Bauernbunddirektor Siegfried Rinner: Der Direktor klärt auf
fotos: SBB

„Man muss die Courage haben, miteinander zu reden“

Publiziert in 40 / 2011 - Erschienen am 9. November 2011
Siegfried Rinner, 41, gelernter Förster, seit 2006 Direktor des Südtiroler Bauernbundes, hat seine Wurzeln in dem Bezirk, der am meisten landwirtschaftlich ausgerichtet ist, dem Vinschgau. Vom Stamm ist er ein „Berger“, in kleinbäuerlichen Verhältnissen auf „Dorna“, Vorhöfe zwischen Latsch und Martell aufgewachsen. Nach Kindergarten und Volksschule in Martell besuchte er die ­Mittelschule in Schlanders, weil der Bus nicht nach Latsch fuhr. Siegfried Rinner ist SVP-Mitglied der Ortsgruppe Laas, weil nach der Hofteilung seine Eltern dorthin gezogen sind. Für den fleißigen Oberschüler war das Priesteramt vorgesehen, aber schon mit 12 wollte er Förster werden. Die Uni für Bodenkultur in Wien hat er mit einer Arbeit über Schälschäden im Forstinspektorat Schlanders abgeschlossen. von Günther Schöpf „Der Vinschger“: Wie sieht man im Bauernbund die Vinschger Bergbauern? Siegfried Rinner: Jedes Gebiet hat Stärken und Schwächen, aber im Vinschgau sehen wir, wie die Bauern mit Milchproduktion stark unter Druck kommen, sei es durch den Obstbau, sei es generell durch die langen Transportwege. Der Vinschgau hat vor allem strukturelle Probleme. Im Pustertal ist die Produktion pro Betrieb durchschnittlich um ein Drittel größer als im Vinschgau. Gibt es ein typisches Vinschger Bergbauernproblem? Siegfried Rinner: Sicher die kleinen Strukturen, aber auch die allgemeine Wirtschaftsschwäche. Die attraktiven Arbeitsplätze fehlen, das sagt auch die jüngste Studie der Handelskammer und das haben die Vinschger ja immer gewusst. Man braucht ja nur die Statistik der durchschnittlichen Steuereinnahmen der Gemeinden hernehmen. Unter den zehn Letzten befinden sich sieben oder acht Mal Vinschger Gemeinden. ­Schade, dass der Vinschgau aus der Leader-Förderung gefallen ist. Wenigstens gibt es für Martell noch Mittel über die Regionalentwicklung. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand von den Initiativen der Regionalentwicklung im Tal gehalten werden kann? Siegfried Rinner: Das kann man nur, wenn man in diesen Tälern Arbeitsplätze schafft. Ich bin dafür, vor Ort die Arbeitsplätze zu schaffen und dafür bieten sich zwei Sektoren an. Einmal der Tourismus. Dort wäre es am einfachsten, weil die Kunden kommen und weil man die Abgeschiedenheit auch als Kapital verwerten kann. Und dann eben die Landwirtschaft. Auch dort liegt das Kapital vor Ort, in Grund und Boden. Wenn es in Martell gelingt, mit der VI.P etwas aufzubauen, die Wertschöpfungskette zu verlängern, ein Konzept zu erarbeiten... Sie denken an die „Erdbeerwelt“? Siegfried Rinner: Ja, genau. Vor allem die Tourismusförderung muss hier auch ansetzen. Die qualitative Erweiterung in Martell muss der öffentlichen Hand halt mehr wert sein als in den Tourismushochburgen wie Gröden, wo sich die Gäste gegenseitig auf die Füße steigen. Was sagt man im Bauernbund über das Bauerntum in „Planeil“? Siegfried Rinner: Wenn sich die Orts­gruppe bemüht und wenn Ideen sich entwickeln, werden wir unterstützen und beraten. Wir versuchen den Bauer als Unternehmer zu sehen und ihn nach Kräften zu unterstützen. Wir haben das Projekt Urlaub auf dem Bauernhof, Produktveredelung, Produktvermarktung, Hofschank, Buschenschank. In allen diesen Bereichen hat der Vinschgau noch Nachholbedarf und hätte auch Luft dafür. Es muss aber der Wille der Menschen sein, die dort wohnen. Wenn alle die Hände in die Hosentaschen stecken und warten, bis was passiert, dann stehen wir auf der Stufe von Süditalien. Aber in Planeil gibt es immer weniger ­Bauern. Siegfried Rinner: Es fehlen nicht nur die Bauern, es fehlen überhaupt die Menschen. Und wer soll in