„Heimatnahe Betreuung der Bevölkerung”
Primar Bernhard Spechtenhauser; das Titelbild zeigt den Chirurgen beim Operieren in Kufstein.

„Man kann nicht auf zwei Hochzeiten tanzen”

Publiziert in 16 / 2015 - Erschienen am 29. April 2015
Spechtenhauser: „Wenn ein Primar für zwei Standorte zuständig ist, dann wird natürlich das kleinere Schaden nehmen”.  Wichtig ist in erster Linie nicht Geld, sondern viel mehr die Motivation. Schlanders - Die Sanitätsreform lässt die Wogen in Südtirol seit Monaten hochgehen. Besonders groß sind die Ängste in der Peripherie. Was das Krankenhaus Schlanders betrifft, konnte eine Umwandlung in eine reine Tagesklinik abgewendet werden. Die Akut-Chirurgie bleibt somit als bettenführende Abteilung erhalten, und zwar rund um die Uhr. Befürchtet wird allerdings ein Abbau bzw. ein Abzug von Primariaten. Über diese und weitere Themen sprach der Vinschger mit dem aus Allitz gebürtigen Bernhard Spechtenhauser, der am Bezirkskrankenhaus in Kufstein seit vielen Jahren mit großem Erfolg die Abteilung für Chirurgie leitet.   der Vinschger: „Wichtig ist, dass es im Krankenhaus gute Fachärzte gibt. Das müssen nicht unbedingt Primare sein. Wenn schon, dann soll bei den Primariaten gespart werden.“ Solche und ähnliche Äußerungen seitens der Bevölkerung sind immer wieder zu hören. Hat das Volk Recht? Bernhard Spechtenhauser: Natürlich ist es wichtig, dass in einem Krankenhaus gute Fachärzte sind. Es braucht jedoch jemanden, der neben der fachlichen Kompetenz auch die soziale Kompetenz hat und Führungsqualität aufweist. Ohne eine solche Person wird es aber nicht funktionieren, das wissen wir auch aus anderen Einrichtungen. Gerade im Zusammenspiel unterschiedlicher Berufsgruppen, wie etwa Pflegepersonal, Ärzte, Physiotherapeuten usw., bedarf es eines Entscheidungsträgers und eines Letztverantwortlichen vor Ort. Da brauchen wir das Rad nicht neu erfinden. Wie wichtig sind Primariate für ein peripheres Grundversorgungskrankenhaus der Größenordnung von Schlanders? Ich bin überzeugt, dass in Schlanders­ die noch bestehenden Primariate erhalten werden müssen. Erstens ist ansonsten vom obersten Vinschgau bis nach Meran ein Defizit bei der Versorgung der Bevölkerung vorprogrammiert. Und zweitens ist das Krankenhaus während der vergangenen Jahrzehnte ausgebaut worden und wird nach wie vor weiter ausgebaut. Wie könnte man dies dem Steuerzahler erklären? Wichtig ist eine heimatnahe Betreuung der Bevölkerung in der Grundversorgung. Ist es falsch zu behaupten, dass eine Abteilung ohne Primar praktisch ohne „Führungskopf“ dasteht und somit schon von daher nicht gut funktionieren kann? Eine Abteilung ohne „Führungskopf“ wird nicht funktionieren, das ist der Beginn vom Ende einer Abteilung. Eine „Betreuung“ von Meran aus sehe ich sehr problematisch. Der gleichen Meinung ist übrigens auch mein geschätzter Lehrer, Prof. Raimund Margreiter, der das Krankenhaus ebenfalls gut kennt, da er dort früher öfters vertreten hat. Ein Zauberwort der für die Reform zuständigen Politiker heißt: Ein Primariat mit zwei Standorten. Ist es überhaupt möglich, dieses Prinzip umzusetzen, ohne dass einer der zwei Standorte irgendwie Schaden nimmt bzw. den Kürzeren zieht? Wenn ein Primar für zwei Standorte zuständig ist, dann wird natürlich das kleinere Schaden leiden und den Kürzeren ziehen, und auch das ist der Beginn der Demontage einer Abteilung. Es werden Entscheidungen zwischen den Häusern getroffen werden müssen, wie soll es hier Objektivität geben? Man kann nicht auf zwei Hochzeiten tanzen. Im Vinschgau wird befürchtet, dass es zu Konzentrationstendenzen in Richtung Krankenhaus Meran kommen könnte, was mittel- bzw. langfristig dazu führen könnte, wovor man am meisten Angst, nämlich