Burgruine Lichtetnberg

Ran an die Steine!

Publiziert in 43 / 2008 - Erschienen am 3. Dezember 2008
Lichtenberg – Zwischen Glurns und Prad, am Fuße des Chavalatsch, liegt die Burg­ruine Lichtenberg. Seit 1996 wird sie restauriert, ein Umstand, den sie vor allem dem Kuratorium zur Rettung der Schlossruine zu verdanken hat. Am Sonntag, 16. November 2008 galt es, die neuesten Restaurierungen zu besichtigen und bemerkenswerte Funde zu bestaunen: Kuratoriums-Präsident Kurt Stecher, verantwortlicher Architekt der Restaurierungsarbeiten, sowie der die Restauration begleitende Archäologe Thomas Tischer präsentierten die Arbeits­ergebnisse einer der größten Ruinen­sicherung des Landes vor rund 100 Interessierten. von Katharina Hohenstein „Ich kann mich gut erinnern: als ich 1955 in meinem Hof war und von dort sehen konnte, wie die Mauer herunterkam”, so Josef Wallnöfer. Der Hof des Lichtenbergers liegt unterhalb der Ruine, das Gebäude gehörte als Knecht- und Dienstpersonalwohnung früher zur Burg. Im Spätmittelalter kam die Mauer schon öfter einmal herunter, was Wallnöfer 1955 sah, war spannend und bedrohlich, aber kaum ein erstes, dafür aber ein letztes Mal. Die Burgruine, gefährlich marode, konnte mit öffentlichen Geldmitteln nicht gerettet werden, da in Privatbesitz der Familie Khuen Belasi, also hieß es: Rauf auf die Burg und ran an die Steine! So mancher Talbewohner stellte mit den Ziegeln der Burg sein eigenes Haus auf. Da wundert es nicht, dass die Lichtenberger „die Burg immer ein bisschen als unsere Burg gesehen” haben, wie ein Bürger am Sonntag vor versammeltem Publikum im Haus der Dorfgemeinschaft Lichtenberg verkündete. Der damalige Zerfall hat keinen guten, aber einen plausiblen finanziellen Hintergrund: die im 19. Jahrhundert eingeführte Dachsteuer führte zum Untergang manch großen Anwesens. Zu Anfang des 19. Jahrhunderts soll die Burg noch intakt gewesen sein. Die gotischen Fresken, seltene, profane Wandmalereien, wurden schon von 1908 bis 1912 abgetragen und in das Innsbrucker Ferdinandeum gebracht. Wo sie noch heute im Keller lagern. Das Kuratorium hat sich der Sicherung der Ruine und ihrer Rückführung in öffentliche Nutzbarkeit verschrieben. Mit einer 90-prozentigen Kostenbeteiligung seitens des Amtes für Bau- und Kunstdenkmäler, Zuwendungen der Stiftung Südtiroler Sparkasse sowie privaten Sponsoren sind mit den bisher ausgegebenen 913.033 Euro die Baulose 1 bis 5 von 1996 bis 2008 finanziert worden. Kurt Stecher hofft, die Arbeiten der letzten Baulose bis 2011 abschließen zu können. Dazu gehören auch die Erschließung der Infrastrukturen mit sanitären Anlagen (um Veranstaltungen zu ermöglichen) sowie ein Aufgang zur Burg. Neben der Sicherung gehörten zu den bereits vollendeten Arbeiten auch das Freilegen des Restbestandes des Hiltprandturms, die Rekonstruktion der eingefallenen Ost-Wehrmauer, das Sanieren der Kapelle, das Freilegen einiger Treppenaufgänge oder das Errichten neuer Verbindungsmauern. Für Kurt ­Stecher (im Bild) ist es denkbar, zukünftig in geschlossenen Räumen die Geschichte der Burg darstellen zu können. Heute schon sichtbar sind die Mauerarbeiten, wo altes Material von neuem deutlich sichtbar abgesetzt ist. Der Vinschger Architekt versichtert außerdem: „Selbstverständlich wurde bei der gesamten Sanierung kein Zement verwendet”. Zement hat als viel zu hartes, kaum einer Bewegung nachgebendes Material vor allem in den 70er Jahren, als es für ein Wundermittel gehalten wurde, so manche bautechnische Misere ausgelöst. Man denke an den Boden des Glockenstuhls oder an die Mauerfugen des Niederlanaer Pfarrturms, welche den Turm fast das Leben gekostet hätten. Kalkmörtel sei bei den Arbeiten benutzt worden, fügt Stecher hinzu, den hätten schon die Römer verarbeitet. Auch Trass-Kalke wurden verarbeitet: das ist feingemahlener, saurer, puzzolanischer Tuffstein, der gemischt mit gelöschtem Kalk ein hydraulisches Bindemittel ergibt, das auch unter Wasser abbindet. Selbst wenn die Restaurationsarbeiten nicht für die Ewigkeit gemacht werden: „20 bis 30 Jahre lang”, so der Lichtenberg- Burgruinen-Fan, „sollten sie schon halten”. Ein weiterer Fachmann ist mit am Projekt der Restauration Burgruine Lichtenberg betei­ligt: Albrecht Ebensperger. Der Vinschger Baumeister hat mit der Sanierung