Der mit dem Windhauch spricht

Explosion aus künstlerischer Freiheit und Ideen

Publiziert in 30 / 2008 - Erschienen am 3. September 2008
„Wenn der Bach mich ruft, hat er stets etwas für mich!“ Lorenz Kuntner aus Prad hat schon lange nichts mehr mit einem für unsere Begriffe „normalen bürgerlichen Leben“ zu tun. Der so genannte Künstler legt sein Schicksal und seine Em­pfindungen bereits seit Jahren in die Hände der Natur und hat eine Lebenseinstellung, die seinesgleichen sucht. von Rudi Mazagg Bereits als kleiner Bub hatte er monatelang als Hirte seine Zeit alleine in der Natur verbracht. Er musste sich dabei bereits mit 10 Jahren um 36 Stück Vieh kümmern. „Die Natur umarmt alles, man muss wissen, was ­außerhalb der Menschen vorgeht bzw. passiert. Dieses Gefühl bekommt aber keine Person aus der Stadt, sondern nur jene Leute, die in den Bergen, in der Natur aufwachsen“, sagt Kuntner, der vor allem in den Sommermonaten stets in der Natur, unter freiem Sternenhimmel seine Nächte verbringt.Begonnen hat alles mit den Felsen oberhalb seines Hauses und mit dem auch heute noch bestehenden Verkehr in Richtung Stilfserjoch. „Diesem Felsen habe ich etwas Indianisches verliehen, ich bin schon als kleiner Junge immer dort hinaufgeklettert. Heute tragen die Felsen kleine, primitive Zeichnungen von Tieren, die ich als Wiedergutmachung und als Verzierungen betrachte.“ ­Seine erste Skulptur war hingegen eine Sammlung von Kieferknochen, direkt neben der Hauptstraße in der Schmelz, die er an eine Art Pfahl hängte. Mit dieser für viele Menschen ­lächerlichen Aktion wollte der damals noch in der Schweiz als leitender Büroangestellter engagierte Familienvater dem starken und vor allem rücksichtslosen Schwerverkehr vor seiner Haustüre entgegenwirken. Er wollte die Leute mit dieser Handlung schocken, in der Hoffnung dass die oft sehr hohen Geschwindigkeiten auf der Straße dadurch ein wenig gedrosselt würden. In der Folge verspürte der Prader vermehrt den Wunsch aus der Fantasie gebildete Figuren und Skulpturen zu formen. „Mich interessieren nur Formen, ich suche das Fantastische“, so Kuntner zu seinen Kunstwerken, der sich kein bürgerliches Leben mehr vorstellen könnte. Er bezeichnet diese Art von Leben als Sklaventum. „Diese Büroarbeit war nicht mein Leben, nicht meine Welt!“, sagt er rückblickend. Seine Kunstwerke entstehen immer in Zusammenarbeit mit der Natur. „Wenn die Natur einem etwas schenkt und danach die Hände der Menschen im Spiel sind, ja dann entsteht Kunst. Alles entsteht aus der Empfindung“, so ­Kuntner weiter. Die Bearbeitung von Steinen, die er aus dem naheliegenden Fluss holt, stellt mittlerweile eine der Haupttätigkeiten in seinem Leben dar. Er hinterlasse damit Spuren, sagt er. „Ich suche meinen Weg, versuche mich selber zu verwirklichen und will wahrhaft leben. Je mehr meine Skulpturen die Menschheit schockt, desto ­besser“, lacht er. Der Prader ist ein begnadeter Redner, er interpretiert und diskutiert. Er tut das, was ihm gefällt und sagt so manchem neugierigen Touristen das, was er hören will. Allerdings steckt mehr hinter diesem Mann, als leere Worte. Er redet befreit von der Leber weg, ganz nach dem Prinzip, dass er im Grunde nichts zu verlieren hat. Seine doch relativ egoistische Einstellung, wonach jeder machen könne, was er wolle, lässt ihn unbekümmert und von jeglichen Sorgen befreit aufleben und genau diesen Zustand scheint der Künstler aus vollen Zügen zu genießen. Er möchte die ihm noch bleibenden Jahre seines Lebens so auskosten bzw. verbringen, wie er es für richtig hält. „Die Menschen haben nie genug, jedes Vieh weiß wann es genug hat! Es darf selbst in weiten Teilen der Natur nur mehr das wachsen, was uns von ­Nutzen ist, was uns zu noch mehr Kapital verhilft. Ein ­Bauer, der zu früheren Zeiten noch sein eigener Herr war, ist heute auch zu einem Sklaven unseres Systems geworden. Allerdings mache ich auch Gebrauch von Produkten unserer Gesellschaft, besitze ebenfalls ein Auto und bin aus diesem Grund mehr oder weniger ähnlich abhängig wie jeder andere Bürger in unserer Umgebung“, bringt es der Künstler auf den Punkt. Kuntner bezeichnet alles, was die Natur für ihn bereit hält als „Heiligtum“. Beispielsweise ein jeder Knochen, ein jeder gefundene Stein oder auch ein entdecktes Stück Metall, das Leute auf Deponien oder abseits der Straße ablagern, ist