Leben in Martell Leben im Nationalpark
Drei Monate nach seiner Wahl 2010: ein nachdenklicher Bürgermeister Altstätter auf der Mauer des Zufritt-Stausees der Hydros.

Um Martells Zukunft steht es nicht schlecht

Publiziert in 10 / 2015 - Erschienen am 18. März 2015
Von den Beziehungen zum Nationalpark Stilfserjoch und zum Stausee-Betreiber Hydros hängt die Überlebensfähigkeit des Standortes Martell ab. Andere Berggemeinden hatten und haben die Möglichkeiten, eigene Kraftwerke zu bauen und am Stromverkauf mitzuverdienen. In Martell ist dies bis heute nicht möglich gewesen, nicht nur weil das gesamte Einzugsgebiet im ­Nationalpark Stilfserjoch liegt, sondern auch wegen der Fremdbestimmung durch die Wasserkonzession der Hydros. Seit kurzem fließen endlich bestimmte Beträge aus Umweltplangeldern und Produktionsbeteiligung in die Gemeindekasse. Man hat sich allerdings hartnäckig und mit Ausdauer darum bemühen müssen. Derzeit stehen große Veränderungen auch im Bezug auf den Nationalpark an. Die Marteller erwarten sich davon einige Verbesserungen und sind entschlossen, für diese auch zu kämpfen. der Vinschger: Hat sich jene Hälfte der Wahlberechtigten, die 2010 nicht Altstätter gewählt hat, inzwischen an Sie gewöhnt? Georg Altstätter: Allen kann man es nicht Recht machen. Sicher ist uns einiges gelungen. Wir im Rat haben uns zusammengerauft. Es ist uns gelungen, einige Vorhaben umzusetzen. Man hat schon irgendwie Zuspruch gespürt. Die Politik ist derzeit ein schwieriges Geschäft. Wir finden allerdings kaum Kandidaten; keiner will mehr was tun. Zu Martell muss man einfach fragen: Haben sich die Marteller in den letzten fünf Jahren vermehrt oder haben wieder einige das Tal hinter sich gelassen? Wir sind 884 Einwohner. Die Zahl ist seit langem stabil. Vor fünf Jahren waren es 870 Was sind die Gründe für die leichte Vermehrung? Einmal sicher unsere Wohnbauzone in Martell Unterdorf. Auch durch das Sozialzentrum sind wahrscheinlich ältere Marteller im Tal geblieben. Es gibt die unterschiedlichsten Ursachen, dass jemand abwandert. Jeder, der geht, ist ein Verlust. Die Dorfgemeinschaft braucht jeden, vor allem in den Vereinen. Wir haben immerhin wieder eine 2. Kindergartensektion. 38 Kinder sind fürs nächste Jahr eingeschrieben. Das gibt Hoffnung. Versuchen wir einen Rückblick auf die letzten fünf Jahre. Wann haben Sie am meisten Befriedigung gefühlt? Welche Projekte sind am besten gelungen? Für uns ein großes Ereignis war 2013 die Eröffnung der Erdbeerwelt. Es ist der Anfang eines offenen Betriebsgründerzentrums. Das ­S­ozialzentrum haben wir nach mehr als zehnjähriger Bauzeit endlich fertig gestellt und eröffnet. Der Umbau der Zivilschutzzentrale ist jetzt abgeschlossen. Die Rollerbahn ist eröffnet, der Dorfplatz gestaltet. Auf der Lyfi-Alm hat sich viel getan; sie wurde erweitert und den neuen Bestimmungen angepasst. Die Gemeindestraßen waren uns ein wichtiges Anliegen. Beim Ausbau der Hofzufahrten wurde einiges investiert. Auch haben wir die Schneeräumung reorganisiert. Die Familien standen bei uns im Mittelpunkt. Wir haben versucht, eine Kinderbetreuung und den Sommerkindergarten zu organisieren. Seit Herbst 2014 wurde sogar eine Kleinkinderbetreuung angeboten. Es war viel Zuspruch festzustellen. Gab es nicht auch viele Höhepunkte im Sport? In den letzten Jahren ist es uns gelungen, immer wieder wichtige Bewerbe im Skibergsteigen und Biathlon ins Tal zu holen. Dafür gebührt den vielen freiwilligen Mitwirkenden ein großer Dank. ­Absolute Höhepunkte, weil der ganze Vinschgau involviert war, stellen die beiden Anläufe dar, ein Etappenziel des Giro d’Italia in unsere Gemeinde zu bringen. 