Baubranche: Licht und Schatten
Leer stehende Bausubstanz gibt es im Vinschgau zuhauf.

Sanierung alter Bausubstanz wird Zukunftsmarkt

Publiziert in 32 / 2010 - Erschienen am 15. September 2010
Bozen/Vinschgau – „Wir steuern auf den Kollaps zu“. Mit diesen drastischen Worten beschrieb kürzlich Thomas Außerhofer, Präsident des Kollegiums der Bauunternehmer, die Situation im Südtiroler Baugewerbe. Im Vergleich zum Jahr 2003 gebe es 333 Bauunternehmen weniger als Ende 2009. Grund genug also, um die Alarm­glocken schrillen zu lassen und die Politik zur Hilfe zu rufen: Notwendige Investitionen für öffentliche Bauten sollten vorgezogen werden. Doch wie prekär ist die Lage im Vinschger Baugewerbe? von Oliver Kainz Erhard Joos, LVH-Bezirksobmann Obervinschgau wiegelt ab: „Im Vinschger Oberland ist von einer Krise in der Baubranche nichts zu spüren. Im Gegenteil: Die Bauunternehmen haben genügend Aufträge.“ Die langfristige Entwicklung sei zwar nicht abschätzbar, aber momentan seien die Unternehmen im Baugewerbe und Baunebengewerbe gut ausgelastet. „Die Situation im Vinschger Baugewerbe muss tatsächlich differenziert betrachtet werden“, präzisiert Thomas Außerhofer. „Der Kubaturbonus von 220 Kubikmetern und die Steuerabsatzbeträge in Höhe von 55 Prozent der Kosten für energetische Sanierungsmaßnahmen kommen kleinen Betrieben sicherlich entgegen“, so der Präsident des Kollegiums der Bauunternehmer. Die Bauaufträge seien generell in Südtirol und folglich auch im Vinschgau aber sehr wohl zurückgegangen. Im Tiefbau, wo über 90 Prozent öffentliche Aufträge sind, sei dies stärker zu spüren, als im Hochbau. Betriebsschließungen hat es aber noch keine gegeben. Die etwas größeren Baufirmen, insbesondere jene, die sich an öffentlichen Ausschreibungen beteiligen, hätten aber ganz klar mit den Auswirkungen der Wirtschaftskrise zu kämpfen. Dies bestätigt auch Josef Gartner, Inhaber der Siwabau in Naturns: „Momentan sind wir mit unseren 20 Mitarbeitern ausgelastet, aber die öffentlichen Auf­träge von Land und Gemeinden bleiben im Raum Naturns fast gänzlich aus.“ Vehement kommt deshalb die Forderung, dem Baugewerbe als tragende Säule der Wirtschaft den Rücken zu stärken. Immerhin generiert die Bauwirtschaft 11 Prozent des Südtiroler ­Bruttoinlandsproduktes. „Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten muss die Politik Geld für öffentliche Bauten zur Verfügung stellen“, so Gartner. Auch Günther Gemassmer, Geschäftsführer vom gleichnamigen Kortscher Bauunternehmen spürt, dass es an öffentlichen Aufträgen mangelt. Er rät den Gemeinden notwendige Sanierungsmaßnahmen vorzuziehen, auch wenn sie dafür ein Darlehen aufnehmen müssen. „Dadurch dass ein dreiviertel Jahr fast keine öffentlichen Aufträge ausgeschrieben wurden, wird es für das nächste Jahr kritisch. Die Auftragslage sieht so aus, dass die meisten Unternehmen im Durchschnitt für die nächsten drei bis vier Monate ausgelastet sind, aber sicher nicht länger“, schätzt Gemassmer. Besser sieht es für die Baubranche bei der privaten Bautätigkeit aus. Lukas Schönthaler, von der Eyrser Baufirma Schönthaler A. & Söhne GmbH sagt: „Wir sind nicht so sehr auf öffentliche Aufträge angewiesen und haben momentan mehr als genug Arbeit.“ Vor allem energetische Sanierungen sorgen für genügend Aufträge. Dies hängt damit zusammen, dass 55 Prozent der Kosten für energetische Sanierungen von der Einkommenssteuer abgezogen werden können. Die Förderung gilt unter anderem bei der Wärmedämmung, beim Einbau von Isolierfenstern oder Sonnenkollektoren für die Warmwassererzeugung. Diese Maßnahme zur Ankurbelung der Wirtschaft läuft am Jahresende aus und es ist unsicher, ob die römische Regierung die Förderung verlängert. Hemmschuh Bürokratie Große Sorgen bereitet der Baubranche das leidige Thema Bürokratie. „Südtirols Baufirmen mussten im Schnitt drei Prozent mehr Büroangestellte einstellen, um die anfallende Bürokratie bewältigen zu können, obwohl die Bauaufträge zurück gegangen sind“, sagt Thomas Außerhofer und stützt sich dabei auf eine Studie des Amtes für Arbeitsmarktbeobachtung der Autonomen Provinz Bozen. Für ein kleines Unternehmen ist der bürokratische Aufwand in finanzieller Hinsicht kaum noch zu stemmen. „Das kann keine gesunde Entwicklung sein“, so Außerhofer. Egal ob