Nervenspiel

Rücktrittswelle der Vizedirektoren

Publiziert in 17 / 2002 - Erschienen am 12. September 2002
Das Nervenkostüm der Lehrer und Lehrerinnen kann wohl mit einer russischen Matroschka verglichen werden, mit jenen Puppen, die, wenn man sie öffnet, noch eine Puppe enthalten, wenn man diese öffnet, eine weitere usw., bis schließlich die kleinste aller Puppen zum Vorschein kommt. Nehmen wir an, die kleinste Puppe im Inneren entspricht dem Nervenkostüm, welches die Lehrer und Lehrerinnen den Schülern gegenüber aufzubringen haben. Die zweite Puppe, nehmen wir weiter an, würde dem Aufwand entsprechen, mit dem die Lehrer und Lehrerinnen der Verwaltung in der Schule begegnen, die dritte Puppe dem Bezug zum Direktor oder der Direktorin, die vierte Puppe gehört dem Schulamt und der Schulpolitik und die äußerste Puppe ist das Nervenkostüm, das getragen werden muss, um die anderen zusammenzuhalten. Natürlich könnte man noch weitere Puppen im Inneren einfügen, etwa den Elternkontakt, den Umgang zwischen den Lehrern usw. Was geschieht, könnte man fragen, wenn eine dieser inneren Puppen, aus welchem Grund auch immer, aus den Fugen gerät oder gar explodiert? Explosionsgefahr besteht jedenfalls in einigen Schulen oder hat im vergangenen Schuljahr bestanden; besonders im Bereich der dritten Puppe, jenem Nervenkostüm, welches für die Beziehung zum jeweiligen Direktor bzw. zur Direktorin verantwortlich ist. Dass das von der Politik und vom Schulamt eingebrockte Unterfangen, die großen Schulsprengel zu bilden, vor Ort nicht ohne Schwierigkeiten auszuführen sein würde, lag und liegt in der Natur der Sache und war zu erwarten. Und obwohl dem Schulamtsleiter landesweit überwiegend positive Rückmeldungen über das Zusammenführen von Grund- und Mittelschule gemacht wurden (siehe Interview), lagen in einigen Schulen, vor allem im Vinschgau, die Nerven blank. Der Rücktritt mehrerer Vizedirektoren und Schulstellenleiter ist der sichtbare Beweis dafür. In Partschins ist die langjährige Schulstellenleiterin zurückgetreten, in Latsch ist die Vizedirektorin, die vor der Schulsprengelbildung beauftragte Direktorin der Grundschule war, geflüchtet, nicht nur aus dem Amt, sondern auch aus dem Schulsprengel. Über die Gründe der Rücktritte wollen die Betroffenen, zumindest dem „Vinschger“ gegenüber, nichts aussagen. Der Rücktritt des Vizedirektors in Laas ist anders gelagert und hat mit dem dortigen Direktor nichts zu tun. Johann Tumler, seit 15 Jahren Außenstellenleiter, ist aus rein persönlichen Gründen zurückgetreten. Der Schulamtsleiter will es der Schule nicht verübelt wissen, „dass schmutzige Wäsche nicht nach außen gewaschen wird.“ Außerdem, und das kann von der Lehrerschaft möglicherweise als zweischneidiges Schwert gewertet werden, fehlt dem Schulamt „das Instrumentarium, um einzugreifen.“ Gut möglich, dass ein Hauptgrund der Differenzen zwischen den Grundschulen und den Direktoren, auch darin zu suchen ist, dass die Direktoren meist aus der Mittelschule kommen, die ganz anders organisiert und strukturiert ist, als die Grundschule. Die Grundschullehrer waren es bisher gewohnt, sich selbstständiger als die Mittelschule zu organisieren, sich die Stundenpläne auszuraufen usw. und dies hat sich offensichtlich bewährt. Schlimm wird die innerschulische Beziehungskiste, wenn Leitbildsätze, wie z.B. dass sich in der Schulgemeinschaft alle Beteiligten wohlfühlen sollen oder dass ein Miteinander angestrebt wird, überhaupt nicht mit der tatsächlichen Situation in der Schule übereinstimmen. Noch