„Planen, nicht nur schwatzen“
Mals darf nicht Endstation bleiben
Es gibt mehrere Vorschläge und Varianten, um im Rhätischen Dreieck moderne und länderübergreifende Bahnverbindungen zu schaffen. Viel Widerstand gibt es bereits jetzt gegen die Reschenbahn, und zwar vor allem deshalb, weil die Malser Haide bei dieser Variante stark in Mitleidenschaft gezogen würde.
Josef Thurner
Eva Prantl und Moderator Markus Lobis
Paul Stopper
Franziska Preisig
Dario Giovanoli
Helmuth Moroder
Baldur Schweiger
David Frank lockerte den Abend mit Musik auf.

Es braucht mehr Tempo

Alle drängen auf Bahnverbindung mit der Schweiz. Arbeiten der „Technischen Arbeitsgruppe“ ziehen sich weiter in die Länge.

Publiziert in 39-40 / 2021 - Erschienen am 23. November 2021

Mals - Welche Folgen der Klimawandel mit sich bringt, hören und sehen wir alle Tage. Den Menschen steht das Wasser bis zum Hals, nicht wenigen sogar im wahrsten Sinn des Wortes. Zu den Hauptverursachern von Treibhausgas-Emissionen gehört der Verkehr. Um die Umweltbelastungen des derzeit immer noch steigenden Verkehrs einigermaßen in den Griff zu bekommen, gibt es auch im Dreiländereck eigentlich nur eine Möglichkeit und das ist die Bahn. „Die Politik und auch die Bevölkerung müssen Druck machen, damit im Rhätischen Dreieck moderne und länderübergreifende Bahnverbindungen möglichst rasch geplant und auch umgesetzt werden“, gab sich der Malser Bürgermeister am 18. November bei einem Informations- und Diskussionsabend im Kulturhaus in Mals überzeugt. Die Entscheidungen dafür seien möglichst rasch zu treffen. Die Zeit sei auch deshalb günstig, weil die EU und der Staat im Kontext mit dem Problem des Klimawandels viel Geld bereitstellen.

Warten auf die „Bestvariante“

Leider vertrösten musste Josef Thurner das Publikum mit ersten Arbeitsergebnissen der „Technischen Arbeitsgruppe“, die im Anschluss an die sogenannte „Grauner Absichtserklärung“ eingesetzt worden war. Es war am 11. September 2020, als die höchsten Regierungsvertreter aus Südtirol, Tirol, dem Kanton Graubünden und aus der Lombardei gemeinsam die Absicht erklärten, den Schienenverkehr im Dreiländereck zu verbessern und eine Anbindung an das internationale Bahnnetz zu schaffen. „Es ist auch die Aufgabe der Politik, große Ziele für die späteren Generationen anzuvisieren“, hatte Landeshauptmann Arno Kompatscher in Graun gesagt. Die Hauptaufgabe der „Technischen Arbeitsgruppe“ ist es, mögliche Varianten zur Schließung von Lücken zu prüfen, deren Machbarkeit auszuloten und Kostenschätzungen anzustellen, um den politischen Entscheidungsträgern die objektiv beste Variante bzw. Trassenführung vorzulegen. Die Amtsdirektorin Stephanie Kerschbaumer, die Vorsitzende der Arbeitsgruppe, hatte den Malser Bürgermeister im Vorfeld des Abends mitgeteilt, dass mit den Resultaten der nunmehr einjährigen Vorarbeiten zu Beginn des nächsten Jahres zu rechnen sei.

Die Zeit drängt

Alle Referenten, die von der Initiative „PRO BAHN terra raetica“ zum Abend eingeladen worden waren, plädierten für möglichste rasche Entscheidungen bzw. Weichenstellungen seitens der Arbeitsgruppe und dann auch seitens der Politik. „Italien erhält über den sogenannten Green Deal 240 Milliarden Euro, die nicht für Straßenbauprojekte ausgegeben werden dürfen. Diese Geldmittel sind möglichst rasch abzuholen“, mahnte der Mobilitäts- und Bahnexperte Helmuth Moroder. In Europa tue sich einiges, um den Autoverkehr einzuschränken und die Mobilität auf der Schiene zu fördern. Gute Verbindungen und schnelle Fahrzeiten würden das Bahnfahren auch für die Gäste attraktiv machen. „Die Bahn allein wird die Mobilitätswende nicht schaffen, aber ohne Bahn wird es sicher keine Mobilitätswende geben“, sagte Moroder. Einen Meilenstein im Ausbau des transeuropäischen Schienennetzes sieht er im Brennerbasistunnel, der bis 2032 fertiggestellt sein soll. Als notwendige Bahnlinien in Südtirol nannte Moroder die Dolomitenbahn, die Bahn ins Überetsch und nicht zuletzt die Anbindung des Vinschgaus an die Schweiz. Dank der Elektrifizierung der Vinschger Bahn könne die Beförderungsfähigkeit mehr als verdoppelt werden. „Haben wir heute ca. 7.000 Fahrgäste pro Tag, werden es morgen rund 17.000 sein“, so Moroder. Im Umkehrschluss dürfte der durchschnittliche Autoverkehr im Vinschgau entsprechend abnehmen. Obschon rund zwei Drittel des Verkehrs hausgemacht seien, spiele der Tourismus eine wesentliche Rolle, genauer gesagt die Verkürzung der Aufenthaltsdauer und die damit einhergehende Zunahme des Anreiseverkehrs. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer der Gäste ist in rund 30 Jahre um 30 Prozent gesunken. Das heißt, dass der Anreiseverkehr um 30 Prozent gestiegen ist. „Wenn es gelingt, die Aufenthaltsdauer zu steigern, bessere Möglichkeiten für eine Anreise mit der Bahn zu schaffen und den Tourismus nachhaltiger zu gestalten, wird der Anreiseverkehr deutlich sinken“, ist Moroder überzeugt.

