Der Nachhaltigkeitspionier
Nicht den Mund verbieten lassen sich Günther Reifer (rechts) und Evelyn Oberleiter (links), hier im Bild mit Felix Finkbeiner von „plant-for- the-planet“.

Vom Yuppie zum Pionier für Nachhaltigkeit

Publiziert in 38 / 2011 - Erschienen am 26. Oktober 2011
Goldgelbe Kornähren wiegen sich im heftigen Vinschger Oberwind. Dieses malerische Bild entstand auf Initiative des Regionalent­wicklers Konrad Meßner und der ­Gruppe „Kornkammer“. Ihr Ziel ist, den Getreideanbau im Obervinschgau zu reaktivieren und „die Entwicklung einer Struktur für eine nachhaltige Entwicklung im Getreideanbau“. Ein Beispiel für gelebte Nachhaltigkeit. Gegenteilig das Bild im Mittelvinschgau. Apfelbäume, zentimetergenau in Reih‘ und Glied gepflanzt, großteils durch Kunstdünger und häufige Spritzungen zu jährlichen Höchsterträgen angehalten, um auf dem hart umkämpften internationalen Markt bestehen und ­satte Gewinne einfahren zu können. Zwei Welten, ein Tal. von Andrea Kuntner Diese zweite Welt kennt Günther Reifer wie seine Westentasche. Als eingefleischter Wirtschafter, der Jahre lang in der Geschäftsleitung eines international agierenden Möbel­herstellers saß und heute noch u. a. als Dozent an der Fakultät für Strategisches Marketing und Tourismus unterrichtet, weiß er, wie rau und unerbittlich die Wirtschaftsprozesse sind. Und wie umweltfeindlich. Günther Reifer, der smarte Schlanderser­ in weißem Leinenhemd und schwarzer, elegant geschnittener Hose, würde noch heute auf den ersten Blick glatt als ein ­Yuppie, der er war, durchgehen. In Wirklichkeit steckt viel mehr hinter dem lächelnden Gesicht. Bereits der offene und direkte Blick lässt Tiefgang vermuten. Bis 2010 lebte Reifer das finanziell sorglose Leben eines Marketingmanagers. „Diese Arbeit machte mich nicht glücklich“, stellt er heute nüchtern fest. „Du bist doch viel gerechter im Denken und Handeln als du es hier in der Firma je sein kannst“, schoss es ihm oft durch den Kopf. Er unternahm Reisen, sammelte Eindrücke und besuchte Ibrahim Abouleish und seine Entwicklungsinitiative SEKEM in Ägypten. Seine wohl prägendste Reise. Der Träger des Alternativen Nobelpreises betreibt seit Ende der 1970er Jahre in der Nähe von Kairo einen auf biologischer Basis arbeitenden, riesigen Landwirtschaftsbetrieb. Heute ist dieser Marktführer in pflanzlichen Heilmitteln. Ganz nebenbei gründete er Schulen und kulturelle Einrichtungen. Vom Beispiel Abouleish inspiriert, wo wirtschaftlicher Erfolg sowie sozio-kulturelle Entwicklung und Nachhaltigkeit sich nicht ausschließen, entscheidet Reifer sich für einen schrittweisen „Ausstieg“, weg vom Wirtschaftsegoismus, hin zu „Macht das was ich tue Sinn für die Welt?“. Heute zählt Günther Reifer mit seinen 39 Jahren zu den Pionieren in Sachen Nachhaltigkeit, weit über Südtirol hinaus. Nachhaltig bedeutet die Natur und Umwelt für künftige Generationen zu erhalten, die Artenvielfalt zu fördern, so zu wirtschaften, dass die wirtschaftlichen Ressourcen nicht ausgebeutet werden und die Gesellschaft sich entwickeln kann, dass sich alle Mitglieder beteiligen können. Günther Reifer spricht schnell, so schnell wie er denkt. Die Worte sprudeln förmlich aus seinem Mund, nehmen während unseres Gesprächs in schwungvoll eingekreisten Begriffen auf der Innenseite einer Kartonhülle Gestalt an. Als Gesprächs­partnerin habe ich Mühe, ihm zu folgen, versuche ihn mit Zwischenfragen