Projektidee „Kraftwerk Zufritt-Morter“

Publiziert in 31 / 2011 - Erschienen am 7. September 2011
Vinschgau – Während für die eigen­ständige Stromverteilung im Vinschgau nun ein schlüssiges, finanzierbares und gut durchdachtes Modell auf dem Tisch liegt (siehe Bericht weiter unten), steht eine endgültige Gesamtlösung sämtlicher Energiefragen im Vinschgau noch aus. Energielandesrat Michl Laimer möchte, dass alle Fragen und Streitereien ein für allemal ausgeräumt werden und bringt dafür die Kraftwerksidee „Zufritt-Morter“ ins Spiel. „Die Idee ist zwar eine gute Ausgangsbasis, doch wenn wir zu einer Einigung kommen wollen, muss man ernsthaft mit uns verhandeln und endlich auch die Angebote ‚zu Blatt’ bringen, damit eine vernünftige Vereinbarung unterschrieben werden kann“, sagen Albrecht Plangger, der Präsident des Vinschgauer Elektrizitätskonsortiums (VEK), sowie die Bürgermeister Georg Altstätter (Martell), Andreas ­Tappeiner (Laas) und Karl Weiss (Latsch). von Sepp Laner „Mittlerweile sind alle stuff. Selbst die Vinschger. Es muss endlich gelingen, alle Fragen, Rekurse und rechtlichen Auseinandersetzungen in punkto Strom im Vinschgau aus der Welt zu schaffen und einen endgültigen, allumfassenden Schlussstrich zu ­ziehen.“ Das ist der Wunsch von Michl ­Laimer. Seine Idee, die er in einem Gespräch mit dem Marteller Bürgermeister Georg Altstätter, Landesrat Richard Theiner, ­Albrecht Plangger und dem Landtagsabgeordneten Sepp Noggler vorgebracht hat, sieht den Bau eines neuen Laufkraftwerks im Bereich Morter vor. Laimer: „Eine Zuleitung, die derzeit zum Zufritt-Stausee führt, könnte talauswärts in Richtung Morter in ein Laufkraftwerk geleitet werden.“ Das Wasser sei bereits konzessioniert. Es würde sich um eine Großableitung mit einer Jahresproduktion von rund 30 Millionen Kilowattstunden handeln. Jahresproduktion von ca. 30 Mio. Kilowattstunden Das wäre mehr als das Doppelte an Strom, wie ihn das neue Kraftwerk Puni, das am 10. September in Planeil offiziell eröffnet wird, erzeugt. Das Kraftwerk bei Morter sei keine Neuableitung. Eine solche wäre im Nationalpark schon rein gesetzlich nicht möglich. Und wer würde vom neuen Kraftwerk profitieren? Laimer: „Es müsste auf jeden Fall eine gemischte Gesellschaft entstehen, bei der die Hydros GmbH, die Betreiberin des Kraftwerks Martell/Laas, beteiligt ist, aber natürlich auch die Anrainergemeinden, sprich der Vinschgau.“ Ob es für die neue Großableitung eine Ausschreibung braucht, wäre laut dem Landesrat noch abzuklären: „Eher nicht, denn wir haben es ja nicht mit einer neuen Ableitung zu tun.“ Erste Gespräche mit dem Nationalpark seien geführt worden. Und was erwartet sich Laimer von seiner Idee? „Ich möchte, dass es zu einer allumfassenden und endgültigen Lösung aller ­offenen Energiefragen im Vinschgau kommt. Nach über 10 Jahren an Auseinandersetzungen, Streitereien und offenen Fragen ist die Zeit für eine Gesamtlösung mehr als reif.“ Ein Rückzug des Vinschger Rekurses gegen die Vergabe der Marteller Konzession an die Hydros GmbH (60 % SEL, 40 % Edison) sollte ebenso in das Paket mit einfließen wie die Klärung von Streifragen bei Beteiligungen in Graun und Mals sowie ein Einvernehmen in allen übrigen noch offenen Punkten. „Zeit für Gesamtlösung ist mehr als reif“ „Wenn es gelingt, im Vinschgau endlich zu einem dauerhaften ‚Frieden’ zu kommen, könnte man auch wieder daran denken, eine grenzüberschreitende Verbindung des Hochspannungsnetzes zu verwirklichen, „denn eine solche Verbindung über den ­Reschen ist aus Gründen der Versorgungssicherheit unbedingt notwendig.