Gott sei Dank war ich nur ein „Gummideutscher“
Publiziert in 17 / 2013 - Erschienen am 8. Mai 2013
Der Tschenglser Panzer-Grenadier Sepp Tappeiner hat das Kriegsende in einem englischen Gefangenenlager erlebt.
Tschengls - Zwei Andenken hat der Vorburger-Sepp aus Krieg und Gefangenschaft mitgebracht. Einen kleinen, braunen Koffer mit Namen und Häftlingsnummer B 27721 und zwei kleine, eintätowierte Buchstaben 20 cm über dem Ellbogen des linken Oberarmes. Die Blutgruppentätowierung der SS. Angebracht, um die völkische Reinheit nicht durch eine andere Blutgruppe zu schmälern, war sie von der Gefangennahme am 9. April 1945 durch die Engländer bis zur Entlassung aus dem Arbeitslager in Hatfield im August 1946 Anlass für Torturen und Schikanen. Der Sepp gehörte zur Waffengattung der SS-Panzergrenadiere und die Tätowierung war ihm in Breslau verpasst worden, weil er keine Einberufung vorweisen konnte. „Wir hatten keine Ahnung, keine Ausbildung und auch keine Panzer, nur Panzerfäuste, Handgranaten und Gewehre“, meinte er und schmunzelte. So wurde Josef Tappeiner aus Tschengls zusammen mit dem Steckn-Sepp, Josef Tschenett, zum Freiwilligen. Und Freiwillige rückten damals sofort zur Waffen-SS ein.
Feuertaufe
im schlesischen Breslau
Er war der älteste der sieben Vorburger-Kinder und noch nicht 18, als er am 11. Dezember 1944 die Einberufung bekam. Weil er es abgelehnt hatte, Mitglied der Hitlerjugend zu werden, habe man ihn einberufen, erzählte der Sepp mit klarer Stimme. „Am 15. Mai hatten wir Musterung, aber ich war wohl ein schwacher Mensch, so hat man mich um ein halbes Jahr zurückgestellt“ meinte er. Am 12. Dezember wurde er zusammen mit dem Steckn-Sepp, einem Göflaner und einem Traminer in Begleitung von zwei Mann nach Breslau geschickt. 14 Tage verbrachten sie im Bunker; ihr Auftrag war, Panzergräben auszuheben. Ausbildung gab es keine. „Indessen rückte der Russe immer näher. Auf dem Weg zum Bunker wurden wir zum ersten Mal beschossen“, schilderte Sepp Tappeiner die Feuertaufe. Am 28. Jänner wurden die Grenadiere abgezogen und im Viehwaggon nach Hamburg in die SS-Kaserne im Stadtteil Ochsenzoll gebracht. Es folgten drei Wochen Ausbildung und die Verlegung nach Holland. Von dort ging‘s zurück nach Kirchweih Bremen. Wieder mussten Stellungen gebaut werden. Die Menschen hätten gebettelt, Abstand zu den Häusern zu halten. Eine Frau habe Milch und Brot bereit gestellt. „Vielleicht steht das „Schalele“ Milch noch immer dort, denn ich kam gar nicht zum Trinken. Englische Panzer haben plötzlich über unsere Köpfe hinweggeschossen. Bei Tagesanbruch haben wir uns ergeben. Es war aussichtslos“, erzählte der Sepp.
Die fatale Tätowierung
Die Gefangenen mussten sich vor einem Panzer bis auf Hose und Bluse ausziehen. Ein schweres Maschinengewehr war auf sie gerichtet. „Wir haben nur so ängstlich zurück geschaut“, erinnerte sich Sepp Tappeiner. Zuerst landete er in einem Lager in Belgien. Drei Tage lang gab es nichts zu essen. Schließlich wurden Corned Beef, gepökeltes Rindfleisch, und dazu Kekse verteilt, aber kein Wasser. Der Durst war höllisch, erinnerte sich Sepp. Mit einer Konservendose habe er heimlich Flüssigkeit aus einem Schacht geschöpft, in dem Regenwasser und Urin zusammengeflossen waren. „Als wir am 15. April das Lager bezogen, hatten die Menschen deutsche Uniformen ausgestopft und sie als Puppen aufgehängt. Wir wurden beschimpft und bedroht“, erinnerte er sich. 14 Tage lang hätten sie kein Wasser bekommen. Nie konnten sie sich waschen. Nur dagelegen seien sie und hätten versucht, sich von Läusen und Flöhen zu befreien. Schließlich hieß es antreten, ausziehen und Arme hochhalten. In Sepp‘s Abteilung waren nur zwei mit der fatalen Tätowierung. Am nächsten Morgen trieb man alle SS-Angehörige zusammen und brachte sie nach Ostende. Vom 30. April auf den 1. Mai hatte es geschneit. Mit zwei Decken auf schlammigem Boden drängten sie sich in einer offenen Ziegelbaracke aneinander, um sich gegenseitig ein wenig zu wärmen.
Ich wurde wieder
zum Österreicher
Im Laderaum eines Waffentransporters eingesperrt wurden sie über den Kanal geschifft. „Wir wurden alle seekrank“, berichtete Sepp. „600 Mann haben geschissen und gekotzt. Der Sturm hat uns und den Dreck an die Wände geschleudert. Ich war so fertig und habe nur mehr gehofft, dass das Schiff untergeht.“ Von den Wellen an Deck gesäubert, kamen sie in England an und durften plötzlich mit normalen Zügen fahren. Es habe sogar Kaffee und Kuchen gegeben. „In einem Lager weiter im Norden bekamen wir dann wieder nur mehr eine dünne Brotscheibe und schwarzen Tee. Erschöpft sind wir nur herumgelegen, haben keinen Hunger mehr gespürt. Beim Aufstehen wurde uns schwarz vor den Augen“, erzählte er. Dann trennte man die Österreicher von den Deutschen. Als Südtiroler gehörte Sepp Tappeiner auch dazu. Angepöbelt und ausgepfiffen wurden wir und als ‚Gummideutsche‘ von den Mitgefangenen beschimpft“, erinnerte sich der Sepp. Dass er in einer Gärtnerei arbeiten durfte, sieht er heute als großes Glück an. Als er im August 1946 aus dem Arbeitslager entlassen wurde, sollte er angeben, in welcher Besatzungszone Tschengls liege. Er wusste es nicht. So schickte man ihn mit seinem nummerierten Köfferchen in die Französische Zone nach Innsbruck. Die Franzosen gaben aber gefangene SS-ler nicht frei. „So musste ich nachweisen, dass ich nicht aus der Kirche ausgetreten und nicht als Freiwilliger eingerückt bin. Das ist aber eine andere Geschichte“, sinnierte der Vorburger.
Günther Schöpf
Günther Schöpf