außen. „Dieses Fest ist ein großes Geschenk für unsere Bewohner. Es ist gut, wenn die Außenwelt sieht, welche ­Menschen hier wohnen, denn diese sind meist stigmatisiert, sie werden als die ‚Verrückten‘ angesehen. Dabei staune ich immer wieder, mit welcher inneren Kraft die Betroffenen ihre Krankheit oder ihre ­Krise bewältigen. Sie haben ein großes Herz und sind sehr sensibel“ Eines sei ihr aufgefallen, so die gelernte Krankenschwester und Erzieherin: hier im Vinschgau unterstützen die Angehörigen die Patienten sehr, sie nehmen sie an und fangen sie auf. Was ist ein Wohnheim? Das Wohnheim „Bahnhof“ in Schlanders ist kein Krankenhaus, aber auch kein „Gesundenhaus“. „Es ist ein großer Haushalt und eine schwierige Familie!“, bringt es Isolde Vill, Krankenschwester im Wohnheim auf den Punkt. Derzeit umsorgen nur sieben Betreuer das dreistöckige Haus und seine Bewohner rund um die Uhr. „Ohne Putzhilfe und Koch“, präzisiert Isolde Vill. Alle Hausarbeiten und kleineren Instandhaltungsarbeiten werden von den Betreuern gemeinsam mit den Heimbewohnern erledigt, ständig mit dem Ziel vor Augen, diese auf das Leben in einer Wohngemeinschaft oder in der eigenen Familie vorzubereiten. Freizeitbeschäftigungen, Konzentrationsübungen, Gedächtnistraining und Ausflüge ergänzen den Tagesablauf der „schwierigen Familie“. Das psychologische Angebot reicht von der Einzeltherapie und dem Kontakt mit den Angehörigen bis hin zur Gruppengesprächstherapie und zu Fallbesprechungen. Ein erster Schritt in der Therapie ist das Erlernen, mit der eigenen Krankheit umzugehen und eine Tagesstruktur einzuhalten. „Der Tag- und Nachtrhythmus, die Esskultur, Hygiene und Körperpflege sind für uns selbstverständlich, für psychisch Leidende nicht immer“, so die Krankenschwester Simone Niederfriniger. Im Wohnheim erlernen die Bewohner, Konflikte zu verarbeiten sowie mit Regeln und Grenzen umzugehen. Sobald in der Therapie neue Lebensziele formuliert werden können, kann an eine geschützte Arbeit und eine anschließende Arbeitsintegration gedacht werden. Eine enge Zusammenarbeit und eine Vernetzung mit dem Sozialsprengel, dem Zentrum für psychische Gesundheit, der Stelle für Arbeitsintegration, dem Krankenhaus, der Akutabteilung der Psychiatrie in Meran, der Bezirksgemeinschaft, dem Jugendgericht sowie mit den Hausärzten sind von großer Effizienz. Ein Treffpunkt für psychisch kranke Menschen Vor 5 Jahren hat sich zum Wohnheim noch ein zusätzliches Tor nach außen geöffnet: Die Treffpunktgruppe unter Strukturleiter Roman Altstätter ist an 4 Tagen in der Woche jeweils am Nachmittag für Menschen mit psychischer Erkrankung geöffnet. Das Angebot reicht von gemeinsamen Kaffeetrinken und Miteinanderreden über Gesellschaftsspiele, Arbeiten mit verschiedensten Materialien wie Holz, Ton, Wolle usw. bis hin zu spezifischen Workshops und gemeinsamen Ausflügen. Die Ziele des Treffpunktes sind eine Tagesstrukturierung und Beschäftigung, soziale und kommunikative Kompetenz erhalten und ausbauen, kognitive Fähigkeiten fördern, mögliche rehabilitative Perspektiven erörtern und vorbereiten. Der Treffpunkt im Wohnheim untersteht der Bezirksgemeinschaft Vinschgau, während das Wohnheim eine Struktur des Sanitätsbetriebes Meran ist. Beide Einrichtungen unter einem Dach finden alle Beteiligten als sehr wertvoll und befruchtend.
Vinschger Sonderausgabe

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