„In Südtirol sind wir die Scheiß-Österreicher“
Aufforderung zur Mithilfe, Dankesschreiben an die Nationale Revolution: Wie viele Stimmen kamen von den Rechtsextremisten?

Pfundige Nachbarn

Publiziert in 8 / 2011 - Erschienen am 2. März 2011
Oberes Gericht/Tirol – „Heute Ruhetag“ steht am Eingang der kleinen Bar in einem Ort nicht weit von Pfunds. Der Innenraum ist beleuchtet, die Tür offen, deutsche Urlauber sitzen an der Theke und an den ­Tischen. „Wegen der Gäste,“ erklärt der Wirt, „haben wir geöffnet.“ Einige Einheimische werden – Ruhetag hin oder her - später erwartet. Die einladende Tür und die Offenheit des Wirtes machen es einfach, mit der Türe gleich ins Haus zu fallen. Wie er denn die Bestrebungen sähe, den Süd­tirolern eine doppelte Staatsbürgerschaft zu gewähren? Der Gastronom, der anonym bleiben möchte, zapft noch ein Bier, bedient. Zwischendurch findet der Mann um die fünfzig Zeit, zu antworten. „Durch die EU ist das eigentlich nicht notwendig. Und in Tirol lachen sie eher darüber.“ von Katharina Hohenstein Wer nicht darüber lacht, waren - neben der Süd-Tiroler Freiheit, die am 23. Februar fast 21.000 Unterschriften für die doppelte Staatsbürgerschaft der Süd­tiroler an das Wiener Parlament übergab – Mitglieder der Alt-Tyroler Schützen, des Andreas-Hofer-Bundes Tirol, des Gesamttiroler Schützenbundes und des Süd­tiroler Heimatbundes, die sich an der Unterschriftenaktion beteiligten und in Südtirol und Österreich an Ständen und mit vorgefertigten Unterschriftenlisten für die abgegebenen Unterschriften sorgten. Aber nicht nur sie halfen. Recht aktiv bedanken sich Eva Klotz, Werner Thaler und Sven Knoll von der Süd-Tiroler Freiheit bei der Internetplattform Nationale Freiheit für die Mithilfe bei der Unterschriftenaktion: „Geschätzte Mitglieder und Freunde der SÜD-TIROLER FREIHEIT, mit dieser E-Mail möchte sich die Bewegung SÜD-TIROLER FREIHEIT bei allen Mitgliedern und Sympathisanten für den Einsatz im Rahmen der Unterschriftenaktion für die Bürgerinitiative ‚Doppelte Staatsbürgerschaft für die Süd-Tiroler’ aufrichtig bedanken. Dank EUCH ist es uns gelungen mehr als 20.000 Unterschriften für die Bürgerinitiative zu sammeln.“ Ein Dokument, das Platz hatte für zehn Unterschriften, konnte man dort herunterladen. Schließlich habe ja jeder Verwandte und Bekannte, hieß es. Doch nicht nur Martin Stangl, Betreiber des Support Wear Germany Online Shops, der auf der Seite wirbt und einen Sicherheitsdienst betreibt, ist rechtsextremistischen Kreisen zuzuordnen. Das Spektrum der freien Kameradschaften ist ein breites, die NPD arbeitet zeitweise mit diesen Gruppierungen zusammen. Während die Seite anonym über Heihachi Ltd. WHOIS-Protection - Sergey Ershov in Marbella registriert ist, der Server selbst in Russland zu finden ist, richtet sich die Nationale Revolution an Neonazis aus dem deutschsprachigen Raum; mit Inhalten, die nach deutschem Recht strafbar sind, wie Mitglieder des Internationalen Netzwerkes Against Cyber Hate bestätigen. Sie versuchen schon seit längerem gegen die Seite vorzugehen. Zimperlich sind die national-revolutionären Beiträge nicht: „Und das mit der vermummung: ich wohne da, wo es von zecken und kanacken nur so wimmelt, auf der straSSe zeige ich meine einstellung, aber es sollen (im übertragenen sinne) nicht 1000 türken wissen, dass ich hassreden gegen sie halte.