„Können mit Schicksalsschlägen umgehen“

Publiziert in 12 / 2014 - Erschienen am 2. April 2014
Der Malser Andreas Conca ist Primar der Psychiatrie des Bozner Krankenhauses. Mit dem der Vinschger sprach er über seelische Gesundheit und die „Volkskrankheit“ Depression. Latsch/Vinschgau - Die SVP-Frauen Latsch und die Latscher Bäuerinnen konnten Andreas Conca im Rahmen der Latscher Gesundheitstage für einen Vortrag gewinnen. Der Primar referierte zum Thema „Glück und Trauer: Basis unserer psychischen Gesundheit“. Dem derVinschger erklärte der Malser, was bei Depressionen mit uns geschieht und welche Vorbeugemaßnahmen man treffen kann. der Vinschger: Was ist die ­seelische Gesundheit und was können wir dafür tun? Andreas Conca: Seelische Gesundheit bedeutet Wohlbefinden und eine optimistische Grundeinstellung. Das heißt Höhen und Tiefen, Glücksfälle und Schicksalsschläge anzunehmen und in einen Lebenssinn einzubetten. Um sich seelisch gesund zu fühlen, können und sollen wir unsere eigene Person und unsere sozialen Kontakte pflegen und wert­schätzen. Dankbarkeit, Interesse, Liebe, Lachen, der Glaube, die Umwelt beeinflussen zu können und aus schweren Erfahrungen zu lernen sowie Konfliktfähigkeit, sind wesentliche Haltungen, die zur Pflege der seelischen Gesundheit beitragen. Dennoch scheint es so, als ob heutzutage immer mehr Menschen Depressionen haben. Depression, oder auch „burn out“ sowie Erschöpfung sind gesellschaftsfähiger geworden und man spricht mehr darüber. Wir können solche Zustände heute besser beschreiben und vor allem auch besser behandeln. Aber nicht jeder negative Gefühlszustand ist als Krankheit abzustempeln. Was passiert bei Depressionen in unserem Gehirn? Wir wissen, dass Hirnregionen, die für die gefühlsmäßige Anpassungsfähigkeit an äußere Umstände verantwortlich sind, extrem aktiv sind, während andere Hirnregionen, die für die problemorientierten Lösungsgedanken zuständig sind, ihr Energieniveau deutlich runterschrauben. Machen schwere Schicksalsschläge automatisch depressiv? Nein, viele von uns haben die ­Fähigkeit zur Resilienz. Der Mensch besitzt eine psychische Widerstandskraft, die in ihrer Qualität durch Vererbung einerseits und durch soziale Beziehungen anderseits bestimmt wird. Kurz gesagt: Der Mensch ist so konstruiert, um mit Schicksalsschlägen umgehen zu können. Sind manche Menschen anfälliger für Depressionen als andere? Ja, diese Anfälligkeit wird auch Vulnerabilität genannt und setzt sich ebenso aus Vererbung und der Art sozialer Erfahrungen zusammen. Ein niederer Selbstwert, ein ängstlich-übergenauer Charakter und kein gutes soziales Netz weisen auf eine besondere Dünnhäutigkeit hin. Was sind die häufigsten Auslöser? Unerwartete Verlusterlebnisse wie Tod, Trennung, Arbeitsverlust, wirtschaftliche Einbußen, Krankheiten oder über einen längeren Zeitraum bestehende hohe Belastungen. Aber auch Vitamin- oder Eisenmangel sowie Schilddrüsenstörungen können Auslöser für Depressionen sein. Erwähnenswert ist, dass wiederkehrende Depressionen nicht mehr durch bestimmte Situationen ausgelöst werden, sondern spontan verlaufen oder einfach jahreszeitlichen Schwankungen ausgesetzt sind. Wann kann ein Psychiater hilfreich sein? Psychiater können helfen, eine psychische Erkrankung zu erkennen und diese psychotherapeutisch und eventuell medikamentös zu behandeln. Sollten Niedergeschlagenheit, Interesselosigkeit, übermäßige Ermüdbarkeit und Schlafstörungen über 14 Tage anhalten, sollte man sich zumindest Freunden, einem Hausarzt oder Apotheker anvertrauen. Selbstverständlich kann man sich auch direkt an Psychiater wenden. Wie kann man Depressionen am besten vorbeugen? Empfehlenswert ist es, Beziehungen zu pflegen, sich etwas Gutes tun, erholsamer Schlaf, ausgewogene Ernährung, ein geregelter Tagesablauf und Ziele, die Gegenwart genießen, aber auch über diese hinausschauen und sich in Spiritualität üben. Vorbeugen kann man am besten, wenn man weiß, dass man unter Depressionen leidet oder zumindest eine doch deutliche Veranlagung dazu hat. Man kann dann die eigenen persönlichen Auslöser verstehen und lernen mit ihnen umzugehen. In bestimmten Fällen ist auch eine Dauermedikation sinnvoll. Inwiefern helfen Vereine? Vereine sind in ihrem Wesen Solidaritätsgemeinschaften, und Solidarität gepaart mit Respekt für den Einzelnen ist gesundheitsfördernd. Zudem sind sie oft eine Alternative zu nicht funktionierenden Familien oder Arbeits­systemen. Es gilt: Wer anderen hilft, erlebt auch selbst Unterstützung. Hilft der Glaube? Spirituelle Menschen werden nicht unbedingt weniger depressiv, aber sie genesen schneller. Eine spirituelle Haltung der Liebe und Hoffnung, Dankbarkeit und Vergebung, aber auch Selbstliebe und individueller Freiheit ist eine heilende Kraft und dies nicht nur bei psychiatrischen Erkrankungen. Stichwort Medikamente: Wie wirken diese gegen Depressionen? Antidepressiva sind speziell entwickelt worden und tragen dazu bei, dass das Ungleichgewicht in den verschiedenen Gehirnregionen wieder hergestellt wird und neue Gehirnverbindungen entstehen. Bei mittelgradigen bis schweren Depressionen sind sie wesentlicher Bestandteil der Behandlung und der Vorbeugung, machen nicht abhängig und sind generell gut verträglich. Interview: Michael Andres
Michael Andres
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Vinschger Sonderausgabe

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