Pfunds kämpft sich aus dem Schlamm

Pfunds blickt trotz allem nach vorn

Publiziert in 17 / 2005 - Erschienen am 7. September 2005
„Wir lassen uns nicht unterkriegen“. Das sagte der Pfundser Bürgermeister Gerhard Witting acht Tage nach der verheerenden Hochwasserkatastrophe in Pfunds. Das Ausmaß der Schäden, die der zum Strom angeschwollene und Unmengen von Material führende Stubnerbach in der Nacht auf den 23. August in Pfunds angerichtet hat, ist gewaltig. Erst bis zum Beginn der Vorwoche war es den Pfundsern, den vielen Einsatzkräften und freiwilligen Helfern gelungen, den Großteil des angeschwemmten Materials - rund 100.000 Kubikmeter Schlamm, Geröll, Gestein und Lehm – aus dem Dorf zu schaffen. Nun geht es an den Wiederaufbau. Auch teure Sicherheitsmaßnahmen im Bereich des Stubnerbachs bzw. der Bachschlucht sind notwendig. von Josef Laner Die sintflutartigen Regenfälle hatten nicht nur in Dörfern und Gebieten in Nordtirol zu gewaltigen Verwüstungen geführt, sondern auch in Vorarlberg, im Salzburger Raum, in Bayern und in der Schweiz. In Nordtirol wurde neben Außerfern und dem Paznauntal vor allem auch Pfunds Schauplatz einer bis dahin vermutlich noch nie da gewesenen Hochwasserkatastrophe. Die knapp 2500 Einwohner zählende Gemeinde Pfunds liegt nur wenige Kilometer nördlich des Reschenpasses. Gerhard Witting, der sich am 22. August auf Urlaub in Osttirol befand, brach die Ferien sofort ab. Er konnte seine Heimatgemeinde nur über Umwege am Morgen des darauf folgenden Tages erreichen und hatte bereits unterwegs 4500 Semmel für die Einsatzkräfte aufgeladen. Unmittelbar nach seinem Eintreffen übernahm er die Einsatzleitung vor Ort. Zwischen 400 und 500 Personen mussten in der Nacht auf den 23. August in Pfunds von der Feuerwehr evakuiert werden. Verletzte oder gar Tote gab es zum Glück nicht. Die Menschen rannten zum Teil im Pyjama aus ihren Wohnungen. Mit Baggern und Schaufeln wurde versucht, die Fluten einzudämmen. Der Stubnerbach aber spülte Unmengen von Material durch den dicht besiedelten Ortsteil Stuben und weiter durch das Dorf in Richtung des Inn. Ein Teil der Strom- und Trinkwasserversorgung brach zusammen. 15 Bagger standen pausenlos im Einsatz, um das Bett des Stubenbachs einigermaßen frei zu baggern und so die Brücken vor dem Einsturz zu bewahren. Neben den Dorfbewohnern selbst sowie allen dortigen verfügbaren Rettungs- und Einsatzkräften eilten auch Hilfskräfte des österreichischen Bundesheers sowie Hilfsmannschaften aus dem Bezirk Landeck und anderen Teilen Österreichs herbei sowie auch Feuerwehrleute aus dem Vinschgau und dem Burggrafenamt. Vor allem in den ersten Tagen waren die Aufräumarbeiten schwierig. Viele haben mehrere Nächte lang nicht geschlafen. Erst eine Woche nach der Katastrophe konnte die Reschen-Bundesstraße wieder für den Verkehr geöffnet werden. In der ersten Woche standen teilweise über 1000 Leute im Einsatz. Sie wurden zunächst vom örtlichen Rettungsdienst mit Lebensmitteln versorgt und später vom Militär von der Kaserne in Landeck aus. „Den Einsatzleuten wurde die Jause bis ins letzte, überflutete Kellerloch gebracht“, sagte Gerhard Witting, der am 30. August auch eine erste, grobe Schadensbilanz ziehen konnte. Insgesamt sind 80 Gebäude mit rund 100 Haushalten beschädigt worden. Mindestens 15 Gebäude sind reif für den Abbruch. Wenngleich ein Abriss aus bautechnischer und wirtschaftlicher Sicht besser wäre, ziehen manche Hausbesitzer laut dem Bürgermeister eine Sanierung vor, „weil die Leute natürlich an ihren Häusern hängen“. 