Integration in der Schule... und nicht nur dort
Waltraud Plagg, Koordinatorin des Sprachenzentrums Schlanders

Sprachenzentrum ist im Aufbau

Publiziert in 39 / 2007 - Erschienen am 7. November 2007
Schlanders – An Baustellen ist nie alles in Ordnung: Es fehlt noch da und es fehlt noch dort. Als „Baustelle“ ist derzeit auch das Sprachenzentrum für den Bezirk Vinschgau an­zusehen. Seinen provisorischen Sitz für das laufende Schuljahr hat es am Realgymnasium in Schlanders gefunden. Die Aufgabe als Koordinatorin hat Waltraud Plagg, Lehrerin für literarische Fächer an der ­Handelsoberschule in Schlanders, übernommen. „Die Aufgaben eines Sprachenzentrums gehen weit über das Vermitteln von Sprachkenntnissen hinaus“, sagt Waltraud Plagg. Zusätzlich zur schulischen Integration von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund geht es auch um eine Integrationsförderung außerhalb der Schule, also in der Gesellschaft insgesamt. Erst im Mai 2007 hatte die Landesregierung ein Konzept genehmigt, um die Integration von Kindern und Jugendlichen aus Einwandererfamilien zu fördern. In allen Schul­bezirken des Landes wurden mit dem Beginn des Schuljahres 2007/2008 so genannte Sprachenzentren errichtet. Die Bezeichnung „Sprachenzentrum“ lässt annehmen, dass es in ­erster ­Linie um das Erlernen der Sprache geht. Die Vermittlung der Sprachkenntnisse ist aber nur einer der Schwerpunkte der Sprachenzentren. Wie vielfältig das Aufgabenspektrum tatsächlich ist, geht schon aus dem Beschluss der Landesregierung hervor. So sind die Sprachenzentren in erster Linie als Beratungsstellen in den Bezirken anzusehen. Ihre Hauptaufgabe ist es, die Arbeit der Kindergärten, Grund-, Mittel-, Ober- und Berufsschulen im Bereich der schulischen Integration zu unterstützen und zu begleiten. Die Beratung der Eltern von Kindern mit Migrationshintergrund gehört ebenso zur Aufgabenpalette wie die Erhebung des Sprachstandes. „Es ist aber auch zu sagen, dass vieles, was jetzt zum Aufgabenbereich der Sprachenzentren gehört, die Schulen bereits seit Jahren gemacht haben,“ meint Waltraud Plagg. „Jeder Lehrer, der plötzlich ein Kind mit Migrationshintergrund in seiner Klasse sitzen hatte, musste sich der neuen Herausforderung stellen. Hervorragende Pionierarbeit geleistet wurde diesbezüglich sicherlich in den 90er Jahren in Mals, als man plötzlich mit den bosnischen Flüchtlingen konfrontiert war. Wenn jetzt mit den Sprachenzentren eine eigene Dienststelle für diesen Bereich geschaffen wurde, heißt das, dass die Politik sich bewusst ist, dass Schüler mit Migrationshintergrund auch in der deutschen Schule zum Regelfall geworden sind und man diesem Bereich einen angemessenen Stellenwert geben will.“ Im Einzugsgebiet des Sprachenzentrums Schlanders, das sich mit dem Einzugsgebiet der Bezirksgemeinschaft deckt, gibt es derzeit rund 170 Grund-, Mittel- und Oberschüler mit Migrationshintergrund, wobei viele von ihnen laut Waltraud Plagg aber keinen besonderen Förderungsbedarf haben, weil sie schon hier den Kinder­garten besucht haben bzw. hier eingeschult wurden oder schon mehrere Jahre hier sind und die Sprache so weit beherrschen, dass sie dem Unterricht gut folgen können. Ist aber ein Förderbedarf ge­geben, ist das Sprachenzentrum die richtige Anlaufstelle. Das Sprachenzentrum informiert über die rechtliche Situation bezüglich Einschreibung und Bewertung, berät bei der Erstellung der individuellen Lernpläne, gibt Tipps bezüglich ge­eigneter Unterrichtsmaterialien u.s.w. Die Schulen erhalten für Sprachfördermaßnahmen zusätzliche Unterrichtsstunden. „Landesweit wurden für das heurige Schuljahr 23 solche Sprachlehrer-Stellen geschaffen“, berichtet die Koordinatorin „wobei zu sagen ist, dass diese Ressourcen sehr eng bemessen sind und den einzelnen Schulen nur ein Teil der Stunden zugewiesen werden ­konnte, die sie beantragt haben. Eine Aufgabe der Sprachenzentren besteht auch darin, für die Zukunft Möglichkeiten der Zusammenarbeit zwischen den Schulen zu suchen, um die Ressourcen möglichst gezielt einzusetzen.