Zukunft Hänge mähen oder Wege erhalten? Siegfried Rinner: Wenn Höfe geschlossen werden, werden die flachen Wiesen noch eine Zeitlang vom Nachbarn mit gemäht. Niemand will aber mit der Sense in die steilen Hänge. Die Landschaft wird sich verändern. Sicher nicht zum Positiven. Auch die Lebensumstände der nicht bäuerlichen Bevölkerung werden sich ändern. Das ist der kürzlich veröffentlichten Studie der Handelskammer ja zu entnehmen. Dann muss man sich mit den Menschen zusammen tun und schauen, was da ist, was die Potenziale sind. Am Beispiel Planeil sieht man, dass auch innerhalb einer Gemeinde große Unterschiede bestehen. Der Hauptort ent­wickelt sich positiv…. Also wird sich der Wald wieder seinen Raum zurück erobern? Siegfried Rinner: Ja, sicher. Wir und ich selbst bin aber nicht bereit, den Wirtschaftsraum einfach aufzugeben. Ich glaube, wir können es uns auch nicht leisten. Wir haben ja nur ganz wenig Fläche und hohe Siedlungsdichte. Es wird sich der Druck auf die Schwerpunktgemeinden erhöhen. Die haben ja auch schon enorme Schwierigkeiten. Mit dem Ausweisen von Bauzonen? Siegfried Rinner: Genau. Es wird auch für die Schwerpunktgemeinden wichtig, die Randgemeinden oder Randräume zu unterstützen. Wenn wir da einen neuen Verbund schaffen könnten… Es war zum Beispiel ein richtiger Schritt, dass sich Martell und Latsch zusammen geschlossen haben. Beide Gemeinden profitieren. Zur wirtschaftlichen Entwicklung braucht es aber einen intensiveren Austausch. Es bräuchte vor allem ein paar gute Ideen. Jetzt haben wir noch die Menschen draußen. Sobald die weg sind, wer soll dann noch was umsetzen? Da können wir in Bozen uns einfallen lassen, was wir wollen. Es gibt keine Leute mehr. Brennpunkte Buschenschank und Urlaub auf dem Bauernhof. Wie ist die Situation im Vinschgau? Siegfried Rinner: Der Vinschgau ist ein schwaches Gebiet, touristisch und generell. Gerade mal 114 Urlaub auf dem Bauernhof-Betriebe von 1.481 in Südtirol stehen im Vinschgau. Ähnlich ist es bei den Hofschänken. Ich sehe da noch großes Entwicklungspotenzial. Erst, wenn sich mehr daran beteiligen, werden sie wahrgenommen. Da ist für den Vinschgau noch viel drin. Die Diskussion auf Landesebene ist längst eine unselige Neiddiskussion. Einem Sektor, der so viel für die touristischen Grundlagen tut, werden nicht einmal 3,5 Prozent der Wertschöpfung im touristischen Bereich zugestanden. Das ist nicht mit Kanonen auf Spatzen, sondern auf Stubenfliegen ge­schossen. Hat der HGV nicht irgendwie Recht, dass da Beiträge der öffentlichen Hand geflossen sind und dass unlautere Konkurrenz entsteht? Siegfried Rinner: Beiträge fließen auch im Gastgewerbe und Beiträge fließen im Handwerk. Die Summe, die für Urlaub auf dem Bauernhof ausgegeben wird, beträgt maximal 20.000 bis 30.000 Euro in fünf Jahren. Einmalig oder für jede Wohnung? Siegfried Rinner: Für eine Ferienwohnung. Wenn ich mehr baue, bleibt der Beitrag derselbe. Eine Wohnung kostet aber 100.000 bis 150.000 Euro. Diese Beiträge sind auf keinen Fall wettbewerbsverzerrend. Abgesehen davon, dass wir ein ganz anderes Publikum ansprechen als die gewerblichen Betriebe. Und von der Steuer-Diskussion gar nicht zu reden. Ich habe dem HGV-Vorstand schon vorgeschlagen, dass wir sie unter­stützen, damit kleinere Betriebe das gleiche Steuersystem wie die Betriebe mit Urlaub auf dem Bauernhof bekommen. Deren Umsatz ist zu 25 Prozent der direkten Steuer unterworfen und Abschreibungen sind keine möglich. Wenn einer einen Umsatz von 1 Million macht, dann unterwirft er 250.000 Euro der direkten Steuer. Ich möchte sehen, wer da mitmacht. Im gewerblichen Betrieb ist natürlich die Abschreibung das Wesentliche und ein Bauer schreibt nichts ab, gar nichts. Dies ist der wesentliche Unterschied. Ähnlich bei der Mehrwertsteuer. Nur 50 Prozent kann er