AIDS gibt es nicht nur am 1. Dezember
Kondom-Automaten gibt es immer noch viel zu wenige.

„...und plötzlich lassen dich alle fallen“

Publiziert in 45 / 2009 - Erschienen am 16. Dezember 2009
Stellen Sie sich vor - auch nur für eine Minute -, dass sie einen AIDS-Test machen und dass dieser positiv ausfällt. Das Leben, das Sie bisher lebten, gerät mit einem Schlag aus allen Fugen. Alle Ihre Freunde lassen Sie fallen, Sie trauen sich nicht mehr unter die Menschen, Sie haben Tag und Nacht Angst, sie müssen Freunde und Bekannte belügen aus Angst, verstoßen zu werden, Sie werden depressiv, Sie verlieren die Kraft, Sie wollen nicht mehr weiterleben. von Sepp Laner Es wird zwar Jahr für Jahr am 1. Dezember der Welt-AIDS-Tag begangen, doch danach verschwindet die Immun­schwächekrankheit ziemlich rasch aus den Schlagzeilen und von den Bildschirmen. „AIDS gibt es aber nicht nur am 1. Dezember“, sagt ein Betroffener aus dem Vinschgau, der seit fast 20 Jahren AIDS-Patient ist. Mutig zeigt er auf, auf welche Schwierigkeiten AIDS-­Patienten im Alltag stoßen, speziell auch in einem peripheren Gebiet wie es der ­Vinschgau ist, wie viele Vorurteile es nach wie vor gibt, wie unzureichend zum Teil die Aufklärung ist und welche Lücken in der Betreuung vorzufinden sind. Er verweist andererseits aber auch auf die bedeutenden Fortschritte der Medizin und der therapeutischen Behandlung, was aber keinesfalls zur Annahme führen sollte, dass AIDS nicht mehr so ernst zu nehmen sei. Der Betroffene - wir geben ihm aus Gründen der Anonymität den Namen Luis - lebt trotz aller Probleme und Schwierigkeiten Tag für Tag vor, dass das Leben trotz AIDS lebenswert ist. Sein Motto: „Schau niemals zurück, sondern immer nach vorn.“ Mit dem HIV-Virus hatte sich Luis unschuldig infiziert. Sein Leidensweg begann, als die Vermutung aufkam, möglicherweise infiziert zu sein. Luis: „Ich ahnte, dass ich AIDS haben könnte, da bestimmte Symptome wie z. B. Gewichtsverlust, mehrmalige Lungenentzündung hintereinander und ständige Müdigkeit darauf hinwiesen und ich hatte eine Höllenangst, den Test zu machen.“ Als er sich diesem schließlich unterzog, lautet die Diagnose: HIV-positiv. Für Luis brach die Welt zusammen. Er versuchte, die Krankheit zu verstecken, in der Familie ebenso wie im Freundeskreis. Als er damals zur Behandlung in das Krankenhaus nach Bozen kam (Abteilung Infektionskrankheiten) waren die Namen der Infizierten noch vor der Zimmertür angeschlagen. Ein Arzt hatte ihm eine noch verbleibende Lebenszeit von weniger als einem Jahr prognostiziert. Diese Diagnose erfuhr er erst einige Jahre später, als es ihm wieder einigermaßen besser ging. Wenn jemand nach einer „Bettgeschichte“ Verdacht schöpft, sich möglicherweise infiziert zu haben, rät Luis, sofort den AIDS-Test zu machen. Er denkt dabei an seine eigene Vergangenheit: „Hätte ich den Test sofort gemacht, wäre mir vieles erspart geblieben.“ Er appelliert vor allem auch an die Verantwortung all jener, die den Verdacht haben, infiziert zu sein und ihrem Freund bzw. ihrer Freundin nichts davon sagen bzw. nicht einmal auf ein Kondom zurückgreifen. Wenn zum Beispiel ein Ausgeh-Abend im Bett endet, wenn dort das Hirn ausgeschaltet bleibt, kein Kondom benutzt wird und am Tag danach Zweifel auftauchen, sollte man sich sofort dem Test unterziehen. Luis: „Je früher desto besser, denn wenn die Infektion rasch entdeckt wird, kann sie auch schnell und wirksam bekämpft werden, besonders mit den ­jetzigen medizinischen Möglichkeiten.“ Lebenswichtig im wahrsten Sinne des Wortes ist die Vorbeugung. Luis fährt viel mit dem Zug und hört oft, wie junge Leute miteinander reden. Über Sex werde viel und ausgelassen gesprochen, „das Wort Kondom aber höre ich nie.