einzubremsen, meist erfolglos. Seine Augen strahlen Begeisterung aus, die ansteckend wirkt. Mit eben dieser Begeisterung setzt er 2008 die ersten konkreten Schritte für seinen Ausstieg, gründet gemeinsam mit seiner Ehepartnerin Evelyn Oberleiter das Terra Institute in Brixen. Es geht um „sinnvolle Projekte für die Welt“, definiert Reifer das Ziel ihres Instituts, also sich über „Forschung“, „Beratung“, „Lehre“ und „Events“ für ein neues, nachhaltiges Wirtschaften und ein friedliches Zusammenleben stark zu machen. „Das Terra Institute steht für neues Denken, neues Bewusstsein, neue, nachhaltige Konsummöglichkeiten, neues globales Wirtschaften. Es geht darum, Bewusstsein und Verantwortung auf unterschiedlichen Ebenen zu schaffen: Zum einen müssten die politischen Entscheidungsträger und die Führungskräfte darin unterstützt werden, den Unternehmen neue Inhalte vorzugeben und vorzulegen, auf der anderen Seite müsste das Bewusstsein der Konsumenten – jedes Einzelnen – gestärkt werden, dass er bewusster Inhalte unterstützt oder ablehnt, denn jede Kaufentscheidung ist letztlich eine Unterstützungserklärung, jeder Euro ein Stimmzettel, für oder gegen eine Art der Unternehmensausrichtung. D. h., kaufe ich bei H&M, Nike, Nespresso etc., so unterstütze ich automatisch deren Wachstum und zugleich auch deren Art zu wirtschaften.“ Die Ideen zur Nachhaltigkeit sind gut, klingen aber sehr theoretisch. Wie soll denn wirtschaftlicher Erfolg und nachhaltiger Umgang mit der Umwelt zusammenpassen, stelle ich mir die Frage? Ein Wolf im Schafspelz? Für Reifer ein ganz wichtiges Thema. Wenn Unternehmen kein Geld verdienen, können sie auch nicht langfristig existieren. Für das Terra Institute ist aber die Frage nach dem „Wie“, mit welchem Grundverständnis und mit „welchen Produkten/Dienstleistungen“ man Gewinne macht, entscheidend. Beim Grundverständnis geht es darum, dass der unternehmerische Gewinn und das damit einhergehende Wachstumsstreben nicht im Fokus stehen dürfen. Reifer bekräftigt seine Gedanken, in dem er den Inhalt nochmals mit etwas lauterer Stimme wiederholt: „Gewinn ist wichtig, kann aber nicht das ganze Unternehmen dominieren. Es geht vielmehr um die Entwicklung des Menschen und die Schaffung von guten und intelligenten Produkten“. Damit meint Günther Reifer Produkte, die unter bestimmten Prinzipien designed sind, dass sie bedenkenlos konsumiert werden können, wo Umwelt, Rohstoffe, soziale ­Themen und Gerechtigkeit eine wesentliche Rolle spielen. Fachspezifisch wird dieser Ansatz „Cradle to Cradle“ (von der Wiege zur Wiege) genannt – es geht also darum, die gesamte Wertschöpfungskette zu beachten und bereits bei der Entwicklung eines Produktes Recycling-Gedanken mit anzudenken. Weg von der Theorie hin zur Praxis. Das Terra Institute ist nicht nur eine Think-Dank, sondern betreut auch eigene Projekte, wie das Geschäft Terra Eco Fashion, in der Trattengasse in Brixen, wo ökologische, wiederverwertbare, handgemachte und fair produzierte Kleidung zu akzeptablen Preisen angeboten wird. Gemeinsam mit Heinrich Oberrauch von Oberrauch-Zitt haben sich Günther Reifer und Evelyn Oberleiter zur Aufgabe gemacht, fair produzierte aber elegante und modische „Bio-Kleidung“ in Südtirol anzubieten. „Schön wäre, wenn überall solche Geschäfte entstehen könnten – je mehr davon, umso mehr Botschafter für die Nachhaltigkeit. Kopieren also erwünscht“, so Reifer. Ganz in dieses