verrechnen. Da möchte ich schauen, was ein gewerblicher Betrieb tut, wenn er investiert und nur 50 Prozent der Mehrwertsteuer weitergeben darf. Viele fordern noch Mehrwertsteuer zurück. Wenn ich aber sage, dass ich keine Abschreibungen habe, weil ich nichts investiert habe, dann muss ich mir die Frage stellen, ob da der Urlaub auf dem Bauernhof Schuld ist, dass ich kein Geschäft mache. Vielleicht habe ich nichts investiert, weil ich qualitativ so zurückgeblieben bin, dass einfach die Aus­lastung schlecht ist. Wir haben angeboten, vor allem für die klein strukturierten Betriebe gemeinsam etwas zu unternehmen. Der HGV und wir. Dass wir so etwas wie eine Charta für kleine Betriebe machen. Dass man schaut, die Öffnungszeiten der Bars zu liberalisieren, damit sie wirtschaftlicher arbeiten können. Dass Lizenzen umgeschrieben werden können. Wer früher gewerblich gearbeitet hat, soll zum nicht-gewerblichen Betrieb werden können und – wenn er will oder ausgebaut hat – auch wieder zurück kommen. Einfach flexibel sein. Wir haben uns Gedanken gemacht, wie man weiterhelfen könnte. Vonseiten des HGV-Vorstandes ist da nichts zurück gekommen. Deswegen, irgendwann muss man einsehen… Es ist nicht meine Aufgabe, für andere zu kämpfen, deren Verband nichts tut oder wenig tut. Wir sind immer noch kompromissbereit, sie nach wie vor nicht. Erhalten die Bauern nicht auch noch Förderungen, um Unterkünfte für Klauber zu bauen, die sie in der übrigen Zeit als Ferienwohnungen nutzen? Siegfried Rinner: Nein. Wenn jemand für Urlaub auf dem Bauernhof ansucht und den Beitrag erhält, dann ist es Aufgabe der Gemeindeverwaltung, dies auch zu kontrollieren, ansonsten liegt eine Zweckentfremdung vor. Bei über 6 ha Obst/Wein bekommt der Bauer sowieso nichts mehr. Bei über 4 ha bekommt niemand Förderung für Urlaub auf dem Bauernhof. Ab 6 ha bekommt kein Obstbauer auch nur einen Euro, weder für Maschinen, noch für Gebäude, noch für sonst was. Er bekommt auch keine EU-Förderung? Siegfried Rinner: Er bekommt das, was über die Genossenschaften geht, also für Schädlings-Verwirrung, für Umweltmaßnahmen... Die Genossenschaften legen operationelle Programme vor. Er bekommt keine EU-Förderung außer einen Beitrag zur Hagelversicherung, den bekommt er schon. Da zirkulieren aber ganz andere Stimmen und Gerüchte. Da redet man von Zuweisungen pro Hektar auch für große Obstbauern. Siegfried Rinner: Für Bio vielleicht. Für den biologischen Obstbau gibt es Beiträge aus dem EU-Umweltprogramm, aber nicht über die Genossenschaften, sondern über das Land. Diese Materie ist sehr komplex. Die EU lässt sich für 4,1 Prozent des Umsatzes Investitionsprogramme vorlegen, die dann zu 50 Prozent gedeckt werden, zur Förderung des Genossenschaftswesens. ­Diese kommen direkt aus dem EU-Topf und kosten das Land nichts. Unsere Genossenschaften sind super organisiert und haben diese Möglichkeiten seit etwa 1997 sehr gut ausgenützt. Unter der nichtbäuerlichen Bevölkerung herrscht vielfach die Überzeugung, dass die Obstbauern alles, aber auch alles gefördert bekommen. Siegfried Rinner: Wir sagen es immer unseren Mitgliedern. Redet‘s mit den Leuten! Wir kennen uns ja alle auf dem Land. Redet’s nicht nur über die Zeitungen… Man muss die Courage haben, nicht übereinander zu reden, sondern miteinander. Das versuche ich, das versuchen wir. Wir sagen den Bauern: Scheut‘s die Gespräche nicht, sucht‘s die Gespräche! Es gibt viele Argumente. Es ist halt schwer, vier Kindern zu erklären, dass sie kein Anrecht auf kostenlose Schulbücher oder Stipendiem haben, die zwei Kinder des Landwirts mit Villa in der Nähe aber sehr wohl. Siegfried Rinner: Das muss jetzt aber schon einige Jahre her sein. Inzwischen hat sich sehr viel geändert. Die ganze Erhebungsmethode hat sich geändert. Jetzt wird ein Pauschalertrag pro ha