Wer hält in Zukunft Frau Ernas Hand? - Das Ende des Zivildienstes
Muss Frau Anna in Zukunft auf das "Karterle" verzichten? Christof Tumler vom Bürgerheim in Schlanders: "Zivildiener sind eine Qualitätsverbesserung!"

Geht Qualität verloren?

Publiziert in 13 / 2004 - Erschienen am 1. Juli 2004
[K] Am 01.01.2005 endet in Italien die allgemeine Wehrpflicht. Damit fallen in Südtirol auch rund 500 Zivildiener jährlich aus. Die jungen Männer freut’ s, weniger die öffentlichen Einrichtungen und sozialen Vereine, denen diese wertvollen Hilfen abhanden kommen. Können die entstehenden Lücken gefüllt werden? von Andrea Perger [/K] Zivildiener sind keine Arbeitskräfte im eigentlichen Sinn. Sie werden den Einrichtungen deswegen auch nicht als solche fehlen, denn die Dienste werden nach wie vor vom Personal mit festem Arbeitsverhältnis versehen werden. Doch genau darin besteht das Problem. Wer nicht als Arbeitskraft gilt, für den gibt es auch keinen Ersatz. Was geht da eigentlich genau verloren? "Der Vinschger" hat nachgefragt bei Einrichtungen, denen bisher Zivildiener zugeteilt wurden: [F] Lebenshilfe Schlanders [/F] In der Lebenshilfe in Schlanders waren in der Vergangenheit stets zwei oder drei Zivildiener untergebracht. Diese waren laut Leiterin Rosa Moser eine sehr große Unterstützung. Sie halfen in den Werkstätten, in der Tagesstätte und im Wohnheim aus, also sowohl bei Beschäftigung, als auch in der Pflege von Menschen mit Behinderung. Man habe überaus positive Erfahrungen gemacht mit den Zivildienstleistenden, die hier voll in der Betreuung mitgewirkt haben. Bereits seit einiger Zeit wurden der Lebenshilfe keine Zivis mehr anvertraut und bereits jetzt sei ihr Fehlen merkbar. Moser: "Ihre wertvolle Hilfe wird uns fehlen!" [F] Alten- und Pflegeheime [/F] Vor allem in Institutionen im Langzeitpflegebereich werden die Zivildiener vermisst werden. Im Bürgerheim in Schlanders wurde zu Beginn des Zivildienstes jeweils mit den jungen Burschen ein Gespräch geführt, um sie dann je nach persönlichen Neigungen und Fertigkeiten optimal einzuteilen. So haben die Zivis hier bei der Freizeitgestaltung mitwirkt oder Menschen in das nahe Krankenhaus begleitet. Diese Dienste halfen besonders den Bewohnern ohne Angehörige sehr. "Die Zivildiener sind eine Qualitätsverbesserung, durch ihr Wegfallen geht uns sicher viel verloren!", lautet das Fazit von Christof Tumler, dem Leiter des Heimes. Momentan leisten im Bürgerheim noch zwei Burschen ihren Zivildienst und man blickt bereits sorgvoll in die Zukunft. Bereits seit langem bemüht man sich hier auch um die Einbindung Freiwilliger in das Heimgeschehen. So beteiligen sich Frauen aus dem Ort sehr intensiv an der Freizeitgestaltung und bieten etwa Nähnachmittage an. Trotzdem schließt Tumler es nicht aus, in Zukunft zusätzliches Personal einstellen zu müssen, um den Verlust der Zivis auszugleichen und den Qualitätsstandard auf alle Fälle zu halten. [F] Krankenhaus Schlanders [/F] Wie bei den anderen Einrichtungen bestätigt das Krankenhaus Schlanders ebenfalls sofort: "Die Zivildiener waren eine wertvolle Hilfe!". Laut Pflegedienstleiterin Martha Lechthaler haben im Krankenhaus, in dem die eigentliche Betreuung natürlich ausschließlich vom Fachpersonal durchgeführt wird, Zivis für die Patienten eher eine unterstützende Funktion. So begleiteten diese Patienten etwa zum Röntgen, gingen mit diesen spazieren, oder halfen beim Krankentransport mit. Momentan, in Zeiten von Streichungen und Kürzungen sind Personal und Patienten froh um die jungen Burschen, die hier so etwas wie "gute