Land soll seine Versprechen halten
„Viele Betriebe haben noch keinen Cent gesehen“
Karl Pfitscher

Hart getroffen

Große Einbußen in der Gastronomie und Hotellerie

Publiziert in 42 / 2020 - Erschienen am 3. Dezember 2020

Schlanders - Über die bisherigen Auswirkungen der Corona-Krise auf die Gastronomie, Hotellerie und den Tourismus insgesamt sowie über die Aussichten und Perspektiven der Tourismusbranche im Hinblick auf die Wintersaison und das neue Jahr hat der Vinschger mit Karl Pfitscher aus Schlanders gesprochen. Pfitscher war mehrere Jahrzehnte lang selbst Gastwirt und ist derzeit u.a. HGV-Gebietsobmann, Präsident des Tourismusvereins Schlanders-Laas und zudem Vertreter in mehreren Tourismus-Landesgremien.

der Vinschger:  Herr Pfitscher, wie schwer hat die erste Corona-Welle im Frühjahr den Tourismus im Vinschgau getroffen?

 Karl Pfitscher: Es ist zu sagen, dass es am Anfang der ersten Welle im März und April die Skigebiete am allermeisten erwischte. Von März bis Mai traf es die Betriebe im Mittel- und Untervinschgau sehr hart. Ich denke an den Zeitraum Ostern, Christi Himmelfahrt, Pfingsten und Fronleichnam. An den besten Vollbelegungstagen war alles zu. Insgesamt sprechen wir da von einem Minus von 95 bis 98 Prozent vom 9. März bis zum 11. Mai bei den Bars und Restaurants und bei den Hotels bis zum 25. Mai.

Gibt es konkrete Zahlen zu den Einbußen im Frühjahr?

Konkrete Zahlen zu den Einbußen des Frühjahrs liegen mir leider nicht vor. Es steht aber, fest, dass alle Betriebe schwer an der ersten Corona -Welle gelitten haben und fast bis zu 100 Prozent an Einbußen hatten.

Wie sah es mit den mit Unterstützungen und Hilfeleistungen des Staates und des Landes unmittelbar nach der ersten Welle aus?

Unmittelbar nach der ersten Welle bekamen Betrieben mit bis zu fünf Mitarbeitern einen Verlustbeitrag. Die mittelgroßen Betriebe, wie sie im Südtiroler Tourismus und somit auch im Vinschgau üblich sind, haben bis heute nichts an öffentlichen Hilfsgeldern bekommen. Daher fordern wir nun mit aller Vehemenz, dass die Landesregierung ihr Versprechen hält und die Betriebe entschädigt.

Kam es infolge des Corona-Frühjahrs zu Betriebsschließungen?

Leider musste der eine oder andere kleine Betrieb in Folge der Corona-Welle im Frühjahr schließen, was natürlich für die Familien, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie den Tourismus insgesamt sehr schmerzhaft ist.

Konnte im Sommer nicht zumindest ein Teil der Umsatzausfälle des Frühjahrs wettgemacht werden? Im Juli und August waren in weiten Teilen des Vinschgaus relativ viele Touristen im Tal.

Die Umsatzausfälle des Frühjahrs konnten im Sommer in keiner Weise wettgemacht werden, auch nicht zum Teil. Schauen Sie, wir hatten auch noch im Juli, als man meinte, dass es wieder aufwärtsgehen würde, im Vinschgau bis zu 30 und 35 Prozent weniger an Nächtigungen und selbst im August waren es noch 5 bis 10 Prozent. Im September waren es schon wieder mehr und im Oktober war man fast bei 50 Prozent an weniger Nächtigungen. Bei solchen Zahlen ist es unmöglich, noch etwas aufzuholen. 

 Wie erging es den Beschäftigten in der Tourismusbranche?

Leider haben infolge der Corona- Welle auch unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gelitten. Sie mussten zum Teil Urlaub nehmen oder wurden in die Sonderausgleichskasse geschickt. Manche haben auch die Arbeitsstelle verloren, was natürlich auch für die Betriebsinhaber nicht leicht war. Am schwersten getan haben sich in dieser Situation die Betriebe mit den Jahresangestellten.

Wie reagierten die Tourismusbetriebe auf die zweite Welle im Herbst?

