Sind wir reif für die direkte Demokratie?
Publiziert in 34 / 2009 - Erschienen am 30. September 2009
Mals – Wenn es nach den Teilnehmern an der Podiumsdiskussion der „freien und unabhängigen Denkmäuler“ aus Mals geht, könnten nach dem 25. Oktober die politischen Uhren in Südtirol anders ticken. Allerdings nur unter der Voraussetzung, dass die Wahl gültig ist und dazu müssen mindestens 40 Prozent des Wahlvolkes an die Urnen gehen. Bei der Veranstaltung in Mals wurde festgestellt: im Vergleich mit der benachbarten Schweiz, dem „Musterland“ der direkten Demokratie schlechthin, steht Südtirol noch nicht einmal in den Kinderschuhen, aber die Zeit ist reif, diese endlich überzuziehen.
von Günther Schöpf
„Zum ersten Mal kann das Südtiroler Volk abstimmen. Das ist noch nie dagewesen“. Damit eröffnete der Informationstechnologe in der HOPPE AG, Gerhard Kapeller aus Taufers im Münstertal, die Podiumsdiskussion mit dem Titel „Sind wir reif für die direkte Demokratie?“. „Die Denkmäuler - Plattform Demokratie“ wollten sich die Frage in einer Diskussionsrunde im Kulturhaus von Mals beantworten lassen. Kapeller stellte sich als Mitglied der „Initiativgruppe direkte Demokratie“ vor und befasste sich in seinen Ausführungen vor allem mit dem 4. der fünf Punkte - der Referent nannte sie Sachthemen -, über die „das Volk“ am 25. Oktober 2009 befinden darf. Die Gesetzesvorlage zur „Neuregelung des Landesgesetzes zur direkten Demokratie - Anregungs-, Befragungs- und Stimmrecht“ hatte die Initiative selbst eingebracht und sich die Unterstützung von 40 Organisationen gesichert, darunter des Katholischen Familienverbandes, des Vereines für Kinderspielplätze und Erholung, des Südtiroler Jugendringes, des Alpenvereins, der Gewerkschaften, der Südtiroler Verbraucherzentrale, des Heimatpflegevereins usw. Zentrales Anliegen des Abstimmungspunktes sei es, dass nach dem 25. Oktober nicht mehr 40 Prozent der 388.000 stimmberechtigten Südtiroler bei Volksbefragungen abstimmen müssten, damit diese gültig sind, sondern nur mehr 15 Prozent. Dazu Kapeller: „Es entscheiden jene, die sich interessieren und sich beteiligen“ und beantwortete gleich selbst die Kernfrage der Podiumsdiskussion: „Wenn wir am 25. zur Wahl gehen, sind wir reif für die Demokratie.“
Das Schweizer Modell
Als Hauptreferenten stellte Moderator Hanspeter Gunsch Georg Fallet vor. Der 2003 in den Großrat des Kantons Graubünden gewählte Münstertaler mit Vinschger Wurzeln mütterlicherseits stellte die direkte Demokratie der Schweiz vor. Gerade mal 2,5 Prozent würden für eine Volksinitiative zur Verfassungsänderung in der Schweiz reichen, erzählte Großrat Fallet. Im Kanton Graubünden würden bereits 1.500 Unterschriften oder auf Gemeindeebene ein Zehntel der Stimmberechtigten reichen, dass der Große Rat Gesetze erlässt, ändert oder aufhebt oder dass einmalige Ausgaben zwischen einer Million und 10 Millionen Franken der Bürgerschaft unterbreitet werden. In einem Nebensatz verpackt teilte Fallet mit, dass das Volk nicht nur die 120 Bündnerischen Großräte, sondern auch die fünf Regierungsmitglieder wählt. Hellhörig wurden die etwa 80 Zuhörer in Mals bei den Erläuterungen des Begriffs „Vernehmlassungsverfahren“. Des Verfahrens bediene sich eine Regierung, erklärte Großrat Fallet, um durch Stellungnahmen und Beratung möglichst vieler Parteien oder gesellschaftlicher Institutionen eine breite Unterstützung für Gesetzesvorschläge zu erhalten und die Stimmung im Volke zu erfahren. Im Anschluss an seine Ausführungen musste Fallet Fragen zu Missbrauch, zu Tabu-Themen, zu den Kosten, zu Formen der Informationsverbreitung bzw. zu den Verfassern von Informationen beantworten.
