Vom Büro zu den Schafen
Publiziert in 15 / 2010 - Erschienen am 21. April 2010
Obervinschgau/Oberstes Gericht – In Salzburg geboren, im Obersten Gericht wohnhaft, in den Bergen lebend - Anita Gnigler ist von ihrer Tätigkeit als Schäferin begeistert. Ende April wird sie zum bereits zum dritten Mal für die Weideinteressentschaft Laatsch-Schleis sieben Monate lang Schafe hüten. Wie die ehemalige Städterin auf Umwegen Schäferin wurde und welche Freude es bedeutet, mit vielen Tieren und nur wenigen Menschen zu arbeiten, berichtete sie dem „Vinschger“.
von Katharina Hohenstein
„Der Vinschger“: Wie kam die Salzburger Assistentin eines Steuerberaters zum Schafehüten?
Anita Gnigler: Irgendwie fühlte ich mich nicht wohl. Es war ein Muster, in das ich hineingeboren wurde. Es gab schöne Zeiten – ich hatte ein Motorrad, ging auf Reisen...aber etwas stimmte nicht. Ich musste etwas ändern, kündigte die Arbeit und machte erst einmal ein Jahr Umschulung im Bereich Tourismus, Sport und Gesundheit. Tagsüber Schule, abends fuhr ich Pizza aus. Dann wechselte ich nach Tirol und arbeitete in einer Skischule/Sportgeschäft - wieder im Büro.
Nach einiger Zeit machte ich mich selbstständig und ging als Bergwanderführer und Vitaltrainer mit Menschen raus in die Natur. Abends war ich völlig erledigt vom vielen Sprechen und Zuhören! Es klingt hart, aber für mich waren das die zweibeinigen Schafe, welche die Natur um sie herum nicht wahrnahmen, den Alltag nicht loslassen und keine Ruhe in sich finden konnten.
Und der Sprung zur Weideinteressentschaft Laatsch-Schleis?
Anita Gnigler: Ich suchte wieder nach etwas Neuem und gab ein Stellengesuch ins Internet. Auf diese Anzeige meldete sich die Weideinteressentschaft und wir trafen uns 2008 im März. Sie wussten von mir, dass ich trittfest und sportlich bin, aber auch, dass ich vom Hüten keine Ahnung hatte. Mich wunderte es selbst, dass sie sich für mich entschieden. Meine beiden Border-Mischlinge verstanden ebenso wenig vom Hüten und waren keine große Hilfe. Der Weideverein stand voll und ganz hinter mir und unterstützte mich, auch beim Hüten des Jungviehs. Im ersten Jahr lernte ich sehr viel, im zweiten Jahr arbeitete ich schon selbstständiger, kannte die Schafe, ihre Wege, den Berg und konnte die meisten neugeborenen Lämmer markieren. Auch hatte ich die Grenzen (March) des Gebietes gut unter Kontrolle, sodass kaum Schafe den Berg verließen.
Ihre Ziele, die Sie beim Hüten erreichen wollen?
Anita Gnigler: Ich möchte noch selbstständiger hüten und kaum Fremdhilfe in Anspruch nehmen, z.B.: wenn ein Schaf schwer verletzt oder krank ist und keine Überlebenschance hat, dann will ich es selbst von den Qualen erlösen.
Ging das Töten eines Schafes bisher nicht?
Anita Gnigler: Beim ersten Mal, als ein Schaf getötet wurde, ging es mir sehr nah und ich war fix und fertig. Heute sehe ich das realistischer: man tut dem Schaf etwas Gutes.
Wie entsteht der Bezug zu den Schafen?
Anita Gnigler: Nun, es sind meist die besonderen Schafe: immer die gleichen, die den Berg verlassen, die zutraulichen, ängstlichen und „pfiffigen Schafe“ oder nicht alltägliche Erlebnisse: ein Schaf hatte seinen Kopf in einer Baumwurzel eingeklemmt und je mehr ich das Schaf nach hinten zog, desto mehr drängte es nach vorne in die Baumwurzel. Letztlich packte ich es an allen vier Füßen und zog es nach hinten heraus, schwindlig und schwach, machte es sich davon. Oder Hotzenplotz, trotz seines hohen Alters, er versammelt heute noch als „Leitschaf“ eine Herde um sich herum.
Was ist Ihr jetziger Zustand, seit Sie sich aus Ihrer eigenen Büro-Beklemmung befreiten?
Anita Gnigler: Das, was ich tue, bringt Befriedigung. Ich gehe oftmals an meine körperlichen Grenzen, doch wenn ich die meisten Schafe – alle schafft wahrscheinlich kein Hirte – im Herbst gut genährt und gesund wieder vom Berg zur letzten Schafschoad bringe, dann ist das für mich ein innerliches Glücksgefühl. Ich tue das Richtige!
Ende April geht es wieder auf die Alm?
Anita Gnigler: Ich arbeite wieder für die Weideinteressentschaft Laatsch-Schleis, weil man hier meine Arbeit schätzt. Ich hatte durch ihren Rückhalt, der mir von Anfang an entgegengebracht wurde, viel Freude und Ehrgeiz entwickelt. Wenn ich nicht mehr hüten will oder kann, könnte ich mir vorstellen, mit Hunden zu arbeiten. Mit Rudelharmonie habe ich mich seit dem Winter, als wir (meine Bordermädels und ich) einen jungen, reinrassigen Bordercollie in unser Rudel aufgenommen haben, intensiv beschäftigt: zwischen Hunde und Schafe gibt es im Herdenleben viele Parallelen.
Sie sind kein Herdentier?
Anita Gnigler: Mit den Menschen bin ich kein Herdentier. Ich bin gerne allein. Am Berg kann man sich selbst sein. Mit Menschen bekomme ich nach vier bis fünf Tagen einen Gruppenkollaps.
Die Tatsache, dass Sie Schäferin wurden, ist das so etwas wie ein innerer Befreiungsschlag? Was hat sich verändert?
Anita Gnigler: Ich habe mehr Toleranz anderen gegenüber, lebe im Hier und Jetzt, habe gelernt, die Vergangenheit loszulassen und blicke nur in die nahe Zukunft. Es kommt sowieso immer anders als man denkt und plant. Ich weiß heute, was ich will. Ich folge meinem Gefühl, ich bin keine Strategin: Im Moment ist das mein Weg, ich bin mit meinem Leben sehr zufrieden.
Für die Familie Gnigler ist Ihr Weg sicherlich ein außergewöhnlicher?
Anita Gnigler: Die Gnigler sind Städter. Mein Bruder ist ein erfolgreicher Immobilienmakler. Mein Vater kam ursprünglich vom Land, daher kann er mich gut verstehen. Ein Sohn meines Bruders hat auch die Gene meines Vaters geerbt. Er hat viel Freude an der Natur und ist, so wie ich, kein Herdenmensch.
Gibt es Situationen, die Ihnen am Berg Angst machen?
Anita Gnigler: Ich habe wahnsinnige Angst vor Gewitter, das hat sich noch nicht gelegt. Ansonsten bin ich kein ängstlicher Typ, ich machte schon vorher größere Bergtouren. Am 24. August 2004 allerdings purzelten wir in einer Dreier-Seilschaft von der Königsspitze. Wir hatten Glück und überlebten, das gab mir den Respekt vor dem Berg. Ich habe keine Probleme damit, am Berg umzukehren, wenn mir die Situation nicht sicher erscheint.
Katharina Hohenstein