Mehr als nur „Knöllchen“ schreiben
Was es mit der Vinschger Ortspolizei auf sich hat.
SCHLANDERS - „Freilich, der Respekt der Bürger ist leider weniger geworden. Eine Amtsperson ist für viele nicht mehr das, was sie mal war. Aber natürlich machen wir unseren Job gerne, sonst wären wir nicht immer noch dabei“. Das sagen Christian Obwegeser und Christoph Horrer. „Dorfpolizisten“ sind die Beiden seit mittlerweile fast 20 Jahren. Obwegeser in Schluderns, Horrer in Schlanders.
Heute sind sie Teil der Ortspolizei im Vinschgau. Besser gesagt, sie koordinieren diese. Denn in den vergangenen Jahren hat sich im Ortspolizeiwesen auf Gemeindeebene im Vinschgau so einiges getan. Aufgrund einer Vereinbarung aller Gemeinden im Vinschgau sind die Ortspolizisten bei der Ausübung der Tätigkeiten nicht mehr an ihre jeweilige Gemeinde gebunden. Die Zusammenarbeit zwischen den 13 Gemeinden der Bezirksgemeinschaft Vinschgau wurde stetig ausgebaut. Man kann fast von einem beispielhaften System, mit Vinschger Pionierarbeit, sprechen.
Die Anfänge
Aber der Reihe nach: Alles begann bereits in den Jahren 2003, als einige Gemeinden untereinander Vereinbarungen abgeschlossen haben. Aufgrund von immer mehr Großereignissen wie zum Beispiel den „Sealamorkt“, den Reschenseelauf, der Ritterspiele, den Ortler Bike Marathon, den Stilfserjoch-Radtag, den „Giro d’Italia“ und weiteren, wurde eine Vereinbarung für alle Gemeinde in der Bezirksgemeinschaft Vinschgau angestrebt. Diese ist dann im Jahr 2012 abgeschlossen worden. „Jeder Vinschger Ortspolizist kann somit in allen Gemeinden der Bezirksgemeinschaft seine Tätigkeit ausüben. Seit Beginn dieses Jahres sind auch die Gemeinde Naturns und Plaus Teil dieser Vereinbarung“, erklärt Christoph Horrer. Somit ist, bis auf die Gemeinde Partschins, die mit der Stadtpolizei Meran zusammenarbeitet, fast der gesamte geografische Vinschgau abgedeckt.
12 Ortspolizisten
Derzeit gibt es im Vinschgau 12 Ortspolizisten, und zwar jeweils einen in Mals, Schluderns, Prad, Laas, Latsch und Kastelbell-Tschars sowie drei in Schlanders und zwei in Naturns. Der Glurnser Ortspolizist ist zur Zeit nach Schlanders abkommandiert. In Mals wurden kürzlich zwei neue Stellen ausgeschrieben. Keinen eigenen Ortspolizisten haben die Gemeinden Graun, Taufers im Münstertal, Stilfs, Martell, Schnals und Plaus. Diese können die Ordnungshüter von den Nachbargemeinden sozusagen „leihen“, gegen stündlicher Bezahlung und je nach Bedarf. Neben Horrer, der für den unteren Vinschgau, von Schlanders bis Plaus zuständig ist, koordiniert Christian Obwegeser im oberen Vinschgau die Ordnungshüter. In der Bezirksgemeinschaft Vinschgau fungiert Generalsekretär Urban Rinner als Ansprechpartner für den Ortspolizeidienst, wenn es um die politische Seite geht.
Einheitliches Erscheinungsbild
Im Gemeindenverband wurde 2013 ebenfalls eine Fachgruppe gebildet, welche unter anderem prüft, wie die gemeindeübergreifende Zusammenarbeit der Ortspolizei in Zukunft ausschauen könnte. Ein Leistungsverzeichnis für die einheitliche Uniformierung und Ausrüstung, sowie einheitliche Beschriftung der Fahrzeuge wurde somit ausgebarbeitet und auch die einheitliche Bezeichnung Ortspolizei eingeführt.
„Sinnvolle Zentralisierung“
„Es gibt zwar etwas Ähnliches in Bruneck, Brixen und in Meran, wo die Ortspolizei einige weitere Gemeinden betreut, das System, wie wir es hier im Vinschgau haben, ist aber schon einzigartig“, betont Horrer. Die Ortspolizisten sind nach wie vor Angestellte der eigenen Gemeinde. Um diese zu entlasten und damit Zeit für die eigentlichen Aufgaben zu gewinnen, wurde im Jahr 2013 das zentrale Abfindungsbüro in der Bezirksgemeinschaft Vinschgau eingerichtet. Dort werden die Verwaltungsstrafen bezüglich Straßenverkehrsordnung bearbeitet, Rekurse abgehandelt und alle dazugehörigen bürokratischen Angelegenheiten wie Zahlungen, einige Steuerangelegenheiten, Zwangseintreibung, Punkteabzüge am Führerschein und dergleichen erledigt. Zudem werden sämtliche Gerätschaften, wie Geschwindigkeitsmessgeräte und viele weitere von der Bezirksgemeinschaft verwaltet. „Eine mehr als sinnvolle Zentralisierung. Es spart Kosten, Zeit und Nerven“, lobt Horrer. In der täglichen Arbeit der Ordnungshüter gebe es durch die Synergien zahlreiche Vorteile. „Natürlich ist noch nicht alles ausgereift, es braucht laufend Anpassungen, aber wir sind auf einem guten Weg“, bestätigt auch Obwegeser. Ein großer Nachteil sei jedoch, dass die Ortspolizei unter chronischer Unterbesetzung leide. „Die zwei ausgeschriebenen Stellen in Mals sind zumindest ein Anfang“, so Obwegeser.
