Gewalt hat viele Gesichter: Ein Schulsprengel will es wissen
Publiziert in 40 / 2009 - Erschienen am 11. November 2009
Die Arbeitsgruppe „Schule bewegt“ im Schulsprengel Naturns gab 105 Lehrenden Gelegenheit, die zu Belehrenden besser verstehen, besser unterrichten und besser begleiten zu können. Beim „1. Pädagogischen Tag“ seit der Gründung des Schulsprengels wurde das Rüstzeug vermittelt oder zumindest vertieft, das unscheinbare Einschleichen von Gewalt, Mobbing und Rassismus rechtzeitig zu erkennen und wirkungsvoll dagegen vorzugehen.
von Günther Schöpf
Bevor eine Lehrerin oder ein Lehrer mit aggressiven oder gewaltbereiten Schülern „zum Direktor rennt“ oder resigniert im Klassenrat berichtet, versucht sie oder er auf die eigenen Erfahrungen zurück zu greifen und aufkeimende Konflikte selbst zu lösen. Bevor ein Gemobbter einsieht, dass es nicht um einen Konflikt geht, sondern um die Abwertung seiner Person, versucht er lange Zeit, der Situation als Einzelkämpfer Herr zu werden. Solange die Mama die Springerstiefel des Sohnes als besonders Knöchel stützend erklärt, solange der sportbegeisterte 12-Jährige auf seinem schwarzen Trikot nur einen weißen Lorbeerkranz mit der Zahl 18 aufgenäht hat und auf der schwarz-weiß-roten Schildkappe nur diese 88 steht, soll man da schon als Lehrer den Teufel, den rechtsextremen, an die Wand malen?
Ja, man soll, haben Renate Unterholzner und Roman Grünfelder vom Verein „Strymer – Streetwork & mobile Jugendarbeit“ den Lehrern der Grundschulen von Katharinaberg, Karthaus, Unser Frau in Schnals, Staben, Tabland, Naturns und Plaus und der Mittelschule von Naturns – fremdsprachlich ausgedrückt – dezidiert empfohlen. Lukas Schwienbacher vom Forum Prävention hat zu Gewalt und Mobbing ähnlich klar formuliert und auf sein Plakat geschrieben: „Wir müssen hinschauen, die Situation ansprechen und von außen Unterstützung holen.“ Genau diesem Rat gefolgt sind Direktor Christian Köllemann, Stellvertreterin Karoline Kuppelwieser, die Lehrer Valentin Stocker in der Grund- und Christian Schweitzer in der Mittelschule. Ihre Arbeitsmotto leiteten sie vom erfolgreichen Projekt „Bewegte Schule“ ab. Indem sie den Slogan zur Frage machten „Kann Schule auch bewegen?“ haben sie am 22. Oktober zum 1. Pädagogischen Tag im Schulsprengel Naturns eingeladen. Es lag auf der Linie des projektfreudigen Schulsprengels und es wurde von den Verantwortlichen als Pflicht der Schule gesehen, auch „heiße Eisen“ anzufassen und den Finger in brennende, gesellschaftliche Wunden zu legen. Eines dieser heißen Eisen war der Umgang mit Gewalt und Mobbing. Den Organisatoren bewusst war, dass die abgegriffene und wiedergekaute Thematik auch langweilen kann. Mit Lukas Schwienbacher vom Forum Prävention als Referenten schaffte es die Arbeitsgruppe, dass auch fortbildungsüberdrüssige Lehrer auf neue Sichtweisen stießen.
Schwienbachers Satz „Gewalt ist nicht das Problem der Täter, sondern der schweigenden Mehrheit“ brachte die Lehrer zum Nachdenken.
Das zweite heiße Eisen oder die zweite gesellschaftliche Wunde war das Thema Rassismus. Dazu muss man ausholen und vier Jahre zurück blenden. Vor dem Hintergrund ungenau recherchierter und später als „verunglimpfend“ empfundener Presseberichte über eine angebliche Nazi-Szene an der Mittelschule Naturns im Jahre 2005 sind die Ausdrücke Rassismus und Rechtsextremismus an dieser Schule im wahrsten Sinn des Wortes Reizwörter geworden. Dass es Direktor Köllemann und verschiedene Lehrer dennoch gewagt hatten, die Thematik an die Öffentlichkeit zu bringen, muss als Zeichen von Zivilcourage und Verantwortungsbewusstsein gewertet werden. „Dem Vinschger“ gegenüber hatte Köllemann erklärt: „Wir haben mit den Schülern derzeit keine Probleme. Hier haben wir nur ‚Lauser‘, denen wir aber Grenzen aufzeigen müssen. Mit der klar formulierten Schulordnung können wir alles abdecken. Unsere Aufgabe ist es aber, mit unseren Möglichkeiten Erzieher an den Schulen und Eltern zu Hause über Strömungen und „Szenen“ - inzwischen schon Parallelwelten - zu informieren und sie nicht alleine zu lassen.“ Direktor Köllemann wollte festgehalten wissen: „Die Fortbildung ist nicht eine Reaktion auf die reißerischen Medienberichte von 2005 oder vom Sommer 2009, sondern wurde von der Arbeitsgruppe schon im Mai für das heurige Schuljahr geplant.“
Auch wenn das Angebot an die Eltern, über Jugendkulturen und Jugendszenen zu informieren ein Schlag ins Wasser war - von 673 Schülern waren etwa 30 durch ihre Eltern im Bürger- und Rathaussaal vertreten -, so zeigten die Reaktionen die Unterrichtenden durchwegs, dass sie es schätzten, Orientierungshilfen zu bekommen. „Ich werde in Zukunft aufpassen, ob die 18 auf dem Trikot eines Schülers die Spielnummer eines Basketballspieler ist oder ob sie die 1 für A und die 8 für H, also „Adolf Hitler“ bedeutet,“ formulierte ein Alt-Gedienter an der Mittelschule Naturns. Ein anderer hielt es für notwendig, in Zukunft besser darauf zu achten, wann Patriotismus fremdenfeindliche Züge annimmt.
Zwischen Thors Hammer und Odins Runen
Direktor Christian Köllemann und Karoline Kuppelwieser als seine Stellvertreterin möchten Zeichen rechtzeitig erkennen und auf Symbole frühzeitig reagieren. Das war der Grund, Vertreter des Vereins Strymer einzuladen und sich über die Zusammenhänge zwischen der rechtsextremen Szene und den nordischen Göttern Thor und Odin aufklären zu lassen.
Der coole Lehrer
Äußerlich sind es die zusammen geknoteten, nicht mehr ganz schwarzen Haare, die in Christian Schweitzer einen „coolen“ Lehrer vermuten lassen. Der ausgebildete Zeitgeschichtler unterrichtet Literarische Fächer an der MS Naturns und war Leiter des Projekts „Bewegte Schule“. Wie andere Lehrer auch hatte er festgestellt: „Seit die 300 Mittelschüler altersgemäß auf drei Pausenhöfen verteilt Spielgeräte vorfinden, haben Konflikte und Aggressionen im Pausenhof deutlich nachgelassen.“ Daraus entstand die Idee für die Fortbildung über Gewalt, Mobbing und Rassismus.
Günther Schöpf