Risse im Energiegebälk
Die Forderung nach einer Neuausrichtung in der Energiepolitik wird immer lauter; Foto: Morgan Fouqueau

Weg vom Zentralismus des Landes

Publiziert in 8 / 2012 - Erschienen am 29. Februar 2012
Schlanders - In der Südtiroler Energiepolitik lief spätestens seit der Gründung der SEL AG im Jahr 1998 wohl einiges schief. Jetzt rufen alle nach einer Neuausrichtung. Inhaltlich decken sich die Forderungen großteils mit jenen, welche die Vinschger schon bei der Neuvergabe der Reschenstauseekonzession erhoben haben und die jetzt - nicht zuletzt infolge des SEL-Skandals -, weit über den Vinschgau hinaus zu hören sind: Mehr Beteiligung und Mitsprache seitens der Gemeinden bei der Stromproduktion, eigenständige Verteilung und Loslösung vom Zentralismus des Landes. von Sepp Laner Die Themen Energie und Strom, der Vinschger Weg im Energiebereich und mögliche zukünftige Szenarien standen am Freitag im Mittelpunkt eines gut besuchten Informations- und Diskussionsabends in der Aula Magna der HOB in Schlanders. Martin ­Daniel (im Bild) konnte im Namen der Liste „Für Schlanders - Per Silandro“, die zum Energie-Abend geladen hatte, prominente Gäste begrüßen. Neben dem Landtagsabgeordneten der Grünen, Riccardo Dello Sbarba, saßen auch der SVP-Landtagsabgeordnete Sepp Noggler, der Obmann des E-Werks Prad, Georg Wunderer, sowie der Präsident des Vinschgauer Energiekonsortiums (VEK), Albrecht Plangger, am Podium. „Zurzeit weiß niemand im Land, wohin die Fahrt des Dampfers SEL, der zurzeit ohne Kapitän durch die Wasser zieht, geht,“ gab Moderator Peter­ Gasser (im Bild) einleitend zu bedenken. „Wir Vinschger jedenfalls hoffen, dass der alte Kurs geändert wird. Im Vinschgau wurde bisher bei weitem nicht das erreicht, wovon wir seit über 10 Jahren träumen.“ Gasser erinnerte auch daran, dass die Einsicht in die Verträge der SEL mit Edison und Enel über den Gerichtsweg erstritten werden musste. Über die SEL-Verträge und ihre Auswirkungen sprach Riccardo Dello Sbarba (im Bild). Seiner Meinung nach hat das Land durch die SEL AG einen riesigen Interessenkonflikt geschaffen, „denn das Land wollte und will sowohl Produzent als auch Verteiler sein, es schloss und schließt die Gemeinden aus allen Wasserkonzessionen aus und die Landesregierung war und ist gleichzeitig Spieler und Schiedsrichter.“ Um gefährliche Rekurse zu vermeiden, „suchten Land und SEL ein Einvernehmen mit den einstigen Erzfeinden Enel und Edison.“ 2008 und 2009 seien mit diesen Energieriesen „Knebelverträge“ unterzeichnet worden, „die enorme Vorteile an Edison und Enel zuschreiben.“ Geheim halten wollte man die Verträge deshalb, „weil man die Verträge und die gesamte Energie-Politik von Land und SEL schönreden musste.“ Begonnen habe alles mit der Gründung der SELEDISON. Erst nach langem Streit sei es den Vinschgern gelungen, 8% Beteiligung „zurückzuerobern.“ Obwohl die SEL zum Beispiel mit 60% an der Hydros beteiligt ist, „gehen 2/3 der Energie an Edison. Edison wird weiterhin einen großen Teil unserer Energie ausbeuten.“ Dasselbe gelte auch für den Koloss Enel. Die Verträge seien so ausgerichtet, „dass die Hydros die Konzessionen gewinnen ‚muss’ und die Gemeinden sämtliche Konzessionen verlieren ‚müssen’.“ Aus dem SEL-Enel-Vertrag gehe hervor, „dass die SEL für jede verloren gegangene Konzession einen Ausgleich an Enel zahlen musste.