Kriegsgefangenschaft in Russland
Ein Schleiser erinnert sich
In der Hand das Sterbebild seines Freundes und Kameraden, Franz Abart (verstorben am 1. Juli 2018 im Alter von 92 Jahren).
Glücklich verheiratet: Theresia und Andreas (im Bild vor rund 10 Jahren).
2012: Andreas mit seinem jüngsten Enkel Jonas.

Gefangen in Russland 

Der 91-Jährige Andreas Sachsalber war 5 Jahre in russischer Kriegsgefangenschaft. Der Zeitzeuge erinnert sich an eine schreckliche Zeit.  

Publiziert in 29 / 2018 - Erschienen am 4. September 2018

Schleis - 3,2 Millionen Soldaten der deutschen Armee gerieten mit Ende des 2. Weltkrieges in Russland in Kriegsgefangenschaft. 1.900 davon waren Südtiroler. Einer davon ist der Schleiser Andreas Sachsalber. „Es war der 25. April 1945. Die Russen haben unsere Division in Berlin eingekesselt. Dann ging alles schnell. Wir wurden gefangen genommen“, erinnert sich der heute 91-Jährige im Gespräch mit dem der Vinschger im Malser Martinsheim. Erst seit einigen Monaten ist er dort untergebracht. Er fühlt sich wohl, erzählt Geschichten aus seinem Leben, einem Leben voller Ereignisse. Wertvolle Erfahrungen, schöne Momente, aber es war vor allem ein Leben, das von schrecklichen fünf Jahren geprägt war – den Jahren in russischer Gefangenschaft. Es war im September 1944. Andreas Sachsalber, damals noch zarte 17 Jahre alt, wurde zur Deutschen Wehrmacht eingezogen. Doch schon bald zeichnete sich die schwerste Niederlage der deutschen Kriegsgeschichte ab. „Zu dieser Zeit marschierten wir noch zu Fuß von Berlin nach Frankfurt an der Oder. Über 100 Kilometer Fußmarsch, Kämpfe an der Front. Wir hatten nur mehr unsere Gewehre“, blickt Sachsalber zurück. Später ging es wieder nach Berlin. Dort überschritten die ersten sowjetischen Einheiten am 21. April die Stadtgrenze. Wenig später kamen auch die amerikanischen Soldaten hinzu. Die Alliierten waren dabei, Berlin zu erobern und den Krieg zu beenden. Deutsche Soldaten wurden getötet oder gerieten in Kriegsgefangenschaft. „Die Gewehre mussten wir wegwerfen. Wir hatten keine Chance und uns bereits ergeben. Wir standen den Amis gegenüber. Die konnten mit uns wohl nichts anfangen und haben uns an die Russen übergeben“, erzählt Sachsalber. Die wirkliche Tortur sollte nun beginnen. 

Hilfe bei russischem Wiederaufbau 

Es war der 13. Juni als die Gefangenen nach wochenlanger Zug-Fahrt die Sowjetunion erreichten. „Ich stieg halb tot aus dem Waggon, und da ging die Sonne am Horizont auf. Blutrot. Das war mein erster Eindruck von Russland, ein wunderschönes Bild“, so Sachsalber. Anfangs ging es für die Kriegsgefangenen nach Podolsk. Für ein Jahr hielten sie sich dort auf. Gleich bei Ankunft wurde mit der harten Arbeit begonnen. Später ging es dann in die heutige Weißrussische Hauptstadt Minsk. „Die Stadt war damals völlig zerstört. Mir mussten aufräumen und beim Wiederaufbau helfen“, erzählt der Schleiser. Geschickt habe er sich angestellt, auf dem Bau sei er stets tüchtig gewesen. Die harte körperliche Arbeit habe er ertragen, „was sollte man auch sonst machen?“. Nach drei Jahren in Minsk ging es 1949 nach Kiew. Dort wurden die Kriegsgefangenen dazu benutzt, ein Entbindungsheim aufzubauen. 

Tod oder gefangen? 

Hoffen, Bangen, Ungewissheit. Die Zeit in russischer Gefangenschaft war auch für die Eltern von Andreas Sachsalber eine schlimme Zeit. Sie führten in Schleis den heimatlichen Hof, 3 Jahre lang hörten sie nichts von ihrem einzigen Kind. Sollte er im Krieg gefallen oder in Gefangenschaft geraten sein? Erst 1947 überbrachte der Tauferer Josef Spiess die Botschaft. „Er war mit mir in Gefangenschaft und durfte früher nach Hause als andere. Ich habe ihm gesagt, ‚schau bei mir daheim vorbei und sag, dass ich noch am Leben bin‘. Den Gefallen hat er mir natürlich getan“, erzählt Sachsalber. Später fand auch ein Briefwechsel mit der Heimat statt. 

