Martell kratzt an der „heiligen Kuh“
„Trübe“ Stimmung im Marteller Gemeinderat.

Gemeinderat Martell fordert autonome Verwaltung des Parkgebietes

Publiziert in 13 / 2009 - Erschienen am 8. April 2009
Martell – Weniger als Be­reicherung oder Chance, sondern mehr als Zwangsjacke, bestückt mit Gesetzen, Paragrafen und Dekreten, wird derzeit der Nationalpark Stilfser­joch im Martelltal empfunden. Wie sehr die Akzeptanz dem Nationalpark und zum Teil auch den Parkverwaltern gegenüber gesunken ist, zeigte sich bei der Gemeinderatssitzung am 31. März. Einstimmig sprach sich der Gemeinderat dafür aus, dass der Nationalparkrat alle weiteren Beschlüsse im Zusammenhang mit den Durchführungsbestimmungen zum Parkplan und der Parkordnung aussetzen soll. Mit der Forderung nach einer autonomen Verwaltung des Parkgebietes Südtirol-Trentino-Lombardei kratzt der Gemeinderat an der Grundfesten der „heiligen Kuh“ Nationalpark. von Sepp Laner Wie bereits in unserer letzten Ausgabe berichtet, war es der Marteller SVP-Ortausschuss, der darauf gedrängt hatte, die derzeitigen Probleme rund um den Nationalpark im Gemeinderat aufs Tapet zu bringen. In der Stellungnahme des Ortsausschusses, die der SVP-Ortsobmann und Gemeindereferent Hans Fleischmann vortrug, wird nicht nur die Institution „Nationalpark ­Stilfserjoch“ offen in Frage gestellt, sondern auch teils harsche Kritik am Nationalparkrat in Bormio geübt, am Parkpräsidenten sowie an der Parkverwaltung im Außenamt in Glurns. „Das Thema Wildfütterung ist nur eine der negativen Entwicklungen, zu denen es in ­letzter Zeit im Nationalpark, und ganz besonders hier bei uns in Martell, gekommen ist,“ beanstandete Hans Fleischmann. Obwohl die Landesregierung angeregt hatte, die Wildfütterung angesichts des schneereichen und harten Winters heuer ausnahmsweise zuzulassen, hat die Parkverwaltung nicht reagiert. Fleischmann: „Die ablehnende Haltung der Parkverwaltung den Anliegen der ansässigen Bevölkerung gegenüber ist nichts Neues, aber dass jetzt sogar Beschlüsse der Landesregierung für null und nichtig erklärt werden, ist eine besorgniserregende ­Entwicklung.“ Die ­Entscheidungen des Nationalparks würden von der Bevölkerung „zunehmend als totalitär und arrogant angesehen.“ Auf die Anliegen und Forderungen der „Parkeinwohner“ werde nicht Rücksicht genommen. Das per Dekret verhängte Fütterungsverbot, das zudem drastische Sanktionen vorsehe, lasse auch in anderen Bereichen nichts Gutes ahnen: „Wann kommt das nächste Dekret? Auf was müssen wir uns als Gemeinde und Bevölkerung noch gefasst machen? Was passiert, wenn der Parkplan und die Durchführungsbestimmungen in Kraft treten?“ Auch in anderen Bereichen, etwa in der Urbanistik, bei Beitragsansuchen oder bei der Wild­schadensvergütung in der Landwirtschaft gebe es Probleme. „All dies führt bei der Bevölkerung zu Existenzängsten,“ so der Ortsobmann. ­Einig waren sich bei der Diskussion alle Gemeinderäte darin, „dass es so nicht weiter gehen kann und dass es an der Zeit ist, eine härtere Gangart einzuschlagen.“ Bürgermeister Peter Gamper erinnerte daran, dass der Nationalpark eine „heilige Kuh“ für den Staat Italien sei, dass im Park nicht die Landesregierung die Musik mache, sondern der Staat, „und dass wir trotz allem zu einer Zusammenarbeit gezwungen sind.