für den Künstler ein „Heiligtum“. Mittlerweile darf er aber nicht mehr auf die nahegelegenen Müllhalden, um dort nicht mehr verwendete Metalle mitzunehmen, aus denen er dann so genannte Skulpturen formen möchte. Er findet diese für ihn relativ große künstlerische Einschränkung als Missgunst jener Leute, die aus welchem Grund auch immer, neidisch auf sein Werken sind. Lorenz Kuntner macht ­Führungen, wenn er zu­hause ist. Er erklärt interessierten Personen seine Ideen und Kunstwerke. Für die eine oder andere Spende kauft er sich wiederum Farben für spätere Projekte. „Ich bin ein Theaterspieler, Worte sind Schall und Rauch, man ist nur das, was man wirklich ist,“ sagt er gegenüber dem „Vinschger“ nach einem abgeschlossenen Dialog mit einem weiteren Besucher. „Bin ich wirklich ein Künstler? Wenn 100 Besucher vorbeikommen und alle behaupten, dass ich ein Künstler bin, dann bin ich halt ein Künstler, jeder will nur Sensationen!“ Kuntner begegnet Menschen aus allen Herrenländern, aus Russland, Israel, vor allem aus den Ostländern. Ein Mann aus Wladiwostok war beispielsweise einmal nur wegen des Vinschger Künstlers nach Prad gereist und begutachtete seine Kunstwerke und nahm danach zur Erinnerung auch etwas mit nach Hause. Nicht nur in Formen und Figuren lebt sich Kuntner aus, er hat sich außerdem bereits einmal als Schriftsteller versucht, im Moment schreibt er bereits sein zweites Werk. Das Herzgefühl und die Fantasie, mit der Lorenz Kuntner in den Tag lebt, ist schier nicht nachvollziehbar. Auf jeden seiner Steine sind künstlerisch reizvolle Gesichter abgebildet. „Alles schaut mich an, alles ist lebendig und beseelt. Ich rede alles über den Windhauch, dort findet eine jede Zwiesprache statt, ich fühle mich als Spielball der Geister“, beschreibt er seine etwas anderen Kontakte. Er ist der Kunst verfallen und fühlt sich berufen, in der Freiheit der Natur seine Werke darzustellen. Lorenz ­Kuntner ist wie ein jeder von uns auch auf der Suche nach sich selbst, er lebt das Leben im Gegensatz zu anderen aber offen und ohne Bedenken. Er macht dadurch bewusst oder unbewusst auf sich aufmerksam und ist somit ein weiterer bunter Farbfleck in unserem doch oft seltsamen Dasein. Kunst aus Leidenschaft Was soll ich dir sagen? Man ist das, was man tut! Natur und Kunst bedingen sich, und meine Werke spiegeln beides, es ereilt Beglückung dem Betrachter. Vieles geschieht des Geldes wegen, denn dessen Macht hält uns wie gefangen, versklavt, ein Werben ohne Ende. Und im Lichtstrahl der Macht des Geldes geht einher Heuchelei und Scheinheiligkeit. Der Kunst verfallen bin ich wahrlich. Als mich Berufung überflog, folgte ich ihrem Lockruf hinaus in der Freiheit weiten Räume. Zeit ergoss sich wie Balsam auf die wenigen Jahre meines Lebens, um zu zerschmelzen, um zu pulsieren im Glücksgefühl des Augenblicks. Wenn im Rausche künstlerischer Leidenschaft Beglückung mich ereilt, wie ein Windhauch das Erstorbene, um zu beseelen meines Daseins Vorbestimmung, um Lebendigkeit zu schüren, wie aus der Geisterwelt hervorgerufen, die mich umfängt und entflammt und trägt, hinan zu wahrem Sein, dann wohl breitet sich der Flügelschlag traumhaft Visionär und „Phantasien“ sichtet sich zur Wirklichkeit. Meine Werke spiegeln meine Seele und Gedanken, wiewohl sie schwanken, im Hauch des Windes, auf dass totes Leben habe, auf dass Erstorbenes Lebendigkeit erfahre, in den Augen des Betrachters. Wahrlich Spielball bin ich nunan, in den Händen jener Musen, die die Mythen uns bekunden, schon von Alters her, auferstanden aus dem Staube der Vergangenheit, hinein gestellt in unseres Alltags Wirklichkeit, betrachtet voller Argwohn, mit einem Hauch von Neid und Missgunst. Andersartigkeit war von je her Stein des Anstoßes, denn einzureihen hat er sich (der Künstler) in den Kreis des Festgefahrenen, so lautet der Anspruch seines bürgerlichen Zeitgenossen. Auf der Suche seiner Selbst hat der Künstler sich verloren im weiten Feld der Fantasie, und die Bestimmung ward ihm Geiselung und Glücksgefühl gleichermaßen. Aller Widerspruch findet schließlich sich zu Harmonie und wahrlich zu Vollkommenheit, um geheimnisvoll zu währen, um in Stille und in Frieden sich zu wiegen, dort wo geheimnisvoll die Gottheit ruht. Lorenz Kuntner
Rudi Mazagg
Rudi Mazagg
Vinschger Sonderausgabe

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