Harte Jahre 

Die Arbeit war hart, das Essen bescheiden. „Wassrige Suppe. Das war unser Hauptnahrungsmittel“, blickt Sachsalber zurück. Und nur wer seine vorgeschriebene Arbeitsnorm vollständig erfüllt habe, erhielt auch seine vollständige Lebensmittelration. Dass es die härteste Zeit seines Lebens gewesen war, stehe außer Frage. Viel Leid, viele Grausamkeiten habe er in den Jahren der Gefangenschaft gesehen und erlebt. Das Leben der Kriegsgefangenen war geprägt vom täglichen Umgang mit dem Tod. „Viele Kameraden starben“, sagt Sachsalber. Insgesamt mehr als eine Million Kriegsgefangener starben hinter dem russischen Stacheldraht. Der Tod wurde Alltag. Unterernährung, Krankheiten und die damit kaum zu bewältigende schwere Arbeit waren unter anderem Ursachen für das Massensterben. Die hygienischen Zustände seien natürlich katastrophal gewesen. Gefangene wurden zu „Entlausungsstationen“ begleitet, dort wurden die Läuse abgetötet. Gegen die Wanzen habe man jedoch kein Mittel gefunden. 

Die Heimkehr

Es war im Jahre 1950, als endlich für Andreas Sachsalber mit dem 20. Mai der Tag kam, auf den Kriegsgefangene warten. Die Entlassung. „Wir kamen in ein Lager nach Rumänien, nach Marmaros Sziget. Dort wurde man sozusagen wieder aufgepäppelt. Ich habe in wenigen Monaten 15 Kilogramm zugenommen. Ich hatte aber auch Glück, dass ich in der Offiziersküche mitessen durfte“, denkt Sachsalber zurück. In Wien wurde man offiziell entlassen. An den russischen Offizier erinnert sich der Schleiser noch heute gut: „Er hat die Namen ausgerufen. Wir mussten auf Russisch mit dem Geburtsdatum antworten“. Später ging es nach Tarvis, wo die Heimkehrer von den Italienern empfangen wurden. Dann mit dem Zug nach Udine und weiter nach Bozen und Meran. „In Meran wurde ich von meinem Vater in Empfang genommen. Mutter wartete in Mals“, weiß Sachsalber. In Mals schließlich warteten nicht nur weitere Angehörige sondern die ganze Dorfbevölkerung. „Die Schleiser Musi spielte auf. Es war ein schönes Fest“, so Sachsalber. 

Das Glück gefunden 

Schreckliche Erlebnisse, die an der Psyche nagen: Für viele Heimkehrer war auch die Zeit danach alles andere als einfach. Andreas Sachsalber machte das Beste daraus. Eifrig half er auf dem Hof. Dort lernte er auch gleich Theresia kennen, die als Magd auf dem elterlichen Hof arbeitete. Die beiden verliebten sich und heirateten am 27. Juni 1959. In den 1960er Jahren übernahm der ehemalige Soldat den heimischen Hof. Sein Glück schien er endgültig gefunden zu haben, aus der Ehe entstanden drei gesunde Kinder. 1960 wurde Mali geboren, 1963 Maria Luise und 1971 Josef. Seine Frau hielt ihm stets den Rücken frei. Rund 40 Jahre war Sachsalber bei der Freiwilligen Feuerwehr aktiv, davon viele Jahre als Vize-Kommandant. 23 Jahre lang war er Fraktionsvorsteher von Schleis. Auch als fleißiger Schriftführer bei der Viehversicherung hat er sich einen Namen gemacht. Noch heute sind Andreas und Theresia glücklich verheiratet. Seine um vier Jahre jüngere Frau und die Kinder besuchen ihn regelmäßig im Martinsheim. Bis vor wenigen Monaten wurde der 91-Jährige daheim in Schleis gepflegt. Ein arbeitsames Leben habe er geführt, erzählen seine Kinder. „Im Alter von 88 Jahren hat Tata noch am Hof mitangepackt“, betont Sohn Josef. 2010 hat er den Hof von seinem Vater übernommen. Seniorbauer Sachsalber zeigte sich weiterhin engagiert. Im Stall bei den Kühen, oder auch auf dem Feld. 

Abschied auf Russisch 

Mit dem ebenfalls aus Schleis stammenden Franz Abart verstarb erst kürzlich, am 01. Juli 2018, ein guter Freund von Andreas Sachsalber. Gemeinsam waren die beiden jahrelang in russischer Gefangenschaft. Trotz körperlichem Gebrechen durfte beim Abschied von Abart, einen Tag vor dem Begräbnis, auch Sachsalber nicht fehlen – und sprach nochmal einige Worte auf Russisch zu seinem toten Kameraden.

Michael Andres
Michael Andres

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