Geht der Obstbau in Rauch auf?
Quelle: Pflanzenschutzamt Bozen

Geht der Obstbau in Rauch auf?

Publiziert in 16 / 2002 - Erschienen am 29. August 2002
[K] Die Alarmglocken läuten schon. Der Vinschger Obstwirtschaft droht der Super-Gau. Leistet man im Herbst und Frühjahr nicht ganze Arbeit, wird der Feuerbrand das Tschernobyl für die Obstbauern im Tale. Die Katastrophe hätte auch Auswirkungen auf andere Wirtschaftszweige. Ein Drittel der gesamten Wertschöpfung zwischen der Töll und dem Reschenpass hängt nämlich direkt oder indirekt von der Obstwirtschaft ab. [K]von Hansjörg Telfser [/K] [/K] Am Montag hat die Führungsspitze der ViP, der Verband der Vinsch- gauer Obstgenossenschaften, beraten und eine Vollbremsung hingelegt. Die in den letzten Jahren stark finanziell gepushte und mit einem großen Marketingaufwand betriebene Werbung für den Pinova-Apfel ist gestoppt worden. Wie ViP-Direktor Sepp Wielander es ausdrückte, könne „beim derzeitigen Erkenntnisstand keine Empfehlung mehr für die Anpflanzung von Pinova (nebenstehende Tabelle Feuerbrand-Rodungen) gegeben werden“. Die Markthoffnung Pinova, die in den drei Jahren 1999 bis 2001 ihren Anteil bei den Neupflanzungen im ViP-Einzugsgebiet von 1,9 auf 5,5 Punkte und somit um fast 200 Prozent steigerte, ist vorläufig versenkt worden. Selbst die spektakulären Auszahlungspreise von stolzen 1.000 Lire pro Kilogramm im vergangenen Herbst machen nicht richtig glücklich. Seit dem heurigen Sommer hat man mit der von ihren Züchtern als „sehr fruchtbar und ertragreich“ beschriebenen Sorte nur noch Sorgen. Die Bäume sind nämlich äußerst anfällig für die Bakterienerkrankung Feuerbrand - die gefährlichste Pflanzenkrankheit -, die bei idealen Infektionsbedinungen ihren Erreger explosionsartig vermehren lässt. Innerhalb kürzester Zeit sterben dann junge Triebe ab. Und den Bauern bleibt nichts anderes übrig als die verseuchten Bestände zu roden und das Pflanzenmaterial so schnell wie möglich zu verbrennen, um so die Epidemie einzudämmen. Was macht nun den Pinova so anfällig? Eduard Hollinger von der Forschungsanstalt für Obst-, Wein- und Gartenbau im schweizerischen Wädenswil, der erst kürzlich auch in Schlanders referierte, bringt es in seinen Internetseiten (www.feuerbrand.ch) auf den Punkt: „Sorten mit massiven Nachzüglerblüten können zum Feuerbrandrisiko für den ganzen Betrieb werden.“ Unter Nachzüglerblüten versteht man jene Knospen, die nach der eigentlichen Blüte im Mai noch bis in den frühen Herbst hinein verzögert aufblühen. In Kombination mit einer feucht-warmen Witterung, wie dies bei uns - Beregnung und hohe Temperaturen im Sommer bieten -, findet der Feuerbranderreger ideale Infektionsbedingungen über die Blüte vor. Eine Gefahr, auf die auch schon im Jahre 1999 Martin Thomann vom Vinschgauer Beratungsring (obstbau/weinbau 10/99) im Zuge der Diskussion um neue Sorten wie Gala, Braeburn und eben Pinova hinwies. „Die verzögerte Blütenbildung wird vor allem bei jungen Bäumen beobachtet ... und bedeutet ein zusätzliches Risiko für Feuerbrandinfektionen“. Doch diese Warnungen wurden in den Wind geschlagen. Sozusagen auf dem Altar des schnellen Profits opferte man in der Chefetage die Sicherheit. Und Hollingers Risikowarnung für den ganzen Betrieb hat im Vinschgau eine besondere Bedeutung. Wie Walter Waldner, Direktor des Südtiroler Beratungsrings, es definiert, „ist nicht nur der Vinschgau, sondern ganz Südtirol eine Anlage, die von vielen Bauern bearbeitet wird.“ Einen wesentlichen Unterschied zwischen dem Vinschgau und Südtirol gibt es aber. Von den rund 230.000 Pinova-Bäumen stehen über 97 Prozent im Einzugsgebiet der ViP. Eine Bombe, die schon scharf gestellt ist.Waldner warnt daher auch: „Wenn wir im Herbst und Frühjahr schlechte oder nur halbe Arbeit leisten, die Infektionsbedingungen während der Blüte im Frühjahr ideal sein sollten und der Befall alle Sorten übergreift, dann ist die Katastrophe da.