Ja oder nein?
Publiziert in 43 / 2016 - Erschienen am 3. Dezember 2016
Gut besuchte Podiumsdiskussion zum anstehenden Verfassungsreferendum. Angeregte Debatte über komplexes Thema. Am 4. Dezember wird abgestimmt.
Prad - Es ist beileibe keine einfache Frage, die das Wahlvolk in Italien am 4. Dezember mit Ja oder Nein beantworten soll. Es geht um die Verfassungsreform. Wie komplex dieses Thema ist und wie stark die Meinungen dazu auch in Südtirol auseinanderdriften, zeigte sich einmal mehr bei der Podiumsdiskussion, zu der die Schützenkompanie Prad in Zusammenarbeit mit dem Südtiroler Schützenbund am 24. November in das Nationalparkhaus eingeladen hatte. Zumal die angekündigten SVP-Parlamentarier Daniel Alfreider und Manfred Schullian nicht kommen konnten, weil sie sich in Rom für die Sicherstellung der Verwaltungsüberschüsse von Land und Gemeinden einzusetzen hatten - was ihnen übrigens gelungen ist -, sprang der Abgeordnete Albrecht Plangger ein. „Der ‚Abi’ hat hier in Prad noch eine Rechnung offen und ist heute hoch motiviert“, meinte Schützenhauptmann Alfred Theiner in Anspielung auf die Podiumsdiskussion, die am 21. Oktober zum Thema der Doppelstaatsbürgerschaft stattgefunden hatte. Plangger saß als einziger Befürworter der Reform drei Gegnern gegenüber: Sven Knoll von der Süd-Tiroler Freiheit, Pius Leitner von den Freiheitlichen und Elmar Thaler, Landeskommandant des Schützenbundes. Einleitend wurden im voll besetzten Saal einige wesentliche Punkte der Reform vorgestellt: Verkleinerung des Senats, Stärkung der Regierung, Suprematie-Klausel und Punkte, die speziell Südtirol betreffen, in erster Linie die Schutzklausel.
„Eine Minderheit darf einem Zentralismus nie zustimmen“
Pius Leitner gab zu bedenken, dass die Verfassungsreform zentralistisch ausgerichtet sei. Alles, was bei der Reform im Jahr 2001 in Richtung Föderalismus erreicht worden sei, „nimmt der Staat jetzt wieder zurück.“ Eine Minderheit dürfe einem Zentralismus nie und nimmer zustimmen. Die von der SVP angepriesene Schutzklausel werde sich als „großer Bluff“ herausstellen. Außerdem sei die Verfassungsreform auch im Zusammenhang mit dem Wahlgesetz zu sehen. Demnach erhält die stärkste Partei automatisch einen Mehrheitsbonus, sprich 54% der Sitze in der Kammer „sodass in Zukunft eine einzige Partei das Sagen habe könnte.“ Die Südtiroler Vertreter in Rom hätten kein Gewicht mehr.
„Eine Chance für Südtirol“
Ganz anderer Meinung ist Albrecht Plangger. Er sieht in der Reform eine große Chance: „Sie bietet uns die Möglichkeit, über den Artikel 116 neue Kompetenzen zu erhalten, die im derzeitigen Autonomiestatut nicht enthalten sind.“ Das Statut sei anzupassen und zu überarbeiten. Die Schutzklausel wertet Plangger als Garantie dafür, „dass wir das Statut aufschnüren, überarbeiten und wieder zuschnüren können, ohne dass das Parlament etwas ändern kann. Das Parlament kann nur ja oder nein sagen.“ Die Schutzklausel sehe vor, dass die neue zentralistische Kompetenzaufteilung zwischen Staat und Regionen auf Südtirol nicht angewendet wird. Weiters sei bei der Überarbeitung des Autonomiestatutes der Grundsatz des Einvernehmens einzuhalten. Zur zentralistischen Ausrichtung meinte Plangger, dass es nicht der Staat ist, der von den Regionen mit Normalstatut Kompetenzen an sich reißen will, sondern es seien die Regionen selbst, die dem Staat die Zuständigkeiten wieder „zuschieben“ wollen: „Das Geld wollen sie zwar haben, die Kompetenzen aber nicht.“
„Sonderrechte in Gefahr“
Sven Knoll hingegen ist überzeugt, dass Italien mit der Verfassungsreform eine „komplette Kehrtwende von föderalistischen Ansätzen in Richtung Zentralstaat macht.“ Die Südtiroler Sonderrecht würden mit der Reform in Gefahr gebracht. In der Vergangenheit sei es schon oft vorgekommen, dass der Verfassungsgerichtshof, der am Ende immer obenauf steht, gegen die Interessen Südtirols geurteilt hat. Knoll warnte vor allem vor der Suprematie-Klausel und dem „nationalen Interesse“, das in der Verfassung verankert werden soll. Die Schutzklausel schütze nicht wirklich. Die Gefahren, denen Südtirol mit der Reform ausgesetzt werde, seien sehr groß: „Südtirol hat hier nichts zu gewinnen.“
„Klausel ist nur Übergangsregelung“
Auch Elmar Thaler sieht in der Schutzklausel keinen wirklichen Schutz: „Diese sogenannte Schutzklausel ist in Wirklichkeit nichts anderes als eine Übergangsregelung.“ Was nachher geschehe, wisse niemand. Thaler hält die Reform für „wahnsinnig gefährlich und großes Risiko für Südtirol.“ Der italienische Staat bzw. der Verfassungsgerichtshof hätten Südtirol schon oft verbriefte Rechte nicht zugestanden, „und wenn wir jetzt noch einer zentralistischen Verfassungsreform zustimmen, ist uns nicht mehr zu helfen.“ Zum Thema Verfassungsgerichtshof meinte Plangger, dass es dank der Schutzklausel, des Einvernehmens und der geplanten Überarbeitung des Autonomiestatuts in Zukunft viel weniger Reibungspunkte mit dem Gerichtshof geben werde.
