Diagnose Krebs: Wie vom Blitz getroffen

Krebs – Herausforderung, anders zu leben

Publiziert in 12 / 2012 - Erschienen am 28. März 2012
Die Diagnose Krebs ist für viele Menschen ein Schock. Sie ruft tiefe Ängste hervor und kann persönliche Krisen verursachen, die letzten Endes auch die Partnerschaft beeinflussen können. Wenn ein Mensch an Krebs erkrankt, dann ist nicht nur das jeweilige Organ betroffen, sondern der Mensch als Ganzes, einschließlich seiner Angehörigen. Ein solch einschneidendes Ereignis erschüttert und verunsichert, man ist „wie vom Blitz getroffen“. Aber es fordert auch heraus, sich mit der Erkrankung und den eventuellen damit verbundenen Einschränkungen und Verlusten auseinanderzusetzen. In dieser Situation kann die Psychoonkologie wertvolle Hilfe leisten. „Leben mit der Diagnose Krebs: Ängste, Krisen und Hilfen“ nannte sich ein Vortrag in Laas, den die Krebshilfe Vinschgau organisiert hatte. „Der Vinschger“ hat mit Norbert Längerer, Leiter des psychologischen Dienstes am Krankenhaus Meran, ein ausführ­liches Gespräch zu diesem Thema geführt. Interview: Ingeborg Rechenmacher „Der Vinschger“: Neben den eigenen Kräften und der Unterstützung durch das persönliche Umfeld kann es wichtig sein, eine psychologische Beratung oder psychotherapeutische Behandlung in Anspruch zu nehmen. Welche Hilfe bieten Sie an? Norbert Längerer: Krebskranke und ihre Angehörigen leiden oft sehr stark unter der psychischen Belastung. Viele stellen sich existenzielle Fragen zum Leben und Sterben, aber auch nach ihrer bisherigen Lebensweise. Vor allem Frauen suchen in psychischen Ursachen häufig den Grund für ihre Tumorerkrankung. Wir Psychoonkologen unterstützen ­Patienten und ihre Angehörigen während und nach der medizinischen Behandlung im Umgang mit der Erkrankung und den psychischen Folgen. Während der medizinischen Behandlung wird die ganze Kraft gebraucht, um den gesamten Leidensweg durchzustehen. Wenn die ganze medizinische Behandlung vorüber ist, fällt damit aber auch die Sicherheit während der Behandlung weg und es kann zu unerklärlichen Störungen und Verhaltensweisen kommen, ohne dass man versteht, woher. Die Strapazen der Behandlung wie Operation, Chemotherapie, Radiotherapie usw. wurden unterschätzt, man benötigte die gesamte Kraft um diese zu überstehen, ohne dass es einem richtig bewusst wurde. Wenn die Behandlung beendet ist, und die Gefahr vorüber zu sein scheint, kann die Tragweite dieser Belastung in vielfältiger Weise auftauchen. Menschen reagieren auf die Diagnose Krebs sehr unterschiedlich. Besonders in der Frage nach dem „Warum?“ unterscheiden sich Frauen und Männer voneinander. Stimmt das wirklich? Viele Menschen, vor allem Frauen, suchen die Schuld für die Erkrankung bei sich selbst. Sie haben Angst, etwas falsch gemacht zu haben. Es beginnt ein Prozess von Verzweiflung und Zuversicht, von Hoffnung und Hoffnungslosigkeit. Die Betroffenen fragen sich „warum gerade ich?“; sie haben Angst vor Tod und Leiden und Angst um ihre Familie. Männer suchen meist weniger nach persönlichen Gründen für die Tumorerkrankung. Sie suchen Lösungen, machen, was zu machen ist, eine Verhaltensänderung ist meist nicht nötig. Männer werden emotional von ihren Frauen und von der Familie versorgt. Sie gehen weniger aus sich heraus, Trauer, Angst und ähnliche Gefühle sind bedrohlich, weil sie Männer scheinbar handlungsunfähig machen. Reden hilft nicht, ist nicht lösungsorientiert. Für Frauen hingegen bringt Reden Erleichterung. Verständnis gibt Sicherheit und wirkt der Einsamkeit entgegen. Männer können dies häufig nicht nachvollziehen und daher ihre Partnerinnen auch nicht genügend unterstützen. Erkrankte Frauen müssen vielfach erst lernen, ihre Bedürfnisse den Partnern deutlich mitzuteilen, damit sie verstehen, was ihnen wirklich hilft und was sie in dieser Situation benötigen. Auch hier kann eine Unterstützung durch Psychologen sinnvoll sein, um die Partnerschaft in solch schwierigen Situationen zu stützen und das gegenseitige Verständnis zu verbessern. Denn es liegt ja nicht daran, dass Partner nicht helfen wollen, bloß denken Frauen und Männer oft anders. In Krisensituationen muss oft erst eine neue, sinnvolle Kommunikationsbasis geschaffen werden. Gute Beziehungen wachsen durch eine Tumorerkrankung, solche, die nicht gut funktionieren, riskieren, noch schlechter zu werden, weil die Vertrauensbasis aufgrund mangelnder Unterstützung noch brüchiger werden kann. Eine Tumorerkrankung muss von Anfang bis zum Ende, in jeder Phase ein Problem für beide Partner sein, ansonsten leidet die Beziehung darunter. Auch die Bewältigungsstrategien bei Diagnose Krebs sind von Mensch zu Mensch verschieden. Die Bewältigungsstrategien reichen von Selbstanschuldigung, Fremdanschuldigung, Hoffnungs- und Hilflosigkeit, dem Annehmen der Erkrankung bis hin zu Verleugnung und Vermeidung. Männer neigen eher zum Rationalisieren und Verdrängen. Immer