“ Für Aufklärung, vor allem unter Jugendlichen, werde noch immer viel zu wenig unternommen. An Oberschulen gebe es zwar Vorträge und Referate über alle möglichen ­Themen, über AIDS aber kaum. Zusätzlich zur Schulwelt sei auch die gesamte Gesellschaft gefordert. Informations- und Diskussionsveranstaltungen zum ­Thema AIDS seien im Vinschgau leider Mangelware. Die Liste der großen und kleinen Tragödien, zu denen die Diagnose AIDS im familiären und gesellschaftlichen Umkreis von Luis führte, ist lang. Am meisten gelitten habe er unter den Depressionen, die ihn immer wieder von neuem einholten. Sehr enttäuschend für ihn war die Tatsache, dass er von den Freunden nach und nach im Stich gelassen wurde, auch vom besten Freund. Wovon Luis nichts hält, ist das heimliche Gerede und Tuscheln im Umkreis: „Mir ist es viel lieber, wenn mich jemand direkt auf meine Krankheit anspricht.“ Vielfach auf sich alleine gestellt seien AIDS-Patienten, die an Depressionen leiden, auch bezüglich der psychologischen und psychiatrischen Betreuung. Im Vinschgau gebe es diesbezüglich noch viel Handlungsbedarf. „Außerdem kommt hinzu, dass man, wenn man schnelle psychologische und psychiatrische Betreuung braucht, einen privaten Termin vereinbaren muss, um nicht auf eine lange Warteliste zu kommen“, so Luis. Weit verbreitet seien immer noch Vorurteile im Zusammenhang mit AIDS, etwa jenes, wonach fast nur Drogenabhängige und Homosexuelle infiziert werden. Dass dem schon längst nicht mehr so ist, beweisen die Statistiken, die jährlich anlässlich des Welt-AIDS-­Tages veröffentlicht werden. Auch in Bezug auf die Möglichkeiten der Ansteckung bzw. Nicht-Ansteckung herrscht teilweise noch Unklarheit. Was sich Luis daher wünscht, ist eine Art Anlaufstelle für Familienangehörige, Freunde und Bekannte von AIDS-Patienten, damit sie informiert werden, wie man mit AIDS-Kranken umgeht oder eben nicht umgeht. Wovor der Betroffene ausdrücklich warnt, ist die Illusion, wonach AIDS dank der bisherigen medizinischen Fortschritte nicht mehr eine so ernst zu nehmende Krankheit sei: „Es stimmt, dass es Fortschritte gegeben hat, vor allem in der Entwicklung neuer Medikamente, wofür wir als Betroffene sehr dankbar sind, aber unterschätzen darf man AIDS deswegen nicht. Davon kann sich jeder überzeugen, der auch nur einmal einen kurzen Blick in das Haus ­Emmaus in Leifers wirft.“ Auch mit Kritik an den Medien wartet Luis auf: „Die Medien sollten sich der Verantwortung bewusst werden, die sie übernehmen, wenn sie in großen Schlagzeilen verkünden, dass wieder einmal ein möglicher Impfstoff gegen AIDS getestet oder gar gefunden worden sei.“ Mit solchen Nachrichten werde die Krankheit irgendwie bagatellisiert. Auf die Frage, woher er die Kraft nimmt, trotz allem mit einer positiven Gesinnung jeden Tag aufzustehen, meint Luis: „Da ist einmal der Glaube an Gott. Weiters kommt der Halt in der Familie und in der Partnerschaft dazu und nicht zuletzt die Stütze all jener ­Menschen, die wirklich zu einem stehen und dich nicht nur bemitleiden.“ Derzeit gibt es über 270 AIDS-Patienten in Südtirol Die Zahl der AIDS-Erkrankungen in Südtirol nimmt stetig ab. Trotzdem aber sei Vorsicht geboten, sagte Landesrat Richard Theiner kürzlich anlässlich des Welt-AIDS-Tages am 1. Dezember. Im heurigen Jahr wurden bisher 17 Neuinfektionen in Südtirol gezählt. Ausgebrochen ist die Krankheit heuer bei 9 Südtirolern, was die Zahl der offiziellen Fälle von 1985 bis heute auf 273 bringt. Die Zahl der Erkrankungen pendelt sich auf jährlich sechs bis sieben Fälle ein. „Die Hälfte aller HIV-Infizierten in Südtirol sind Drogenabhängige, 29 Prozent Heterosexuelle, 18 Prozent Homosexuelle, zwei Prozent Bluter, ein Prozent ist durch eine