schlimmer wird es allerdings, wenn die Spannungen solche Dimensionen erreichen, dass sie seelische und körperliche Auswirkungen haben, möglicher- weise auf beiden Seiten, bei manchen Lehrern aber auch bei manchen Direktoren oder Direktorinnen. Im neuen Direktorenvertrag wird festgehalten, dass der Direktionsauftrag für den jeweiligen Schulsprengel auf ein Jahr befristet ist. Theoretisch könnte damit ein Verbleiben der Direktoren an einer Dienststelle auf Gedeih und Verderb, besonders auf letzteres, unterbrochen werden. Interview von Erwin Bernhart mit Schulamtsleiter Walter Stifter: “Belastungen haben enorm zugenommen.” “Der Vinschger”: Wie sind die vielen Rücktritte von Vizedirektoren in den Schulen des Vinschgaus zu erklären? Walter Stifter: Mir sind drei Fälle im Vinschgau bekannt: in Partschins, in Latsch und in Laas. Dieses Phänomen ist eher lokal zu sehen, es trifft nicht auf das gesamte Land zu. Ob es mit den Belastungen zusammenhängt, ob mit der langen Dienstzeit oder ob es auf eine mangelhafte Zusammenarbeit des Direktors oder der Direktorin mit dem Vizedirektor oder der Vizedirektorin zurückzuführen ist, kann ich nicht sagen. Womit hängt die Unruhe vom vergangenen Schuljahr vor allem in Grundschulen zusammen? Sicher hängt es auch mit der jeweiligen örtlichen Schulleitung zusammen. „...hängt mit Schulleitung zusammen...“ Ich sehe allerdings nicht, dass diese Rücktritte grundsätzlich gegen die Schulpolitik des Landes, des Staates oder gegen das Schulamt gerichtet sind. Sind einige Direktoren oder Direktorinnen überfordert? Es stimmt, dass die Belastung für die Direktoren enorm zugenommen hat. Es stimmt, dass das erste Jahr der Schulzusammenlegungen das schwierigste war. Man kann nicht leugnen, dass die Direktoren und Direktorinnen auch eine berufliche Herkunft haben. Das heißt, sie kommen entweder von der Grundschule und haben dann wenig Erfahrung mit der Mittelschule oder umgekehrt. Die Rückmeldungen landesweit haben aber ergeben, dass unsere Schulleute in den Zusammenlegungen im Großen und Ganzen viele positive Entwicklungen erkennen. Ich möchte damit jedoch nicht verhehlen, dass es auch Schwierigkeiten gibt und dass die Belastung und die Komplexität enorm zugenommen haben. Viele Lehrer vermuten, dass es einen hierarchischen Druckaufbau gibt, von der Politik über das Schulamt zu den Direktoren bis zu den Lehrern. Das muss ich verneinen. Die Schulen sind weitaus autonomer geworden. Wir besitzen derzeit nicht einmal ein Instrumentarium, diesen Druck auszuüben. Wir sorgen für günstige Rahmenbedingungen und hoffen, dass die Schulen in Selbstverantwortung ihre Aufgaben wahrnehmen. Die Aufgabe des Schulamtes sehen wir eher in der Beratung: Es ist eine Servicestelle für die autonomen Schulen. Sind die Direktoren nicht zum Erfolg verdammt, weil die Anstellung im laufenden Schuljahr auf ein Jahr befristet ist und eine Verlängerung eben von diesem Erfolg abhängt? Das stimmt so nicht. Die Direktoren sind auf unbestimmte Zeit angestellt. Was auf beschränkte Zeit festgesetzt ist, ist der Dienstsitz. Das ist das Neue. Derzeit haben wir noch keinen Direktorenvertrag. „Direktorenvertrag bringt Wende“ Er bringt mit Sicherheit eine Wende, denn wir werden mit den Direktoren Ziele vereinbaren, die dann auch überprüft werden und diese Überprüfung wird sich möglicherweise bis zur gehaltlichen Positionierung hin durchschlagen. Diesem Prinzip unterliegen alle Führungskräfte beim Land und beim Staat. Die betroffenen Lehrer, zu deren Selbstverständnis es auch gehört, mündige