vor einer schrittweisen Aushöhlung von Abteilungen und Diensten. Natürlich sieht man in diesen Bestrebungen und in den Konzentrationstendenzen in Richtung Meran bereits die schrittweise Aushöhlung von Abteilungen, und das alles wird langfristig überhaupt nicht funktionieren, zudem wird man sich dabei nichts einsparen. Das soll ja angeblich der Grund sein. Wie interessant ist es zum Beispiel für junge Fachärzte, sich um eine Arbeit in einer Abteilung zu bewerben, der kein Primar vorsteht? Es werden nicht viele Fachärzte oder auch Jungärzte Interesse haben, sich um eine solche Stelle zu bewerben, wenn überhaupt. Einerseits ist die Ausbildung dann dort überhaupt nicht garantiert bzw. möglich, andererseits wird eine klare Linie fehlen. Dies fördert nicht die Qualität einer Abteilung, ganz zu schweigen von der Motivation der Ärzte. Und diese gibt es nicht mehr wie Sand am Meer, wie vor einigen Jahren. Welche Auswirkungen können der Abbau, der Abzug oder die Zusammenlegung von Primariaten auf die Patienten bzw. Kunden haben? Ich glaube, das Krankenhaus Schlanders hat nicht nur die Berechtigung für die Aufrechterhaltung des chirurgischen Primariates, sondern auch den Versorgungsauftrag für die Patienten aus dem Vinschgau. Wenn eine gewisse, zum Beispiel chirurgische Behandlung dort routinemäßig nicht mehr angeboten wird, ist es unter Umständen im Notfall nicht mehr möglich, diesen zu erkennen, geschweige denn zu beherrschen. Und vom obersten Vinschgau bis nach Meran ist es ein weiter Weg, da kann es auch einmal zu spät sein. Zudem stellt sich die Frage, ob Meran die Patienten alle versorgen könnte und ob dort alle notwendigen personellen und baulichen Kapazitäten gegeben sind. Was braucht es alles, damit ein Krankenhaus der Größenordnung von Schlanders weiterhin attraktiv bleibt, speziell auch für junge Ärzte? Ich beziehe mich jetzt in erster ­Linie auf die chirurgische Abteilung, doch davon sind fast alle anderen Abteilungen eines Krankenhauses direkt oder indirekt betroffen. Was macht die Anästhesie z. B. ohne Chirurgie? Die chirurgische Abteilung am Krankenhaus Schlanders braucht weiterhin einen nur für dieses Haus zuständigen, motivierten Primar, der für einen guten Routinebetrieb sorgt, und vielleicht zudem etwas „anbietet“, womit man sich von anderen Häusern abheben könnte. Dies kann nicht nur für junge Ärzte attraktiv, sondern außerdem auch „wirtschaftlich“ gut sein. Zudem muß man in Schlanders für eine Notversorgung gewappnet sein. Ein Magendurchbruch und ein Dickdarmdurchbruch, z. B. solche akuten Notsituationen, sollten im Krankenhaus Schlanders machbar sein, sonst werden sich junge ­Ärzte nicht dafür interessieren, und schon gar nicht Fachärzte. Was der uns allen bekannte und von uns geschätzte Prof. Hans von Elzenbaum zu diesen Überlegungen sagen würde, können wir uns gut vorstellen. Was macht die Attraktivität einer Krankenhaus-Abteilung aus? Das Wesentliche für ein gutes Funktionieren und für die ­Attraktivität einer Abteilung eines Krankenhauses sind - wie übrigens in jedem Betrieb - nicht in erster Linie das Geld, sondern viel mehr die Motivation, die Wert­schätzung, und nicht zuletzt auch die politische Unterstützung. Das gilt generell und betrifft nicht nur das Krankenhaus Schlanders. Und ich appelliere hier an die Zuständigen! Wir haben so gute Ärzte in Südtirol! Versuchen wir es doch einmal mehr mit Motivation, damit wir sie erhalten können, damit sie nicht resignieren, und damit wir einmal gute Ärzte haben, wenn wir sie selber brauchen. Die Aushöhlung vom Krankenhaus Schlanders ist dazu nicht der richtige Weg.   Interview: Sepp Laner
Josef Laner
Josef Laner
Vinschger Sonderausgabe

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