Noch herrscht das Chaos
Visionen für große Zukunft des jochs und der Passstraße
Auch Vorschläge für gestalterische Maßnahmen auf der Passhöhe hat die Südtiroler Arbeitsgruppe unter der Leitung von Architekt Arnold Gapp erarbeitet.
Das „Gipfeltreffen“ war gut besucht.
Stephan Gander
Arnold Gapp
Richard Theiner.

Ungeschliffener Diamant

Das Stilfserjoch und die Passstraße bergen ein riesiges Potential.

Publiziert in 22 / 2018 - Erschienen am 26. Juni 2018

Stilfserjoch - Ein Radrennen auf der Seite der Schweiz und der Lombardei, der Stilfserjoch Marathon auf Südtiroler Seite, Skifahrer, Snowboarder, Wanderer und mittendrin eine staatliche Anzahl von Kiwanis-Mitgliedern, die sich zu einem „Gipfeltreffen“ am Stilfserjoch eingefunden haben. All dieses und mehr hat sich am 16. Juni auf dem Joch zugetragen. „Der heutige Tag ist ein gutes Beispiel dafür, dass auf dem Joch bisweilen chaotische Zustände herrschen. Was fehlt, ist eine gemeinsame Regie, eine bessere Koordination sowie auch Voraussetzungen dafür, dass die Gäste nicht nur über den Pass fahren, sondern auch Zeit auf dem Joch verbringen.“ So brachte Stephan Gander, der Koordinator der 3 Arbeitsgruppen Vinschgau, Bormio und Val Müstair, die schon seit einiger Zeit am Konzept „Erlebnisraum Stilfserjoch“ arbeiten, das Problem auf den Punkt. Neben Gander konnten die Kiwanis-Vertreter Uwe Rinner (Vinschgau), Peter Paul Bernhard (Graubünden/Südtirol) und Jon Fadri Huder (Schweiz/Liechtenstein) auch Landesrat Richard Theiner, Arnold Gapp, den Leiter der Südtiroler Arbeitsgruppe, den Historiker und Schulinspektor Claudio Gustin aus Sta. Maria sowie den Direktor des lombardischen Nationalparkanteils, Alessandro Meinardi, als Referenten begrüßen.

Neue Ära

Als Beginn einer neuen Ära nannte Richard Theiner die Durchführungsbestimmung, mit der die Verwaltunskompetenzen für den Nationalpark vom Staat auf die Länder Südtirol, Trentino und Lombardei übertragen wurden. In einem Strategiepapier, erarbeitet von Vertretern der Südtiroler Nationalparkgemeinden, lokaler Interessensgruppen aus Landwirtschaft, Tourismus und Umweltschutz sowie des Landes, wurden mehrere Ziele festgeschrieben: Förderung der Akzeptanz des Nationalparks seitens der ansässigen Bevölkerung und Etablierung des Nationalparks zur „Modellregion für einen nachhaltigen alpinen Lebens- und Wirtschaftsraum“ sowie zur „Modellregion für die Erhaltung einer naturorientierten Landwirtschaft.“ Das Hauptziel des Nationalparkgesetzes, das der Landtag im März 2018 genehmigt hat, ist es, die Prozeduren zu vereinfachen und Doppelgleisigkeiten zu vermeiden. „Mit dem Parkplan und der Parkordnung sind wir in Südtirol auf der Zielgeraden“, sagte Theiner. Er erinnerte daran, dass dem Umweltministerium in Rom die Pläne aller drei Länder gleichzeitig vorzulegen sind.

„Heißes Eisen“ Zonierung

Auch bezüglich der Zonierung laufen derzeit intensive Verhandlungen mit dem Ministerium und der gesamtstaatlichen Umweltbehörde Ispra. Es seien im Wesentlichen 4 Zonen vorgesehen: A (Kernzone), B (Bewahrungszone), C (Übergangsgebiete) und D (D1: Bewohnte Gebiete, D2: Skigebiete, D3: Stilfserjochstraße). Zu den besonderen Maßnahmen, die ins Auge gefasst wurden, gehört laut Theiner die Zusammenarbeit zwischen dem Nationalpark, der Landwirtschaft und IDM Südtirol, um die touristische und landwirtschaftliche Entwicklung zu fördern. Die Ergebnisse der bisherigen Zusammenarbeit zwischen Landwirtschaft und Tourismus seien, vorsichtig ausgedrückt, „überschaubar.“

Neue Gesellschaft

Zum Vorhabenpaket „Panoramastraße Stilfserjoch“ kündigte der Landesrat die baldige Gründung einer neuen Gesellschaft an, an der Südtirol und die Lombardei zu jeweils 50% beteiligt sein werden. Die Gesellschaft wird mit der Umsetzung der Projekte zur Aufwertung der gesamten Nationalparkregion beauftragt. „Wir müssen auch Geld einsetzen und die Projekte konkret angehen, denn nur reden ist zu wenig“, so Theiner. Als wichtigen Baustein nannte er die Errichtung von Regionen übergreifenden Höhenwege: Ortler Höhenweg, Marmorweg und Trientner Höhenweg. Das wichtigste Ziel aller Vorhaben und Projekte sieht Theiner darin, die Menschen dies- und jenseits des Stilfserjochs wieder stärker zusammenzubringen: „Vor 100 Jahre tobte hier oben der Krieg, der zu einer Entfremdung führte, obwohl die Bevölkerung vor dem Krieg über Jahrhunderte hinweg friedlich zusammengelebt hatte.“