Hausgeister" sind. [F] Weißes Kreuz [/F] Früher wurden Krankentransporte beim Weißen Kreuz von einem Fahrer alleine durchgeführt. Mit den Zivildienern wurden die Fahrten stets zu zweit absolviert. Dies sei EU-Standard und soll nun auch nach Wegfallen der Zivildiener aufrecht erhalten bleiben. Beim Weißen Kreuz sind im Bezirk Lana - Reschen zurzeit 19 Zivildiener tätig, das sind nur halb so viele wie eigentlich vorgesehen wären. Laut Bezirksleiter Egon Eberhöfer hätte die Landesleitung das Problem schon recht früh erkannt und so wird bereits seit einigen Jahren versucht, sich auf das Fehlen dieser Unterstützung vorzubereiten. Um den momentan hohen Standard im Sektor der Krankentransporte zu halten, versucht man deshalb durch verbesserte Koordination der Fahrten, sowie neuester Technik und größtmöglicher Flexibilität im Einsatz der Mittel, die vorhandenen Ressourcen optimal zu nutzen. Trotzdem werden einzelne Personalaufstockungen unumgänglich sein. Erwähnenswert ist außerdem, dass etwa 50% der Zivildiener dem Verein nach Ablauf ihres Pflichtjahres als Freiwillige oder Angestellte erhalten bleiben. "Die Erfahrungen, die während des Zivildienstes gesammelt werden, sind viel wert!" so Eberhöfer. [F] Bezirksgemeinschaft [/F] Martha Stecher von der Bezirksgemeinschaft in Schlanders sieht die Lösung in einem verstärkten Solidaritätsgefühl der Bevölkerung. Die Bezirksgemeinschaft arbeitet ohne Zivildiener und setzte deshalb von jeher verstärkt auf Freiwilligenunterstützung. "Wenn jeder nur einen kleinen Beitrag für die Allgemeinheit leistet, brauchen wir keine Zivildiener!" Dieser freiwillige Dienst am Nächsten sei ein wichtiges Bindeglied in der Dorfgemeinschaft, der langfristig und nachhaltig sei. In dieser Vernetzung der öffentlichen Dienste mit dem Dorfleben liege die Zukunft. So wird in Prad zum Beispiel seit 10 Jahren der Dienst "Essen auf Rädern" von Freiwilligen verrichtet, unentgeltlich, lediglich die Benzinkosten würden vergütet, darüber hinaus werden die Freiwilligen versichert. Die Grundversorgung leisten die öffentlichen Dienste, darüber hinaus ist die Freiwilligenarbeit aber eine sehr wertvolle Ergänzung. Stocker: "Ich habe eine große Hochachtung vor den Freiwilligen!" [F] Die Zukunft [/F] Der Staat hat ein Gesetz erlassen, laut dem junge Menschen zwischen 18 und 23 Jahren in Zukunft weiterhin den Zivildienst mit einer Entlohnung von 450 Euro versehen können. Die Landesregierung plant, diesen Beitrag zu erhöhen, das Alter nicht einzuschränken, sowie Unterkunft und Verpflegung zu bieten. Eine Lösung wird diese Regelung wohl trotzdem nicht sein. Bei den Gesprächen mit sozialen Einrichtungen im Vinschgau hat sich ein Fazit genau herauskristallisiert: Die Zivildiener leisten einen großen Beitrag. Überall wurden sie als wertvolle Hilfen gesehen. Ein paar Mal kam ebenfalls zur Sprache, dass der Zivildienst für manch einen Burschen die Möglichkeit bot, in einen bestimmten sozialen Bereich "rein zu schnuppern". So mancher ist nach Ende des Pflichtjahres in den sozialen Sektor eingestiegen. Auch das wird wegfallen. Immer wieder klang bei den Gesprächen heraus, dass mit dem Wegfallen der Zivis mehr Personal benötigt wird. Die Freiwilligenarbeit hat seit längerem einen großen Stellenwert und wird wohl in Zukunft noch wichtiger werden. Die Kosten im Gesundheitswesen explodieren, ob in allen Bereichen die Qualität, die von der Landesregierung so hoch gepriesen wird, durch immer mehr Wegfälle gehalten werden kann?
Andrea Perger
Vinschger Sonderausgabe

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