wieder beeindruckt mich das Gottvertrauen, das manche Menschen, vor allem ältere, bei der Diagnose Krebs an den Tag legen. Der Glauben kann eine sehr starke und gut funktionierende Stütze für Betroffene sein. Sie können sich Gott anvertrauen und ihr Schicksal in seine Hände legen. Das schenkt das Gefühl, nicht alleine zu sein, und dass Gott schon das Richtige machen wird. Auch Verdrängung kann eine Strategie sein, wenn sie mit einer gesunden Konfrontation mit der Erkrankung gekoppelt ist. In dem Sinne, dass sich der Betroffene mit der Krankheit auseinandersetzt und dabei allen dazugehörenden Gefühlen einen Platz geben kann; zum anderen aber auch die Fähigkeit entwickelt, sich dem Leben zuzuwenden und die schönen und positiven Seiten des Lebens genießen lernt, indem nicht dauernd an die Krankheit gedacht wird. Was tun, wenn keine Chance auf Heilung besteht? Gerade dann ist das Gespräch mit dem Partner, mit den Kindern wichtig. Um gemeinsam zu entscheiden, was noch gemacht werden soll, was sinnvoll und was überflüssig ist. Gerade hier ist es wichtig gemeinsam mit dem Arzt ehrlich und klar die Situation zu besprechen, damit nicht unnötige und belastende Therapien weiter gemacht werden. Manche Menschen schaffen es nicht, der Wahrheit in die Augen zu schauen und bevorzugen weiter so zu tun, als könnten sie durch weitere Therapien geheilt werden. Es ist in jedem Fall zu respektieren, was der Betroffene selbst für sich benötigt. Die einen können Hinsehen und entsprechend alle Vorbereitungen treffen, sich verabschieden, den Schmerz der Trennung anschauen und mit den eigenen Lieben trauern. Andere haben Angst das nicht auszuhalten, es ist zu schmerzhaft und dann wird lange Zeit so getan als ob, um den Gefühlen auszustellen. Das ist nicht falsch, es ist einfach aufgrund der eigenen Möglichkeiten und ­Ängste die „bessere“ Lösung. In unserer Gesellschaft, wo der Tod so tabuisiert ist, wo es wenig Worte darüber gibt, haben wir nicht gelernt, uns auf den Tod gut vorzubereiten. Was kann der Einzelne tun? Im Angesicht des Todes wird erlebt, dass das Leben nicht unendlich ist. Man wusste es im Kopf, jetzt wird es aber spürbar erlebt. Und das hat eine völlig andere Wirkung. Menschen, die mit der Diagnose Krebs gelernt haben zu leben, verändern häufig ihre innere Einstellung zum Leben. Sie leben bewusster und dankbarer. Es ist so, als könnten sie das Leben plötzlich aus einem anderen Blickwinkel betrachten und genießen. Es kann oft viel klarer unterschieden werden wofür es sinnvoll ist, sich einzusetzen, und wo es völlig überflüssig ist, die eigenen Energien weiterhin zu verschwenden. Manche Menschen schaffen es auch, Situationen zu verändern, die schon lange seelisch belastend waren. Wieder andere verändern ihre Ernährungsgewohnheiten und beginnen sich auch körperlich zu betätigen um eventuellen Rückfällen vorzubeugen. Alles was Betroffenen das Gefühl gibt, selbst etwas gegen die Tumorerkrankung zu tun, ist sinnvoll und stärkt das Vertrauen in die eigene Handlungsfähigkeit. Und es wirkt dem Gefühl entgegen, der Krankheit total ausgeliefert zu sein. Wie sag ich`s meinem Kind? „Der Vinschger“: Kinder spüren, wenn etwas nicht stimmt? Wie wichtig ist die Wahrheit für ein Kind? Norbert Längerer: Jeder dritte Krebserkrankte hat bei der Diagnose noch Kinder, die zuhause leben. Kinder bekommen alles mit, denn sie haben feine Antennen und können sofort spüren, wenn es einem Elternteil nicht gut geht. Wenn Eltern etwas verschweigen, dann bemerken das die Kinder. Wenn sie die Wahrheit von anderen erfahren, was meist unausweichlich ist, dann verlieren sie das Vertrauen und verlassen sich nicht mehr auf das, was Eltern sagen. Wenn Eltern ihr Kinder vor Unsicherheit und unnützer Angst bewahren wollen, dann müssen sie sich der Wahrheit stellen und die Kinder altersgerecht informieren. Wichtig ist dabei, dass Kinder aufgerufen werden, ihr Leben wie bisher weiterzuleben, weiterhin Freunde zu besuchen, zu lachen und glücklich zu sein. Kinder reagieren auch nicht immer gleich, vor allem kleinere Kinder können für uns Erwachsene oft unerwartet reagieren, und es kann der Eindruck entstehen, dass sie es nicht richtig wahrnehmen. Dem ist nicht so, sie verarbeiten es nur anders. Kinder müssen animiert werden, Fragen zu stellen, wann immer sie das Bedürfnis dazu haben, und sie müssen ihre Sorgen mitteilen können. Wenn Betroffene oder Angehörige sich mit diesem Thema schwer tun, dann können sie sich auch für eine Beratung an uns wenden. Die Kontaktnummern für Patienten und Angehörige lauten 0473 251 000 oder 0473 263333, Psychologischer Dienst des Krankenhauses Meran und Schlanders. Mitglieder der Krebshilfe Vinschgau können Rechnungen von externen Psychologen bei der Krebshilfe Vinschgau zur Rückvergütung vorlegen.
Ingeborg Rainalter Rechenmacher
Ingeborg Rainalter Rechenmacher
Vinschger Sonderausgabe

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