„Man muss selbst etwas los machen“

Publiziert in 21 / 2014 - Erschienen am 5. Juni 2014
Bauer, Waldarbeiter, Mesner, Schnitzer, Totengräber, waschechter Trafoier und - wenn das Wetter schlecht ist - auch „Schriftsteller“ Trafoi - „Geboren am 5.12.1943 in Trafoi um fünf Uhr abends. Es war Sonntag, Krampustag. Der Vater war im Krieg. Wie man mir sagte, war es eine schlechte Zeit. Von den eigenen Lebensmitteln musste man fast alles abgeben. Mehl, Zucker oder Reis war nur mit Karte zu bekommen. Als dann der Krieg zu Ende war, wurde es besser. Wir hatten Milch, Fleisch und Mehl bekam man auch zu kaufen. Brot backten wir alle zwei Monate selbst. Mit weniger als 6 Jahren musste ich in die Schule.“ So beginnen die Aufzeichnungen von Josef Mazagg über sein Leben. Sie befinden sich am Ende eines dicken Ordners mit Niederschriften und seltenen Fotos. Zu Beginn ist ein langer Absatz über Johann Georg Mazagg zu finden, den Urgroßvater von Josef Mazagg, der 1838 geboren wurde, die Bergführerprüfung ablegte und am Bau der Payerhütte beteiligt war. Auch alles, was er über seine Urgroßmutter, seine Großeltern und nachkommenden Generationen in Erfahrung bringen konnte, schrieb Josef Mazagg auf. Zusätzlich zu den Lebensgeschichten seiner Vorfahren möchte Josef Mazagg alles festhalten, was über sein Heimatdorf geschrieben wurde. Und auch das, was er von Trafoiern gehört oder erfragt hat, sollte nicht verloren gehen. Flurnamen zum Beispiel. „Ich wette, dass hier in Trafoi fast niemand mehr weiß, wo das ‚Lausbödele’ ist,“ sagt Josef Mazagg. Er bedauert es sehr, dass er sich von seiner Mutter, als sie noch lebte, nicht viel mehr über Trafoi und die Menschen hat erzählen lassen: „Wenn alte Menschen sterben, nehmen sie oft auch viel Wissen mit ins Grab.“ Die Liste der Flurnamen, die ­Mazagg bisher zusammen tragen konnte, ist lang. Auf einem eigenen Blatt hat er die Namen der 48 Kehren der Stilfserjochstraße aufgezeichnet. Die Kehren der Stilfserjochstraße haben alle einen Namen So gibt es etwa die „Parkplatzried“, das „Süße Löchl“, die ­„Innere Schaftalried“, die ­„Kalkofenried“ oder die „Schlogried“. Dem Festhalten seines Wissens, seiner Erinnerungen und seiner Erfahrungen widmet sich der ­Trafoier „Ureinwohner“ aber meistens nur dann, wenn das Wetter schlecht ist, denn sonst hat er andere Arbeiten zu verrichten. Und das sind nicht wenige. Das war schon in seiner Jugendzeit so: „Jugend hatte ich praktisch keine. Ich war immer mit Arbeit ausgelastet.“ Wenn ihm andere Leute sagten, sie wüssten nicht was tun, antwortete er: „Und ich weiß nicht, was ich zuerst tun soll.“ Die Schule besuchte Josef Mazagg zunächst in der „Bar Sport“, später im Hotel „Madatsch“ (dort, wo heute das Büro ist) und dann im Pfarrhaus, bis er ausschulte. „Dann begann der Alltag des Lebens“, schreibt er in seinem Lebenslauf. Beruf durfte er keinen lernen - er wäre gerne Schnitzer oder Tischler geworden -, „denn ich wurde zu Hause gebraucht.“ Mit 16 Jahren begann er als Waldarbeiter, mit 18 wurde er zudem Mesner. Totengräber seit dem 16. Lebensjahr Ebenfalls seit dem 16. Lebensjahr ist er Totengräber. Er schätzt, seither für etwa 90 Prozent aller in Trafoi verstorbenen Menschen das Grab geöffnet zu haben. Zwei Jahre lang arbeitete Josef Mazagg auch in der Schweiz, 25 Jahre lang war er im Winter beim Skilift in Trafoi beschäftigt. Diese und weitere Beschäftigungen kamen zur eigentlichen Arbeit als Bauer dazu. An Arbeit fehlte es dabei wahrlich nicht. Zumal rund ca. 5 Hektar Grünwiesen zum Jörgele-Hof gehören, war schon allein das Ausbringen des Mists ein zeitraubendes Unterfangen. „Fast einen Monat lang brauchten wir früher, um den Mist mit den Kühen zu ‚reibm’ (‚keglen’). Heute schaffe ich das bei gutem Wetter mit meinem Einachser in zwei Tagen“, so Mazagg. Die maschinelle Ausstattung ist auch heute noch sehr begrenzt: „Ich habe nur den Einachser und eine Mähmaschine.