Treibstoffpreise an der Schmerz-Grenze
Die Pächter auf Nauderer Seite reiben sich die Hände

Verbilligter Treibstoff und der Sonderfall Vinschgau

Publiziert in 9 / 2012 - Erschienen am 7. März 2012
Der einzige Tourismus, der im Vinschgau hohen Zuwachs erfährt, ist der Tanktourismus. Die vor vier Jahren getroffene Regelung, Fahrzeugbesitzer in Grenzgemeinden durch Ermäßigungen zum Tanken im Inland zu bewegen, greift durch die Verteuerung in der Schweiz und die Preiserhöhungen in Italien nur mehr zum Teil. Die Tankstellenbetreiber im Vinschgau haben Umsatzeinbrüche von 30 bis 40 Prozent vor allem bei Dieselöl zu beklagen. von Günther Schöpf Die Wirkung der Monti-Dekrete war unübersehbar. Die Treibstoffpreise stiegen und stiegen und an den Tankstellen in Grenz­nähe wurde es immer einsamer. Wie vor vier Jahren schlugen Pustertaler und Wipptaler Gemeinden zuerst Alarm. „Wir sind ruiniert“ titelten die Zeitungen. Preisreduzierung und Rückvergütung seien „die einzige Überlebenschance für grenznahe Tankstellen“ tönte es aus der Ecke des Handels- und Dienstleistungsverbandes. Wieder ging und geht es um die Eindämmung des Tanktourismus nach Österreich. Wohlgemerkt nach Österreich, aber dass es ganz weit oben links von Südtirol auch eine EU-Außengrenze zur Schweiz gibt, war schon vor vier Jahren niemandem so recht aufgefallen. Damals blieben die Tankstellenbetreiber im Vinschgau eher ruhig. Der Tiroler Treibstoff war fast gleich teuer oder billig wie der Eidgenössische. Außerdem hatten die Vinschger ihr großes Tankstellensterben zwischen 1990 und 2002 schon hinter sich. Man hatte sich wohl oder übel angepasst, „arrangiert“. Inzwischen sind aber die Sprit-Preise in der Schweiz nachgezogen. Am 27. Februar musste man an der Schweizer Grenze für einen Liter Dieselöl 1,68 Euro „berappen“ und an den Esso-Tankstellen in Prad und Eyrs 1,72 Euro. Etwas größer war die Differenz bei Super Benzin. 1,598 Euro verlangten die Schweizer, 1.757 Euro kostete der Liter „im Südtirol“, wie die Nachbarn zu sagen pflegen. Es geht oft um einen halben Cent Tatsächlich sanken an den genannten Tankstellen die Umsätze bei Diesel im Jänner 2012 zwischen 30 Prozent gegenüber demselben Monat 2011; deutlich geringer der Einbruch bei Benzin. „ Die Leute schauen auf 0,5 Cent“, meinte ein Tankstellenpächter in der Gemeinde Latsch. Entsprechend registrierte man die geringsten Veränderungen an den 12 Tankstellen zwischen Töll und Prad. Man weiß genau, wer wann um wie viel nachts absenkt oder wer „servito“, bedient, und „self“, selbst, am günstigsten anbietet. Während die Betreiber kaum mehr nachkamen im Einstellen der Anzeigetafeln, nahmen zahlreiche Autobesitzer jeden noch so unbedeutenden Grund zum Anlass, in das Grenzgebiet des Oberen Gerichts zu kommen. Fast möchte man von „Krisen-Gewinnlern“ sprechen. Es soll nicht nur die Schneelage gewesen sein, die viele Familien aus dem Burggrafenamt zu Fahrten nach Schöneben und Nauders bewogen habe. Während das Söhnchen über die Pisten raste, nahm man sich Zeit einzukaufen oder wagte eine Fahrt in das 23 Kilometer von der Grenze am Reschen entfernte, zollfreie Samnaun, wo man zum Tanken einen ­Kaffee spendiert bekam, den überteuerten Kuchen dazu bestellte und die bereit liegenden 10 Kilo Zucker auch noch mitnahm. Es begann das viel zitierte „10 Euro-Tanken“ an den orographisch linksseitigen Tankstellen, um ins „gelobte Land“ zu kommen. Die Einbußen an den Tankstellen ab Plaus Richtung Westen waren schmerzlich. Mit besonderem Galgenhumor bemerkte ein Betroffener: „Der ÖAMTC veröffentlicht täglich die günstigsten Tankstellen Österreichs. Jetzt fehlt nur noch, dass man zum Zahnarzt nach Ungarn fährt, um im Burgenland den günstigsten Treibstoff Österreichs zu tanken.