“ Auf die Frage, was mit dem Rambach geschieht, meinte Laimer: „Am liebsten wäre es mir, wenn der Bach bleibt wie er ist. Dass sich die Gemeinden Mals und Taufers dazu durchgerungen haben, keine Großableitungen zuzulassen, freut mich.“ Was geschieht jetzt mit den 2 Großableitungsprojekten, die schon vorliegen? Laimer: „Wenn die 1. Landschaftsschutzkommission die Anträge der Gemeinden annimmt und auch der UVP-Beirat Großableitungen ablehnt, sind diese Projekte praktisch hinfällig, denn die Aussicht auf Erfolg im Rekursweg ist sehr gering.“ Nicht verkneifen kann sich Laimer, „dass die Stromstreitereien im Vinschgau zum Teil auch politisch benutzt wurden.“ Rambach: „Am liebsten wäre es mir, wenn der Bach bleibt wie er ist“ Die Vinschger Reaktionen auf Laimers Vorstoß bzw. auf den Gesamtentwurf der SEL AG vom Juni 2011 („Vereinbarung Vinschgau“) lassen sich so auf den Punkt bringen: Die Projektidee „Kraftwerk Zufritt-Morter“ ist eine gute Ausgangsbasis, um strittige Punkte zu lösen wie etwa die Frage des Strombezugsrechtes oder der Fischereirechte, doch um zu einer Lösung zu kommen, muss ernsthaft verhandelt werden. Plangger: „Wir haben die Verhandlungspunkte längst schriftlich deponiert und letzthin sogar limitiert, um schneller zu ­einer Einigung zu kommen. Vom Verhandlungspartner haben wir aber leider immer noch nichts Schriftliches. Auch hätten wir uns in der Umweltplanfrage, welche klar ist - die Jahresbeträge stehen fest -, ein Zeichen guten Willens vom Betreiber zu einem Provisorium erwartet, da ja beim Kraftwerk seit dem 7. Februar schon  ‚eifrig gemahlen’ wird. „Leider noch immer nichts Schriftliches“ Planggers Befürchtung und die seiner Mitstreiter ist, „dass man uns auf der einen Seite etwas gibt und auf der anderen den Rückzug berechtigter Forderungen und Verhandlungspunkte unsererseits verlangt, sodass wir unter dem Strich nichts gewinnen.“ Wenn in Martell ein neues Kraftwerk entsteht, müsse es neben bzw. zusätzlich zu den Beteiligungen am Kraftwerk als  Befriedungsangebot der noch offenen Problematiken auch eine ganz normale, angemessene Beteiligung der Standortgemeinden Martell und Latsch  geben. Dies unterstreicht auch Georg Altstätter: „60 ­Jahre lang hatten wir nur die Belastungen. Es ist an der Zeit, dass wir endlich etwas herausholen, dass wir mitreden können und direkt beteiligt werden. Während in anderen Tälern Millionen gescheffelt werden, sieht es bei uns derzeit noch recht mager aus.“ Nicht sinnvoll ist es aus Vinschger Sicht, Projekte wie die Hochspannungsverbindung über den ­Reschenpass und andere umstrittene Vorhaben in die Verhandlungen mit hinein zu nehmen. Und was ein etwaiges Kleinkraftwerk am Rambach betrifft, so solle die SEL auf eine Beteiligung verzichten. Verteilung: Historische Chance nutzen Eine bessere Dienstleistung vor Ort, möglichst günstige Stromtarife und keine Abhängigkeiten von außen. Das sind die Ziele einer eigenständigen Stromverteilung im Vinschgau. Zu erreichen sind sie nur, wenn die Gemeinden das Stromnetz ankaufen und die Verteilung auf Genossenschaftsbasis organisieren. „Das Netz ist zwar sehr teuer, doch die Chance, es zu erwerben und somit Herr im eigenen Haus zu werden, ist historisch und kein finanzielles Abenteuer,“ stimmten Bezirkspräsident Andreas Tappeiner und VEK-Präsident Albrecht Plangger in einem Gespräch