“ Oft kommen Kinder und Jugendliche an die Schule, mit denen keine sprachliche Kommunikation möglich ist. In diesen Fällen können für die Anfangsphase so genannte interkulturelle Mediatoren (IKM) angefordert werden, das sind in der Regel selbst Personen mit Migrationshintergrund, die die Muttersprache der ­Schüler sprechen, aber auch gute Deutschkenntnisse besitzen und in einem Kurs für diese Aufgabe ausgebildet wurden. Ein weiterer Arbeitsschwerpunkt der Sprachenzentren besteht darin, die Lehrkräfte bezüglich didaktischer Hilfsmittel zu beraten. Schrittweise sollen die Zentren mit Lehr­mitteln wie Büchern, Arbeits­materialien, Lernspielen und neuen Medien ausgestattet werden. Zu­sätzlich zu den schulischen Integrationsmaßnahmen ­suchen die Sprachenzentren auch die Zusammenarbeit mit Vereinen und Institutionen. Im Schul­bezirk Vinschgau sind unter anderem Sprachkurse für die Eltern von Einwandererkindern geplant, ein erster Kurs startet im November, ein zweiter wird im Jänner folgen. Auch unterrichtsergänzende Tätigkeiten sowie Projekte außerhalb der Schule stehen auf dem Programm. Waltraud Plagg ist überzeugt, dass Integrationsmaßnahmen nicht nur in der Schule angebracht und notwendig sind, sondern auch auf vielen anderen Gesellschaftsebenen, sei es nun in der Welt der Arbeit oder in der Freizeit. Ge­plant sind überdies Maßnahmen zur Festigung der Erstsprache, sprich der Muttersprache der Einwandererkinder. So läuft in Mals demnächst ein Arabischkurs für alle arabischen Schüler aus dem Bezirk an. „Man weiß, dass die Stärkung der Muttersprache auch den schulischen Erfolg in der Zweitsprache positiv be­einflusst“ meint die Koordinatorin des Sprachenzentrums, „zudem ist es wichtig, dass die Kinder auch in ihrer eigenen Muttersprache lesen und schreiben lernen, vor allem dann, wenn es sich um ein ganz anderes Schriftsystem handelt.“ Um sich über bereits bewährte Integrationsmaßnahmen ein Bild zu verschaffen und von Erfahrungen anderer zu ­lernen, plant das Sprachenzentrum Schlanders im ­November gemeinsam mit dem Sozialdienst eine Studienfahrt nach Vorarlberg. Informieren will man sich dort vor allem über ein erfolgreiches Modell von Deutschkursen für Einwandererfrauen. Unterstützt werden die Sprachenzentren vom Kompetenzzentrum, das am Pädagogischen Institut in Bozen angesiedelt ist. Der Leiter des Kompetenzzentrums, ­Ferdinand Patscheider, hat erst kürzlich öffentlich erklärt, dass die Sprachen­zentren nicht als Orte zu verstehen sind, an denen der Sprach­unterricht stattfindet, sondern als Stellen, „die alle Beteiligten beraten, Ressourcen und ­Materialien koordinieren und die, wenn es die Räume erlauben, dort auch Kurse und andere Initiativen organisieren.“ Ester Grundsatz sei es, „den Kindern und Schulen die notwendigen Unterstützungen zukommen zu lassen, um den Kindern und Jugendlichen mit Migrations­hintergrund die Zugangsmöglichkeiten zur Bildung zu eröffnen.“ Die Kinder und Jugendlichen werden nicht in die Sprachenzentren einge­schrieben, sondern sie sind weiterhin in eine Schulklasse integriert, die gezielte Sprachförderung erfolgt parallel, zum Teil im Unterricht, zum Teil auch außerhalb. Die Koordinatoren der sechs Sprachenzentren treffen sich einmal wöchentlich in Bozen zu einer gemeinsamen Planung. „Vieles ist erst im Aufbau, ganz wichtig ist heuer auch unsere eigene Fortbildung“ meint Waltraud Plagg, „wir haben aber das große Glück, dass wir von den Erfahrungen im Ausland lernen können, man hat dort ja schon jahrzehntelange Erfahrung mit diesem Thema und wir brauchen manche Fehler, die dort gemacht wurden, nicht zu wiederholen!