Übertragung im Mutterleib infiziert worden“, erklärte Raffaele Presterà von der Abteilung Infektionskrankheiten am Krankenhaus Bozen. Von 1985 bis 1990 waren noch bis zu 80 Prozent aller HIV-Infizierten drogenabhängig und nur 20 Prozent durch sexuelle Kontakte angesteckt worden. Angestiegen ist auch das Durchschnittsalter der Infizierten. Lag dieses 1985 noch bei 25 Jahren, sind es heute bereits 40, wobei die infizierten Männer im Schnitt leicht älter sind als die Frauen. Hinweise zum Thema AIDS (Quelle: Abteilung Gesundheitswesen des Landes) AIDS ist eine fortschreitende, durch Virusinfektion erworbene Schwächung der körpereigenen Abwehr (Immunsystem). Dadurch können Krankheitserreger, die normalerweise keine ernste Gefahr für einen gesunden Menschen darstellen, den Organismus befallen und schwere Schäden verursachen. Ein Mensch, der mit HIV infiziert ist, wird zunächst HIV-positiv (seropositiv), aber nicht AIDS-krank. Zwischen Ansteckung und Ausbruch der Krankheit können viele Jahre vergehen. Auch HIV-positive Menschen, die sich gesund fühlen oder nur leichtere Krankheitszeichen entwickelt haben und vielleicht gar nicht wissen, infiziert zu sein, sind trotzdem in der Lage, das Virus an andere Menschen weiterzugeben. Das HIV-Virus kommt nur im Blut, in der Muttermilch, in der Samen- oder Scheidenflüssigkeit in einer so großen Menge vor, dass eine Infektion stattfinden kann. Damit eine An­steckung stattfinden kann, muss das HIV von einem infizierten Menschen durch diese Flüssigkeiten in die Blutbahn eines anderen gelangen. Dies kann geschehen: über die Blutbahn, wenn Drogenkonsumenten Spritzen gemeinsam benützen; über kleinste Verletzungen von Haut oder Schleimhäuten (dies kann beim Geschlechtsverkehr zwischen homo- oder heterosexuellen Paaren leicht geschehen, wenn Verletzungen an Geschlechtsorganen, After oder Mund mit Sperma, Blut oder Scheidenflüssigkeit in Kontakt kommen); während der Schwangerschaft, bei der Geburt oder über die Muttermilch von der infizierten Mutter auf das Kind.  Nicht nur so genannte Risikogruppen (Homosexuelle, Menschen, die Drogen ­spritzen, Prostituierte und Partner all dieser Personen) sind der AIDS-Gefahr ausgesetzt, sondern auch all jene, die sich in ihrem Sexualleben Risiken aussetzen. Das Virus wird immer häufiger durch Geschlechtsverkehr zwischen Mann und Frau übertragen. Keine Ansteckung zu befürchten gibt es beim Kontakt mit Ausscheidungen: Eine Infektion durch Schweiß, Speichel, Tränenflüssigkeit, Urin oder Kot ist praktisch ausgeschlossen und ist bis heute nicht nachgewiesen worden. Nicht übertragen wird das HIV bei: Händedruck, Anfassen, Umarmen, Streicheln, Küssen; Anhusten oder Anniesen; Benützen derselben Toiletten, Bäder, Saunen oder Schwimmbäder; Benützen derselben Teller, Gläser oder Bestecke; Verzehr derselben Speisen oder Getränke; Zusammenarbeiten, - wohnen oder die Freizeit mit HIV-positiven oder AIDS kranken Menschen verbringen; Betreuen und Pflegen von Menschen mit HIV/AIDS. Zum Umgang mit HIV-positiven oder an AIDS erkrankten Menschen heißt es: „Niemand von uns - gleichgültig wie und wo er lebt, gleichgültig ob Mann oder Frau - kann völlig ausschließen, dass ihm nahe stehende Menschen einmal in diese Lage kommen. Jeder von uns sollte einen verantwortungsbewussten, menschenwürdigen Umgang mit infizierten Personen haben. Sie brauchen dringend unsere offene Unterstützung und Solidarität. Und es gibt keinen Grund, ihnen diese zu verweigern.“ Nützliche Adresse: Verein  Propositiv Südtiroler AIDS HILFE Baristraße 14/a 39100 Bozen: Tel.  Fax  0471 932200 E-mail: info@propositiv.bz.it Web: www.propositiv.bz.it
Josef Laner
Josef Laner
Vinschger Sonderausgabe

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