2013 musste die Etappe wetterbedingt abgesagt werden, 2014 hat es geklappt. Und wann hat’s Enttäuschungen gegeben? Was ist nicht gelungen? Ein leidiges Thema hier im Tal ist die Geschichte mit dem Nationalpark Stilfserjoch. Mit dem Übergang des Südtiroler Anteiles an das Land erwarten wir uns, dass auch die ansässige Bevölkerung eingebunden wird. Die Verantwortlichen müssten das einsehen. Wir können nicht im ganzen Land von Bürgerbeteiligung reden und hier… Ohne die Bürger kann einfach nichts werden. Wir Marteller werden schon anders empfinden; schließlich ist die ganze Gemeinde Parkgebiet. Ich hoffe schon, dass es hier ein Herschauen gibt. Auf der anderen Seite könnt ihr im Park fast alles unternehmen, siehe Bau Rollerbahn, Themenwege, Forstwege und Weidemeliorierungen… …und den Schluchtenweg in Hintermartell. Habt ihr darum lange kämpfen müssen? Man hat sich zusammengesetzt, möglichst alle Beteiligten an einen Tisch gebracht und Überzeugungsarbeit geleistet. Dabei haben die Parkverantwortlichen eingesehen, dass es auch in Martell gewisse Infrastrukturen zum Wirtschaften geben muss. Neben dem Nationalpark sind natürlich der Stausee und das Hydros-Werk ein großes Thema. Damit haben wir uns intensiv beschäftigt und viel Zeit und – passend dazu – Energie investiert. Ich erinnere an den Rekurs über das Vinschgauer Energie Konsortium (VEK), an die außergerichtliche Einigung und an den Einsatz des jetzigen Parlamentariers Albrecht Plangger. Reihen Sie das jetzt als Erfolg oder als Frust ein? Dadurch, dass inzwischen für ­Martell und die zwei anderen Anrainergemeinden Latsch und Laas doch einige Umweltplangelder abfallen, können wir verschiedene Maßnahmen umsetzen. In Martell wären das die Finanzierung des zukünftigen Schluchtenweges, die Sanierung des Lyfi-Alm-Gebäudes, der Bau des Fischerteiches im Freizeitzentrum Trattla, Aufforstungsmaßnahmen in der Fraktion Sonnenberg und Weidemeliorierungen auf verschiedenen Almen und auch das Projekt Mobilität mit E-Bike. Ein anderes Thema. Kann es sein, dass Bürgermeister und Ausschuss nicht mitbekommen haben, wie ernst die Lage in der Marteller Erzeugergenossenschaft (M.E.G.) war? Man hat Klagen gehört, dass wenig ausbezahlt wurde. Dass es bestimmte Schulden gibt, hat man auch gewusst, aber wie viel genau… Man hat gehofft… Aber in dieser Lage genügt eine einzige Fehl­investition, ein schlechtes Jahr dazu, dann geht die Menge zurück, der Preis sinkt und es dreht sich eine Abwärtsspirale. Wie bewerten Sie derzeit die Situation in der M.E.G.? Ich denke, sie ist konsolidiert. Ich bin überzeugt, dass es weitergeht. Die Auszahlungspreise heuer sollen nicht schlecht gewesen sein. Ich glaube fest, dass sich alles zum Guten entwickelt. Was es bräuchte, wären mehr Anbauer. Die Mengen sind eher bescheiden. Es braucht aber auch den Zusammenhalt unter den Anbauern. Wieder zurück zu Wasser und Energie. 2011 wurde ein Laufkraftwerk bei Morter angedacht, damals noch von Energielandesrat Michl Laimer. Was ist daraus geworden? Im Abkommen mit dem Land und der Hydros, den Rekurs zurück zu nehmen, ist festgelegt, dass dieses Werk gebaut werden soll und dass die drei Anrainergemeinden ­Martell, Latsch und Laas angemessen beteiligt werden. Für den Außenstehenden ungemein bunt und eher unübersichtlich ist die Vielzahl der Förderprojekte. Hat der BM noch den Überblick über Maßnahmen durch Leader, ESF, Agenda 21 oder über die Initiativen von Eurac, Innovate, Regionalentwicklungsgenossenschaft? Martell ist schon in der dritten Periode Leader-Gebiet. In der letzten Leader-Periode wurden durchaus Maßnahmen konkret umgesetzt, z.B. die Themenwege, die Neugestaltung