“ Auch Zahlen und Bilanzdaten zum Stromverkauf und zu den Erlösen legte Dello Sbarba vor. Sein Fazit: „Vom Energie-Geschäft verdient Edison mehr als die SEL.“ Zur „Operation Delmi“ hielt er fest: „Nachdem Edison zu 100% an den französischen Energie-Riesen EDF übertragen wurde, sprechen Hydros und SELEDISON französich.“ Hier sei sehr viel Geld geflossen, „und dass uns EDF seine Anteile an unseren Kraftwerken verkauft, ist mehr als fraglich. Und wenn, dann wird es sehr sehr teuer sein.“ Laut Dello Sbarba muss das Land seine dominante Position in der Energieproduktion zu Gunsten der Gemeinden aufgeben, „denn nur so wird unsere Energie ‚heimgeholt’, und zwar zu 100%.“ Die Gemeinden sollen an den Konzessions-Wettbewerben teilnehmen dürfen, die Verteilung soll von den Gemeinden übernommen und genossenschaftlich organisiert werden. „Der Vinschger Energie-Weg ist nicht nur möglich, sondern dringend notwendig, nicht nur im Vinschgau,“ schloss Dello Sbarba. „Es ist ein Gebot der Stunde, eine weitgehend eigenständige Energieversorgung auf nachhaltiger Basis aufzubauen.“ Das ist das Fazit, das Georg Wunderer (im Bild) zur Südtiroler Energiepolitik zieht. Südtirol könne beim Klimaproblem nicht wegschauen. Als erstes seien die Energiesparpotentiale zu nutzen. In der Energieversorgung müsse das Allgemeininteresse im Vordergrund stehen. Tatsache sei aber, „dass mit der Liberalisierung der Spekulation Tür und Tor geöffnet wurde.“ Die heutige Stromversorgung sei „hochgradig spekulativ, ihr ist die Sozialverträglichkeit nahezu vollständig abhanden gekommen.“ Die Energieversorgung dürfe nicht der Spekulation und dem Kapital dienen. Wunderer plädierte für den genossenschaftlichen Weg. Er stellte auch die „Energie Werk Prad Genossenschaft“ vor. Fast alle Familien und Betriebe der Gemeinde Prad sind Genossenschaftsmitglieder und zahlen moderate Tarife. Eine Annäherung an das „Prader Modell“ ist laut Albrecht Plangger (im Bild) das Ziel, das man mit der Übernahme des Stromnetzes im Obervinschgau erreichen will. Im Raum Schlanders, Latsch und Martell wird eine Verteilerkooperation ins Auge gefasst. Im Obervinschgau soll die Verteilung über eine historische Genossenschaft erfolgen. Auch wenn das Land und die SEL die Gemeinden in punkto Verteilung über viele Jahren hinweg nicht mitreden ließen, und auch wenn die Gemeinden jetzt das Netz 10 Jahre zu spät für viel Geld von der SELNET abkaufen müssen - vinschgauweit belaufen sich die Kosten auf über 10,5 Mio. Euro -, sieht Plangger im Netzankauf eine historische Chance: „Nur so werden die Gemeinden die Herren im eigenen Haus. Wenn das Netz den Gemeinden gehört, sind sie es, die anschaffen.“ Peter Gasser brachte es so auf den Punkt: „Eine Eigentumswohnung ist besser als eine Mietwohnung.“ Von der eigenständigen Verteilung erhoffe man sich laut Plangger eine bessere Dienstleistung für die Bürger und Betriebe - speziell im Obervinschgau, wo es keine Gemeindewerke gibt -, Versorgungssicherheit, neue Arbeitsplätze und nach Möglichkeit günstige Tarife für die Familien und die Wirtschaft. Worauf Plangger und auch Sepp Noggler besonders drängen, ist eine finanzielle Unterstützung seitens des Landes für die Instandsetzung des Netzes. Plangger: „Die SELNET hat keine Geldprobleme. Wenn man zum Beispiel Geld für die Instandsetzung in anderen Gemeinden bereitstellt, muss das auch für die Vinschger Gemeinden gelten.