“ Das heißt im Umkehrschluss, dass Josef Mazagg und seine Frau Karolina, die aus Planeil stammt, nach wie vor viel Handarbeit verrichten. Wovon Josef Mazagg nichts hält, ist Jammern und Unzufriedenheit. Zur Feststellung, dass immer mehr junge Menschen Trafoi verlassen, meint er: „Viele junge Leute sagen, hier ist nichts los. Auch draußen im Tal ist nichts los. Nirgends ist etwas los, man muss eben selbst etwas los machen.“ Niemand hat gejammert Es habe in Trafoi zwar eine Rückwärtsentwicklung gegeben – „früher hatten wir zum Beispiel 3 Lifte im Dorf, jetzt gibt es nur noch ein Kinder-Bandl“ – doch man habe „flott“ gelebt und keiner habe gejammert, auch wenn es keine Beiträge gab und die alten Leute keine Rente bekamen. Besser und gewinnbringender ab­setzen konnte man früher auch die Hofprodukte Milch, Butter und zum Teil auch Käse. Mazagg: „Wir verkauften alle Produkte an die Gasthäuser und Hotels.“ Das hat sich im Laufe der Zeit geändert. Aus der Milch der 4 bis 5 Kühe am Hof wird Butter erzeugt, während die Buttermilch an die Kälber und Schweine verfüttert wird. Auch Ziegen, Hennen und hin und wieder Schafe sind am Hof anzutreffen. Und was wächst im Garten auf fast 1.600 Höhenmetern? Josef Mazagg: „Wenn man etwas pflanzt, wächst es auch.“ Vor drei Jahren hat er Korn angebaut, „das sehr gut gedieh und voll ausreifte. Im Vorjahr habe ich auf derselben Fläche fast doppelt so viele Kartoffeln geerntet wie im Jahr vorher.“ Dass er auch das neue Haus am Hof fast gänzlich in Eigenregie erbaut hat, erwähnt Mazagg nur so nebenbei. „Das alte Haus ist besser als jedes Klimahaus“ Das alte Haus mit seiner originalen Selchküche und einer schönen getäfelten Stube stammt übrigens aus dem 16. Jahrhundert. Es müsste zwar saniert werden, „sonst aber ist dieses alte Haus besser als jedes Klimahaus“, ist der Trafoier überzeugt. Am ­Jörgele-Hof sind übrigens 6 Kinder aufgewachsen: Gerda, Karin, Johann, Christian, Andrea und Bernhard. Seine Vorliebe für alles, was mit Holz zu tun hat, brachte Josef Mazagg auch zum Schnitzen. Während des Militärdienstes fertigte er Kreuze an und schmückte damit leere Flaschen aus. Wenn er beginnt von früheren Zeiten zu reden, erzählt er von vielen Dingen, die es nicht gab: Fernseher, Waschmaschine und, und, und. Was es im Gegensatz zu heute früher viel öfter gab, war ein gemütliches Zusammensitzen nach Feierabend oder das Zuhören, wenn alte Leute dies und jenes erzählten. Telefone gab es einst nur in wenigen Gasthäusern. Apropos Telefon: „Als sie auf unseren Wiesen seinerzeit zwei Telefonmasten aufstellten, bekamen wir dafür keine Entschädigung, durften aber zweimal im Jahr kostenlos telefonieren.“ Gut zugehört hat Josef Mazagg, als man ihm in jungen Jahren von der Lawinenkatastrophe erzählte, von der Trafoi am 25. März 1937 heimgesucht wurde. Die Lawine richtete gewaltige Schäden an. Dass niemand verletzt oder gar getötet wurde, ist laut Josef Mazagg ein Wunder: „Nicht eine Henne kam ums Leben.“ Der Pfarrer Josef Penz soll gesagt haben: „Wenn ich im Jenseits etwas machen kann, dann werde ich dafür sorgen, dass so was nie wieder passiert.“ Auch für das Allgemeinwohl brachte Josef Mazagg Zeit und Einsatz auf. Vor über 20 Jahren gründete er zusammen mit Alfred Thöni die Gruppe Trafoi der Freiwilligen Feuerwehr Stilfs. Sepp
Josef Laner
Josef Laner
Vinschger Sonderausgabe

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