Immer mehr Zuständigkeiten
Mit der Zentralisierung sei man dem Wandel der Zeit gerecht worden. „Auch die staatlichen Organe leiden unter Personalmangel. So wird immer mehr Arbeit auf uns abgewälzt“, betont Horrer. Durch die in den letzten Jahren von der Regierung erlassenen Sicherheitsdekrete wurden zu den ohnehin schon bestehenden Zuständigkeiten im Bereich der öffentlichen Sicherheit weitere Aufgaben hinzugefügt. Diese müssen die Gemeinden mit eigenem Personal bewältigen. Für die Sicherheit der Gemeinde und damit für die Ortspolizei ist in erster Linie nämlich der Bürgermeister verantwortlich. „Und dann kommen wir ins Spiel und kümmern uns darum, dass die Gesetze eingehalten werden“, erklärt Horrer. Habe sich die Arbeit eines Ortspolizisten in Zeiten der „Gemeindepolizei“ noch vor allem darauf beschränkt, Parkplätze zu kontrollieren und Verkehrskontrollen durchzuführen, ist es mittlerweile weitaus komplizierter. So wird die Ortspolizei immer öfter für die Erhebung bei Unfällen angefordert. Zudem gelte es einige Arbeiten, welche früher fast ausschließlich von anderen staatlichen Organen durchgeführt wurden, zu erledigen - zum Beispiel im Bereich der Gerichtspolizei. „Heute kann es schon mal vorkommen, dass man Ermittlungen für die Staatsanwaltschaft vornehmen muss“, sagt der Schlanderser Ortspolizist.
Vielfältige Tätigkeit
Die Aufgaben der Ortspolizei sind sehr vielfältig. Sie wacht darüber, dass die einschlägigen Gesetze, Verordnungen und andere Vorschriften verwaltungsrechtlicher Natur eingehalten werden. Insbesondere gehe es hierbei um die Vorschriften über das Ortspolizeiwesen, den Straßenverkehr, der Gerichtspolizei, das Bau- und Städtebauwesen, den Umweltschutz, das Gesundheitswesen, den Handel, die Gaststätten und andere der Öffentlichkeit zugängliche Betriebe sowie öffentliche Veranstaltungen. Außerdem leisten sie Katastrophenhilfe - im Einvernehmen mit den zuständigen Behörden - sowie eben Hilfe bei Unfällen, die einzelne Personen betreffen. Die Ortspolizei informiert, sammelt Informationen, überprüft, stellt Erhebungen an und führt weitere Aufgaben im Sinne der einschlägigen Gesetze oder Verordnungen aus, die von den zuständigen Behörden angefordert werden. Es werden auch Ordnungs-, Aufsichts- und Begleitdienste im Rahmen der institutionellen Befugnisse sowie Aufgaben der Gemeinden durchgeführt.
Zudem werden Wohnsitzkontrollen für das Meldeamt durchgeführt. „Es gibt schon sehr viel zu tun. Das sieht der Bürger nicht immer, manch einer meint, wir müssen nur Knöllchen ausstellen. Aber es steckt einiges mehr dahinter“, berichtet Horrer. Außerdem komme noch die Verkehrserziehung in den Schulen hinzu. „Auch Sensibilisierung ist stets ein wichtiges Thema“, weiß Horrer.
Viele Unsicherheiten
Oft seien die Ordnungshüter selbst auch mit Unsicherheit konfrontiert. Die Gesetze seien oft schlecht formuliert, deshalb brauche es zum Gesetz meistens mehrere Rundschreiben und Klarstellungen. Als Beispiel nennen die Ortspolizisten die Änderung der Straßenverkehrsordnung im Rahmen des kürzlich erlassenen Sicherheitsdekrets. Zur Erinnerung: Die Straßenverkehrsordnung sieht nun vor, dass in Italien ansässige Personen kein Fahrzeug mit ausländischem Kennzeichen fahren dürfen. „Das ist typisch für den italienischen Staat, es werden Bestimmungen rausgehauen und es sind noch viele Unklarheiten da. Normalerweise gibt es auch nach einem Gesetzeserlass schnell ein Rundschreiben, hier kam das alles mit mehrwöchiger Verspätung“, ärgert sich Horrer. Und auch im 50-seitigen Rundschreiben seien noch einige Unklarheiten vorhanden, wie Obwegeser ergänzt. Aber das Gesetz sei klar. „Wer länger als 60 Tage in Italien ansässig ist und mit einem ausländischen Kennzeichen unterwegs ist, bis auf Ausnahmen wie Leasing, Miet- oder Firmenwagen macht sich strafbar“, so Horrer. Empfindliche Geldstrafen und sogar eine Beschlagnahme des Fahrzeuges seien vorgesehen.
