Jenes andere Leben
Publiziert in 31 / 2016 - Erschienen am 7. September 2016
Ein Findelkind in der Fast-Food-Bude, scharfzüngige Mütter und ihre Töchter, ein Elternpaar mit Mut zum Widerstand und drei Bühnenarbeiter samt Liebschaften hinter den Kulissen – das sind die Hauptfiguren der neuen Theatersaison des Südtiroler Kulturinstituts. Unter dem Motto „Jenes andere Leben“ versetzt sie in eine Welt abseits vom Gewohnten und führt große Bühnen aus Berlin, Mannheim und Stuttgart nach Schlanders.
Schlanders - Freitagnacht in einem Schnellrestaurant. Ein Schrei. „Da ist ein Baby!“ So beginnt die Geschichte, die Lutz Hübner und Sarah Nemitz in „Phantom (ein Spiel)“ erzählen. Das Nationaltheater Mannheim hat das Stück uraufgeführt und eröffnet damit die Spielzeit in Schlanders. Die Mitarbeiter der Fast-Food-Filiale sind in der Zwickmühle. Was sollen sie mit dem alleingelassenen Neugeborenen tun? Wo kommt es her? Wer sind seine Eltern? Fünf Schauspieler begeben sich auf die Suche nach einer möglichen Geschichte. Im Zentrum steht eine Frau, nennen wir sie Blanca. Es ist die Frau aus dem unbekannten Land, die Frau mit den vielen Sprachen, die Missbrauchte, die Täterin, die Kluge, die Naive … − ganz wie es uns gefällt. Wir begleiten sie beim Kampf um ein Plätzchen unter deutscher Wohlstandssonne. Lutz Hübner und Sarah Nemitz ist eine unterhaltsame und starke Geschichte in der Möglichkeitsform gelungen, die mehr mit unseren Vorstellungen von „Fremden“ zu tun hat als mit der vielschichtigen Wirklichkeit.
Preisgekröntes Stück
In ihrem Stück „Es sagt mir nichts, das sogenannte Draußen“ hatte sich Sibylle Berg der wütenden Generation der Frauen über zwanzig gewidmet. Die Inszenierung des Berliner Maxim Gorki Theaters sorgte in der vergangenen Spielzeit auch in Schlanders für Gesprächsstoff. In ihrem neuen Stück „Und dann kam Mirna“ erzählt Sibylle Berg nun, wo die rebellischen Frauen zehn Jahre später mit Mitte dreißig stehen: Sie haben Kinder bekommen, Trennungen hinter sich und schlagen sich mit der Einsicht herum, dass sie „nur ein kleines mittelmäßiges Leben“ haben werden. Die Töchter haben zum Befremden der Mütter zwar die Scharfzüngigkeit von ihnen geerbt, scheinen ansonsten aber ganz anders geraten zu sein. Nur ihre Kritik an den Müttern klingt irgendwie vertraut. Das Stück wurde mit dem Friedrich-Luft-Preis 2015 und dem Publikumspreis bei den Mülheimer Theatertagen 2016 ausgezeichnet und zum Heidelberger Stückemarkt eingeladen.
Ganz ohne Worte
Theater ganz ohne Worte bietet das Kollektiv „Familie Flöz“, das erstmals nach Schlanders kommt. Alles wird durch die Ausdruckskraft des Körpers und das Spiel mit Masken erzählt. Die Komödie „Teatro Delusio“ richtet den Scheinwerfer hinter die Bühne eines Theaters. Während auf der Hauptbühne, die man nur ahnen kann, opulente Opern, wilde Degengefechte oder heißblütige Liebesszenen ablaufen, fristen die Bühnenarbeiter Bob, Bernd und Ivan auf der Hinterbühne ihr Dasein. Drei unermüdliche Helfer, die von den Sternen der Bühne nur durch eine spärliche Kulisse getrennt sind und doch Lichtjahre entfernt um ihr Glück kämpfen: Der sensible Bernd sucht Erfüllung in der Literatur und findet sie bei der verspäteten Ballerina. Bobs Sehnsucht nach Anerkennung treibt ihn zu Triumph und Zerstörung. Ivan, Chef der Hinterbühne, will die Kontrolle im Theater nicht verlieren, verliert dabei alles andere. Die drei Darsteller erschaffen 29 Figuren und erwecken ein komplettes Theater zum Leben.
Großer Roman im Theater
Den Roman „Jeder stirbt für sich allein“ schrieb Hans Fallada 1946 im Krankenhaus, seine Veröffentlichung erlebte er nicht mehr. Das Buch basiert auf einem realen Fall, wurde ein Bestseller und zwei Mal verfilmt. Volkmar Kamm hat es für das Alte Schauspielhaus Stuttgart adaptiert und inszeniert. Ruhig und angepasst leben Otto Quangel und seine Frau Anna in Berlin; doch als ihr einziger Sohn 1940 an der Front fällt, beschließt Otto, etwas gegen das NS-Regime zu tun. Unterstützt von Anna schreibt er Postkarten mit regimekritischen Aufrufen und legt diese in der Stadt aus. Umgeben von überzeugten Nationalsozialisten, Opportunisten, Kleinkriminellen und Menschen, die sich aus Angst dem staatlichen Druck beugen, ist dies sehr riskant, denn die Karten werden bei der Polizei abgegeben. Kommissar Escherich übernimmt die Ermittlungen. Gedrängt von seinem Vorgesetzten muss er Ergebnisse präsentieren.
Neben dem Abendprogramm bietet das Südtiroler Kulturinstitut am Vormittag für Schulklassen ein Kinderkonzert mit der Elbtonal Percussion und das Jugendstück „Netboy“. Die Kulturabteilung der Südtiroler Landesregierung, die Stiftung Südtiroler Sparkasse, viele private Sponsoren und die „Unternehmerinitiative Wirtschaft & Kultur – Schlanders“ unterstützen das hochkarätige Programm, das in Zusammenarbeit mit dem Kulturhaus „Karl Schönherr“ veranstaltet wird. red
Infos
Das Programm
Lutz Hübner/Sarah Nemitz: „Phantom (ein Spiel)“
Donnerstag, 27. Oktober 2016
Nationaltheater Mannheim
Sibylle Berg: „Und dann kam Mirna“
Dienstag, 22. November 2016
Maxim Gorki Theater, Berlin
Familie Flöz: „Teatro Delusio“
Donnerstag, 2. Februar 2017
Hans Fallada: „Jeder stirbt für sich allein“
Freitag, 31. März 2017
Altes Schauspielhaus Stuttgart
Alle Aufführungen finden um 20 Uhr im Kulturhaus „Karl Schönherr“ in Schlanders statt. Der „Kulturbus Obervinschgau“ fährt kostenlos vom Reschen nach Schlanders und zurück. (Anmeldungen: 0473-831190)
Abonnementverkauf:
am 15. September von 9.30 bis 12 Uhr im Büro der Ferienregion Obervinschgau in Mals und von 14 bis 17 Uhr im Kulturhaus „Karl Schönherr“ in Schlanders; sowie vom 16. bis 30. September direkt im Südtiroler Kulturinstitut
Einzelkarten:
ab dem 23. September bei Athesia-Ticket oder
www.kulturinstitut.org
Informationen:
Südtiroler Kulturinstitut, Schlernstraße 1 (Waltherhaus), Bozen
Tel: 0471-313800; info@kulturinstitut.org; www.kulturinstitut.org
Redaktion