Keine Zweit-, sondern Fremdsprache

Im Vinschgau ist Italienisch eine „Fremdsprache“

Publiziert in 26 / 2007 - Erschienen am 11. Juli 2007
Die italienische Sprache gilt zwar als Zweitsprache, die im Normalfall auch beherrscht werden sollte, doch im politischen Bezirk Vinschgau ist Italienisch weitgehend eine „Fremdsprache“. Diese Behauptung fußt auf Fakten: Die Zweisprachigkeitsprüfung der Laufbahn B haben im Vorjahr laut ASTAT (Landesinstitut für Statistik) nur 12,5 Prozent der insgesamt 384 Kandidaten aus den 13 Gemeinden von Graun bis Kastelbell-Tschars bestanden. Damit steht der Vinschgau landesweit mit Abstand am schlechtesten da. Bei der Laufbahn A, der schwierigsten, ist es ebenfalls der Vinschgau, der die Negativ­liste anführt: Nur 28,6 Prozent haben die A-Prüfung mit Erfolg abgelegt. „Die mangelnden Italienischkenntnisse sind ein Problem, dem sich die gesamte Gesellschaft im Vinschgau stellen muss. Am meisten Sorgen bereitet mir, dass vor allem die Chancen der jungen Leute beeinträchtigt werden“, sagt Landesrat Richard Theiner. Auf die Tatsache, dass die italienische Sprache im Vinschgau im Vergleich zu allen anderen Landesteilen am schlechtesten beherrscht wird, hatte Richard Theiner erst kürzlich bei der offiziellen Eröffnungsfeier des neu gestalteten Grundschul- und Kindergartengebäudes in Lichtenberg hingewiesen. Aufgeschreckt hatten den Landesrat die ASTAT-Zahlen 2006. „Diese Zahlen sind nicht eine Eintagsfliege, sondern lassen sich über mehrere Jahre hinweg feststellen“, so Theiner. Den Beweis liefert die grafische Aufbereitung der Daten zu den Zweisprachigkeitsprüfungen B und A während des Zeitraums 2002 bis 2006. Die von Theiner und seinem Sekretär Martin Matscher erarbeiteten Tabellen (siehe Grafiken) belegen, dass der Vinschgau auch über längere Zeiträume hinweg merklich unter dem Landesdurchschnitt liegt. Diese Tatsache ist ein Problem, dem sich laut Richard Theiner die gesamte Gesellschaft zu stellen hat: „Es geht mir nicht darum, irgendwelche Schuldige auszumachen, wie etwa die Schulen, das Elternhaus oder andere.“ Wohl aber sollten sich die Vinschger des Problems bewusst werden und gemeinsam nach Lösungen suchen. Die Ursachen für die schlechte Kenntnis der italienischen Sprache sind vielschichtig. Einen der Hauptgründe sieht der Landesrat darin, dass der Anteil der italienisch­sprachigen Bevölkerung im Vinschgau relativ klein ist. 2001 erklärten sich laut ASTAT 3,06 Prozent der Bevölkerung der italienischen Sprachgruppe zugehörig. 1991 waren es 3,41 Prozent gewesen. Dass im Alltag wenig Italienisch gesprochen wird, liegt daher auf der Hand, denn die Leute haben kaum die Möglichkeit, Italienisch zu sprechen. Auch in der Tourismusbranche liegt das „Schwergewicht“ eindeutig beim Gast aus Deutschland. Im Tourismusjahr 2004/2005 zum Beispiel gingen 993.200 Nächtigungen auf das Konto von Gästen aus Deutschland, während es die Italiener auf 419.547 Nächtigungen brachten. Im Ausnahmejahr 2002/2003 belief sich die Nächtigungszahl der Italiener auf 442.514, im Jahr 2003/2004 auf 415.378. Als nicht zu unterschätzenden Grund nennt Theiner weiters die Einstellung nicht weniger Erwachsener der Zweitsprache gegenüber. „Wenn Eltern ihren Kindern sagen, Italienisch ist nicht so wichtig, schaden sie am Ende den Kindern selbst, denn wer die zweite Landessprache nicht gut beherrscht, macht sich mit einem großen Handicap auf den Weg. Er wird es im Vergleich zu anderen schwerer haben, Eingang in die Berufswelt zu finden bzw. gute Jobs zu bekommen.