Wenn Bauern die Kontrolle entgleitet

EU-Gelder für Bauern, Bauerngelder für Sekretärin

Publiziert in 16 / 2003 - Erschienen am 28. August 2003
[F] Der Integrierte Obstbau - AGRIOS - kam in den letzten Wochen in die Schlagzeilen. Nicht wegen der Rückstände von bedenkenlos eingesetzten Pflanzenschutzmitteln durch AGRIOS-Mitglieder bei der Schädlingsbekämpfung, sondern wegen dem jahrelangen, „bedenkenlosen“ Hineinlangen einer Sekretärin in die Vereinskasse. Was und wer steckt hinter einer „Arbeitsgruppe“, die für die Bauern die Voraussetzungen schafft, aus der EU-Kasse jährlich mehrere Millionen Euro zu holen und der Sekretärin lukrative „Nebeneinkünfte“ ermöglicht. von Hansjörg Telfser [/F] Die sprichwörtliche Bauernschläue kommt nicht von ungefähr. Und am meisten davon scheinen die Bosse in den Gremien zu haben. In den vergangenen Jahren wurden Arbeitsgruppen eingesetzt, die Richtlinien für den integrierten Obstbau - einer umweltschonenderen und biologisch vertretbareren Produktion - ausgearbeitet haben. Damit das Ganze internationalen Ansprüchen gerecht wird, wurden auch die entsprechenden Kontrollmechanismen installiert. Daraus ist das derzeit bestehende System der „Integrierten Produktion“ mit der Südtiroler Qualitätskontrolle hervorgegangen. 1988 notariell gegründet, umfasste die „Integrierte Produktion“ zehn Jahre später bereits über 15.000 Hektar Obstbaufläche, mit einer fast 100-prozentigen Beteiligung der Vinschger Obstbaubetriebe, die heute in der Vi.P zusammengeschlossen sind. Für ihre Mitgliedschaft bei der „Integrierten Produktion“ erhalten die Bauern auch EU-Fördergelder. Wie AGRIOS-Chef Georg Gasser dem „Vinschger“ gegenüber bestätigte pro Hektar mindesten 250 Euro. Auf Südtirol aufgerechnet eine Summe von über 3,5 Millionen Euro. Ins Gerede gekommen ist die AGRIOS, die Arbeitsgruppe, die für die Richtlinien der „Integrierten Produktion“ zuständig ist, aber heuer im Sommer durch eine Betrugsgeschichte. Die ehemalige Verwaltungsleiterin hat im Laufe der beiden vergangenen Jahre immer wieder in die Vereinskasse gegriffen. Eine Landtagsanfrage des Freiheitlichen Pius Leitner an den zuständigen Agrarassessor Hans Berger hat es ans Tageslicht gebracht, dass insgesamt 131.000 Euro verschwunden sind. Ein Batzen Geld bei einem Haushalt von 400.000 Euro im Jahr (siehe Interview). „Unvorstellbar“, wie es Leitner ausdrückt, „dass jemand es schafft, fast 20 Prozent eines Verwaltungsjahres in die eigene Tasche zu stecken.“ Und fragte auf einer Pressekonferenz, ob die Kontrollmechanismen versagt haben und wer die Verantwortung dafür übernimmt. Für die Bauern wird es jetzt in ers-ter Linie darum gehen, ob die „Arbeitsgruppe“ wieder zu ihrem Geld kommt oder sie selbst das Loch in der Kasse stopfen müssen. Aus Vinschger Sicht ist der AGRIOS-Betrugsskandal insofern interessant, weil auch höchste Bauernvertreter aus dem Tale zumeist in Multifunktionen (siehe Kasten links) in führender Postition in den Gremien sitzen. Was die AGRIOS-Diskussion noch zu Tage gefördert hat, ist die enge personelle Verflechtung zwischen den zu Kontrollierenden und den Chefs der Kontrolleure. Aber wer die Bauern kennt, weiß, dass auch hier wieder die entsprechende Schläue eingesetzt wird. [F] GLOSSAR [/F] AGRIOS: Arbeitsgruppe Integrierter Obstbau Südtirol -mit Sitz im Haus des Apfels in Terlan IP - Integrierte Produktion: umweltschonende und konsumentenfreundliche Anbauweise, die alle günstigen natürlichen Faktoren nützt, um landwirtschaftliche Produkte von guter innerer und äußerer Qualität mit dem geringstmöglichen Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zu