Das System Südtirol
Landtagsabgeordneter und Gemeindenverbandspräsident Arnold Schuler bezeichnete „die Gemeinde als älteste Form der Gemeinschaft“. Er sprach das 2001 eingeführte „Subsidiaritätsprinzip“ an und ging auf die Schwierigkeit der Politiker ein, sich im Sinne dieses Prinzips „zurückzunehmen“. Der Vorgang, die Steuern vom Staat eintreiben zu lassen und sie von oben zu verteilen, sei das Besondere am System Südtirol, meinte Schuler sinngemäß und ergänzte: „Diese Positionen der Steuerzahler und der Geldverteiler gibt es sonst nirgends in Europa. Der Bürger hat eine Empfängermentalität entwickelt. Wenn wir von Eigenverantwortung sprechen wollen, muss das System geändert werden.
Es muss sich auch einiges ändern in der Denkweise der Bürger“, schloss Schuler seine Ausführungen. Landtagsabgeordneter Josef Noggler machte kein Geheimnis aus seiner Einstellung: „Die Volksbefragung ist zu teuer, als dass wir nicht hingehen sollen. Es ist klar, dass die Bevölkerung abstimmen soll und ich erwarte mir auch klare Antworten“. Die direkte Demokratie und das System Südtirol seien krasse Gegensätze, stellte Noggler fest. Es werde noch Jahre dauern, bis man soweit sei wie die Eidgenossen; die Mentalitäten seien zu verschieden. Der Malser Bürgermeister Ulrich Veith konnte als ehemaliger Mitarbeiter der Firma HOPPE auf 15-jährige Erfahrung mit dem „Schweizer System“ verweisen. „Die Schweizer informieren sich gründlich, bevor sie zu einer Gemeindeversammlung gehen,“ merkte Veith an. Man soll auf jeden Fall zur Abstimmung gehen, appellierte der Bürgermeister an die Anwesenden, es sei eine Chance der Bürgerbeteiligung, ein erster Schritt zu einem Reifeprozess in Sachen Demokratie. Medienvertreter Erwin Bernhart befand die anstehende Volksbefragung als spannend und sah die Mehrheitspartei in die Zange genommen durch die Einbringer des Volksbegehrens, die er in einen Rechts- und einen Linksblock einteilte.
System steht auf dem Spiel
Da am Podium kein ausgewiesener Gegner der Volksbefragung saß, ergab sich eher eine Fragestunde denn eine Diskussion. Die beiden SVP-Landtagsabgeordneten Schuler und Noggler sahen sich mehrmals mit den Aussagen von Landeshauptmann Luis Durnwalder und Parteiobmann Richard Theiner konfrontiert, zu der Wahl gar nicht hingehen zu wollen. Während Noggler feststellte, dass das System Südtirol auf dem Spiel stehe und dass sie (Noggler, Schuler) nicht die Anwälte des Parteiausschusses seien, wies Schuler auf eine allgemeine Unsicherheit unter den Bürgern hin, von denen eine Abstimmung über fünf Gesetzesvorschläge verlangt würde. „Hingehen allein genügt nicht, wir müssen informiert hingehen“, gab er zu bedenken. Ein Vertreter des Initiativkomitees im Publikum stellte fest, das Schweizer Modell nicht 1:1 übernehmen zu können, aber eine Entwicklung zuzulassen und der gefährlichen Politikverdrossenheit entgegen zu wirken. Aus dem Publikum kam auch der Aufruf an die Mitglieder des KVW und des KFS, zur Wahl zu gehen, auch wenn sich die betreffenden Verbandsleitungen eher distanziert hätten. Ein Bürger stellte die Frage an die Podiumsteilnehmer, ob sie sicher seien, nach dem angeblich verordneten „Leserbrief-Stopp“ in der Tageszeitung „Dolomiten“ etwas von den Aussagen der Politiker lesen zu können. Auch das Thema Wahlkosten wurde kurz aufgeworfen. Man sprach von „lukrativen Wochenendausflügen“ der im Ausland lebenden Wahlberechtigten. Etwa 11 Millionen Euro - so