und kritische Bürger heranzubilden, getrauen sich nicht, öffentlich über die Führungsprobleme in der Schule zu reden. Ich sehe schon, dass es an manchen Schulen Probleme und Konfrontationen gibt, wo wir zum Teil auch mit Supervision und mit Mediation helfend eingreifen, damit diese Konflikte nicht gewaltig eskalieren. Man kann es der einzelnen Schule allerdings nicht verübeln, dass sie die schmutzige Wäsche nicht in der Öffentlichkeit wäscht und Probleme in erster Linie intern löst. Wir prüfen dabei, ob Vorschriften und Gesetze eingehalten wurden. Wenn nichts vorliegt, sind auch unsere Eingriffsmöglichkeiten begrenzt. Vom Schulamt kann also erst eingegriffen werden, wenn ein formaler Fehler nachgewiesen werden kann? Da Eingriffsmöglichkeiten von unserer Seite aus zu einem guten Stück fehlen, müssen heute Probleme an der Schule weitgehend selbst und nicht über den hierarchischen Weg gelöst werden. „Probleme selbst lösen“ Im Wesentlichen ist die Schule selbst, also der Schulrat, das Lehrerkollegium und andere Gremien an der Schule verantwortlich für eine vernünftige Problemlösung. Wir können nur eingreifen, wenn die Rahmenbedingungen verletzt werden. Wir haben vor zwei Wochen Revisoren für die Schulen eingesetzt, die den Verwaltungsablauf vor Ort kontrollieren und evaluieren. Das ist auch ein Zeichen, dass die Schule vor Ort verantwortlich ist. Wir geben nicht mehr Details vor, sondern ziehen uns auf die Rahmenbedingungen zurück. Das soll an den Schulen draußen die Selbstverantwortung steigern und neue Energien entfachen. Das sind sicher oft schöne Worte, das gebe ich zu. Hängt diese Entfaltung nicht unmittelbar mit der Führungsqualität vor Ort zusammen? Einverstanden. Die Führung hat vor Ort sicher eine Schlüsselrolle in der inneren Schulentwicklung. Wir versuchen die Rahmenbedingungen im Sinne von Aus- und Weiterbildung zu geben. Aber es gibt wie überall verschiedene "Geschwindigkeiten" in dieser Entwicklung. „Schwarze Schafe gibt es überall.“ Schwarze Schafe gibt es überall. Das Bemühen ist da, Schulleiter und Schulleiterinnen stark zu qualifizieren, weil sie eben diese Schlüsselstellen inne haben und viele Entwicklungen ermöglichen, aber auch abbremsen können. Die Frage nach der Sinnhaftigkeit der Schulsprengel stellt sich immer noch. Der Reformvorschlag à la Berlinguer hat das Ganze ins Rollen gebracht, das stimmt. Aber sinnvoll scheint uns das nach wie vor. Die Einsparungen von Direktoren waren nicht der Grund für die Operation. Sie waren auch nicht die oberste Zielsetzung. Kinder vom Beginn der Schulkarriere bis zur Oberschule durchgehend zu begleiten, dieses päda-gogische Konzept ist die Grundlage. Sind diese Schulsprengel jetzt fix? Nein, es gibt Bereiche, wo Korrekturen notwendig sein werden. Eine Arbeitsgruppe, die im Herbst eingesetzt wird, wird Vorschläge ausarbeiten, ohne das Prinzip der vertikalen Zusammenführung aus den Augen zu verlieren. Wir wollten neue Direktionszentren errichten, z.B. in Kastelbell. Aber das ist jetzt passé. Die Vorschläge werden nicht mit der Brechstange erfolgen, sondern wir wollen damit sachte unter Einbeziehen der Schulleute und der Gemeinde im Oktober beginnen. Wann wird ein Ergebnis erwartet? Wenn eine Änderung notwendig ist, kann sie schon ab übernächstem Schuljahr erfolgen. Was ist am hartnäckigen Gerücht dran, dass Sie in Pension gehen wollen? (lacht) Für jeden kommt einmal die Zeit. Aber das muss noch etwas reifen.
Erwin Bernhart
Vinschger Sonderausgabe

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