Zeitenwende im Schlössl
Schloss Hochnaturns schreibt wieder Geschichte
Aufnahme von Peter Santer im Auftrag der Tourismusgenossenschaft Naturns, erschienen 2020 im „Naturns natürlich Magazin“, Nr. 2
Die neuen Besitzer Martin Gritsch (links) und Wolfram Gapp unter dem Wandteppich mit der Gemeinden übergreifenden „Hedwig-Sage“
Im Burgenzimmer ein Kachelofen mit dem Wappen der Fieger aus Hall und dem gelb-blauen Wappen der Herren von Naturns, alte Linie - heute Gemeindewappen.
August Kleeberg aus Frankfurt (auf Hochnaturns von 1913 bis 1943) stoppte den Verfall der Burg mit Hilfe einheimischer Handwerker und Künstler.
Mit Abundus Graf von Hochnaturns und Falken-stein, ein Anhänger Luthers, knüpfte der Burgen-Romantiker Kleeberg an das Motiv der büßenden Seele in Gestalt eines schwarzen Pudels an.
Aus Trapp, O., Tiroler Burgen-Buch, Bd.2 Burggrafenamt: Burg Naturns um 1550, bevor Abundus von Tschötsch den West-Turm abtragen ließ.
Schloss Hochnaturns heute, Südwestansicht. Die abgedeckte Bastei wurde Terrasse

Neustart auf Hochnaturns

Eine Zeitenwende im Schloss: In Hochnaturns eröffnen neue Besitzer neue Perspektiven.

Publiziert in 3 / 2022 - Erschienen am 15. Februar 2022

Naturns - Ein Mensch kann sich im Gebüsch verheddern, bei Schloss Hochnaturns verheddert man sich seit 784 Jahren in Geschichte und Geschichten. Es ist schlichtweg unglaublich, mit wie vielen Aufstiegen und Aussterben von Adelsfamilien das „Gschlössl von Nathurns“ verflochten ist. Allein die Liste der Besitzer, Pächter und Bewohner ist ein Streifzug durch die Adels- und Ereignisgeschichte Tirols. Selbst Nationalsozialisten und Faschisten gaben sich im Schlössl die Klinke in die Hand. Wie kommt die kleine Wehrburg überhaupt zum Titel Schloss? Die Frage war an Franz Gurschler gerichtet. Der Enkel des legendären Kurzhofbauern Serafin Gurschler in Kurzras hat in die Besitzerfamilie eingeheiratet und 41 seiner 81 Jahre auf Schloss Naturns – seit 1726 Hochnaturns - verlebt und gewirtschaftet. Lächelnd erklärte er in der „Ursula-Gesindestube“: „Von der Anlage her ist es eine Burg, aber durch die Tatsache, dass man darauf meist angenehm gelebt hat, wurde es im Dorf immer Schloss genannt.“ Die Frage, welches Geschlecht wann zur „wehrhaften Bauphase“ mit zwei Ecktürmen, einem kleineren Turm und einer Bastei beigetragen hat, kann höchstens durch aufwändige Archivarbeit beantwortet werden (s. Bild S. 5). 

Dienstmannen von Tirol und Görz

Eine erste Besonderheit lieferten bereits die ersten Bewohner 1237. Ein Haidenricus und Walterus de Naturnes standen zuerst im Dienst der Tiroler Grafen, später – sonderbar im Vinschgau – der Grafen von Görz-Tirol. Ab 1350 gerät die Burg Naturns in einen regelrechten Strudel von Erbstreitigkeiten, Prozessen und Belehnungen. Sie setzten mit Erbtochter Ursula ein und zogen sich durch eine Unmenge von Adelsfamilien. Mit Maximilian I. und Ferdinand I. waren gleich zwei Römisch-Deutsche Kaiser involviert. Sogar die Bischöfe von Brixen hatten ihre Hände im Spiel. Bis 1838 bestimmten Adelige in Hochnaturns, dann kamen Bauern zum Zug. Beinahe wäre die Burg zum Steinbruch geworden. Erst ein Tourist und Südtirol-Liebhaber aus Hessen, ein gewisser Gottfried Georg Haas, begann zu sichern und umzubauen. 1913 reichte der Hesse die Burg am „Ursula-Berg“ an den nächsten Hessen August Kleeberg weiter. Über ihn hat Franz Gurschler 2012 ein Referat gehalten, nicht die Burg betreffend, sondern um dessen Verdienste als Entdecker der Malereien in St. Prokulus zu würdigen. Seit 1950 ist die Burg denkmalgeschützt. Während man über den hölzernen Umgang vorbei an Fresken aus der Sagenwelt den großen Saal, das Herz der Burg, betrat, erzählte Franz vom Besuch des letzten Habsburger Kaisers Karl, als das Schloss 1917 zum Lazarett geworden war. 

