Adoption: Wir Kinder aus dem Osten
Alltagssituation am Mittagstisch in einem Kinderheim in Russland

Recht auf gute Eltern

Publiziert in 21 / 2005 - Erschienen am 4. November 2005
Die Adoption eines Kindes ist nicht nur ein formeller Akt, sondern ein Prozess, der die Familie ein Leben lang begleitet. Sie stellt das Wohl des Kindes in den Mittelpunkt. Für jedes Kind wird versucht, geeignete Eltern zu finden. Auf den ersten Blick scheint die Adoption eines Kindes, besonders aus dem Ausland, eine sehr komplizierte Angelegenheit zu sein. Viele Stellen sind damit befasst, es müssen zahlreiche Unterlagen besorgt werden und schwer verständliche Regelungen im In- und Ausland schrecken zahlreiche interessierte Paare davon ab, sich näher mit dem Gedanken an eine Adoption zu beschäftigen. „Der Vinschger“ hat mit der Sozialassistentin Susanna Höller über den Aufgabenbereich der sog. Equipes gesprochen, welche das Land für Adoptionen eingesetzt hat. „Der Vinschger“: Wie sieht der Aufgabenbereich der Equipes aus? Susanna Höller: Die Aufgaben der 4 Equipes auf Landesebene sind die Information und Vorbereitung der angehenden Adoptiveltern, die Gutachtertätigkeit und die Nachbetreuung und Aufsicht nach der Adoption. „Der Vinschger“: Welche Kriterien muss ein adoptionswilliges Paar erfüllen, damit es die Eignungserklärung erhält? Susanna Höller: Um adoptieren zu können, muss das Paar lt. Gesetz mindestens 3 Jahre verheiratet sein. Das seit weniger als 3 Jahre verheiratete Ehepaar muss den Nachweis erbringen, 3 Jahre zusammengelebt zu haben. Das Paar muss gefühlsmäßig geeignet und in der Lage sein, das minderjährige Kind, das es adoptieren möchte, zu erziehen, zu bilden und zu erhalten. Sowohl vom Jugendgericht, als auch von den Fachkräften, wird dem Paar empfohlen, an einem Vorbereitungsseminar für angehende Adoptiveltern teilzunehmen. Sobald sich das Paar entschieden hat, den Weg der Adoption zu gehen, reicht es eine Bereitschaftserklärung beim Jugendgericht ein, welches anschließend den zuständigen Sozialdienst und die Familienberatungsstelle mit der psycho-sozialen Erhebung über das Paar beauftragt. Die Fachkräfte erstellen innerhalb von 4 Monaten das Gutachten. Innerhalb von 2 Monaten entscheidet dann das Jugendgericht über die Eignung bzw. Nicht-Eignung des Paares. Bei Erhalt der Eignung muss das Paar innerhalb eines Jahres eine vom Staat autorisierte Vermittlungsstelle mit dem Adoptionsprojekt beauftragen. Es wird in dieser Zeit von den zuständigen Referenten der Vermittlungsstelle betreut. Ich als Sozialassistentin begleite die Familie, sobald die Adoption im Ausland abgeschlossen ist, für die Dauer eines Jahres und berichte dem Jugendgericht über den Verlauf des Adoptionsprojektes. Wir treten in Kontakt mit einem Kinderarzt, der Mütterberatung, mit Kindergarten und Schule. „Der Vinschger“: Bereiten Sie die Adoptiveltern darauf vor, ihre Adoptivkinder frühzeitig über ihre Herkunft aufzuklären? Susanna Höller: Ja, wir versuchen den angehenden Adoptiveltern diesbezüglich eine Hilfestellung zu geben. Für das Adoptivkind ist es von großer Bedeutung, dass seine Herkunftsfamilie in seinem Leben einen „Platz“ bekommt, und dass dieser auch von Seiten der neuen Eltern eine gewisse Wertschätzung entgegengebracht wird. Dies ist für Adoptiveltern oft eine große Herausforderung. Es ist schön, wenn das Kind seinen ursprünglichen Namen, den ihm seine leibliche Mutter gegeben hat, behalten darf. Der Name verbindet das Adoptivkind mit seinem Heimatland, mit seiner Sprache und Kultur. Ich kenne zwei indische Mädchen, die zu einem bestimmten Fest ihren Sari anziehen dürfen. „Der Vinschger“: Wie alt sind die Paare im Durchschnitt? Susanna Höller: Die meisten Paare versuchen zuerst mit Hilfe der modernen Fortpflanzungsmedizin ein leibliches Kind zu zeugen. Sobald sie erkennen, dass dieser Weg nicht erfolgreich ist, entscheiden sie sich für eine Adoption. Da sind sie oft schon zwischen 35 und 45 Jahre alt. „Der Vinschger“: Spielt das Alter der Kinder für die Paare eine Rolle? Susanna Höller: Die meisten Paare wünschen sich ein Kind so klein wie möglich, um die einzelnen Entwicklungsstufen eines Kindes schon früh mitzuerleben, aber auch, weil sie glauben, dass ein Kleinkind noch weniger „schlimme“ Erfahrungen gemacht hat und dass es weniger „Erinnerungen“ hat. Laut Gesetz spielt das Alter der angehenden Adoptiveltern eine große Rolle in Bezug auf das Alter des Kindes; kleinere Kinder werden eher jüngeren Paaren zugesprochen. „Der Vinschger“: Haben Sie einem Paar schon einmal von einer Adoption abgeraten? Susanna Höller: Wenn Paare den Wunsch äußern, ein Kind zu adoptieren, um einem Kind zu „helfen“, so rate ich diesem Paar, auf eine andere Weise zu helfen, z. B. durch Patenschaften oder Spenden. Die Entscheidung über eine Eignung liegt beim Jugendgericht. Treten Zweifel während der Gutachtertätigkeit auf, werden diese mit dem Paar besprochen und es wird eventuell auch von einer Adoption abgeraten. Im Adoptionsprojekt steht das Wohl des Kindes im Vordergrund; es wird nicht ein Kind für das Paar gesucht, sondern geeignete Eltern für ein Kind. Es werden nicht perfekte Eltern gesucht, denn die gibt es nicht. „Der Vinschger“: Welche Kosten hat ein Paar bei einer Auslands-Adoption zu tragen? Susanna Höller: Es sind vor allem bürokratische Spesen, Dolmetscher-Kosten und Ausgaben für Fahrten und Aufenthalte. Diese Kosten belaufen sich auf höchstens 15.000 Euro. Ein Adoptivkind wird nicht gekauft, weder Heim noch Herkunftsfamilie bekommen Geld dafür. „Der Vinschger“: Werden Sie von Jugendlichen oder bereits erwachsenen Adoptivkindern aufgesucht? Susanna Höller: Mir ist der Kontakt zu den Adoptivkindern auch nach der offiziellen Nachbetreuung sehr wichtig. Es kommt auch vor, dass sich erwachsene Adoptivkinder an die Mitarbeiter der Equipes wenden und Hilfestellung auf der Suche nach den leiblichen Eltern bekommen. Der Dachverband für Selbsthilfegruppen hat in Zusammenarbeit mit der Dienststelle für Adoptionen und den Equipes eine Selbsthilfegruppe für „Erwachsene Adoptivkinder“ aufgebaut. Dort besteht durch das Austauschen von Erfahrungen die Möglichkeit, Erlebtes zu verarbeiten und als wichtigen Teil des Lebens zu integrieren. Interview: Ingeborg Rechenmacher
Ingeborg Rainalter Rechenmacher
Ingeborg Rainalter Rechenmacher
Vinschger Sonderausgabe

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