“ Sehr hilfreich für die eigenständige Verteilung wäre auch ein Mehr an Eigenproduktion. „Wir haben zwar eigenen Strom, aber nicht genug,“ so Plangger. Bezüglich der Konzession Martell/Laas bahne sich ein Kompromiss an. Wichtig wäre ein direktes Strombezugsrecht. Zum SEL-Skandal insgesamt meinte Plangger, „dass die SEL-Herren jetzt nicht mehr so hoch auf dem Ross sitzen wie früher.“ Insofern „spielt uns dieser Skandal ein bisschen zu.“ Eines der Grundprobleme der Energiepolitik insgesamt sieht der frühere Grauner Bürgermeister darin, „dass man seinerzeit versuchte, das Modell der Tiwag in Nordtirol, die ein Staat im Staat ist, auf Südtirol zu übertragen.“ In Sachen Strom gehe es immer um sehr viel Geld und um Macht. Als die italienischen Großkonzerne Hand in Hand mit der Liberalisierung und mit angekündigten Ausschreibungen die Felle davon schwimmen sahen, boten sie dem Land bzw. der SEL Beteiligungen an, um zu vermeiden, möglicherweise ganz aus dem Rennen zu fallen: Besser einen Teil abgeben und im Gegenzug mitbeteiligt bleiben. Wieder zurückholen sollten sich die Südtiroler Gemeinden die ihnen vom Land genommene Bauleitplan-Kompetenz beim Bau von Kraftwerken: „Wäre diese Kompetenz bei den Gemeinden geblieben, hätte es einen Fall wie jenen des Stein an Stein-Kraftwerks nie gegeben.“ Auch zu mehr Zusamenarbeit rief Plangger auf: „Etschwerke und SELNET haben bisher nichts miteinander gemacht.“ Nicht verkneifen konnte er sich auch einen Rückblick an die Anfänge des Ringens um eine Beteiligung an der Reschenstauseekonzession: „Niemand in Bozen hatte die Gnade, uns auch nur zu antworten, als wir für den Vinschgau seinerzeit 1 Milliarde Lire einforderten. Wir glaubten damals noch, dass der Stausee jährlich ca. 5 Mrd. abwirft. Erst später stellten wir fest, dass man mit dem See 40 Mrd. pro Jahr verdiente, und das mit den Händen im Hosensack.“ Auch Sepp Noggler (im Bild) ließ den „Vinschger Stromkrieg“ Revue passieren: „Das Land holte sich am Reschen die Butter vom Brot. Die 8% Beteiligung sind im Nachhinein betrachtet etwas zu wenig.“ Zu den SEL-Verträgen mit Edison und Enel meinte Noggler: „Das Land ist jetzt an diese Verträge gebunden.“ Ein großes Problem sei, „dass sich das Land in Sachen Strom nicht in die Karten schauen lassen will.“ In punkto Verteilung gibt es laut Noggler drei Probleme: das Netz ist teuer, es ist veraltet und es ist ein Netz ohne Kunden. Von der Neuausrichtung der SEL erwartet sich Noggler - und nicht nur er -, eine stärkere Beteiligung der Gemeinden an Großkraftwerken. Bei kleinen Werken sollte die SEL draußen vor der Tür bleiben. „Wir verlangen außerdem, dass das Genossenschaftsmodell gefördert wird,“ so Noggler. Georg Wunderer und Peter Gasser sprachen sich für einen radikalen Neubeginn in der Energiepolitik aus. Wunderer wörtlich: „Die SEL-Verträge sind eine Katastrophe. Man müsste froh sein, wenn der gesamte ‚Bau’ zusammenfällt, denn dann könnte man einen wirklichen Neubeginn angehen.“ Besorgt gab sich ein Diskussionsteilnehmer über die ­hohen Kosten der Netzübernahme.
Josef Laner
Josef Laner
Vinschger Sonderausgabe

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