des Dorfplatzes und des Friedhofs. Alle abwanderungsgefährdeten Gemeinden konnten auch um ESF-Gelder ansuchen. Martell hat sich an mehreren Projekten beteiligt. Davon ist einiges umgesetzt worden. Wir sind natürlich dabei, weitere Ideen umzusetzen. Ist die Gemeinde Martell auch vom ESF-Skandal betroffen? Die Genossenschaft für Regionalentwicklung wartet noch immer auf einen Teil des Beitrages. Kein Wunder. In Bozen haben alle eingearbeiteten Beamten andere Beschäftigungen angenommen. Jetzt wird es darum gehen, wieder geeignete Personen zu finden. Was ist eigentlich vom Giro geblieben? Sind mehr italienische Touristen in Martell aufgetaucht? Eindeutig sind die letzten beiden Jahre sehr viel mehr Radfahrer, vor allem Italiener, bei uns gesichtet worden. Bestimmte Wirkungen sind jedoch kaum messbar. Wir sind aber immer als Destination bekannt und sind auch in den neuen Medien präsent. In Summe wird sich dies durch die Marmotta-Trophäe im Skibergsteigen und die Biathlon-Bewerbe sicher noch verstärken. Liegen keine Rückmeldungen vom ­Tourismusverein Latsch-Martell vor, dass mehr Italiener im Beerental urlauben? Ich habe schon den Eindruck, dass Martell mehr mit italienischen Touristen arbeitet als Latsch. Schließlich geht der Italiener eher nach Martell, wenn er in die „montagna“ will. Sind für die nächsten fünf Jahre – ich rede schon von der kommenden Verwaltungsperiode – größere Projekte oder auch größere Sportereignisse geplant? Wir werden wieder das Finale im IBU-Biathlon-Cup haben. Ob auch wieder die Marmotta-Trophäe zum Welt-Cup-zählen wird, muss sich erst entscheiden. Von wegen Berggemeinde, ihr seid eine große Sportgemeinde. Allerdings ist es für uns nicht leicht, die Ausgaben für die Sport­ereignisse zu decken. Entscheidend ist der Einsatz der vielen freiwilligen Helfer. Erinnern wir uns nochmals an die Wahlen 2010. Martell war die einzige Gemeinde im Vinschgau, in der die Beteiligung gegenüber 2005 zugenommen hatte. Zudem gehört sie zu den Gemeinden, in deren Rat kein Vertreter einer anderen Partei sitzt. Es hat aber internen Widerstand gegen die Zusammenstellung des Ausschusses gegeben. Man hat bemängelt, dass es keinen Vertreter des Tourismus im Ausschuss gibt, aber das hat sich erübrigt. Erstens habe ich als Bürgermeister den Tourismus übernommen, zweitens hat Landwirtschaftsreferent Josef Maschler Urlaub auf dem Bauernhof und ­drittens hat man mit dem ­Präsidenten des Tourismusvereins Latsch-Martell, Günther Pircher, den wohl kompetentesten Ansprechpartner im Gemeinderat. Ich kann nur den Hut ziehen, wie sich unsere Referenten in die jeweiligen Bereiche eingearbeitet haben. Bei einer Entschädigung von etwas mehr als 300 Euro kann man nicht weit „hupfen“, um die Spesen zu decken. Wir haben uns bei den Sitzungen sehr intensiv mit allen Fragen befasst. Ich nehme an, Georg Altstätter wird im Mai wieder antreten? Das habe ich schon erklärt. Ich bin bereit, falls die Wählerinnen und Wähler es wollen, mich wieder für das ganze Tal und für alle Bereiche einzusetzen. Sie haben angedeutet, dass es auch in Martell schwierig ist, Kandidaten zu finden. Gibt es denn eine Alternative zum Bürgermeister? Von einem Mitbewerber ist mir bis heute nichts bekannt. Was die Referenten betrifft, weiß ich mit Sicherheit, dass Stefan Kobald mandatsbeschränkt ist. Er hat 15 Jahre lang beispielhafte Arbeit geleistet. Es wäre ein großer Verlust für die Gemeinde, wenn er nicht wenigstens für den Gemeinderat kandidieren würde. Interview Günther Schöpf
Günther Schöpf
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Vinschger Sonderausgabe

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