“ Leicht nachlesbar, wie es um die Schreiber im Forum bestellt ist. Mit Sven Knoll wurde nach der „Tirol-Patrioten sind keine Nazi-Idioten“- Kampagne ebenfalls ins Gericht gegangen, was aber nicht heißt, dass die Internetplattform sich später nicht kräftig für die Kameraden aus Südtirol stark machte. Die von der Süd-Tiroler Freiheit veröffentlichen Zahlen einer Studie sind ebenfalls dort zu lesen: 95 Prozent der Südtiroler wollen keine Italiener sein. Im Vinschgau seien es sogar 98 Prozent. Das verwundert zum einen, weil der Anteil der deutschsprachigen Bürger in Südtirol unter 70 Prozent liegt, zum anderen im Vinschgau, ob in Bars oder Cafés, auf den Bühnen der Volkstheater, bei Jugendlichen, Eltern und Großeltern, diese Thematik ganz und gar nicht den Anschein erweckte, ein mit Interesse diskutiertes Thema zu sein. Die Umfrage der Bozener Beratungsagentur Dr. Gruber und Partner vom Oktober/November 2010 legte mittels einer telefonischen Befragung Ergebnisse vor, die sich mit den 95 Prozent der Süd-Tiroler Freiheit nicht wirklich decken. 62 Prozent aller Wahlberechtigen Südtiroler empfanden der Umfrage nach die Thematik der doppelten Staatsbürgerschaft als unwichtig, 87 Prozent der Befragten würden sich nicht darum bemühen, die doppelte Staatsbürgerschaft zu beantragen. „Geredet wird über das Thema hier nicht viel, selbst die Medien hatten es eher klein gehalten,“ berichtet der Wirt. „Da wollen wir doch lieber in die Schweiz.“ Aufgewachsen in der Nähe der Grenze, „war der Kontakt zu den italienischsprachigen Zöllnern und Polizisten sogar vor der Grenzöffnung oft ein angenehmerer als mit den im Nachbarstaat lebenden Tirolern,“ meint er und fügt hinzu: „die Südtiroler könnten doch zufrieden sein.“ Diese Meinung teilt der Pfundser Josef Köhle, einer der wenigen, die sich nicht sorgen, die persönliche Auffassung der Öffentlichkeit zu präsentieren: „Ich bin schlichtweg dagegen. Die jungen Südtiroler haben schon lange keinen Bezug mehr zu Österreich,“ meint der Chef von zehn Mitarbeitern, „und wenn wir nach Südtirol fahren, sind wir die Scheiß-Österreicher. Die Südtiroler haben ein Identitätsproblem,“ reüssiert er und „warum soll man die Dinge nicht so lassen, wie sie sind?“ Im Fall der Fälle sei er für eine Volksabstimmung. Aber es wäre viel einfacher, überlegt der Pfundser, einfach die Gegenfrage zu stellen: „Welcher Südtiroler will Österreicher werden?“ Dann würden die Antworten schon eindeutig genug ausfallen. Sein Fazit: „Sie bemühen sich immer nur, wenn sie was ­herausholen können.“ Die Fragen nach den Rechten und Pflichten bringt uns in Kontakt mit dem Professor für vergleichendes Verfassungsrecht an der Universität Trient, Jens Woelk. Der Mitarbeiter des Institutes für Föderalismus- und Regionalismusforschung an der Eurac bestätigt, dass EU-Bürger enorm viele Rechte innerhalb der Europäischen Union hätten. Das Diskriminierungsverbot aufgrund der Staatsanghörigkeit beispielsweise sei ein Teil davon (Artikel 18 AEU). Als EU-Bürger kann man auf kommunaler Ebene wählen und gewählt werden – in dem Land, worin man seinen Wohnsitz hat. Die doppelte Staatsangehörigkeit für Süd­tiroler in Österreich würde gewisse Bereiche öffnen, erklärt Woelk: Staatsdienst bei der Polizei, Eintritt in das Bundesheer, das Amt des Richters – oder das des Bundeskanzlers. Das Gleichstellungsgesetz von Süd­tirolern mit