Überhaupt sei heute vieles schwieriger geworden. „Wenn man auf der Straße unterwegs ist, dann muss man schon fast ein halber Rechtsanwalt sein“, betont Obwegeser. Die Bestimmungen, die komplexen Gesetze, die Rundschreiben dazu und vor allem die vielen laufenden Gesetzesänderungen sind für die Ordnungskräfte eine Herausforderung. „Man darf sich als Polizist keinen Fehler mehr erlauben“, weiß Obwegeser. Die laufenden Fortbildungsveranstaltungen des Gemeindenverbandes seien dabei ein große Hilfe.
Wie wird man Ortspolizist?
Hinzu komme die personelle Unterbesetzung, welche die Arbeit alles andere als erleichtere. Mit der Ausschreibung neuer Stellen, vorerst in Mals, hoffe man auf Besserung. „Der Beruf selbst ist auf jeden Fall spannend“, so Horrer und Obwegeser unisono. Aber wie wird man überhaupt Ortspolizist? „Je nach Funktionsebene sind gewisse Anforderungen zu erfüllen, wie Zweisprachigkeitsnachweise, der Besuch einer dreijährigen Oberschule, die Matura oder mehr“, erklärt Horrer. Altersvorgaben gebe es hierzulande keine. Dann sei ein Wettbewerb zu bestehen und schließlich gehe es an die Absolvierung der Grundausbildungen.Die Ortspolizisten im Vinschgau tragen nicht nur einheitliche Kleidung, wie sie vorgeschrieben ist, die meisten sind auch bewaffnet. Die Schusswaffe sollte zur Grundausstattung eines jedes Polizisten gehören und dient seiner eigenen Sicherheit und der Sicherheit der Arbeitskollegen. Hierfür hat die jeweilige Gemeinde eine eigene Verordnung erlassen, in welcher auch das Tragen der Schusswaffe geregelt ist. Voraussetzung dafür ist die Ernennung zum Beamten der öffentlichen Sicherheit durch das Regierungskommissart.
Oft frustrierend
Oft sei die Arbeit jedoch auch frustrierend. Durch die unklaren Gesetze sind die Ordnungshüter immer wieder mit Problemen konfrontiert, speziell bei sogenannten „kleinen Straftaten“. „ Wir wenden die Gesetze an, wie sie vorgegeben sind. Aber natürlich ist es auch oft enttäuschend, wenn man alles richtig macht, und schlussendlich viel bürokratischer Aufwand umsonst ist“, betont Obwegeser. Man schreibe Protokolle, Anzeigen und dergleichen, und schlussendlich habe das Vergehen für den Täter ohnehin keine Konsequenzen. „Das ist in Städten sehr viel schlimmer, wenn eine mehrmals festgenommene Person mehrmals immer wieder auf freien Fuß gesetzt wird“, kann Obwegeser den Unmut und Frust vieler Kollegen verstehen.
Unfälle und Tote
Oft stoße man auch bei der Arbeit als Ortspolizist an seine Grenzen. „Insbesondere bei Unfällen. Ein schlimmes Erlebnis, an das ich mich erinnere, war auch aufgrund der persönlichen Betroffenheit der tödliche Unfall von Gerda Fleischmann beim Eurospar im Februar 2017. Damals die Erhebungen um Unfall aufzunehmen, das war nicht einfach“, sagt Horrer nachdenklich. Die Schlanderserin, die an einen Rollstuhl gefesselt war, ist durch einen schrecklichen Unfall auf dem Parkplatz des Supermarkts von einem Lkw überrollt worden. Tote seien immer tragisch, zeigt sich auch Obwegeser betroffen. Unter anderem wurden die Ortspolizisten auch bereits zu Selbstmorden gerufen. „Das macht einem dann schon zu schaffen“, sagt er.
Nach vorne blicken
Trotz der unter anderem tragischen Momente und der vielen Unsicherheiten, blicken Christoph Horrer und Christian Obwegeser stets nach vorne. Sie haben es sich zur Aufgabe gemacht, die Ortspolizei im Vinschgau weiterhin voran zu bringen. Ihre Arbeit als Vinschger Ortspolizisten machen sie gerne. Und überhaupt: „Jemand muss ja auch Knöllchen verteilen“.