Handlungs- und Lebenskonzept passt die unlängst erfolgte Berufung Reifers in den Vorstand des „Vereins zur Förderung der Gemeinwohl-Ökonomie“ (Wien). Ziel des Vereins ist es, die Menschenwürde, Solidarität, Kooperation, Vertrauensbildung, Verantwortung und das Mitgefühl als zentrale Werte des Wirtschaftens zu sehen und zu leben. Somit steht die Erhöhung des Gemeinwohls und nicht wie üblich die Gewinn-Maximierung des Unternehmens im Vordergrund. „Der Betrieb, das System, ist das Ganze, jeder Mitarbeiter ist Teil dieses Ganzen und aufgrund des gemeinsamen Zieles des Betriebes holen sich die Mitarbeiter daraus die Kraft“, erklärt Reifer den Ansatz. Gemeinwohl: das Wohl der Gemeinschaft. Gemeinwohl-Ökonomie: Die „Gemeinwohl-Ökonomie“ ist eine wirtschaftliche Systemalternative zu kapitalistischer Markt- und zentraler Planwirtschaft. Der Autor Christian Felber hat in seinem Buch „Neue Werte für die Wirtschaft, eine Alternative zu Kommunismus und Kapitalismus“ die Grundlagen festgelegt. So wird der Mitarbeiter als Mensch gesehen und in seinem Potenzial genutzt und zwischenmenschliche Werte wie Vertrauensbildung, Verantwortung, Mitgefühl, gegenseitige Hilfe und Kooperation sind wesentlich. Quelle: ­wikipedia.de Nach über eineinhalb Stunden intensivem Gespräch zeigt Günther Reifer keine An­zeichen von Müdigkeit oder Langeweile. Wo liegt die Kraftquelle dieses Energiebündels? Ab und an nimmt er sich eine Auszeit, fastet sich nicht nur körperlich schlank. Die Energie komme von der Zufriedenheit der Kunden und der Begeisterung zu seiner Arbeit. Nur ab und an könnte er etwas achtsamer mit sich umgehen, gesteht er kleinlaut ein. Kritiker halten ihm entgegen, dass er sich zwar umweltfreundlich ernährt und kleidet, aber ein Audi A4 passe nun doch wirklich nicht zum nachhaltigen Denken, oder? Günther Reifer lacht. „Wir nehmen zumeist den Zug, um Hamburg, Berlin oder Wien zu erreichen, aber bei nicht so leicht erreichbaren Destinationen will ich sicher ans Ziel kommen, denn Nachhaltigkeit muss Spaß machen, lässig und schön sein. Nachhaltigkeit bedeutet nicht Verzicht, aber bedeutet an andere Menschen zu denken, wenn ich mich in der Natur bewege“, liefert Günther Reifer gleich seine persönliche Definition von Nachhaltigkeit mit. Viele Visionen, viele Ideen, die neben Überzeugungskraft auch Geduld und Zähigkeit brauchen, weil gegen den Strom schwimmen anstrengend ist; von der Kornkammer im Obervinschgau angefangen bis zum ökologischen Modegeschäft in Brixen. Aber die Haltung befriedigt, wie ein zufrieden ­lächelnder Günther Reifer beweist. Günther Reifer wurde 1972 in Schlanders geboren, besuchte dort die Oberschule und studierte an der Universität Innsbruck Betriebswirtschaft mit dem Schwerpunkt Marketing und Strategische Unternehmens­führung. Nach seinem Studium war er mehrere Jahre in einer Unternehmensberatung und parallel als externer Lehrbeauftragter an der Universität Innsbruck beschäftigt. Von 2000 bis 2010 arbeitet er u. a. als Mitglied der Geschäftsleitung der Firma Selva. 2008 erfolgt die Gründung des Terra Institute, das sich der Förderung der Nachhaltigkeit verschreibt. Er ist Mitglieder des Kuratoriums der Marienberger Klausurgespräche und Vorstand des „Vereins zur Förderung des Gemeinwohls“ Wien, sowie ­Cradle to Cradle Design Consultant.
Andrea Kuntner
Andrea Kuntner
Vinschger Sonderausgabe

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