“ Eine Katastrophe, die das Bodenseegebiet bereits kennt. Dort sind 40 Prozent der Obstbaufläche vom Feuerbrand betroffen. Oder die Region Southwest Michigan in den USA, wo auf ähnlich industrielle Weise und in einem geschlossenen Gebiet der Obstbau betrieben wird wie in Südtirol. In Michigan mussten auf Grund der Feuerbrand-Epidemie vor zwei Jahren 350.000 bis 450.000 Apfelbäume (vorwiegend Gala) gerodet und verbrannt werden. 2.300 Morgen (ca. 9.000 Hektar) waren betroffen. In der Region verlor die gesamte Wirtschaft dadurch 42 Millionen US-Dollars, also ungefähr 40 Millionen Euro (weitere Infos www.canr.msu.edu/vanburen/fb2000.htm). Dafür dass es nicht zu diesem Super-Gau kommen soll, will man vorsorgen. Hollinger, der auf Grund seiner Studien das größte Feuerbrandinfektionsrisiko während der Kernobsblüte wissenschaftlich ausmacht, empfiehlt zum Beispiel wenige Tage vor der Ernte eine genaue Kontrolle der Obstanlagen. Bei der Ernte dürfe kein sichtbarer Feuerbrandbefall oder Verdacht vorhanden sein. Bei Feuerbrandverdacht während der Ernte, müssten die Bäume sofort markiert, gemeldet und die Hände desinfiziert werden. Das Erntepersonal wäre genaustens zu instruieren bezüglich Schadsymptomen und Verhaltensweisen und die befallenen Bäume so schnell wie möglich zu eliminieren. Nur Hollinger ist ein Fachmann, der sich seit Jahren mit dem Phänomen Feuerbrand auseinandersetzt. Im Vinschgau müssten innerhalb kürzester Zeit alle Bauern zu Feuerbrandexperten herangebildet werden, die zumindest im Stande sein müssten die Symptome auf Anhieb zu erkennen, was aber selbst in der Fachliteratur stark in Zweifel gezogen wird. Da das Erkennen der Symptome äußerst schwierig ist. So sind in Hollingers Forschungsanstalt bisher 1800 Verdachtsproben ausgewertet worden, von denen 360 feuerbrandpositiv getestet wurden. Daher bleibt nur zu hoffen, dass der Optimismus von ViP-Direktor Wielander nicht nur gespielter Zweckoptimismus ist: „Ich glaube, zur Katastrophe kommt es nicht.“ Auf der Tagung in Schlanders in den ersten Augusttagen wurden daher auch schon einige Bereiche angesprochen, welche Präventionen man gegen den Feuerbrand unternehmen kann. Der Bogen spannte sich dabei von den Ratschlägen Hollingers bis hin zu neuen Strukturen bei der Beregnung. Hier reagierte selbst LR Hans Berger nicht einmal so zurückhaltend. Das Umstellen der künstlichen Bewässerung von der Kronen- auf eine Tropfberegnung schien ihm einleuchtend. Vielleicht ist das Ganze auch nicht ohne Hintergedanke. Nachdem das Land für die Wasserkonzessionen zuständig ist, könnte man bei der wassersparenden Tropfberegnung das Restwasser zur Stromerzeugung nutzen. In der Diskussion bleibt aber ein Szenarium: Wenn es wirklich zum Super-Gau kommt, was wird dann gemacht? Die Perspektiven aus dem deutschen und amerikanischen Raum sind deprimierend. Dort hat man sozusagen als letzten Nothelfer auf ein Antibiotikum zurückgegriffen um den Feuerbrand zu bekämpfen. Wirksame Versuche wurden bisher mit Plantomycin, das Streptomycin enthält, gemacht. Das Antibiotikum wurde in den 40er Jahren zur Bekämpfung von Tuberkulose eingesetzt. In Italien ist das Mittel nur gegen Rezept in den Apotheken erhältlich und weist als Nebenwirkungen Blutbildschäden und allergische Hautreaktionen (Huninus - Pharmazeutisches Wörterbuch, New York 1993) auf. In Deutschland waren Plantomycin-Rückstände im Honig nachgewiesen worden. Dieser Umstand weitete sich zum dritten großen Landwirtschaftsskandal nach BSE und den bei weitem überschritten Antibiotikumsgrenzwerten in der Kälber- und Schweinemast aus. Im Vinschgau wird man sich selbst bei einem Super-Gau den Einsatz eines derartigen Mitteles gut überlegen müssen. Die Obstwirtschaft kann es sich wohl nicht leisten einen mit Antibiotika deformiert Marienkäfer auf den Apfel zu kleben.
Hansjörg Telfser
Vinschger Sonderausgabe

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