Riesiges Potential

Stephan Gander führte in die Details des Konzeptes bzw. Projektes „Erlebnisraum Stilfserjoch“ ein. Er gab sich überzeugt, „dass hier ein Leuchtturm-Projekt mit internationaler Strahlkraft entstehen kann.“ Es sei gelungen, alle 3 angrenzenden Gebiete mit ins Boot zu holen. Das Potential, das die Passstraße und das Stilfserjoch bergen, sei enorm. Eine Aufwertung des Gebietes käme nicht nur der stark abwanderungsgefährdeten Gemeinde Stilfs zu Gute, sondern dem gesamten Vinschgau bzw. der ganzen westlichen Landeshälfte. Ziel sei es, das Stilfserjoch zum „Wirtschaftsmotor“ für die drei Grenzregionen zu entwickeln. Eines der konkreten Ziele müsse es sein, die vielfältigen Bedürfnisse der Erlebnisstraßenbenutzer zu berücksichtigen: anhalten, aussteigen, sich hinsetzen, picknicken, aufs Klo gehen, der Natur näherkommen, schauen. Für das Befahren der Passstraße soll eine Eintrittsgebühr eingehoben werden, wobei die Einnahmen vor Ort investiert werden sollen. Das Stilfserjoch sei schon seit Jahrzehnten ein „Niemandsland“. Die Passhöhe sei vernachlässigt worden, das Gesamtbild am Pass sei „desolat“ und die Gast- und Beherbergungsbetriebe veraltet. Parkplätze würden ebenso fehlen, wie WCs und andere Strukturen. „Außerdem herrscht oft Chaos“, so Gander. Negativ ins Gewicht falle der Umstand, dass das Joch 5 Monate offen und 7 Monate geschlossen ist. Dieses Verhältnis gelte es umzudrehen: 7 Monate offen und nur 5 Monate gesperrt. Was vor allem fehle, sei eine „gemeinsame Regie.“ Behoben werden könnten die genannten Schwächen mit vielen Stärken, die das Joch birgt, die es aber besser zu nutzen gilt: spektakuläre Straße, Geschichte rund um den Ersten Weltkrieg, Nationalpark und Natur, „König Ortler“, Sport, Kultur (3 Sprachen und 3 Kulturen). 

Wohin führt der Weg?

In einem waren sich alle 3 Arbeitsgruppen einig: der Erlebnisraum Stilfserjoch sollte sich in Richtung „relativ hoher Preis“ und „gut geschaffene Attraktionen“ entwickeln. Im Klartext: Man will nicht noch mehr Verkehr, noch mehr Masse, Lärm und Chaos, sondern mehr Qualität. Zu entwickeln gelte es laut Gander vor allem das Familienerlebnis, das historische und kulturelle Erlebnis sowie das Erlebnis Nationalpark.Mit detaillierten Informationen zu den auf Südtiroler Seite geplanten und ansatzweise bereits durchgeführten baulichen und architektonischen Maßnahmen zur Aufwertung der Passstraße und des Stilfserjochs wartete Arnold Gapp, der Leiter der Südtiroler Arbeitsgruppe, auf. Die Palette reicht von Vorhaben in und an der Festung Gomagoi, über das Museum „Franzenshöhe“ und Aussichts-Rampen entlang der Straße und am Joch bis hin zu einem gemeinsamen Museum am Joch und zu gestalterischen Maßnahmen auf der Passhöhe. Als Beispiel für die Aufwertung der Passstraße und des Jochs lehnen sich die Akteure an die Großglockner Hochalpenstraße an. Über die baulichen Maßnahmen, die auf lombardischer Seite geplant sind, informierte Alessandro Meinardi. Auf viel Zuspruch bei den Teilnehmern des „Gipfeltreffens“ war auch der Vortrag von Claudio Gustin gestoßen, der die geschichtlichen Ereignisse im Grenzgebiet rund um das Stilfserjoch während der vergangenen Jahrhunderte beleuchtete und ein besonderes Augenmerk auf die gemeinsame Geschichte des Vinschgaus und des Kantons Graubünden legte. Dass das Stilfserjoch und die Region im Umkreis desselben eine große Vergangenheit hat, ist Tatsache. Ob es gelingt, mit neuen Ideen, Vorhaben und Projekten nun auch eine große Zukunft zu gestalten, bleibt abzuwarten. Eine unabdingbare Voraussetzung dafür ist offensichtlich gegeben: alle 3 Gebiete ziehen an einem Strang. 

Josef Laner
Josef Laner

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