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Rund 85 Prozent für den Nationalpark

Publiziert in 9 / 2002 - Erschienen am 9. Mai 2002
Die Ausweisung des Nationalparkes Stilfserjoch im Jahre 1935 empfand die Bevölkerung Südtirols nach der Italienisierungskampagne als erneute Repressalie seitens der faschistischen Machthaber. Es war also kein Wunder, dass die Unterschutzstellung des Gebietes, das auch Talsohlen und landwirtschaftlich genutzte Gebiete mit einbezog und Einschränkungen mit sich brachte, als Willkürakt empfunden wurde. Dementsprechend war auch der Widerstand, der immer wieder Blüten trieb. Man denke dabei nur an die florierende Wilderei. Naturschutz kann aber nur dann funktionieren, wenn die Menschen eine positive Grundeinstellung für das Schutzgebiet entwickeln. Viele Entscheidungen der Nationalparkverwaltung wurden in Vergangenheit aus den unterschiedlichsten Gründen oftmals auf die lange Bank geschoben. Außerdem gab es immer wieder Konflikte zwischen Zentralregierung und den am Park beteiligten Provinzen. Das alles wirkte sich über Jahrzehnte hinweg hemmend aus. Es dauerte fast ein halbes Jahrhundert bis sich die Bevölkerung langsam mit dem Nationalparkgedanken anzufreunden und darüber nachzudenken begann, welchen Nutzen, welche neuen Möglichkeiten der Park bieten könnte. Am kompromisslosesten waren stets die Jäger. Erst deren Beteiligung an den Abschüssen im Rahmen der Wildregulierung im Park nahm ihnen teilweise den Wind aus den Segeln. Die Suche nach Kompromissen zwischen den verschiedenen Interessensgruppen im Nationalpark ist die Herausforderung für das Nationalparkkonsortium, das seit 1995 alle Parkteile einheitlich leitet. Derzeit geht es um den neuen Parkplan, mittlerweile liegt ein längst geforderter Zonierungsvorschlag vor. Die Gespräche und Verhandlungen, zum Beispiel um die Ausklammerung der Talsohlen, um die Ausweisung besonderer Schutzgebiete und so weiter, kommen in eine neue Phase und werden noch so manchen Zündstoff bieten. Inzwischen liegt auch eine Akzeptanzstudie zum Nationalpark Stilfserjoch auf dem Tisch, die als gute Grundlage für Diskussionen dienen kann. Aus den Ergebnissen könnten auch Schlüsse für politische Entscheidungen gezogen werden. Die Studie ist Teil eines breitangelegten Forschungsprojektes der Europäischen Akademie Bozen (EURAC), unterstützt vom EU-Programm Interreg II, zum Themenschwerpunkt Schutzgebiete. Befragt wurden im vorigen Frühsommer 1100 Personen im gesamten Parkgebiet (Südtirol, Trentino, Lombardei), 400 davon im Südtiroler Teil. Parallel dazu lief auch eine Gästebefragung. Die Auswertung der Fragebögen erbrachte ein für viele überraschendes Ergebnis. Rund 85 Prozent der Befragten im Südtiroler Teil finden es sinnvoll, ausgewählte Gebiete unter einen besonderen Schutz zu stellen. Auch mit dem Nationalpark an sich steht die Bevölkerung auf gutem Fuß: 30 Prozent befürworten ihn "ohne wenn und aber", weitere 52 Prozent der Befragten stehen hinter ihm, wenn man das anstehende Zonierungsproblem vernünftig lösen kann. Natürlich kommen in der Befragung auch die Nutzungskonflikte zum Ausdruck: Jäger, Bauern und Grundbesitzer empfinden Einschränkungen, Handel, Gastgewerbe und Wirtschaft sehen vermehrt die Vorteile eines Schutzgebietes. Was die Jagd betrifft, weichen die Ansichten der Südtiroler klar von denen des Trentino und der Lombardei ab: 35 Prozent der Südtiroler bewerten eine Jagd im Rahmen des Jagdgesetzes im Nationalpark als vernünftig; in den beiden anderen Parkgebieten sind nur 7 Prozent der Befragten dieser Meinung. Zwei Drittel der 1400 befragten Gäste sind sich bewusst, dass sie im Nationalpark Urlaub machen. Immerhin 50 Prozent davon geben an, dass dieser Umstand für sie wichtig sei. Und noch ein wirtschaftliches Potential hat sich aus der Befragung ergeben: 50 Prozent der Gäste im Südtiroler Teil würden es begrüßen, wenn in den Gastbetrieben stärker lokale Produkte angeboten würden. 