40 weitere Gebäude – die Palette reicht vom Einfachhaus bis hin zu Hotels und Betrieben – sind stark zerstört, aber sanierbar. In zusätzlichen 25 bis 30 Gebäuden sind so genannte normale Hochwasserschäden festzustellen. Beschädigungen von öffentlichen Strukturen und weitere Schäden kommen noch hinzu. Hinter allen diesen nackten Zahlen verbergen sich aber auch ebenso viele private Schicksale und Tragödien. Viele haben nicht nur das Dach über dem Kopf verloren, sondern auch die Wohnungsausstattung, Autos, Fahrzeuge und wertvolle persönliche Habseligkeiten, die das Wasser einfach aus den Häusern gespült hatte. Dem 60-jährigen Hans Oeg zum Beispiel stiegen auch eine Woche nach der Katastrophe noch die Tränen in die Augen, als er erzählte, wie sehr sein Heimathaus beschädigt wurde. Er habe das seit zwei Jahren vermietete Gebäude, in dem seine Eltern wohnten, von 1992 bis 1995 sozusagen neu aufgebaut. Er hofft, das Haus trotz allem noch sanieren zu können. Nicht mehr viel übrig geblieben ist von den zwei dazugehörigen Schuppen. Aus einem davon hat die Flut den Traktor weggeschwemmt und zerstört. Gezwungen zum Ausziehen sieht sich auch die Familie Gotsch. Ihr Haus liegt ebenfalls am Rande des Stubnerbachs. Es gleicht jetzt einer Ruine. Schon vor sieben Jahren hatte der Bach bei einem starken Gewitter ein Stück des Gartens weggerissen. „Jetzt wollen wir von hier weg“, sagte ein Mitglied der Familie. Eine derartige Katastrophe hat Pfunds bisher wohl noch nie erlebt. In der Dorfchronik jedenfalls ist nichts zu finden, was dem jetzigen Stubnerbach-Ausbruch auch nur annähernd gleichkäme. „Dieses Ereignis übersteigt alles bisher Dagewesene“, sagt der Bürgermeister. Nicht mehr wert als das Papier, auf dem es aufgezeichnet ist, sei jetzt auch das bisher geplante Verbauungsprojekt des Stubnerbachbetts im Dorfbereich. Im Rahmen von drei Bauabschnitten hätte das Vorhaben umgesetzt werden sollen. „Was wir jetzt dringend brauchen, sind Schutzmaßnahmen von außergewöhnlichen Dimensionen“, ist Gerhard Witting überzeugt. Die Südtiroler Wildbachverbauung habe einen Techniker abgestellt, um festzustellen, welche Maßnahmen notwendig sind. Rein technisch gesehen ist es laut dem Bürgermeister sehr wohl möglich, im Bereich des Stubnerbachs, der durch eine enge Schlucht auf das Dorf zufließt, Sicherheitsverbauungen vorzunehmen. Mit den Verbauungen soll erreicht werden, dass im Falle von Unwettern ein Teil des Materials zurückgehalten wird und ein Teil durch den zu erneuernden und zu sichernden Bachlauf durch das Dorf vom Inn aufgefangen werden kann. Die Finanzierung dieser teuren und dringlichen Maßnahmen ist derzeit noch nicht gesichert. Einen der Schwerpunkte im Wiederaufbau sieht der Bürgermeister in der sofortigen Sanierung der Beherbergungsbetriebe: „Es muss unbedingt gelingen, die beschädigten Tourismusbetriebe im Herbst zu sanieren, damit sie am 1. Dezember für die Wintersaison öffnen