Wieviel Schaf braucht der Mensch?
Arnold Salutt mit einer der Maschinen aus dem Jahr 1909. Auch wenn die Garantiezeit abgelaufen sein dürfte, die Maschinen sind voll funktionsfähig.

Wenn dem Schaf niemand an die Wolle will

Publiziert in 16 / 2011 - Erschienen am 28. April 2011
Vinschgau – Die Weberei und Spinnerei Salutt in Mals hat mit Ende des Jahres 2010 ihre Tore geschlossen. Der Betrieb hat in seiner langen Geschichte Schafwolle heimischer Bauern zu Filzwolle, Garnen und Textilien verarbeitet und verkauft. Es war der letzte Betrieb dieser Art im Vinschgau. ­Diese Schließung ist Anlass um nachzudenken, über die Bedeutung des Rohstoffs Wolle, regionale Kreisläufe und Globalisierung und vor allem über die Frage, ob Schafhaltung nun brotloses Hobby ist oder gar eine mögliche Antwort auf Fragen, die aktuelle Probleme und Entwicklungen aufwerfen. Wieviel Schaf brauchen Sie? von Andrea Perger „In die 80er und 90er Johr hon i’s nit dertoun!“ Der gelernte Weber Arnold Salutt erzählt mir aus seinem Leben, seinen Erfahrungen, davon wie es früher war. Ich stehe in der alten Weberei mitten in Mals, umgeben von Maschinen, die teilweise über 100 Jahre alt sind. Die Technik fasziniert mich, ich will mehr wissen. „Diese Maschinen sind von 1909, aber es funktioniert alles noch. Ich habe modernste Maschinen gesehen, aber das System ist noch das selbe,“ erklärt mir Arnold. „Wie weiter?“, frag ich. Schulterzucken. Der Blick ruht auf einem Wollfussel am Boden. Es dauert bis ein leises „i woaß es it“ gemurmelt wird. Die Schließung war nicht einfach, das Sprechen darüber scheint es ebenfalls nicht. Ich wechsle das Thema, muntere zum Erzählen auf: „wie war das früher?“. Begeistert zeigt mir Arnold die ganze Maschinerie, aus dem Straunen komm ich fast nicht mehr raus. Auch der Einblick in die Textilindustrie vergangener Zeit ist faszinierend, als diese in Europa noch eine Rolle spielte. Arnold Salutt begann mit seiner Lehre Val Sugana in der Provinz Trient, danach arbeitete er einige Jahre in der Schweiz, in einer Weberei, die Taschentücher herstellte. Hauptsächlich Frauen waren dort beschäftigt, das Arbeitspensum hoch, der Ton rau. Deshalb wechselte Arnold dann auch den Arbeitsplatz und ging nach Deutschland, ins Rheinland in Mönchen-Gladbach. Dann kam die Einberufung zum Militärdienst und danach übernahm er den heimischen Betrieb, den der Vater seit 1949 führte. Die Weberei war immer ein Familienbetrieb und hätte es auch weiter sein sollen, Arnold: „Mein Sohn Christian besuchte in Vorarlberg die Textilfachschule. Nach der Betriebsschließung suchte er sich eine neue Arbeit.“ Sowohl der Weber, als auch Maschinen und Gebäude haben eine interessante Geschichte. Die Maschinen stammen aus Vahrn, wo sie Arnold über ein Bankinstitut von einem Unternehmen, das in Konkurs ging übernommen hat. Das Gebäude war Teil des Hotel Post. Der Teil, in dem sich die Weberei befand war der Stadel, im Untergeschoss die Stallungen. Noch heute sind im Untergeschoss Kreuzgewölbe erhalten und teilweise Tierraufen und -tränken. In den Jahren vor der Schließung lief das Geschäft schleppend, die Nachfrage nach Wolle war rückläufig. Doch in den 80ern und 90ern war das anders. „Strick“ war in, stricken weit verbreitet und so erinnert sich Arnold, dass er Mühe hatte den Bedarf zu decken. Mit Lastwagen brachte er die ­Wolle meist in die Poebene zum Waschen, wo damals zahlreiche Betriebe waren. Die gewaschene Wolle wurde dann im Betrieb in Mals kardiert und weiterverarbeitet. Zum Schluss brachte Arnold die Wolle ins Ötztal zum Waschen. Ob das Waschen von Schafwolle in der Poebene aufgegeben wurde, frag ich. Viele Betriebe mussten ­schließen, aber es gibt dort heute noch welche, erzählt Arnold. Wolle aus Neuseeland und Australien, hauptsächlich die feine Merinowolle wird in Containern von großen Frachtern angeliefert, hier in Italien gewaschen und dann zur Weiterverarbeitung wieder einmal um den halben Globus zurückgebracht. Die Kreisläufe sind heute andere. Das Nutztier unserer Vorfahren Das Schaf gilt als das älteste Nutztier der Menschheit in Europa. Über Jahrtausende spielte das Schaf, das Fleisch, Wolle, Fett, Milch und Leder liefert, in unserer Gegend eine bedeutsame Rolle. Bis vor wenigen Jahrzehnten war Schafwolle ein wichtiger Rohstoff zur Herstellung von Bekleidung. Aber Baumwolle und synthetische Fasern haben die Schurwolle abgelöst. Wieviele Stücke aus Schafwolle besitzen Sie? Heute nur mehr Landschaftspfleger? Aber es gibt Schafe bei uns, nach wie vor. Vor allem als Landschaftspfleger, ohne deren Hilfe so manche Alm, vor allem Hochalmen nicht erhalten werden könnte, leisten die Schafe einen wertvollen, oft verkannten Beitrag. Das Fleisch gewinnt wieder