und Konsolidierung denkmalgeschützter Bauen Erfahrung: Er wirkte unter anderem bei der Restauration der Burgruine Hocheppan in Eppan, der Salurner Haderburg oder auf Schloss Sigmundskron mit. „Vor zwei ­Jahren”, berichtet der Tiroler Archäologe Thomas ­Tischer (im Bild), „brachen wir während der Grabungen mit dem Unimog ein.” Zutage kamen Schächte, einer davon zwei Meter tief. Im Mittelalter, so der Forscher, hätten solche Schächte die Möglichkeit geboten, Kräne und Gerüste bei größeren Bauvorhaben aufstellen zu können. Diese ragten dann bis zu zwölf Meter hoch über dem Boden und erleichterten das Arbeiten, laut Tischer ein seltener Befund. Aber nicht nur das fand das wühlende Grabungsteam um Tischer heraus: Ein Blockbau auf einem ­Trockenmauerfundament wurde neben den Kranvorrichtungen sichtbar. Ein ähnliches Highlight der Grabungsarbeiten dürfte eine Fibel gewesen sein, eine Art Kleider­schließe - sie stammt aus ca. 500 n. Chr., ähnliches wird von dem gefundenen Gebäuderest angenommen.. Ähnliches ­Alter weisen auch Knochen und Keramiken auf: „Vermutlich ist dieser Hügel schon länger als angenommen besiedelt”. Eine äußerst filigrane, weibliche Elfenbeinfigur ist weitaus jünger, vermutlich kommt dieses kleine kunsthandwerkliche Meisterwerk aus dem 15ten Jahrhundert. „Sie könnte vielleicht Teil eines Besteckes gewesen sein”, vermutet Tischer, der die feine Schönheit zu schätzen weiß. Dabei war die Arbeit der Archäologen kaum so zart wie dieses gefundene archäologische Schmuckstück. An den 35 bearbeiteten Stellen wühlten sie sich durch hunderte Tonnen von Schutt – angehäuft durch den Steineraub – und legten Pflaster frei, auch ist maches Gewölbe jetzt wieder zu sehen. Während anhand der archäologischen Arbeiten viele verschiedene Bauphasen sichtbar wurden, ist letztlich die Restaurierung eines Zustands von 1850 angestrebt. Die Anzahl der Bauphasen kann sich selbst der Laie gut vorstellen: Zwar wurde die Burg 1228 urkundlich erstmalig erwähnt, vielleicht aber schon um 1200 herum gebaut. Tischer nimmt an, dass sich die Damen und Herren durchaus rein hielten: Die feine Gesellschaft, so vermutet der Archäologe, badete: dafür sprächen die gefundenen – als solche zumindest vermuteten – Badestuben, die im Gartenbereich, neben dem Wasserreservoir der Burg entdeckt wurden. Das Reservoir sorgte in Belagerungszeiten dafür, dass Wasser in Zisternen gesammelt werden konnte. Die Funde der Archäologen bilden gemeinsam mit den Bildern der Wandmalereien ein gedankliches Fundament, mit dessen Hilfe sich selbst Nicht-Kenner ein Bild des damaligen Habitus machen können. Bevor der Archäologe aus Söll die Schotterbühne der Burgruine betrat, war der heute pensionierte Landesarchäologe Hans Nothdurfter schon längst vom Schauplatz Vinschger Geschichte fasziniert. Die geplante Publikation über die Funde, so Tischer, erweitere die Arbeit von Nothdurfter. Auf Nothdurfters Iniative gehen auch die archäologischen Forschungen der Burg zurück , so erstellte er die Positionierung der Gemälde. Fresken haben es ihm angetan: „Sie sind wichtige Zeugnisse der europäischen Geistesgeschichte. Die Ritter träumten von Abenteuern. Französische Ritterromane sind voll von Burgen-Eroberungen und Königinnen-Befreiungen. Ich habe schon geträumt, was man alles machen könnte mit dieser Burg. Heute ist der schönste Tag im ganzen Jahr.” Es seien die Geldmittel, so Stecher, die das Fertigstellen verzögerten. Selbst wenn der erste Betrag für die Finanzierung vom Landesdenkmalamt kam, Stecher selbst von Pontius zur Pilatus lief, um weitere Gelder zu erhalten, fehlten immer noch weitere 20.000 Euro. Stecher, Mitglied und damaliger Präsident des Vingscher Kiwani-Clubs, hatte dann eine weitere Idee: Künstlermappen zur 20-Jahresfeier des Kiwanisclubs zusammenzustellen und dessen Erlöse für soziale und kulturelle Zwecke zu verwenden. Ein Fundraising-Projekt, das er über den Kiwanis-Club abwickelte und den restlichen Fehlbetrag eintrieb. „Die Vinschger Künstler haben großartig mitgemacht.” Der Architekt hat 1975 schon Erfahrungen mit alter Bausubstanz gemacht, als er die ersten Renovierungen in Glurns durchführte: „Es gibt bei alten Gebäuden immer wieder Überraschungen“. Überrascht waren auch jene, die während Armin Torgglers Vortrag digitale Bilder