ISO-Zertifizierung, SOA-Regelung oder Arbeitssicherheit – die Bürokratie hat viele Gesichter. Und ständig ist von Unternehmensseite derselbe Wunsch zu hören: Vereinfachung und Reduzierung der Zettelwirtschaft. „Ein rechtliches Problem auf gesamtstaatlicher Ebene ist kaum zu lösen, aber vieles könnte auch auf Landesebene verbessert werden“, sagt Günther Gemassmer. Ein markantes Beispiel für die ausufernde Bürokratie ist die Ausstellung der Baufortschritte. Damit die Baufirmen das Geld für bereits gelieferte Arbeit bekommen, müssen bei jedem Baufortschritt eine Unzahl von Personen und Instituten Dokumente erstellen oder begutachten. Vom Abschluss des Baus bis zur Endabrechnung vergeht oft ein halbes Jahr. „Wir Bauunternehmer bekommen das Geld relativ spät und somit fehlt es uns an Liquidität“, bringt Gemassmer das Problem auf den Punkt. Deshalb fordert er: „Die Ausstellung der Baufortschritte muss beschleunigt werden.“ Auch Außerhofer wartet mit einer konkreten Idee auf, um das Problem Bürokratie in den Griff zu bekommen: „Eine Vereinfachung wäre die Einführung der SCIA (segnalazione certificata di inizio attivitá), also der Hinweis des Baubeginns“. Hier kommt der Verwaltung die Kontrollfunktion zu. Sobald das Bauunternehmen den Baubeginn meldet, hat die Verwaltung dann 60 Tage Zeit zu überprüfen, ob das Unternehmen auch alles korrekt und ordnungsgemäß mitgeteilt hat. „Im restlichen Italien ist dieses Instrumentarium bereits gängige Praxis, nur bei uns braucht es für fast alles noch eine Baukonzession, was wiederum mit viel Bürokratie verbunden ist“, gibt Außerhofer zu Bedenken. Doch es gibt auch Licht am Ende des dunklen Bürokratietunnels. Die Landesregierung hat bereits erste konkrete Schritte in Richtung Bürokratieabbau unternommen. So können ausschreibende Stellen in Zukunft ihre Arbeiten online ausschreiben. Das verringert die Zettelwirtschaft. Der Haken an der Sache: die Bestimmungen sehen vor, dass der Zuschlagsempfänger der Arbeit dem Systemadministrator eine finanzielle Entschädigung zahlen muss. Diese Entschädigungen können je nach Auftragsvolumen 1.000 bis 30.000 Euro betragen. Zukunftsmarkt Sanierung Um auch in Zukunft genügend Aufträge zu generieren, ist es für das Baugewerbe von großer Bedeutung, die veralteten Bausubstanzen in den Ortszentren zu sanieren. Allein in den alten Dorfkernen der Obervinschger Gemeinden von Graun bis Laas stehen insgesamt rund 205.000 Kubikmeter an alter Bausubstanz leer. „Das Interesse seitens der Bevölkerung, bestehende Bauten zu sanieren ist sicherlich da“, sind sich die Bauunternehmer einig. Um von diesem Interesse auch zu profitieren, haben die politischen Entscheidungsträger reagiert: Der Ankauf bzw. die Sanierungskosten alter Bausubstanz wird mit Beiträgen bis zu 50 Prozent unterstützt, sofern die Bausubstanz für den geförderten Wohnbau genutzt wird. Die Durchführungsbestimmungen zum entsprechenden Landesgesetz werden in Kürze erlassen. Zusätzlich haben die Landesabteilung Arbeit und der Südtiroler Wirtschaftsring in Zusammenarbeit mit der EURAC die Initiative „Bau-, Energie- und Sanierungsberatung“ ins Leben gerufen. Ziel ist es, Bauherrn kostenlose Erstinformation sowie bürokratische und rechtliche Hilfestellung anzubieten. Der Bauamtsleiter der Gemeinde, der Landessachverständige der Baukommission und der Steuerberater der Gemeinde sind zusammen mit einem externen Energieberater die kompetenten Ansprechpartner. Im Rathaus der Gemeinde Laas wird dieser Dienst demnächst versuchsweise angeboten. Weitere Gemeinden, wie etwa Schluderns, sollen folgen. Die Beratungen sollen nicht nur die Ortsentwicklung positiv beeinflussen, sondern auch die Wirtschaft ankurbeln. „Die Sanierung und der Erhalt bestehender Bausubstanz wird in den kommenden Jahren der Zukunftsmarkt für die heimischen Bauunternehmen werden“, unterstreicht Außerhofer. Nicht nur die Dorfkerne, sprich Rathäuser und Vereinshäuser müssten saniert werden, auch Infrastrukturen, wie Kanalisationen, Brücken und Straßen. „Ich denke in diesem Bereich gibt es genügend Arbeit. Es muss aber schnellstens begonnen werden, die Arbeiten auszuschreiben, damit unsere Betriebe mit der Arbeit beginnen können“, fordert Außerhofer abschließend.
Oliver Kainz

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