zunehmend Freunde. Im Wipptal wurde vor kurzem der Verein „Wipplamb“ gegründet, in dem sich 16 Schafhalter zusammengeschlossen haben, mit dem Ziel Qualitätsfleisch über eine eigene Genossenschaft in regionalen Kreisläufen zu vermarkten. Auch im Ahrntal und in Villnöss gibt es Projekte zur Lämmervermarktung. Milchschafe spielen in Südtirol so gut wie keine Rolle. Aber was passiert heute mit der Wolle? Für die Herstellung von Bekleidung ist die ­Wolle der heimischen Schafe nicht mehr gefragt. Barbara Mock, Geschäftsführerin des Verbandes der Südtiroler Kleintierzüchter hat sich intensiv mit dem Thema beschäftigt und Projekte zur Aufwertung von Wolle gestartet, wie das Schulprojekt „Das Schaf als Schatztruhe“, das Josef Winkler betreut. Er besucht auf Anfrage Grundschulen und Kindergärten und zeigt wie Wolle gewonnen wird und vieles mehr. In Zusammenarbeit mit dem Versuchszentrum Laimburg gibt es ein Projekt, aus ungewaschener Schafwolle Abdeckmatten für die Landwirtschaft zu entwickeln, um im Wein- und Beerenanbau den umstrittenen Herbizideinsatz zu vermeiden. Zurzeit wird experimentiert, erste Ergebnisse sind aber durchaus positiv. Der Großteil wird aber zu Dämmmaterial verarbeitet, 2010 verkaufte der Verband insgesamt 26.846 kg. Der Preis liegt bei etwa 30 Cent pro Kilo. Siegfried Plangger, Schafhalter aus Langtaufers erzählt, dass die Bauern aus dem Obervinschgau ihre gewaschene Wolle an einen Betrieb in Innichen verkaufen, der unter anderem Hausschuhe herstellt. So erzielen sie etwa 1€ pro Kilo. Reich wird davon keiner. Der Schafzuchtverein Langtaufers hat einige alte Maschinen des Betriebes angekauft und in der Erlebnisschule untergebracht. Hier wird die Verarbeitung von Wolle gezeigt und sie ist dort auch erhältlich. Barbara Mock sieht in der Schafwolle aber nicht nur den materiellen Wert, für sie ist die Wollqualität nach wie vor ein wichtiges Zuchtkriterium: „Ein gesundes, gut gehaltenes Schaf hat eine gute Wolle, die es hier im Gebirge braucht. Für das Schaf selbst hat die Wolle einen großen Wert und muss es deshalb auch für mich als Züchter haben!“ Die Züchter, mit denen ich auf der Freundschaftsausstellung Anfang April in Glurns gesprochen habe, sehen für Wolle und Fleisch durchaus Potential. Siegfried Plangger ortet ein Hindernis aber vor allem in den strengen gesetzlichen Auflagen. Durch EU-Vorgaben wird etwa das Schlachten und damit die Direktvermarktung sehr schwierig. Er fragt sich aber, wieso die selben EU-Vorgaben in Österreich anders interpretiert werden. Dortige Bauern haben diese Schwierigkeiten nicht. Die Fürstenburg geht laut Plangger einen vorbildlichen Weg, es werden viele Produkte der örtlichen Bauern abgenommen. Das ist aber ein Einzelfall, andere öffentliche Mensen und Betriebe sind keine Abnehmer. Hier sehen die Bauern Handlungsbedarf. Die Gastronomie ist ebenfalls kein großer Abnehmer. Die Züchter: „Die wollen billige, fertig abgepackte Ware, das können wir nicht liefern. So ein Lamm besteht halt nicht nur aus dem Schlegel. So wird in den heimischen Gastbetrieben oft Fleisch von Schafen aus Neuseeland verkocht.“. Fragen Sie doch mal nach, woher das Fleisch auf ihrem Teller stammt? Fazit Diskussion werden zurzeit viele geführt, über regionale Entwicklung und lokale Kreisläufe, über Nachhaltigkeit, oder „authentische“ und „natürliche“ Produkte. Allzu oft scheint es sich bei diesen Schlagwörtern mehr um Werbeparolen, als um Werte zu handeln. Züchter Markus Riedl aus Tschengls: „Der Vertrieb von qualitativ hochwertigen Schafprodukten muss den Weg zum Verbraucher vor Ort finden, auf dem globalisierten Markt haben unsere Schafe keine Chance. Funktioniert der lokale Kreislauf, hat die Schafhaltung aber durchaus Potential.“ Natürlich gewachsene Hightechfaser Im Unterschied zu anderen Tierhaaren ist die Wollfaser nicht mit Mark gefüllt, dadurch ergeben sich besondere Eigenschaften: Schafwolle ist schwer entflammbar, erst bei 560° C kann sie sich entzünden, sie ist ­atmungsaktiv, schmutzabweisend und ­thermoregulierend. Schafwolle enthält das Wollwachs Lanolin, das in Pflegeartikeln eingesetzt wird (z.B. Babycreme Penaten). Das „politische“ Schaf Wolle war in Mitteleuropa der Hauptrohstoff für die Herstellung von Bekleidungsstoffen bis Ende des zweiten Weltkrieges, als Baumwolle und Synthetikfasern die Schurwolle nach und nach ersetzten. Moden haben deshalb auch die Zucht beeinflusst. In der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland etwa, waren vor allem braune Stoffe gefragt und so wurden in Deutschland vor allem braune Schafe gezüchtet, während bei uns schwarze und braune Schafe gefragt waren.
Andrea Perger
Vinschger Sonderausgabe

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