Wir haben alle mit einer zweiten Welle gerechnet. Dass sie aber so früh kommen würde, haben wir nicht erwartet. Man hat auch nicht damit gerechnet, dass man wieder die Betriebe schließen muss. Wie schon im Frühjahr, waren es wieder wir, die als erste die Betriebe schließen mussten.

Werden Betriebe im Vinschgau nach der jetzigen zweiten Welle für immer geschlossen bleiben?

Es ist zu befürchten, dass auch mit der zweiten Welle Betriebe für immer zusperren werden, was natürlich für den Tourismus und vor allem für die Betriebsinhaber schwer ist und weil damit auch Arbeitsplätze verloren gehen.

 Braucht es jetzt zusätzliche Hilfsmaßnahmen?

Wie schon gesagt, haben viele Betriebe bis jetzt keinen einzigen Cent an öffentlicher Unterstützung bekommen. Wenn jetzt mit der zweiten Welle auch nichts kommt, dann werden leider viele Betriebe schließen müssen. Welche Auswirkungen das haben könnte, kann man sich vorstellen. Wir verlangen von der Landesregierung keine neuen Beiträge, sondern eine Unterstützung für jene Betriebe, die vom Staat nichts erhalten haben. Das wurde versprochen und das verlangen wir vom Landeshauptmann und von den Landesräten. Wenn es in Deutschland und Österreich möglich ist, dass den Betrieben ein Beitrag von 75 bis 80 Prozent als Ausfallzahlungen gegeben werden, dann verlangen wir auch vom Land Südtirol, dass man den Betrieben Ausfallzahlungen in angemessener Höhe gibt. Wir verlangen auch eine komplette Aussetzung der zweiten Rate der Gemeindeimmobiliensteuer GIS sowie eine Aussetzung auch für das Jahr 2021, so wie es auch auf Staatsebene der Fall ist. 

Wie bewerten Sie die Corona-Einschränkungen des Landes bzw. das gesamte Vorgehen der Landesregierung seit dem Ausbruch der Pandemie?

Dass es für den Landeshauptmann und die zuständigen Landesräte nicht leicht war und ist, die Corona-Einschränkungen zu beschließen und damit zusammenhängende Entscheidungen zu treffen, ist klar. Im Großen und Ganzen kann ich von meiner Seite aus sagen, dass ich mit den meisten Entscheidungen einverstanden war und bin. Sicher hätte man das eine oder andere auch anders entscheiden können. Aber wie kann man es in einer solchen Situation allen recht machen?

 Der Handel konnte am 30. November öffnen, die Gastronomiebetriebe am 4. Dezember, allerdings nur bis 18 Uhr. Reicht das für das „Überleben“ der Betriebe aus?

Ich begrüße es, dass der Handel mit 30. November aufmachen konnte und bin auch froh, dass wir mit den Bars und Restaurants wenige Tage nachher nachziehen konnten. Allerdings verstehe ich nicht, wieso man auch die Restaurants bereits um 18 Uhr schließen muss. Ich hoffe, dass die Restaurants noch vor Weihnachten bis 23 Uhr offenhalten können. Was die Hotels betrifft, für die ebenfalls der 4. Dezember als Öffnungstermin festgelegt wurde, bezweifle ich, ob Hotels überhaupt aufmachen. Man muss sich fragen, ob die Öffnung einen Sinn hat, wenn die Bewegungsfreiheit eingeschränkt wird, indem Gäste aus Bayern und anderen Bundesländern sowie aus Österreich und verschiedenen Regionen Italiens zu uns kommen und dann bei der Rückreise für 10 bis 14 Tage in Quarantäne gehen müssen und zum Teil auch noch einen PCR Test vorzulegen haben. Wenn dem so ist, dann kommen keine Gäste und so wird es für viele Betriebe schwierig werden, diese Zeit zu überleben. Nicht zu vergessen ist auch, dass es anstelle von Generalverdacht und Skifahrverbot ja auch noch die viel beschworene Eigenverantwortung gibt. Ich sehe daher keinen Grund dafür, mit Grenzbarrieren und Quarantäne zu drohen. Der Winterurlaub in Südtirol wird schön und sicher sein.