“ Dabei seien gute Italienischkenntnisse nicht nur im öffentlichen Dienst unerlässlich, sondern immer mehr auch in der Privatwirtschaft. Theiner ist überzeugt, dass viele junge Vinschger in diesem Punkt aufgrund der mangelnden Italienischkenntnisse weniger Chancen haben, auch wenn sie anderweitig bestens ausgebildet sind. Dass es in manchen Köpfen noch immer eine - zum Teil sicher auch geschichtlich bedingte - Aversion gegen die italienische Sprache gibt, streitet wohl keiner ab. Solche Einstellungen sollten aber der Vergangenheit angehören. „Wenn man gut Italienisch spricht, heißt das nicht, dass man ein schlechter Tiroler ist“, bringt Theiner das Thema auf den Punkt. Beim Erlernen der englischen Sprache seien ähnliche Vorbehalte nicht festzustellen. Die Verbesserung der Italienischkenntnisse sei eine Herausforderung für alle, für die Schulen ebenso wie für die Erwachsenen, für die ­Elternvertreter in der Schule, für die ganze Gesellschaft. „Authentische Anlässe für den Gebrauch der zweiten Sprache“ „Wir als Schule sind uns der Problematik schon seit langem bewusst und versuchen schon seit Jahren, die Situation mit Initiativen und Maßnahmen zu verbessern. Ich muss allerdings feststellen, dass sich die Lage eher verschlechtert als gebessert hat.“ Dies sagte Reinhard-Karl Zangerle, Direktor des Schulsprengels Prad und zugleich amtsführender Direktor des Schulsprengels Graun, zu dem auch die Erlebnisschule Langtaufers gehört, dem „Vinschger“. Die Pro­blematik sei vielschichtig. Zum einen gebe es das Problem, dass viele der Italienischlehrer nicht vor Ort wohnen. Sie sind daher täglich zum Pendeln gezwungen und teilweise schon von daher belastet. „Vor 6 Jahren hatte ich in den Grundschulen des Grundschulsprengels Prad, zu dem auch die Grundschulen der Gemeinde Laas gehörten, 8 Italienischlehrer, wobei 6 davon vor Ort wohnten“, erinnert sich Zangerle. Heute sei der Schulsprengel Prad zwar kleiner (Prad und Stilfs), doch es gibt an der Grundschule nur mehr eine einzige Italienischlehrerin, die auch ortsansässig ist. Die anderen Lehrer stammen aus Sardinien oder pendeln täglich ein, etwa aus Meran. Anstellungsgesuche gebe es zwar jährlich bis zu 60 und noch mehr, „am Ende aber müssen wir die Stellen meistens mit Supplenten besetzen. Außerdem haben viele Gesuchsteller zwar den vorgesehenen Titel, nicht aber den vorgeschriebenen, zu dem auch der Zweisprachigkeitsnachweis gehört.“ Um diese „ungute ­Situation“ in den Griff zu kriegen, hat Zangerle schon mehrfach Unterstützungsmaßnahmen vorgeschlagen und zum Teil auch, mit Unterstützung des Schulamtes und Frau Inspektor Gelmi, umgesetzt. Einer der Vorschläge bezieht sich auf die Unterstützung für Lehrpersonen der zweiten Sprache in den ersten Unterrichtsjahren. Konkret heißt das, dass ein Italienischlehrer vor Ort eine Teilfreistellung bekommt, um seine Kollegen zu unterstützen, speziell am Anfang ihrer Unterrichtstätigkeit. Dieser Tutor begeleitet und berät die Lehrpersonen der zweiten Sprache, indem Stunden­bilder gemeinsam ausgearbeitet werden oder gemeinsam Modellstunden abgehalten und evaluiert werden. Für die Anfänger als Zweitsprachlehrer, und sehr viele sind das, eine wertvolle Unterstützung. Aber auch auf andere Vorschläge zur Unterstützung der Zweitsprachlehrer verweist Zangerle: begünstigte Wohnmöglichkeiten für Italienischlehrer, die von außen kommen; Schaffung von Anreizen durch die Leistungsprämie, Verdoppelung der Punktezahl pro Dienstjahr für die Dienste in der Peripherie usw. wären Möglichkeiten engagierte Lehrpersonen im Tal zu halten. Insgesamt hält Reinhard-Karl Zangerle fest, dass sich das Bewusstsein der Schülereltern über die Bedeutung des Erlernens der zweiten Sprache mittlerweile stark zum Besseren entwickelt hat. Bestimmte radikale, lernhindernde Haltungen gehören zum Glück weitgehend der Vergangenheit an. „Schade ist nur, dass es zumeist bei Lippenbekenntnissen bleibt. Viele zeigen zwar Interesse, ihre Kinder im Wahl- oder Wahlpflicht­bereich an Kursen teilnehmen zu lassen, aber wenn es dann zu den Einschreibungen kommt, schrumpft das Interesse wieder arg zusammen.“ Voll überzeugt ist Zangerle davon, dass sich die zweite Sprache immer dann leicht und gut lernen lässt, „wenn den Schülern authentische Anlässe für den Gebrauch der zweiten Sprache angeboten werden.