Pasta - vom Miteinander deutsch- und italienischsprachiger Südtiroler im Vinschgau
Bellino Masiero ist Physiotherapeut, lebt und arbeitet abwechselnd in Padua und in Schlanders.

Italiener

Publiziert in 2 / 2004 - Erschienen am 29. Januar 2004
Die Hände, die meinen Rücken kneten, gehören Bellino dem Physiotherapeut, also jemand, der mit Licht, Luft, Wasser, Bestrahlungen und Massagen Heilbehandlungen macht. Ich erkläre ihm meinen Schmerz im Rücken, den er mit kundigen Griffen zu vertreiben versucht. Nebenbei reden wir auch über Gott und die Welt, unter anderem auch über die Italiener. Bellino Masiero stammt aus Padua und kam aus privaten Gründen nach Schlanders. Und so lebt er seit einigen Jahren auch hier in Schlanders und arbeitet in seiner Praxis. Ich liege ausgestreckt, schön entspannt wie die Halbinsel Italien im Mittelmeer, liege auf dem Bauch, wobei mein Rücken die Poebene bildet; dort schlägt das Herz. Weiter unten liegt der Magen mit den Gedärmen, dann kommt Rom, Neapel, Süditalien. Der geographische Vergleich muss hier enden. Nur noch der Hinweis auf den Kopf: Da liegt natürlich Südtirol! Bellino massiert mich also... endlich ein Italiener, der einem Südtiroler dient! Sonst war es meist umgekehrt. Ich rede so vor mich hin, erzähle Geschichten aus der Geschichte, reihe ein Vorurteil an das andere und Bellino schmunzelt. Er weiß, dass ich bewusst übertreibe. Im Verhältnis zwischen Italienern und Südtirolern gibt es wenig Humor, kaum Spielraum, es gibt nur verbissenes Festhalten, uralte, zähe Vorwürfe. Bellino will die Ursachen verstehen. Bellino ist nicht hier aufgewachsen, fühlt sich trotzdem wohl, interessiert sich für Land und Leute, versucht die Sprache zu erlernen. Er hört genau hin. Er muss sich vor allem über das Gehör verständigen, da er von Geburt auf sehbehindert ist. Also helfen ihm auch die Hände beim Sprechen und in besonderer Weise beim Arbeiten. Gibt es einen Lachmuskel? Ich stelle Bellino diese Frage und noch einige andere: Gibt es einen Zornmuskel, einen Liebes- oder Hassmuskel? Bellino frägt mich, was ich unter einem Zornmuskel verstehe. Ich hole weit aus. Die Südtiroler wurden besonders von den Faschisten und auch nachher arg bedrängt - kein Zweifel - und verhalten sich abwehrend, als würden sie noch immer bedroht; die Angst vor der gewaltsamen Italienisierung ist allgegenwärtig. Sofern sich diese Angst verflüchtigt, wird sie künstlich genährt und zwar von berufsmäßigen Trennungsideologen. Man könnte fast sagen, dass es früher, als es wirklich noch ungemütlich war, mehr Begegnungen zwischen den Volksgruppen gab als heute. Abgesehen von der Stadt und den größeren Zentren, in denen die zweite Sprache viel öfter eingesetzt werden kann und mehr praktische Anwendung findet, geht die Kenntnis der anderen Sprache stark zurück. Beim Versuch, dieser Entwicklung schon früh in den Schulen entgegenzuwirken - übrigens im Einverständnis mit den meisten Eltern - beginnt das Jammern der bedrohten Deutschen. Vor allem bei Südtirolern mit kräftigem Zornmuskel. Die Ladiner können da nur lachen! Kinderspiele Die Anna erzählt aus ihrer Zeit, als es nur italienischsprachige Kindergärten gab - sie hatte in der Pause mit einem anderen Kind deutsch gesprochen und wurde zur Strafe in den Keller gesperrt. Mein Bruder Karl weigerte sich, die Einheitstracht der faschistischen Jugend zu tragen. Daraufhin wurde er von der Lehrerin zurechtgewiesen: „Du wirst später keine Arbeit bekommen!