Präferenz für Scuol-Mals

Der Bauingenieur und Verkehrsplaner Paul Stopper, der über derzeitige Bahn-Lückenschlüsse im Dreiländereck und darüber hinaus informierte und mögliche Varianten und Trassenführungen erläuterte, machte kein Hehl daraus, dass er persönlich, der Verein „Pro Alpenbahnkreuz Terra Raetica“ sowie auch die Initiative „PRO BAHN terra raetica“ der Variante Scuol-Val Müstair-Mals (Tunnel) den Vorzug geben und einer „Gebirgsbahn“ über den Reschen sehr skeptisch gegenüberstehen. Abgesehen von den längeren Fahrzeiten wäre eine Trassenführung auch aus der Sicht des Naturschutzes „absolut schwierig“, denn es wäre eine viermalige Durchquerung der Malser Haide vorgesehen. Das Ziel der Schweiz sei es, „möglichst schnell in den Vinschgau zu kommen.“ Es sei an der Zeit, Gas zu geben und „konkret zu planen, nicht nur zu schwatzen.“ Südtirol und die Schweiz sollten rasch ca. 20 Millionen Euro für die Finanzierung der Vor- und Detailplanung auf den Tisch legen. Eile sei aus der Sicht der Schweiz laut der Großrätin Franziska Preisig vor allem auch deshalb geboten, um zu einer Mitfinanzierung seines des Bundes zu kommen. Die Frist für die Vorlage eines Angebotskonzeptes als Grundlage für den STEP 2040/45 laufe Ende 2022 ab. STEP steht für „Strategisches Entwicklungsprogramm Bahninfrastruktur in der Schweiz“. In diese Kerbe hieb auch Dario Giovanoli, der Präsident des Vereins „Pro Alpenbahnkreuz Terra Reatica“. Es brauche rasche und konkrete Anstrengungen von allen Seiten. Eine Bahnverbindung mit der Schweiz berge viel Potential für alle „und ich möchte den Spatenstich schon noch erleben.“

Pro und contra Reschenbahn

Baldur Schweiger hielt in Vertretung der Initiativgruppe „Reschenbahn 2.0“ ein Plädoyer für die Bahnvariante über den Reschen. Nur mit dem „Lückenschluss“ der Bahnstrecke Mals-Landeck lasse sich die enorme Verkehrsbelastung im Westen Tirols und darüber hinaus in den Griff bekommen. „Ein Bahntunnel Mals-Scuol löst dieses Problem nicht“, so Schweiger. Dass die Malser Haide ein sensibler Bereich sei, „wissen wir natürlich.“ Es werde daher an Tunnelabschnitte gedacht. Unbedingt anzuschließen sei auch das Unterengadin. Der „Lückenschluss“ Landeck-Mals sei als Teilstück einer westlichen Alpenüberquerung zu sehen. Die Auf- und Abstiege über den Reschenpass könnten mit Kehrtunnels überwunden werden. Mit einer Reihe von Argumenten gegen eine Trassenführung über den Reschen und die Malser Haide wartete Eva Prantl im Namen der Umweltschutzgruppe Vinschgau auf: Projekt „Wiesenbrüter“ auf der Malser Haide, Biotop Spinei, Waalsystem auf der Malser Haide, Verbauung des Westufers des Haidersees und weitere Aspekte. „Wir wissen, dass die Mobilität in ihrer heutigen Form nicht nachhaltig ist und maßgeblich zur Klimakrise beiträgt. Deshalb drängen wir als Umweltschutzgruppe auf einen Ausbau der Bahnverbindungen im Dreiländereck“, so Prantl. Die Verbindung Mals-Scuol stelle eine ökologisch vertretbare Alternative zur Reschenbahn dar.

„Vinschgau hat nicht geschlafen“

Roselinde Gunsch, die Bürgermeisterin von Taufers im Münstertal, zeigte sich bei der Diskussion erfreut darüber, „dass die Schweiz jetzt so stark Druck macht.“ Sie erinnerte aber auch daran, dass bereits in der Vergangenheit vor allem im Bezirk Vinschgau vieles getan wurde, um das Thema Eisenbahnverbindung Engadin-Vinschgau nicht einschlafen zu lassen. Auch den Einsatz von Georg Fallet aus dem Val Müstair rief sie in Erinnerung. Was es zu verhindern gelte, sei eine Anbindung an Bormio mit Autoverlad, „denn das würde der Vinschgau auf keinen Fall verkraften.“ Nicht festnageln ließ sich der Grauner Bürgermeister Franz Prieth, von dem sich mehrere Diskussionsteilnehmer eine Position der Gemeinde Graun zur Reschenbahn erwarteten. „Wir sind gespannt, zu welchen Ergebnissen die ‚Technische Arbeitsgruppe’ kommen wird“, so Prieth. Sobald man wisse, „was machbar und finanzierbar ist“, werde es an den Politikern der betroffenen Länder liegen, eine Entscheidung zu fällen.

Josef Laner
Josef Laner

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