Mit welchen Schwierigkeiten ist die Einhaltung der strengen Sicherheitsvorgaben verbunden?

Sicher ist es nicht leicht, mit der Einhaltung der strengen Sicherheitsvorgaben zu leben. Aber die Gesundheit geht vor und somit müssen wir uns alle an die Vorgaben halten. Ein voller Erfolg war das landesweite Corona-Screening, bei dem Gott sei Dank 362.000 Südtirolerinnen und Südtiroler mitmachten.

Wie schätzen Sie zum derzeitigen Zeitpunkt die Entwicklung der Skisaison ein bzw. des Wintertourismus insgesamt?

Sollte es tatsächlich so weit kommen, dass mit der Ski- bzw. Wintersaison erst Mitte Jänner gestartet werden kann, dann sehe ich schwarz. Wir wissen alle, dass von Weihnachten bis Neujahr und Drei König Hochsaison in unseren Skigebieten ist. Im Jänner wird es dann meistens wieder ruhiger. Also ist es unbedingt notwendig, dass wir zu Weihnachten starten können, was wir natürlich alle sehr hoffen.

Die Corona-Krise hat gezeigt, dass die Wirtschaft in Südtirol sehr stark vom Tourismus abhängt. Zu stark?

Dass die Wirtschaft in Südtirol und damit auch im Vinschgau stark vom Tourismus abhängt, und das nicht nur in der Corona-Krise, wusste man und ich glaube, dass dies gut ist, denn vom Tourismus leben viele Menschen. Es werden Arbeitsplätze geschaffen und auch die anderen Sektoren, wie Handel, Handwerk und auch die Industrie, profitieren vom Tourismus. Durch die Corona-Krise haben auch die anderen Sektoren gemerkt, was der Tourismus eigentlich bringt. Ich hoffe, dass dies dazu beiträgt, dass die anderen Sektoren den Tourismus in Zukunft auch entsprechend unterstützen. Ich meine damit nicht nur die Verbände, sondern auch die einzelnen Betriebe. Der Tiroler Alt-Landeshauptmann Wendelin Weingartner sagte kürzlich: „Diese kleinteilige Struktur des Tourismus in unserem Land hat einen wesentlichen Vorteil, denn sie hat eine breite Wohlstandswirkung. Diese soziale Komponente ist wichtig und es muss gelten, sie zu erhalten.“

Wie sieht derzeit die Lage in den Tourismusvereinen aus? Sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter alle beschäftigt?

Leider hat die Corona-Krise auch die Tourismusvereine und damit auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stark getroffen. Bereits mit der ersten Welle mussten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Urlaub oder in die Sonderausgleichskasse geschickt werden. So ist es auch jetzt mit der zweiten Welle. Wir hoffen alle, dass es im Frühjahr wieder zu normalen Arbeitsverhältnissen kommt.

Was haben Sie persönlich aus der Corona-Krise gelernt?

Sehr viel. Das Jahr 2020 hat uns ganz schön durcheinandergebracht. Es gab Tiefen im Frühjahr, aber auch einige Lichtblicke im Sommer. Leider hat uns jetzt die zweite Welle wieder voll erwischt. Tief beeindruckt hat mich das, was kürzlich eine über 90-jährige Frau zu mir sagte: „Karl, ich habe den Krieg mitgemacht, aber so etwas habe ich und auch all die anderen in meinem Alter bisher nicht erlebt. Mir kommt gerade so vor, dass diese Corona-Zeit jetzt noch schlimmer ist als damals die Kriegszeit. Die an der Front standen, denen ging es schlecht, aber wir im Hinterland konnten wenigstens noch frei herumlaufen, auch wenn es oft beim Essen fehlte.“ Ich wünsche uns allen, den Gästen und den Kollegen und Kolleginnen und allen Vinschgern, dass wir auch diese zweite Welle überstehen, wenn es auch schwer sein wird. Hoffentlich können wir im Frühjahr wieder zu einem halbwegs normalen Leben zurückkehren. Eines können wir aus der Krise auf jeden Fall lernen: es braucht mehr Gemeinsamkeit und weniger Egoismus. Außerdem sollten wir auch mit etwas weniger zufrieden sein.

Josef Laner
Josef Laner

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