“ Waltraud Plagg ist ihrem Büro am Realgymnasium Schlanders zu erreichen (Tel.: 0473 730004 oder E-Mail: plgwtrc56@schule.suedtirol.it). Schulisches ­„Integrationsmodell Mals“ Was jetzt mit der Schaffung der Sprachenzentren sozusagen institutionalisiert ist, wurde vor rund 15 Jahren bereits in Mals in der Praxis erlebt und geübt. Notgedrungen, denn 1992 kamen bosnische Flüchtlinge nach Südtirol, wobei über 300 in der Wackernell-Kaserne in Mals untergebracht wurden. Unter diesen befanden sich auch viele Kinder. Eine große Barriere war zu Beginn die mangelnde Sprachkenntnis. „Die Flüchtlinge sprachen weder Deutsch noch Italienisch“, erinnert sich Zita Ziernhöld Pritzi aus Tartsch, seit über 20 Jahren Grundschullehrerin in Mals. ­Während der ersten Monate gingen sie und weitere Lehrerinnen täglich mehrere Stunden freiwillig in die Kaserne, um Kontakte aufzubauen und den Kindern erste Deutschkenntnisse zu vermitteln. „Uns wurde bald klar, dass eine Integration nur dann gelingen kann, wenn die bosnischen Kinder Zugang zur ‚normalen’ Schule bekommen“, erinnert sich Zita Ziernhöld Pritzi. Nach anfänglichen, teils großen Schwierigkeiten bei der Suche nach Räumen und nach der Überwindung anderer Probleme nahm der Unterricht für die bosnischen Kinder nach und nach Form an. Drei Lehrerinnen haben fünf Jahrgänge in drei Räumen in Mals und Tartsch unterrichtet. Zwei aus Bosnien stammende Klosterfrauen unterrichteten die Muttersprache der Kinder. Die Lehrerinnen aus der Gemeinde Mals beschritten damals Neuland und bewiesen Mut. Manchmal musste natürlich auch improvisiert werden. Gearbeitet wurde vornehmlich mit deutschen Büchern. Wertvolle Ratschläge holten sich die Lehrerinnen von dem Sprachexperten Peter Lachat vom Erziehungsdepartement des Kantons Aargau in der Schweiz. Der Unterricht erfolgte gemäß dem regulären Grundschulprogramm. Es galt, von Null auf zu beginnen. Auch die italienische Sprache wurde unterrichtet. Bei der Disziplin der Kinder hat es laut Zita Ziernhöld ­Pritzi, der Leiterin der schulischen Integration, zu Beginn zum Teil arg gehapert. Im Laufe der Zeit hat sich diese Situation aber verbessert. Ein bedeutender Schritt wurde mit der Integration der Kinder in die Grundschule gesetzt. Diese Inte­gration wertet Zita Ziernhöld Pritzi nach­träglich als unerlässlich: „Die Kinder brauchten eine Schule, und zwar eine Schule außerhalb der Kaserne. Nur so ­konnten sie mit anderen Kindern und auch mit Erwachs­enen in Kontakt treten.“ Eine vorherige Umfrage hatte ergeben, dass der Großteil der ­Eltern damit einverstanden war. Einige wenige hatten die Integration allerdings entschieden abgelehnt. Wichtig war und ist laut Zita Ziernhöld Pritzi, dass nur einige Kinder pro Klasse dazu kommen. Wenn einheimische Kinder und solche von Einwanderern in einer Klasse sitzen, „merken die Einwandererkinder sofort, dass sie die neue Sprache brauchen und sie bemühen sich daher in der Regel sehr, diese Sprache zu erlernen. Wenn sie in der Anfangszeit nur zu­hören und nicht viel sagen ist das nicht weiter bedenklich, denn der Erfolg lässt zumeist nicht lange auf sich warten. Je öfter die Kinder die ihnen fremde Sprache hören, umso schneller nehmen sie sie auf.“ Sobald die bosnischen Kinder auf mehrere Klassen aufgeteilt wurden, fiel ihre Anwesenheit in der Schule und im Dorf weniger auf. Dass das schulische „Integrationsmodell Mals“ großteils funktioniert und Früchte getragen hat, beweisen nicht wenige bosnische Schulabgänger, die später mit Erfolg Oberschulen und Universitäten besucht bzw. auch den Weg in die Arbeitswelt gefunden ­haben.
Josef Laner
Josef Laner
Vinschger Sonderausgabe

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