erzeugen und anzubieten. SQK - Südtiroler Qualitätskontrolle: überwacht durch Kontrollen im Auftrag der AGRIOS die vorgeschriebene Anwendung der Richtlinien für die „Integrierte Produktion“ Südtiroler Schutzmarke mit Marienkäfer: Obst aus „Integrierter Produktion“ wird auf dem Markt mit der Südtiroler Schutzmarke sowie dem Marienkäfer als Logo angeboten, wobei vom Beginn des Wirtschaftsjahres an bis zur Vermarktung alle einschlägigen IP-Richtlinien eingehalten werden müssen. EUREPGAP-Richtlinien: EU-Richtlinien zur Reglementierung des Anbaus, der Lagerung und Vermarktung des Obstes. Geht mit einigen Forderungen sogar weiter als die IP-Richtlinien. EUREPGAP-Richtlinien wurden beispielsweise heuer in die IP-Richtlinien für 2003 eingebaut. Beispiel: chemische und mikrobielle Untersuchung des Bewässerungswassers [F] Der eigenwillige Weg zum Kundennutzen [/F] „Der Vinschger“: Wie viele Bauern produzieren nach den Richtlinien der Arbeitsgruppe Integrierter Obstbau Südtirol - AGRIOS? Georg Gasser: Bei uns sind knapp über 7.000 Bauern dabei, wobei die Bauern der Vi.P fast zu 100 Prozent, wenn man die 120 Biobauern wegnimmt, nach den Richtlinien der Agrios produzieren. Die ViP war eine Vorreiterin in Sachen integrierte Produktion. Und wer finanziert die Arbeit der AGRIOS? Über ein Landesgesetz erhalten wir gut 60.000 Euro und der Rest wird von den Bauern selbst finanziert. Die wiederum von der EU unterstützt werden. Man spricht von 500 Euro pro Hektar. Das kann in etwa stimmen, wobei dieser Betrag zu einem Teil auch wieder von den Bauern selbst finanziert wird. Das sind 50 Prozent. Berechnet man die Förderung auf die Fläche der Prdouktion hoch sind das 7 Mio. Euro, von denen 3,5 Mio. aus Brüssel kommen. Die AGRIOS bekommt diese Gelder nicht, die kommen den Bauern zugute. Damit Boden- und Blattanalysen gemacht oder beispielsweise die Sprühgeräte überprüft und eingestellt werden oder der Bauer das Umfeld seiner Obstanlagen im Sinne des integrierten Anbaus schützt und pflegt mit Sträuchern, Trockenmauern usw. Wie kommt dann der Bauer zu diesem Geld - indirekt über die Obstpreise oder über eine „Integrierte-Produktions-Prämie“? Das sind Entscheidungen der Obstgenossenschaften. . Wie hoch ist dann der Haushalt der AGRIOS? Mit den Kontrollen eingeschlossen kommen wir im Jahr auf 400.000 Euro. ...und die Kontrolle wird wieder von einem Verein oder einer Arbeitsgruppe ausgeführt, die wieder unter dem Vorsitz eines Obstproduzenten steht. Das sieht aus, als ob der Bock zum Gärtner gemacht wird. Es mag auf den ersten Blick so aussehen. Aber es hängt mit der Kontrollrealität in Italien zusammen, die keine angemesse Antwort gibt, wie man in Südtirol bei so vielen kleinen Produzenten vorgeht. Wir sind auf dem Weg, diese Südtiroler Qualtitätskontrolle zu einer unabhängigen Einrichtung zu machen. Andersrum. Vi.P-Obmann Karl Weiss ist Chef der Kontrolleure, der Vi.P-Obmann ist aber auch Obstproduzent. Was passiert, wenn der Qualitätschef Weiss den Obstproduzenten und Vi.P-Obmann Weiss bestrafen müsste? Wir wissen, wo wir stehen. Es gibt Richtlinie, die sind für alle einzuhalten. Uns geht es darum einen Kundennutzen zu erreichen und keinen Skandal zu produzieren. Die Kontrolle im Verwaltungsbereich der AGRIOS hat aber nicht funktioniert? Die Sekretärin hat sich an unserem Geld bereichert. Wir sind aber auf einem guten Weg, das wieder in Ordnung zu bringen. Mehr will ich nicht sagen. Die Unterlagen sind bei der Staatsanwaltschaft, die ermittelt. Interview: Hansjörg Telfser
Hansjörg Telfser
Vinschger Sonderausgabe

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