“ Unser Vater wurde ernstlich verwarnt und ließ antworten: „Sag im Kindergarten, du arbeitest nicht gern!“ Die Lehrerin - so erinnert sich der Karl - hat über diese Anwort sogar gelächelt. Weniger zum Lachen ist das, was ich in der Biographie der jüdischen Philosophin Edith Stein gelesen habe. In Hitler-Deutschland wurde in Spielzeugläden ein „lustiges“ Gesellschaftsspiel für Erwachsene und Kinder mit dem Titel „Juden raus!“ angeboten. Es gibt in unserem heiligen Land Tirol durchaus Leute, die ein entsprechendes Kinderspiel mit dem Titel „Italiener raus“ begrüßen würden. Vom Österreicher zum Italiener Mein Vater wurde 1893 in Partschins geboren, rückte 1914 ein, kam (in das heute polnische Galizien) an die russische Front und geriet schon bald - zusammen mit vielen Tiroler Kaiserjägern und Kaiserschützen - in russische Gefangenschaft. Im Laufe von sechs Jahren kam er durch ganz Sibirien bis Wladiwostok. Von dort wurde er 1920 mit einem japanischen Schiff zurück in die Heimat gebracht, die inzwischen zu Italien gehörte. Das ehemals verbündete Italien wurde von den Österreichern als Verräter angesehen; das wirkt nach bis auf den heutigen Tag. Mein Vater hat bis zu seinem Lebensende 1979 kaum ein Wort Italienisch gesprochen, hat uns Kinder aber immer aufgefordert, Sprachen zu lernen. Er war Obsthändler und war besonders stolz darauf, dass er viele Italiener, darunter auch jüdische Mailänder als Kunden hatte; sie gewährten ihm vertrauensvoll große Vorschüsse. All das geschah in den Dreißigerjahren, noch bevor die Rassenhysterie auch bei uns zu wüten begann. Verhandelt aber hat mit den italienischen Kunden vor allem die Mutter, die schon 1906 als Neunjährige nach Rovereto zu den Englischen Fräulein geschickt wurde, um Italienisch zu lernen. Als Südtirol zu Italien kam, war sie hier im Vinschgau eine der wenigen, die sich in der Sprache der neuen Herren verständigen konnte. Und sie war natürlich stolz darauf und hat es auch genützt. Und hat gerne von Rovereto gesprochen, von den „Englischen Fräulein“, allerdings mit einer kleinen einschränkenden Bosheit. „Beten müsst ihr auf italienisch“ sagten ihnen die schwarzgekleideten Erzieherinnen, „sonst hilft alles nichts!“ Thema mit Variationen Kürzlich habe ich eine italienische Familie kennen gelernt, die aus ganz anderen Gründen als Bellino nach Südtirol kam und nun schon länger in Glurns wohnt. Die Frau Patrizia Castano ist Künstlerin, zeigte hier ihre Arbeiten mehrmals in Ausstellungen, hält Kurse, bei denen sie die Teilnehmer in die vielseitige Verwendung der Materialien unterweist. Das Ehepaar stammt aus Varese; der Ehemann Giorgio Tagliabue hat in Glurns und Mals seinen Militärdienst abgeleistet und seither einen engen Bezug zu Südtirol und besonders zum Vinschgau. Und so haben sie beschlossen, ihre beiden Kinder hier in eine deutschsprachige Schule zu schicken, damit die jungen Leute ganz nebenbei eine zweite Sprache erlernen. „Gefährlich, gefährlich!“ höre ich eine warnende Stimme, die Stimme eines „aufrechten“ Südtirolers, der nichts mehr weiß vom Sprachengemisch im alten Österreich, vom Vielvölkerstaat der Donaumonarchie und der großen kulturellen Ausstrahlung. Er spielt den beleidigten Südtiroler, der sich nur mehr die Zornmuskeln massieren läßt.
Hans Wielander
Vinschger Sonderausgabe

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