42 Prozent äußern dafür auch eine höhere Zahlungsbereitschaft. Die Verweigerung (bei der Umfrage mitzumachen) war bei der Bevölkerung aller Teilgebiete sehr gering, sodass die erzielten Ergebnisse repräsentativ sind. Laut Ulrike Tappeiner (siehe Interview) könne man mit gutem Gewissen – auch gegenüber dem Umweltministerium in Rom – sagen: Das ist die Meinung der Bevölkerung. Zur Studie Sie wurde ausgearbeitet von Roberta Bottarin, Karin Leichter (beide EURAC), Sylvia Bacher (Univ. Innsbruck), Ulrike Tappeiner (EURAC, Univ. Innsbruck und Gottfried Tappeiner (Univ. Innsbruck). • Befragt wurde die Bevölkerung der 24 Nationalparkgemeinden (Südtirol, Trentino, Lombardei). Die Auswahl erfolgte nach dem Zufallsprinzip. • Im Südtiroler Teil wurden 541 Personen kontaktiert, 400 davon füllten die Fragebögen aus. • Die Verweigerungsquote im Südtiroler Teil ist mit rund 26% (141 von 541 Personen) sehr niedrig. • Diese Themenschwerpunkte wurden in 32 Fragen abgehandelt. • Einstellung zur Natur • Wirkung des Nationalparks auf verschiedene Personen und Nutzungsmöglichkeiten • Bedeutung und Zufriedenheit mit der Nationalparkverwaltung • Konfliktpotentiale (Jagd, Wildzäune, Neuabgrenzung ...) Informationen zur befragten Person im allgemeinen (Freizeittätigkeiten, demographische Daten...) Der Fragebogen wurde im Rahmen von Pretests in allen drei Parkteilen auf seine Durchführbarkeit getestet. Parallel kam es zur Gästebefragung. In 175 Gastbetrieben wurden im August (und in Südtirol zusätzlich im Frühjahr) Fragebögen ausgelegt. Rund 1400 Gäste füllten diesen Fragebogen aus. Klare Zonierung unbedingt erforderlich DER VINSCHGER: Rund 85 Prozent der Befragten sprachen sich für das Schutzgebiet Nationalpark Stilfserjoch aus. Haben Sie sich dieses Ergebnis erwartet? ULRIKE TAPPEINER: Nein. Die Diskussionen rund um den Nationalpark waren ja stets sehr kontrovers. Worin sehen Sie die Gründe für die überraschend breite Zustimmung? In erster Linie wohl in der Arbeit des lokalen Führungsausschusses. Immerhin hat die Zustimmung in den letzten zehn Jahren "netto" um über zehn Prozent zugenommen. Man muss aber schon einschränkend sagen, dass die Zustimmung nur dann so hoch ausfällt, wenn man die "bedingten Zustimmungen" – mit einer Neuabgrenzung – dazu nimmt. Dies zeigt, dass der Park eine große Chance hat, wirklich ein Park der Bevölkerung zu werden. Dafür muss aber noch hart gearbeitet werden. Gibt es unterschiedliche Meinungen zum Beispiel zwischen Prad, Stilfs und Martell? Die Unterschiede sind erstaunlich gering: Die Grundeinstellungen stimmen gut überein. Was man allerdings quer durch alle Fragen sieht, ist, dass die Zustimmung von Martell über Stilfs bis nach Prad kontinuierlich zunimmt. Kerngemeinden haben offensichtlich etwas größere Probleme mit dem Park als Randgemeinden. Man sieht aber schon, dass der Schuh nicht überall an der gleichen Stelle drückt: die Marteller haben eher Schwierigkeiten mit den Wildschäden, der Jagd und der Landwirtschaft; die Stilfser spüren mehr die Interessenskonflikte, die sich aus dem Fremdenverkehr ergeben. Welchen Einfluss könnte die Studie auf die anstehenden Planungen und Entscheidungen der Nationalpark-Verantwortlichen haben? Die Ergebnisse sind gleichermaßen Kompliment wie Herausforderung. Eine klare Zonierung mit abgestuften Schutzebenen ist dringend erforderlich und muss in Angriff genommen werden. Das ist ein ganz klarer Wunsch der Bevölkerung. Hier ist eine offene Informationspolitik gefragt. Die Meinungsumfrage zeigt auch, dass eine erneut unflexible Haltung des Nationalstaates – wie bei der Gründung des Parks – die real vorhandenen Chancen ruinieren würde. Das gleiche gilt für das Problem der Jagd: Die Bevölkerung – ja selbst die Jäger – akzeptieren zu einem erstaunlich hohen Prozentsatz eine extrem starke Einschränkung. Eine begrenzte Regulierung des Wildbestandes wird aber klar gefordert. Es macht keinen Sinn, bestimmte Regeln im ganzen Staatsgebiet gleich anzuwenden. So ein "Gerechtigkeitsprinzip" ist wenig zielführend. Mehr Föderalismus und Flexibilität in der Ausgestaltung des Parks würde von der Bevölkerung geschätzt. Es hat sich mittlerweile in ganz Europa herumgesprochen, dass die Schutzfunktion eines Parks nur mit und nicht gegen die Bevölkerung erreicht werden kann. Interview: Magdalena Dietl Sapelza
Magdalena Dietl Sapelza
Vinschger Sonderausgabe

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