“ Es gebe zwar auch einige positive Dinge, die der Nationalpark gebracht habe, etwa das Wegenetz oder Unterstützungen bei Bauvorhaben, „aber wir sind mittlerweile mit derart vielen Gesetzen und Regeln belegt, dass die Grenze der Erträglichkeit erreicht ist.“ Es sei einfach mehr Verständnis seitens der Parkverwalter notwendig. Gamper: „Wir werden knallhart mit Gesetzen, Verboten und Paragrafen konfrontiert. Dieses System von ­Wolfgang Platter, dem Leiter des Außenamtes in Glurns, hat sich mittlerweile auch auf die ‚Parkler’ hier im Tal übertragen.“ Aus allen Wortmeldungen klang Kritik an die Adresse der Parkverwalter in Bormio und im Außenamt in Glurns durch. Vizebürgermeister Georg Altstätter etwa beanstandete, „dass im Raum Bormio Mountain­bikerennen auf die Almen stattfinden, und zwar mit dem Logo und der Unterstützung des Nationalparks. Als wir aber hier in Martell die Junioren-WM im Biathlon ausrichteten, hieß es im Außenamt in Glurns, dass der Park seinen Namen für so etwas nicht hergebe. Dabei ist Biathlon meiner Ansicht nach durchaus ein öko-kompatibler Sport.“ In Bezug auf das Thema Wildschadensvergütung wartete Hans Fleischmann mit Zahlen auf. 2001 seien bei einer Wilddurchschnittszählung von 288 Hirschen noch rund 52.000 Euro ausbezahlt worden, 2002 bei 263 Hirschen ca. 36.900 Euro, 2006 bei 262 Hirschen ca. 21.000 Euro, 2007 bei 231 Hirschen ca. 16.000 Euro und 2008 bei 378 Hirschen ca. 11.400 Euro. Fleischmanns Kommentar: „Mehr Hirsche und gleichzeitig weniger Geld: da stimmt etwas nicht.“ Der Bürgermeister kündigte bezüglich der Wildzählung eine neue Regelung an, die sich auch auf die Schadensvergütungen auswirken wird. Es werde nicht mehr so sein, dass bei der Zählung eine einzige Person entscheidet, sondern es werden in Zukunft auch das Landwirtschaftsinspektorat und die Grundeigentümer mitein­bezogen. Beispiel Tourismuszone Als Beispiel der „Übermacht“ des Nationalparks wurde im Gemeinderat die Verlegung der Tourismuszone bei Grogg in Hintermartell genannt. „Alle Instanzen, darunter auch das Land, hatten der Verlegung zugestimmt, lediglich das Gutachten des Parks war negativ,“ sagte der Bürgermeister. In­zwischen sei mit den Verantwortlichen des Parks ein Kompromiss erzielt worden. Demnach wird die Tourismuszone um ca. 500 Quadratmeter auf nunmehr rund 4.900 Quadratmeter verkleinert und in der Form etwas in die Länge gezogen. Alles andere bleibt laut Gamper gleich. Unliebsamer Nebeneffekt: Die gesamte Genehmigungsprozedur ist jetzt neu aufzurollen. Der erste Schritt, nämlich die Genehmigung des Kompromiss-Vorschlages im Gemeinderat, erfolgte am 31. März. Nun muss das Vorhaben erneut der Landesraumordnungs-Kommission, dem Nationalpark und schließlich der Landes­regierung vorgelegt werden. Georg Altstätter kommentierte: „Es hat sich beim Kompromiss im Vergleich zum ursprünglichen Vorhaben nichts Wesentliches geändert; auch hier ging es nur darum, dass sich einige Leute durchsetzen wollten.“ Günther Pircher und weitere Räte sagten, dass die Zusammenarbeit zwischen dem Tourismusbüro und dem Nationalpark besser funktionieren sollte, zumal sich ja beide Einrichtungen unter demselben Dach (Nationalparkhaus „culturamartell“) befinden. Beispiel Kraftwerk Nicht richtig findet der Bürgermeister, dass in Hintermartell kein Wasserkraftwerk gebaut werden kann: „Die Nutzung erneuerbarer Energie sollte zugelassen werden. Die Gemeinde Martell hofft, dass es ­Senator Manfred Pinzger gelingt, in Rom eine Gesetzesänderung durchzusetzen, damit der Bau von kleineren Kraftwerken mit einer Jahresproduktion von bis zu 20 Millionen Kilowatt­stunden auch in Schutzgebieten möglich wird.