mit dem „Vinschger“ überein. Seit dem Frühjahr 2011 hatte sich eine Arbeitsgruppe im Auftrag der Gemeinden intensiv damit beschäftigt, wie es gelingen kann, die „historische Chance“ umzusetzen. Der wirtschaftliche Aspekt wurde ebenso durchleuchtet und überprüft wie das rechtliche und politische Umfeld. Zusätzlich zum VEK-Ausschuss (Präsident ­Albrecht Plangger, Vizepräsident Andreas Tappeiner, Hubert Variola, Georg Wunderer und Siegfried Stocker) wurden auch die Firma Syneco, Vinschger Elektroingenieure sowie der Raiffeisen Energieverband für Beratungen und Berechnungen beigezogen. Die notwendigen finan­ziellen Mittel für diese Vorbereitungsarbeiten im Gesamtrahmen von ca. 100.000 Euro wurden von den Gemeinden zur Verfügung gestellt. Drei Modelle wurden bis ins Detail vertieft. Am 29. August stellte die Arbeitsgruppe die verschiedenen Modelle, die der Vinschger Strom-Pionier Georg Wunderer federführend und mit besonderem persönlichen Engagement ausgearbeitet hatte, den Bürgermeistern vor. Der beste und vorteilhafteste Lösungsansatz, dem die Bürgermeister auch nahezu einhellig zustimmten, sieht als ersten wichtigen Schritt vor, dass die Gemeinden das Netz von der SELNET ankaufen. Dieser Schritt ist allerdings schon bis Weihnachten zu machen. Netz kostet über 10 Mio. Euro Die Gesamtkosten für den Netzankauf werden mit über 10 Millionen Euro beziffert, wobei die Ausgaben unter den Gemeinden je nach Umfang und Zustand des Netzes ziemlich stark variieren.Für Mals etwa wurden über 2 Mio. Euro berechnet, für Graun ebenfalls fast 2 Mio. Euro. Laut Tappeiner und Plangger sind das zwar riesige Summen, „doch mit dem Netzankauf werden die Gemeinden Eigentümer und somit Herr im eigenen Haus.“ Diese Chance sei historisch. Plangger: „Nutzen wir sie nicht, bleiben wir für Jahrzehnte außen vor.“ Die Investitionen in das Netz können langfristig amortisiert werden, sie sind ein bleibender Wert und die unabdingbare Voraussetzung dafür, den Verteilerdienst bürgernah und effizient zu gestalten sowie die Tarife möglichst niedrig zu halten. „Herr im eigenen Haus“ Das Plazet des Landes, die Verteilung genossenschaftlich organisieren zu dürfen, muss natürlich ebenfalls gegeben sein, denn nur dann wird es möglich, dass die Bürger und Betriebe selbst Genossenschaftsmitglieder werden. Gemäß dem empfohlenen Modell soll im Obervinschgau eine so genannte „historische“ Ge­nossenschaft die Verteilung übernehmen, und zwar von Reschen bis einschließlich Laas, wobei die Kabine in Glurns der einzige Einspeisepunkt ist. Eine „historische“ Genossenschaft - es könnte sich konkret um das E-Werk Stilfs oder das E-Werk Prad handeln - bringt vor allem wirtschaftliche Vorteile mit sich. Plangger: „Zumal wir im Obervinschgau eine beachtliche Menge Strom selbst produzieren und der Konsum nicht sehr groß ist, bilden wir eine Versorgungsinsel, die vom gesamtstaatlichen System abgekoppelt ist und genau deswegen von den Systemkosten befreit werden kann.