angenommen. Das sind 6.000 Euro, das wäre der Gewinn. Einer mit 4 ha Obst hat demnach 24.000 Euro verdient. Hat er einen Buschenschank, dann kommt der dazu. Die Zeiten, wo in der Steuererklärung stand: Bauer. Einkommen Null, sind längst vorbei. Dabei muss man sich vor Augen halten. Wenn ich 4 ha habe und auf einem Hof lebe, dann ist dies ein Familieneinkommen, da arbeitet die ganze Familie, um das zu erwirtschaften. Daher kann ich das vergleichen mit dem Einkommen zweier Arbeitnehmer. Sagen Sie mir noch, wie unterscheidet man im Bauernbund zwischen Berg- und Talbauer? Wo hört der Talbauer auf und wo fängt der Bergbauer an? Siegfried Rinner: Bauer ist Bauer. Wir haben eine derartige Vielfalt in der Landwirtschaft und wenn wir da anfangen zu unterscheiden, würde das nie aufhören. Wichtig ist, bei Unterstützungen zu unterscheiden. Und da wird sehr stark differenziert. Die Förderungen gehen ja fast zu 100 Prozent in die Grün- und Berglandwirtschaft und dort auch verstärkt nach Kriterien wie Steilheit und anderen Erschwernispunkten. In dieser Beziehung sind wir anderen Sektoren einen großen Schritt voraus. Während ein Handwerker in Hintermartell gleich viel bekommt wie einer in Bozen-Süd oder ein Hotelier in Graun gleichviel wie einer in ­Kastelruth, haben wir uns davon schon seit 30 Jahren verabschiedet. Aber ein Bauer ist doch wunderbar ab­gesichert, während viele Lohnempfänger recht oft durch‘s soziale Netz fallen. Siegfried Rinner: Wir haben viele Organisationen, die beistehen und die Bauern begleiten, nicht nur den bäuerlichen Notstandsfonds, der übrigens auch anderen Familien hilft, auch die Bauernjugend, die Bäuerinnen, die Senioren im Bauernbund und die vielen anderen Verbände. Da haben unsere Vorgänger schon sehr viel Weitblick bewiesen. Es ist eine Stärke Südtirols, dass es eine ausgewogene, sozial-wirtschaftliche Situation aufweist. Das wollen wir erhalten. Wir sehen den Bauern als Unternehmer, den wir fördern und der sich an einem einmaligen Weiterbildungsangebot bedienen kann. Zu einem ganz anderen Thema. Es ist ja längst kein Geheimnis mehr, dass da jemand dabei ist, in die Politik einzusteigen. Wie weit ist man da schon? Siegfried Rinner: Wir sind früh dran mit solchen Diskussionen. Die Frage kommt jetzt aber öfters. Derzeit ist der Politiker-Beruf nicht sehr geachtet. Mir kommt vor, den Satz „Die Revolution frisst ihre Kinder“ kann man umwandeln in „Die Politik frisst ihre Kinder“. Wahrscheinlich ist die Politik auch so gestaltet worden, dass sie an Attraktivität verloren hat. Es gibt auch kaum mehr Respekt vor einem Politiker. Eine neue Generation kann es anders machen. Die Volksnähe ist auch schon übertrieben…. „Die Politik frisst ihre Kinder“ Im Gegenteil, das Volk scheint weit weg zu sein. Siegfried Rinner: Ich glaube, unsere Politik braucht Frischluft. Da müssen die Fenster weit auf gerissen werden, damit Durchzug entsteht. Ich hoffe, dass sich möglichst viele, junge Leute bereit erklären, in die Politik einzusteigen. Ich für meinen Teil bin sehr praxisorientiert und finde derzeit gute Absichten, aber wenig konkrete Vorschläge. Wichtig ist die Bereitschaft zur Diskussion und die wird der Obmann schon weiterbringen. Zurück zur Person Siegfried Rinner. Da gibt’s ja schon die schönsten Spekulationen. Das Erbe von Hans Berger ist nicht einmal die höchste Stufe, die im Gespräch ist. Siegfried Rinner: Da wird man natürlich von vielen als Spielball benutzt. Da ist am besten, man lehnt sich zurück, schaut dem Treiben gelassen zu. Der Bauernbund ist in sich gefestigt genug, eigenständige Entscheidungen zu treffen. Ich selbst hab einen wunderbaren Job, also besteht kein Druck für mich, in die Politik einzusteigen.
Günther Schöpf
Günther Schöpf
Vinschger Sonderausgabe

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