“ Solche Anlässe werden geschaffen, wenn italienisch- und deutschsprachige Schüler zusammen kommen und miteinander reden. Dies geschieht etwa bei Schulpartnerschaften, bei Projekten oder bei Austausch-Initiativen. Im Rahmen der so genannten „settimana azzurra“ zum Beispiel haben Schüler aus St. Valentin auf der Haide schon seit Jahren immer wieder einen engen Kontakt mit Schülern aus Rumo am Deutschnonsberg. Diese Kontakte werden mit einem gemeinsamen Meeraufenthalt abgeschlossen. Im Vorfeld gibt es einen regen Briefwechsel mit dem Partner in der anderen Muttersprache und es wird aus einem authentischen Bedürfnis heraus kommuniziert. Von der „Mir-sein-mir“-Einstellung sollte man sich bei uns etwas loslösen: „Es geht um die Frage, wie wir dem Fremden überhaupt begegnen. Eine gewisse Offenheit und Aufgeschlossenheit Neuem und Fremdem gegenüber ist grundsätzlich für das Lernen unabdingbar und das Sich-Einlassen auf eine andere Sprache und Kultur ganz besonders. Um die Schaffung authentischer Anlässe für den Gebrauch der zweiten Sprache ist man auch in der Erlebnisschule Langtaufers bemüht. Dort wird eigens darauf geachtet, dass Schüler beider Landessprachen gemeinsame Wochen verbringen können. Ganz konkret startet heuer ein Projekt, bei dem Mittelschüler aus Mals und Mittelschüler einer italienischen Mittelschule aus Bozen teilnehmen. Mit Immersion habe dies aber nichts zu tun. Grundsätzlich muss sicher auch die Didaktik des Zweitsprachunterrichts überdacht werden, denn eigentlich ist Italienisch für unsere Kinder eine Fremdsprache. Dies obwohl Italienisch als Zweitsprache im Umfeld stark präsent ist: im Fernseher, im Radio, auf allen Ämtern und im gesamten öffentlichen Raum wo wir zweisprachigen Hinweisen, Mitteilungen usw. begegnen. Dieser Umstand muss verstärkt berücksichtigt und vielleicht etwas mehr bewusster wahrgenommen und zum Lernen aufgegriffen werden. Es fängt schon mit den vielen geläufigen italienischen Wörtern und Begriffen an, die wir bewusster wahrnehmen sollten. Hier kann sicher auch das Elternhaus mithelfen und verschieden Anlässe wahrnehmen, um zum Beispiel mit den Kindern in der Familie über das italienische Essen zu reden. Zum Beispiel liefert die Pizza jede Menge an Grundwortschatz allein durch die Zutaten: la farina, il sale, il pomodoro. Solche Lernanlässe sind uns oft nicht mehr bewusst und werden uns erst wieder durch Besucher aus dem Ausland bewusst gemacht, die uns darauf hinweisen, welches Glück unsere Kinder haben in einer zweispracheigen Provinz aufwachsen zu können. Das Pädagogische Institut hat sich schon seit längerem auf den Weg gemacht in der Ausarbeitung zeitgemäßer Unterrichtsbehelfe. Im kommenden Schuljahr wird mit einem neuen Lehrwerk in der Grundschule begonnen. „Fünf bis sechs Stunden Unterricht pro Woche sind zu wenig“ Seit sieben Jahren unterrichtet Alessandra Martello aus Schlanders Italienisch. Fünf Jahre war sie Supplentin an der Oberschule in Mals, seit zwei Jahren unterrichtet sie an der Mittelschule in Glurns. Die Themen Italienisch lernen und Italienisch unterrichten bereiten ihr Sorgen. Die Schwierigkeiten sind laut Martello zweiseitig. Zum einen seien fünf bis sechs Stunden Unterricht pro Woche nicht genug, um Italienisch zu lernen, zumal es sich um eine im Vinschgau ungewohnte, sprich kaum gesprochene Sprache handelt. „Und zum anderen sind die Schüler oft nicht motiviert“, so die Lehrerin. Viele sagen, dass sie kein Italienisch brauchen. Wenn man die Schüler fragt, was man unternehmen soll, um sie zu motivieren, gerne Italienisch zu lernen, heißt die Antwort oft: „Ich weiß nicht.“ Lesen oder italienische Musik hören finden viele langweilig. Natürlich gibt es auch Ausnahmen. Schüler, die ein Ziel haben und zum Beispiel das Realgymnasium besuchen wollen, lernen gerne und haben keine Schwierigkeiten. Alessandra Martello denkt oft darüber nach, was sie tun kann, damit ihre Schüler endlich verstehen, wie wichtig es für ihre Zukunft ist, mehrere Sprachen zu beherrschen. „Wissen ist der größte Schatz, den man im Leben bekommen kann. Diesen Schatz kann einem keiner stehlen.