“ Gerüchten zufolge soll sogar Treibstoff gehortet worden sein, indem man mehrmals über die Grenze hin und her fuhr und den Tank zu Hause leerte. Inzwischen war die Finanzpolizei an der Grenze auf „Kanisterjagd“. Nur so zur Ergänzung. Die Tankstellenbetreiber des Bezirks Landeck nützen die Situation. Sie sind um einiges teurer als die Kollegen an der Brennerstrecke. 221 Tankstellen in Tirol sind bei Diesel billiger als jene in der Gemeinde Nauders; 209 sind es bei Benzin. „Es fehlen uns die Malser“ Als sich die Landesregierung am 12. Dezember 2011 aufraffte, auf den Alarm aus dem Osten zu reagieren, sich großzügig gab, weil sie den Gemeinden der Zone 2 (zwischen 11 und 20 Kilometer von der Grenze) die Vergütung von 60 auf 70 Prozent der Preisdifferenz anhob, fiel der Westen des Landes wieder einmal durch den Rost. Sinngemäß meinte ein Pächter „Es wäre alles erträglich, wenn da nicht der Dieselpreis in der Schweiz wäre“ und zeigte als Beweis das stattliche Bündel mit „Kassa-Zetteln“ fürs Benzin Tanken. „Am meisten zu Buche schlagen die Autofahrer der Gemeinde Mals“, stellte ­Helmut Telser an der Esso-Tankstelle in Eyrs fest. Weil die Gemeindegrenze am „Longkreiz“ 11 statt 10 Kilometer von der Staatsgrenze am Reschen entfernt ist, wurden die Malser zur Schweiz geschlagen und können nicht von der erheblichen Preisdifferenz zum Treibstoff in Österreich profitieren. Am 22. Februar betrug der Unterschied zwischen Diesel in Österreich und Diesel im Vinschgau 24 Cent, zur Schweiz 5 Cent. Vinschger Politiker waren in den zuständigen Landesämtern inzwischen auch vorstellig geworden. „Zuerst war Fasching und dann kam Afrika“, daher habe es keine Ausschusssitzungen mehr gegeben, meinte trocken der Malser Landtagsabgeordnete Sepp Noggler auf Anfrage. Relativ zügig unterwegs war Manfred Pinzger, der dem Senat einen Beschlussantrag unterbreitet hatte, in dem er, seine Kollegen Thaler und Peterlini und die Vertreter der Grenzregionen Friaul Julisch Venetien und Aosta die italienische Regierung aufriefen, „durch eine Benzinpreisreduzierung in Grenzgemeinden dem sogenannten Tanktourismus Einhalt zu gebieten“. Der Antrag war für die Diskussion und Abstimmung im Plenum am 16. Februar vorgesehen; er wurde zuerst auf den 1. und dann auf morgen, 8. März, verschoben. Die Liberalisierungsdekrete hatten Vorrang. „Der Geduldsfaden könnte reißen“ Indessen hatte auch die Opposition die geplagten Grenzregionen und noch mehr die bestraften Vinschger entdeckt. Die Freiheitlichen wollten in der „aktuellen Fragestunde des Südtiroler Landtages“ wissen, wie sich billig Tanken in Grenznähe auf den Landeshaushalt auswirke, wie viele Bürger 2010 und 2011 in den einzelnen Gemeinden eine „Preisreduzierungskarte“ beantragt hätten und ob man gedenke, das verbilligte Tanken auf das ganze Land bzw. auf alle Bürger auszudehnen. So wie Senator Pinzger in seiner Anfrage keine Hinweise auf die besondere Situation im „rätischen Dreieck“ angeführt hatte, so wenig ging auch Finanzlandesrat Roberto ­Bizzo – sinnigerweise auch für Chancengleichheit zuständig - in seinen schriftlichen Antworten auf die besonderen Sorgen der Vinschger