Es geht nicht „nur“ um Südtirol
Bei der Diskussion wurden nicht nur Fragen zur Schutzklausel und anderen Punkten, die speziell Südtirol betreffen, aufgeworfen, sondern auch solche, die den gesamten Staat angehen. Ein junger Unternehmer zum Beispiel meinte, dass es für die Wirtschaft in Italien und somit auch in Südtirol nicht schlecht sein könnte, wenn Italien aufgrund der Verfassungsreform zu mehr Regierungsstabilität kommt. Auch ein Mehrheitsbonus für die Partei, die am meisten Stimmen erhält, sei nicht partout abzulehnen: „Auch in einem Unternehmen haben nicht 10 Personen das Sagen, sondern meistens nur eine.“ Auf die Frage, was geschieht, wenn das Nein gewinnt und die Regierung Renzi fällt, meinte Plangger, dass es dann wahrscheinlich eine Übergangsregierung geben wird. Überzeugt gab er sich davon, dass das derzeit vorgesehene Wahlgesetz abgeändert wird, sodass der Mehrheitsbonus nicht der größten Partei, sondern der stärksten Koalition zu Gute kommt. Thaler glaubt, dass es bei einem Sieg des Ja schlechter wird. Sollte das Nein gewinnen, „haben wir das Chaos wie bisher.“ Das einzige, was ihn interessiere, „ist Sicherheit für mein Land.“ Leitner sieht eine der Kernfragen darin, „wie nachher gewählt wird.“ Hand in Hand mit den Diskussionen rund um das Verfassungsreferendum würden auch politische Machtkämpfe unter den Parteien ausgetragen. So manche Parteien hätten Angst, dass die Fünf-Sterne-Bewegung zur Regierungspartei wird. „So schnell sind die Grillini nicht“, meinte Plangger.
„Haarsträubend und brandgefährlich“
Für allgemeines Aufhorchen sorgte der ehemalige, langjährige SVP-Abgeordnete Hans Benedikter. Er wertete die Reform als „haarsträubend und sehr gefährlich.“ Roland Riz habe schon vor einiger Zeit eindringlich vor dieser Reform gewarnt. Das Parlament bleibe laut Benedikter immer souverän. „Selbst ein Briefwechsel Wien-Rom bindet nichts und niemanden.“ Es sei bedenklich, dass der Passus „nationales Interesse“ in die Verfassung aufgenommen werde. Ein Diskussionsteilnehmer warf die Frage auf, warum viele Altmandatare gegen die Reform seien. Plangger dazu: „Mit den Vinschger Altmandataren habe ich in meiner Funktion als Bezirksobmann gesprochen. Sie sind alle für die Reform.“ Schützenhilfe bekam Plangger vom Prader Bürgermeister Karl Bernhart: „Ich bin kein SVP-Vertreter, vertraue aber den Leuten, die intensiv für diese Reform kämpfen.“
„Da steh ich nun,...“
„Da steh ich nun, ich armer Tor und bin so klug als wie zuvor.“ Mit diesem Zitat aus Goethes Faust brachte Raimund Prugger seine Gefühlslage auf den Punkt. Er traf damit wohl die Stimmung vieler weiterer Zuhörer. In ihren Schlussplädoyers brachten die Podiumsgäste ihre jeweiligen Ansichten noch einmal kurz auf den Punkt. Knoll: „Wir dürfen nicht blind in etwas hineinlaufen. Die Reform bringt unserem Land keine sichere Zukunft.“ Thaler: „Es braucht zunächst Klarheit und Sicherheit. Wir haben jetzt schon viele Probleme, die wir ohne Italien nicht hätten.“ Leitner: „Ein Ja aus Südtirol wäre ein historischer Fehler und ein Signal nach Rom, wonach wir als Minderheit für einen Zentralstaat sind.“ Plangger: „Wir haben in Rom das Beste für Südtirol herausverhandelt. Uns wird nichts genommen. Wir gehen nach vorne und nicht zurück. Lasst es uns beweisen.“ Sepp
Josef Laner