österreichischen Studenten sieht beispielsweise die Gleichstellung hinsichtlich der Beiträge von Hochschulgebühren vor. Gerade diese Tatsache findet nicht immer nur Begeisterung bei den Tirolern: So mancher bemerkt nicht allzu freundlich, dass es an den Österreichischen Universitäten von Südtirolern nur so wimmele. Gesetze sind nicht alles. Aber wenn Tirol „lei oans“ ist, warum ist der Austausch dann keineswegs so rege, wie es vermuten ließe? Rudolf Permann aus Pfunds hat sogar Verwandte in Latsch. Selbst wenn er mit seinen Kindern vor Jahren nach Südtirol fuhr, heute mit den Enkelkindern in den Vinschgau kommt, um Tourismusattraktionen zu besuchen, ist der Austausch eher gemäßigt: „Die Verwandten besuchen wir einmal im Jahr“, meint der Pensionist, dessen Groß- und Einzelhandel nun sein Sohn weiterführt. Der Verfasser von Essays und kleinen Geschichten ist nicht auf dem Laufenden, was die Verwandtschaft von der doppelten Staatsbürgerschaft hält, ihm aber würde es nicht einfallen, als Südtiroler die österreichische Staatsbürgerschaft zu beantragen. Und Unternehmerin Otti Plangger vom Kosmetikstudio Andrea, ganz in der Nähe von Permanns Nah + Frisch, hat schlichtweg zu wenig Zeit, um Südtirol zu besuchen. Bis auf Besuche bei der Hildegard-Medizin-Verfechterin Christiane Paregger in Bozen hat sie wenig Kontakte zu Südtirolern: „Beruflich orientiere ich mich ansonsten eher gen Innsbruck.“ Mit dem grenzübergreifenden Austausch hatte der Wirt nie Probleme: Er sei schon vor der Grenzöffnung im gesamten Dreiländereck unterwegs gewesen, selbst damals habe man mit der Grenzregion Werbung machen können: Einkaufen in Südtirol, Zollfreies aus Samnaun, davon hatte die Grenzregion Tirol profitiert. „Natürlich ist der Geburtsort immer der Ursprung, aber es gibt weltweit Plätze, wo man aufgenommen wird und sich wohl fühlen kann.“ Ihm sagt der weltweite Austausch zu. Südtiroler, die sich nun so um die doppelte Staatsbürgerschaft bemühen, sagt er, an der Zigarette ziehend, „wollen doch nur immer das Beste für sich selbst herausholen.“ Er hat viel Kontakt mit Menschen, darunter auch mit jenen, die mit den Freunden der Nationalen Revolution vielleicht gut könnten: Befürworter nationalistischer Politik und die aus aller Herren Länder: aus Polen und der Tschechei, aus Russland, aus Deutschland und Österreich. Warum er sie dennoch in seinem Gasthaus ließe? „Aus Respekt, auch vor denen, die anders sind“. Nur wenn es ihm zu viel werde, flöge der eine oder andere schon mal aus dem Laden. Ein bisschen viel erschien selbst Nationalrat und ÖVP-Südtirolsprecher Hermann Gahr die Unterschriften-Aktion, der in einem Interview bei Südtirol Journal bestätigte, dass der „stärkste Druck von ganz rechts“ komme. Viele Tiroler fragen sich, wie der kommunikative Gastwirt, der sich jetzt selbst ein Bier einschenkt, ob die Südtiroler „denn keine anderen Sorgen hätten.“ Ähnlich gelagert ist die Frage, die im Gespräch mit Jens Woelk aufkam: Ob man weiterhin symbolische Schlachtfelder brauche oder nicht doch eine territoriale Identität schaffen könne, worin drei Sprach­gruppen und die Einwanderer Platz hätten.
Vinschger Sonderausgabe

Diese Seite verwendet Cookies für funktionale und analytische Zwecke. Lesen Sie unsere Cookie-Richtlinien für weitere Informationen. Durch die Nutzung dieser Website erklären Sie sich damit einverstanden.