Schuler - hätten allein die Rückvergütungen ausgemacht, wären alle zur Wahl gekommen. Kapeller sprach von 1,50 Euro pro Bürger und Volksabstimmung in der Schweiz (inzwischen ist bekannt geworden, dass auch für die Volksbefragung in Südtirol dieselben Beiträge ausbezahlt werden wie bei den Landtagswahlen; Anmerkung der Redaktion). Mehrmals meldete sich die Malser Gemeinderätin Christine Taraboi Blaas zu Wort und empfahl den anwesenden Pressevertretern von der „wundersamen Wandlung des Josef Noggler“ zu berichten. Bürgermeister Veith störte die Aussage verschiedener Teilnehmer, sie seien noch SVP-Mitglieder. „Ich bin auch Mitglied und jetzt erst recht. Nur als Mitglied kann ich in der Partei etwas bewirken oder verändern“, meinte er. Gerhard Kapeller stellte fest: „Die Volksabstimmung wäre für die SVP eine Chance gewesen, auf das Volk zuzugehen.“
Informationsabende
zur 1. Südtiroler Volksabstimmung 2009
Am Donnerstag, 1. Oktober um 20.00 Uhr im Ratssaal (Turnhalle) in Taufers im Münstertal mit Sepp Kusstatscher aus Villanders und Gabriella Binkert aus Müstair.
Am Freitag, 16. Oktober um 20.00 Uhr im Vereinssaal von Graun mit Arnold Schuler, Landtagsabgeordneter, und Arno Lamprecht, Gemeindepräsident Val Müstair.
Weitere Veranstaltungen sind geplant am 14. Oktober in Naturns, am 15. Oktober in Schlanders und am 25. Oktober in Mals.
Stimmen der Parteien
Union für Südtirol
Alle fünf Anträge sind von insgesamt 43.000 Bürgerinnen und Bürgern unterschrieben worden; der indirekte Boykottaufruf der SVP ist eine Respektlosigkeit gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern und offenbart ein gestörtes Verhältnis der SVP-Führung zur Demokratie. Wir sind offen für gute Vorschläge und halten nicht nur die eigenen Vorschläge für die alleinig wahren, sondern sind auch imstande, andere zu unterstützen.
Die Grünen
Der 25. Oktober bedeutet in der Südtiroler Demokratiegeschichte einen Qualitätssprung. Die Direkte Demokratie bietet die Möglichkeit, die Entscheidungen der Organe der repräsentativen Demokratie zu korrigieren bzw. zu ergänzen, und ist somit überhaupt keine Abwertung oder Ausschaltung, sondern eine belebende Konkurrenz zu den gewählten VolksvertreterInnen.
Die Freiheitlichen
Der 25. Oktober kann für die Demokratie in Südtirol zu einem wichtigen Tag werden, sofern die Bevölkerung nicht dem Ruf zum Boykott von Seiten der SVP Folge leistet. Wir Freiheitlichen haben unsere Positionen zu den einzelnen Fragestellungen klar definiert und empfehlen unseren Wählern und Anhängern in erster Linie, sich an den Volksabstimmungen zu beteiligen.
Süd-Tiroler Freiheit, Homepage am 26. 9. 09
Die Bewegung SÜD-TIROLER FREIHEIT unterstützt mit einer eigenen Plakat-Aktion die ersten Süd-Tiroler Volksabstimmungen. Mit dem Motto: „Heute Volksabstimmung – Morgen Selbstbestimmung“ werden die BürgerInnen dazu aufgerufen, am Sonntag, 25. Oktober 2009 zur Wahl zu gehen, um somit vom Wahlrecht Gebrauch zu machen.
Südtiroler Volkspartei am 25. 9. 2009
Das NEIN der Südtiroler Volkspartei zum Gesetzesvorschlag der „Initiative für mehr Demokratie“ sei nicht ungeprüft. „Vielmehr hegen wir nach wie vor große Zweifel, ob der Entwurf im Einklang mit der Verfassung und mit dem Autonomiestatut steht“, erklärt Obmann Richard Theiner.
„Wenn die Promotoren dieser Abstimmung behaupten, ein diesbezügliches Rechtsgutachten eingeholt zu haben, dann sollen sie dieses auch veröffentlichen.“
Günther Schöpf