der abgenommenen Fresken sahen. Der Koordinator der Stiftung Bozener Schlösser, mitverantwortlich für die Neuerschung „Rittertum in Tirol”, zeigte, welche seltenen profanen Bilder einst die Lichterberger Wänder verzierten. Von Prüderie war damals wenig zu spüren – auf jeden Fall weniger als heute, möchte man meinen. Für alle, die daran zweifeln, sei ein kleiner kunstgeschichtlicher Ausflug in die Welt der romanischen und gotischen Fresken empfohlen. Weltliche und christliche Themen stehen im Falle von Lichtenberg oft nebeneinander – so wie der Wunder- oder Phallusbaum genannt – sich in unmittelbarer Nähe der beiden Heiligen Barbara und Agathe befunden haben soll. Die abgenommenen Fresken sind nicht die einzigen Gemälde, wie Armin Torggler betonte. Fragmente weiterer Gemälde stapeln sich in insgesamt 68 Kisten. Abbildungen von Portraits ergeben teils äußert lebenslustig schauende Menschen. Auch der Wunderbaum ist nicht ohne Lebenslust gemalt – das lässt sich zumindest aufgrund der Thematik vermuten. Rosen – hier auch als Symbol der Vagina zu verstehen - und Phalli als Früchte des Baumes, die Frauen verschiedener Altersgruppen vom Baume schütteln, um sie dann aufzulesen. Verknüpft sich diese Thematik mit dem Glücksrad, argumentiert Waltraud Kofler Engl in „Rittertum in Tirol”, sei vor allem die Macht der Minne, herrschend über jung und alt, deutlich. Jagdszenen und Kolbenturniere sind weiterer Teil des Bildprogrammes. Das Kolbenturnier (Turniere in leichter Rüstung, die sich ab 1400 durchsetzten) soll nicht nur die Helmzier des Daniel von Lichtenberg, sondern auch die Büffelhörner der Herren von Matsch, Besitzer der Churburg, darstellen. Weitere Bildereihen zeigen Motive aus dem Laurinepos sowie alttestamentarische Szenen. Zur Zeit, als die Malereien in Auftrag gegeben wurden, waren die Herren von Lichtenberg bereits alleinige Besitzer der Burg – was vorher eher selten war, da bis zu vier verschiedene Familien die Burg bewohnten. Die hauptsächlich profanen Bilder sollen vor allem der Selbstdarstellung in Rang und kultureller Positionierung gedient haben. Pankraz Khuen wurde 1503 Empfänger des Pfandes Lichtenberg, 1513 ging sie in seinen Besitz über. Im Laufe der weiteren Jahre baute die Familie Khuen Belasi die Burg als Familienhauptsitz aus. Heute gestaltet einer der Mitbesitzer, Ivo Khuen, als Architekt mit am Projekt Ruinensicherung. Gemeinsam mit dem weiteren Besitzer, seinem Cousin Gregor Khuen, sind die Khuen Erben daran interessiert, dass der Verfall der Burgruine Lichtenberg durch die Restaurierungs- und Sicherungsarbeiten gestoppt und in Zukunft die öffentliche Zugänglichkeit der Burg gesichert wird. Für das Kuratorium war die Zustimmung der Khuen-Cousins wesentlich: Ohne die Befürwortung der besitzenden Familie hätte sich das Projekt nicht realisieren lassen. So kann in Zukunft einer der größten Burganlagen in Südtirol wieder ein wenig Leben eingehaucht werden, indem Freilicht-Veranstaltungen innerhalb der geisterhaften Ruinenmauern stattfinden könnten und durch Ausstellungen die ehemalige Pracht und Ausstrahlung der Burg Lichtenberg vermittelt werden. Von Rosenpflückern und Wunderbäumen Herausgegeben von der Stiftung Bozner Schlösser, erschien in diesem Herbst der erste Band der Runkelsteiner Schriften zur Kulturgeschichte: „Rittertum in Tirol”. Der Koordinator der Schlösser Stiftung, Armin Torggler, ist mitverantwortlich für diesen Band, der in acht Aufsätzen dem Tiroler Rittertum näher zu kommen versucht. Spannend ist der Band vor allem im Zusammenhang mit der Sicherung und Restauration der Ruine: So sind vier Kapitel aussschließlich der Burgruine Lichtenberg gewidmet. Einen besonderen Leckerbissen für Burgruine-Lichtenberg-Fans bietet der Aufsatz von Waldtraut Kofler Engl über die gotischen Wandmalereien der Ruine , die heute im Innsbrucker Ferninandeum aufbewahrt werden und deren digitale Abbilder vor kurzem auf Schloss Runkelstein zu besichtigen waren. Von phallischen Wunderbäumen und vaginalen Rosenpflückern ist nicht nur die Rede: Die Fotos der Malereien veranschaulichen den Seltenheitswert der profanen Kunst. Absolut lesenswert! Mehr Infos im Internet (www.runkelstein.info).
Josef Laner
Josef Laner
Vinschger Sonderausgabe

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