Tankstellenbetreiber ein. Es war lediglich zu erfahren, dass man auf die Ergebnisse einer eigens eingesetzten Arbeitsgruppe warten wolle. Bereits zwei Monate zuvor hatte Landeshauptmann Luis ­Durnwalder angekündigt, es sei zu überprüfen, ob eine Ausweitung der Zone 1 von 10 auf 15 und der Zone 2 von 20 auf 30 Kilometer finanzierbar wäre. Ein moralisches Recht, in der Schweiz oder in Österreich billiger zu tanken, reklamierte die BürgerUnion. In ihrer Aussendung vom 18. Februar warnte sie die „übereifrigen Zoll- und Polizeiorgane“, dass den „fleißigsten Steuerzahlern auf Staatsgebiet (…) irgendwann der Geduldsfaden reißen“ würde. Das Land hätte die gesetzlichen Möglichkeiten, im ganzen Land die Spritpreise auf österreichisches Niveau zu bringen, machte auch die Vertreterin der Lega Nord Stimmung und empfahl volltönend den Landesräten, den Treibstoff ihrer Dienstautos selbst zu bezahlen oder öffentliche Verkehrsmittel zu benützen. Eine Gesetzesänderung ist notwendig Während sich die Opposition in Rundumschlägen zum Thema Treibstoffpreise übertraf, schlagen sich die Beamten im Ressort für Industrie, Handel und Handwerk mit den Liberalisierungsdekreten herum. Nach vielen Versuchen gelang es doch noch, dem geschäftsführenden Amtsdirektor Bruno Fontana, zuständig für „Erteilung der Genehmigungen für die Tankstellen“ eine Aussage über die weitere Vorgehensweise in Sachen verbilligte Treibstoffpreise im Vinschgau abzuringen. „Es wird nicht so einfach sein, wie wir es uns vorgestellt haben“, gab er zu bedenken. „Es geht um eine Änderung des Landesgesetz vom 17. Februar 2000, Nr. 7 Neue Handelsordnung Art. 16/bis Bestimmungen über die Preisreduzierung beim Verkauf von Benzin und Dieselöl.“ (Darauf beruhte die Preisreduzierung seit Jänner 2008. Anm. d.R.). Die Schmerz-Grenzen in Zahlen Den Tabellen liegen die Preise vom 29. Februar an den ersten Esso-Tankstellen im Vinschgau, der Preis vom 27. Februar in Müstair (CH) und vom 3. März in Nauders (A) zu Grunde. Am 21. Februar wurden mit 63,59 Liter Dieselöl in Samnaun 28 Euro gegenüber den Südtiroler Preisen eingespart (Liter-Preis 1.21 Euro). Dazu wurde eine Fahrstrecke hin und zurück von 168 Kilometern zurück gelegt. Berechnet man pro Kilometer eine Pauschale für Verbrauch und Abnützung von 60 Cent, wurden 100,80 Euro verfahren, um 28 Euro einzusparen. Ein Laaser legt bis zur ersten Tankstelle auf Tiroler Seite ungefähr 40 Kilometer zurück. 2 x 40 km x 0,60 Euro = 48 Euro. Auf 100 Liter Dieselöl erspart er sich 23,70 Euro; auf der Fahrt hin und zurück verbraucht er 48 Euro. Quelle: Landesregierung Zwischen 2008 und 2011 haben 1.318 Fahrzeughalter aus Mals, 1.135 aus Laas, 942 aus Prad, 433 aus Schluderns, 375 aus Stilfs, 288 aus Glurns, 131 aus Graun und 117 aus Taufers in ihren Rathäusern um eine Ermächtigung angesucht, über Code und Gesundheitskarte verbilligten Treibstoff kaufen zu können. Die Vinschger stellten 38,8 Prozent aller Ermächtigten. Dem Land haben diese Vinschger 2011 160.000 Euro gekostet, dafür sind im selben Jahr 524.532 Euro an Steuern in die Landeskasse geflossen. 18,2 Millionen Liter wurden 2011 in Südtirol auf „normalem“ Weg getankt. Das hat dem Land 7,6 Millionen Euro an Einnahmen gebracht. Sollten durch den Tanktourismus weitere Tankstellen im Land schließen müssen, entgeht auch ein Anteil an diesen Steuergeldern.
Günther Schöpf
Günther Schöpf
Vinschger Sonderausgabe

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