“ Das, was sie heutzutage in der Schule beobachtet, stimmt sie nicht gerade optimistisch, speziell was die Zukunft dieser Generation betrifft: „Alles, was mit Schule zu tun hat, ist vielen langweilig.“ „Kaum Möglichkeiten, ­Italienisch zu sprechen“ Silvana De Lisa aus Schlanders ist Italienischlehrerin an der Grundschule Mals. Sie unterrichtet mit Begeisterung. Nach 13 Jahren Erfahrung kennt sie sich aus. „Die Kinder in der ersten Klasse sind sehr gewillt und lernen gerne Italienisch. Sie sind auch leicht zu motivieren, zum Beispiel mit Musik und Spaß.“ Die ersten Schwierigkeiten beginnen laut Silvana De Lisa in der zweiten Klasse, wenn die Grammatik dazu kommt. Die Zahl der Unterrichtsstunden ist zu niedrig, besonders jetzt, denn die Schüler müssen auch Englisch lernen. An der Grundschule Mals haben die Kinder der vierten und fünften Klassen aufgrund des Englischunterrichtes zwei Stunden weniger Italienisch, denn Englisch muss auch eingebaut werden. Englisch lernen übrigens alle gerne. Auf die Frage, warum Kinder nach fünf Jahren Unterricht oft kaum italienisch sprechen oder schreiben können, meinte De Lisa: „Vielleicht schämen sich einige, andere haben vielleicht Angst.“ In Wahrheit haben die Schüler, besonders hier im Vinschgau, kaum Möglichkeiten, Italienisch zu sprechen. In ihrem Alltag haben sie ausschließlich mit der deutscher Sprache zu tun, in der Familie ebenso wie mit den Freunden und überall dort, wo sie hingehen. „Als Italienischlehrerin darf ich mit den Kindern nicht Deutsch sprechen“, sagt Silvana De Lisa, „aber manchmal muss ich das tun, denn als Lehrerin will ich nicht die ‚Chefin’ spielen, sondern muss das Vertrauen gewinnen und den An­forderungen der Schüler und Eltern gerecht werden.“ Lehrerinnen, die aus anderen Regionen Italiens stammen und kein Wort Deutsch verstehen, haben natürlich mehr Schwierigkeiten, weil die Schüler wissen, dass die Lehrerin nicht Deutsch kann, und die Unsicherheit wird groß. Wer aber Talent hat und seinen Beruf mit Herz ausübt, kann diese Probleme überwinden. „Ich persönlich fühle mich nach 13 Jahren Unterricht sehr wohl.“ „Großer Aufholbedarf auch in der Tourismusbranche“ Auch Ver­treter der Wirtschaft beklagen sich über mangelhafte Italienischkenntnisse der einheimischen Bevölkerung. In der Tourismusbranche zum Beispiel ist ein Aufholbedarf laut Hansjörg Dietl, dem Präsidenten des Tourismusverbandes Vinschgau, absolut gegeben. Das Problem werde immer größer, „denn wir stellen fest, dass der italienische Gast jetzt schon im Juli beginnt, den Vinschgau zu besuchen, was ja erfreulich ist.“ Weniger erfreulich sei, dass nicht wenige Mitarbeiter in den Betrieben teils arge Probleme haben, wenn sie Italienisch sprechen müssen. In den Tourismusbüros seien die Italienischkenntnisse der Mitarbeiter relativ gut. Dass ein Gast aus Italien auf Italienisch angesprochen werden will, ist laut Dietl aus der Sicht des Gastes auch eine Frage des Anstandes: „Der Gast weiß zwar, dass er in Südtirol Urlaub macht und dass hier weitgehend Deutsch bzw. Dialekt gesprochen wird, aber er weiß auch, dass er sich in Italien befindet.“ Als der Tourismus in Kärnten seinerzeit in der Krise steckte, „haben die Mitarbeiter sehr schnell Italienisch gelernt, um den italienischen Gast zu gewinnen. Heute kommt man dort als italienischer Gast zum Teil besser zurecht als hier bei uns.“ Verwundert ist Dietl darüber, „dass hier im Vinschgau slowakische Mitarbeiter zum Teil besser Italienisch sprechen als einheimische.“ Bitter werde es für den italienischen Gast, wenn seine Muttersprache auch in den Geschäften nicht oder nur schwer verstanden wird. Neben dem Italienischen „müssen wir uns natürlich auch stark um die Kenntnis der englischen Sprache kümmern.“ (sepp/nade)
Josef Laner
Josef Laner
Vinschger Sonderausgabe

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