können“. Gelingt dies nicht, stünden existenzbedrohliche Entwicklungen ins Haus. Die Eigenkapitalausstattung mancher Betriebe sei nicht besonders gut. Beim Wiederaufbau insgesamt sind alle gefordert, ganz gleich ob es die Versicherungen sind, die Banken, die öffentliche Hand und die Betroffenen selbst. Für die Hochwasseropfer in Nordtirol sind auch in Südtirol etliche Spendenkonten eingerichtet worden (siehe Grafik). Die Südtiroler Landesregierung hat am 29. August jeweils 500.000 Euro zur Behebung der Unwetterschäden in den Bundesländern Tirol und Vorarlberg bereitgestellt. Mit diesem Geld soll vor allem in Not geratenen Familien geholfen werden. Eine Landeskommission unter dem Vorsitz von Landeshauptmann Herwig van Staa wird über die im Bundesland Tirol eingehenden Spenden für Familien in Not entscheiden. In den von der Kommission verwalteten Topf fließen auch die 500.000 Euro aus dem Südtiroler Landestopf. Die Landeskommission soll über die gerechte Verteilung der Hochwasser-Spendengelder entscheiden. Das Bundesland Tirol weist auch darauf hin, dass gemeinsam mit dem ORF und dem österreichischen Roten Kreuz eine Spendenhotline für die Hochwasser-Opfer eingerichtet worden ist. Die Hotline ist unter der Nummer +43 800 312 312 zu erreichen. Auch eine Sachspenden-Datenbank wurde eingerichtet (hilfe.hochwasser@tirol.gv.at). Der Nachbarort Nauders (Gemeinde, Bergbahnen, Agrargemeinschaft und Tourismusverband) hat 100.000 Euro als Soforthilfe für die Gemeinde Pfunds zur Verfügung gestellt. Zudem hat Nauders seine Nachbarn bei den Aufräumarbeiten mit Einsatzkräften wie Rettung, Feuerwehr und Gemeindearbeitern unterstützt sowie auch mit Materialien und bei der Verpflegung der Hilfskräfte. „Die Südtiroler haben uns super geholfen“ Wertvolle Hilfe im Katastrophenort Pfunds und auch im Paznauntal leisteten hunderte Feuerwehrleute aus den Feuerwehrbezirken Obervinschgau, Untervinschgau und Meran. In Pfunds standen bereits am 24. August sechs Mann aus dem Obervinschgau ganztägig im Einsatz. Am Tag danach waren es bereits 60 Wehrleute aus dem Bezirk Obervinschgau und 30 aus dem Bezirk Untervinschgau. Am 26. August stellten die Bezirke Ober- und Untervinschgau 100 Mann, weitere 80 kamen aus dem Bezirk Meran. Insgesamt 104 Wehrleute aus dem gesamten Vinschgau standen am 27. August in Pfunds im Einsatz. Insgesamt haben somit allein in Pfunds 380 Wehrleute mit bis zu 37 Einsatzfahrzeugen tatkräftig mitgeholfen. Besonders wichtig war in den ersten Tagen auch die psychologische Betreuung der Menschen. Laut Bürgermeister Gerhard Witting wurde dabei gute Arbeit geleistet. Auch die Notfallseelsorge aus dem Vinschgau war vor Ort. Es waren nicht nur Keller und ganze Erdgeschosse auszupumpen, sondern auch Unmengen an Geröll, Schlamm und Lehm zu schöpfen sowie zerstörte Möbel und Geräte aus den Wohnungen zu tragen. Die Arbeit war buchstäblich eine Schinderei. In Kappl im Paznauntal standen am 29. August 51 Mann aus den drei genannten Bezirken im Einsatz. Die Nachbarn in Nordtirol sind von Herzen dankbar. „Die Hilfe aus Südtirol war super“, bestätigten mehrere Pfundser unserer Zeitung.
Josef Laner
Josef Laner
Vinschger Sonderausgabe

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