“ Das Endziel ist die Ausweitung der historischen Genossenschaft auf das gesamte Vinschgauer Verteilergebiet. Dies ist aus Kostengründen - die notwendigen und kurz­fristigen Investitionen zur Schaffung eines Inselbetriebes, der von den Systemkosten befreit wäre, betragen ca. 24,5 Mio. Euro – und mangels ausreichender Eigenproduktion noch nicht möglich. Daher wurde von der Arbeitsgruppe eine Übergangslösung vorgeschlagen. Im Gebiet von Schlanders und Latsch sieht das Modell somit als Übergangslösung eine Verteilerkooperation mit einer neuen Kabine in Vetzan vor, wobei auch Martell mitversorgt wird. Mittel- bzw. langfristig wird an eine Hochspannungsleitung zwischen Glurns und Vetzan ins Auge gefasst, sodass mit Ausnahme der Verteilerzone der Etschwerke im Untervinschgau (Kastelbell-Tschars) das gesamte Tal zu einem geschlossenen Netzwerk wird und die Systemkosten somit überall entfallen. „Rascher, effizienter und bürgernäher“ Wie aus den Businessplänen des vorgeschlagenen Modells hervorgeht, können die Gemeinden als Eigentümer des an die Verteilerbetriebe zu verpachtenden Netzes mit Pachteinnahmen und vor allem auch mit Erträgen aus dem Stromtransport (Durchleitungsgebühren) rechnen. Vinschgauweit sollen den Netzeigentümern dadurch über 4 ­Millionen Euro im Jahr zufließen. Das sind laut Tappeiner und Plangger Geldmittel, „über die letztendlich die Gemeinden verfügen können und die nicht irgendwo in einem Staatsapparat versickern.“ Es dürfte daher in Zukunft möglich sein, rascher, effizienter und bürgernäher zu investieren. Bestimmte Missstände wie etwa „Kabelsalate“ mitten in Dörfern oder unschöne Freileitungen könnten ausgeräumt werden. Die Verteilungskooperation im Mittelvinschgau sieht vor, dass auch Martell das Netz von der SELNET kauft. Allerdings gehören der SELNET nur die Nieder­spannungsleitungen und Mittelspannungen zu den einzelnen Höfegruppen. Die Mittelspannungsleitung von Kastelbell bis zum Zufrittstausee gehört der Hydros Gmbh, mit der erst konkrete Gespräche geführt werden müssen. In Martell ist die Netzsituation am schlimmsten und es wird viel zu investieren sein, aber kurzfristig möchte man durch die Verteilerkooperation mit Latsch/Schlanders vor allem mehr Dienstleistung und Qualität erreichen und Außer - und Innermartell trennen, um mehr Versorgungssicherheit zu erlangen. „Es kann nur besser werden“, so Plangger. Martell hofft auf Solidarität Bürgermeister Altstätter: „Wir hoffen auf die ­Solidarität und Unterstützung unserer Nachbargemeinden Latsch und Schlanders.“ Sowohl das VEK als auch die zu schaffenden Verteilerorganisationen sollen als möglichst schlanke Einrichtungen geführt werden. Das VEK würde als „Trader“ auftreten, der den Strom im ­Vinschgau liefert, und würde zudem den zwei Stromverteilern Dienste anbieten: Wartungsdienst, Instandhaltung, Ausbau und Potenzierung der Netze, Anschluss der Haushalte. Jetzt hofft die Arbeitsgruppe, dass auch die politischen Gremien auf der Ebene der Gemeinden dem Modell zustimmen. Die Zeit drängt, denn bis Weihnachten muss feststehen, ob das Netz tatsächlich gekauft wird. Jetzt sind die Gemeinden gefordert Für Andreas Tappeiner dürfte der Netzankauf zu einem Meilenstein werden: „Manchen Verwaltern wird die Entscheidung sicher nicht leicht fallen. Wir als Verwalter wurden aber nicht gewählt, um die Gemeindeverwaltungen am Leben zu halten, sondern um den Bürgern zu helfen.“ Schon allein der Wegfall der Systemkosten würde rund 2 Mio. Euro im Jahr ausmachen. „Und die jährlich anfallenden Wartungsausgaben in Höhe von ca. 3,8 Mio. Euro würden als Wertschöpfung hier im Tal bleiben,“ so Tappeiner. Vorerst wird es aber noch etwas dauern, bis die Vinschger, die irgendein Problem mit dem Strom haben, am anderen Ende des Telefons nicht mehr hören „le linee sono momentaneamente occupate“, sondern „Jo, wou fahlt’s?“.
Josef Laner
Josef Laner
Vinschger Sonderausgabe

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