“ Die finanzschwache Gemeinde Martell erhofft sich vom Kraftwerks-Projekt, das von der Baukommission schon längst ge­nehmigt worden ist, eine dauerhafte Geldquelle. Was die Stromversorgung in Hintermartell betrifft, so arbeitet die Gesellschaft Hydros GmbH (Edison und SEL AG, wobei letztere 60 Prozent der Anteile hält) laut Hans Fleischmann an einem ent­sprechenden Versorgungsprojekt. Der Ratsbeschluss „Wir sind der Meinung, dass es einer ausführlichen Diskussion mit allen Beteiligten bedarf, um einerseits für den Nationalpark wert- und sinnvolle und andererseits von der Bevölkerung akzeptierte und in der Praxis auch umsetzbare Regelungen auszuarbeiten.“ So heißt es im Vorwort der Stellungnahme, die der Gemeinderat einstimmig gutgeheißen hat. Viele Bereiche seien bereits mit Landesgesetzen ausreichend geregelt. „Es bedarf deshalb keiner zusätzlichen Regelungen.“ Die Gemeinde erwarte sich eine „gute Einbindung bei der Ausarbeitung der Durchführungsbestimmungen zum Parkplan und der Parkordnung.“ Bei der Festsetzung der Ziele und Vorschriften müsse der konsortialen Struktur des Nationalparks stärker als bisher Rechnung getragen werden. Die Durchführungsbestimmungen und die Parkordnung seien in den Führungsausschüssen und in den Gemeinden ausführlich zu diskutieren, bevor im Parkrat die Genehmigung erfolgt. Der Parkrat wird deshalb ersucht, alle weiteren Beschlüsse auszusetzen, „und die Entwürfe zu den Durchführungsbestimmungen und den Vorschlag zur Parkordnung den Führungsausschüssen und betroffenen Gemeinden zu übermitteln und diesen genügend Zeit zu geben, um eine fundierte Stellungnahme abgeben zu können.“ Den vorliegenden Bestimmungen und Vorschlägen könne die Gemeinde keinesfalls zustimmen. Die Gemeinde fordert eine autonome Verwaltung des Parkgebietes Südtirol-Trentino-Lombardei. „Die drei Parkanteile sollten sich möglichst selbst verwalten können,“ präzisierte Peter Gamper. Hans Fleischmann sprach von einer Aufteilung. Die Landespolitiker sollten diesbezüglich endlich auf „Vordermann“ umstellen. Auch die SVP insgesamt sei gefordert. Im Parkanteil in der Lombardei werde viel „lockerer“ vorgegangen. Auch die Lega Nord stehe dort für eine Aufteilung ein, „und wir hoffen, dass Senator Pinzger aufgrund der Kontakte zur Lega Nord auch für den Südtiroler Anteil in diesem Sinnen etwas Positives bewegen kann.“ Der Bürgermeister hofft, dass auch die anderen Park-Gemeinden mit Martell an einem Strang ziehen. Laas habe bereits grünes Licht signalisiert. Gamper: „Wir alleine können wenig ausrichten. Wenn wir aber alle zusammenhalten, lohnt es sich zu kämpfen und wir werden ja sehen, wie weit wir kommen und was am Ende herausschaut.“ Diskussionsrunde im Mai Für den Monat Mai kündigte Hans Fleischmann eine große Diskussionsrunde in Martell an: „Wir werden Politiker einladen, Grüne, Nationalparkvertreter und die Bevölkerung aus allen Südtiroler Nationalpark-Gemeinden.“ Auch mit einer Fotodokumentation werde man sich wappnen. Fleischmann: „Da werden einige Leute Augen machen, wenn sie die Kadaver der vielen Hirsche sehen, die heuer verhungern mussten.“
Josef Laner
Josef Laner
Vinschger Sonderausgabe

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