Ein Bauernführer und Rebell 

Im Saal fielen die historischen Truhen als Mobiliar, aber auch ein farbiger Wandteppich ins Auge. Das Teppichknüpfen sei die Lieblingsbeschäftigung der Besitzerin Josefine Schguanin Mastropaolo aus Taufers im Münstertal gewesen. Sie führte zwischen 1952 und 1992 eine exklusive „Schlosspension“. Zum ersten Mal gab es in Naturns eine Tourismusstruktur mit fließend Kalt- und Warm-Wasser. Nach dem Besuch einer der schönsten Aussichtsterrassen des Vinschgaus, früher ein überdachtes Rondell, wurden stolz das „Reformatorenzimmer“ mit den Wappen aller in der Burg eingesessenen Adelsfamilien an Wänden und am Kachelofen und eine dazu gehörende „Gerichtsstube“ gezeigt. Dort soll Michael Gaismair verhört worden sein - ein Irrtum, der in der Literatur immer wieder auftaucht. Dabei sorgte der spätere Bauernführer und Rebell als Vertreter des Landeshauptmannes in Anwesenheit des Richters von Meran für eine Klärung der Besitzverhältnisse. Der in Naturns fest verwurzelte August Kleeberg hatte nicht nur sich selbst und seinem Vorgänger Haas gemalte und holzgerahmte Portraits hinterlassen, sondern mit einem funktionstüchtigen Kachelofen aus dem 16. Jahrhundert ein Prunkstück des Schlosses bewahrt. Im „Burgenzimmer“ wurden auf Kleebergs Betreiben alle Burgen des Tales im Zustand von vor 1928 an die Wände gemalt. Die Malerei ist inzwischen eine wertvolle Dokumentation. Die jüngste Geschichte auf Hochnaturns hat mit der Gründung einer „mittelalterlichen Gesellschaft“ vor drei Jahren zu tun. Junge, geschichtsbegeisterte Männer bekennen sich zur Ritterschaft der Haderburg, Südtirols südlichster Burg an der Sprach- und Provinzgrenze. Ein Mitglied hat den Titel „von Naturns zu Hochnaturns“ und das Wappen der frühen „Herren von Naturns“ angenommen Der Rundgang mit Franz Gurschler endete in der „August-Oswald-Kemenate“ einen Stock tiefer. Nicht zu übersehen war, Franz, Giuseppina und Sohn Roland Gurschler hatten alles gepflegt und geordnet den neuen Besitzern überlassen. Im östlichsten Eck des vier Hektar großen Grundbesitzes haben sie sich ein kleines Haus bauen lassen – mit Blick auf ihr Schloss.

Neue Herren am Ursula-Berg

Eine Woche später war Franz Gurschler wieder im Schloss am Ursula-Berg, besser bekannt als „Urschel-Eck“. Diesmal saß er zwischen den Vertretern der neuen „Landwirtschaftlichen Gesellschaft Hochnaturns“, den neuen Burgherren. Für Hauptgesellschafter Martin Gritsch, 33, war der Flurname „Urschel-Eck“ neu. Dem Nischl-Hof Bauern Wolfram Gapp, 59, als angrenzendem Nachbarn war der Begriff natürlich bekannt. In der unendlich langen Reihe der Schlossbesitzer zwischen 1237 und 2021 hatten erstmals alteingesessene Naturnser Bürger das Sagen. Mit dem Sagen hielten sich die Neuen auf Hochnaturns aber eher zurück. Kopfschütteln gab es auf die Frage, seid ihr jetzt stolze Burgherren. „Wenn schon ist es Freude“, meinte Gritsch. „Wir freuen uns, aber wir fühlen auch große Verantwortung.“ Martin Gritsch habe einen Partner aus der Landwirtschaft gesucht, erklärte Wolfram Gapp. Seine Verbindungen zur Besitzerfamilie auf dem Schloss hätten durch die Nachbarschaft seit Kindheitstagen bestanden. „Vor allem durchs ‚Versteckulus-spielen‘ mit gleichaltrigen Schlossbewohnern“, ergänzte Gurschler. Martin Gritsch hingegen habe das Schloss zum ersten Mal bei den Verkaufsgesprächen betreten. „Wir haben uns gefunden und sofort in die gleiche Richtung gedacht“, stellten Gritsch und Gurschler fest. Sämtliche Makler habe man abgewimmelt. Es hätte ja sein können, dass ein russischer Oligarch auftauche. 

Unternehmen Hochnaturns

Bescheiden und zurückhaltend erläuterte Gritsch erste Überlegungen zur Zukunft von Hochnaturns. „Reich werden wir kaum werden. Es ist mehr eine Herzensangelegenheit. Auf jeden Fall versuchen wir kostendeckend zu arbeiten. Wege und Möglichkeiten sind noch offen. Wichtig ist uns, das Schloss zu öffnen. In welcher Form ist noch zu überdenken. Sie wird auch von der Haltung der Gemeindeverwaltung abhängen. Nur in enger Absprache mit ihr könnte man in Richtung sanfter Tourismus weiterdenken“, so Gritsch. Konkreter und einleuchtender wolle man in der landwirtschaftlichen Nutzung vorgehen. Während man in der Ursula-Stube von Perspektiven redete, ging es im Außenbereich bereits mit Motorsägen an die Substanz der „Stark- und Golden-Anlagen“. „Obstanlagen würden Hagelnetze nach sich ziehen. Daher soll es in Richtung Weinbau gehen“, erklärte Gapp. Der Sonnenhang rund ums Schloss wäre geradezu für Weinbau prädestiniert. Neben der Freude am „Schlössl“ wäre dies eine weitere, gemeinsame Passion von Martin Gritsch und Wolfram Gapp. „Ich kann mir vorstellen, dass durch die Produktion von Qualitätsweinen das Schloss zusätzlich aufgewertet wird“, stellte letzterer fest. Das Treffen endete mit Franz Gurschlers Erzählungen aus der Sagenwelt rund um Hochnaturns. 

Günther Schöpf
Günther Schöpf
Vinschger Sonderausgabe

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