Mit Biodiversität zu Stabilität
Laubholzreicher Mischwald am Sonnenberg soll's richten
Baumfest der Grundschule Schlanders in den Schlanderser Leiten.
Amtsdirektor Georg Pircher an einer „Biozelle“ mit Flaumeichen
20 Jahre alte Flaumeiche nach Verbiss
Pflanzen einer Flaumeiche in den Laaser Leiten
Die Nadelstreu der Schwarzföhre verhindert Unterwuchs.
Laubwald in einem „Schlitz“, beschattet von Schwarzföhren
Die Laaser Leiten im Jahr 1930
Eine Aufnahme von 2020 mit Bestand von 1951-1965 und Aufforstung Laubwald am Bergfuß.
Die Kortscher Leiten im Jahre 2020

„Wir können nur mit der Natur arbeiten“

Das Ziel: die Schwarzföhrenbestände in laubholzreichen Mischwald umzuwandeln.

Publiziert in 27 / 2020 - Erschienen am 6. August 2020

Vinschgau - Sinngemäß meinte Forstinspektor Georg Pircher: „Der Klimawandel ist uns auf den Fersen. Er zwingt uns, schneller und intensiver daran zu arbeiten, den Schutzwald aus Schwarzföhrenbeständen in einen naturnahen, laubholzreichen Mischwald umzuwandeln.“ Gleichzeitig gab er zu bedenken, dass nur die Natur den Rhythmus vorgibt. Auf die Frage, was man unter naturnah in diesem Fall zu verstehen habe, meinte er: „Naturnah deshalb, weil vor der Übernutzung durch Weidetätigkeit mit Kleinvieh bis etwa 600 m über der Vinschger Talsohle ein natürlich gewachsener Mischwald bestanden hat.“ Um zu erklären, wie es zu den Schwarzföhrenbeständen gekommen war, musste Direktor Pircher auf mehr als ein Jahrhundert Aufforstungsversuche im Vinschgau zurückblicken. Es dürfte in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts vermehrt zu Schadensereignissen gekommen sein. Berichte über Murgänge und Überschwemmungen durch Starkregen häuften sich, berichtete Pircher. 1875 sei es dann zu den ersten Pflanzungen der Schwarzföhre gekommen. Die Gründe, dass man auf eine nicht heimische Baumart zurückgegriffen habe, liegen an den extrem sonnenbestrahlten, erodierten Südhängen des „Sonnenberges“ zwischen Tartsch und Staben. Zum Thema Extremereignisse in jenen Jahren sei zu ergänzen, merkte Pircher an, dass fast zeitgleich mit den ersten Pflanzungen der Schwarzföhre auch die „kaiser- und königliche Wildbachverbauung“ gegründet worden ist. „Man hat mit den damaligen Erfahrungen und Kenntnissen genau das Richtige getan und einen raschen Erosions- und Hochwasserschutz erreicht“, stellte der Direktor des Forstinspektorates Schlanders fest. „Man kannte den südeuropäisch-nordafrikanischen Baum durch – für damalige Verhältnisse - erfolgreiche Aufforstungsversuche bei Triest und in Istrien. Man wusste um die Anspruchslosigkeit der Schwarzföhre, was die Wasserversorgung betrifft. Man wusste, dass junge Bäume bis zu minus 30 Grad ohne Schäden überstehen und man schätzte die Holzqualität der gradstämmigen Baumart. Weil die Schwarzföhre sogar als Windschutz an den Küsten gepflanzt worden war, schien sie geradezu ideal zu sein für den windigen Vinschgau.“ 

Monokulturen sind wehrlos

Die Schwarzföhre blieb ein Jahrhundert lang der „Aufforstungsstar“ am Vinschgauer Sonnenberg. Ihre Vorteile schätzten auch einige „Mediziner“ im Tal. So entstanden der „Flora-Park“ in Mals und das „Doktor-Waldele“ in Schlanders. Auch den Forst-Beamten des „Regno d’Italia“ lagen zwischen 1920 und 1935 die Aufforstungen am Herzen. Es bildeten sich die „Leitenwaldelen“. Ein „generalstabsmäßig geplantes, großangelegtes Aufforstungsprogramm“ zwischen 1951 und 1965 führte dann zum heutigen Bestand von 940 ha. Die Aufforstungen waren nicht unumstritten; Bauern bangten um ihre Weideflächen. Was damals aber keine oder fast keine Rolle spielte, waren Begriffe wie Landschaftbild, Nachhaltigkeit, Naturschutz oder Biodiversität. Erst in neuerer Zeit – in den frühen 90er Jahren - wurden die Schwächen der Monokulturen an Schwarzföhrenbestände am Sonnenberg offensichtlich. Es gab kaum Jungwuchs; die Bestände waren in die Jahre gekommen und anfällig für Schädlinge. Ihre Nadelstreu am Boden drängte die so typische Steppenvegetation zurück. Bei sommerlichen Starkregen nahm der Boden kaum Wasser auf. Das Waldbrandrisiko in Trockenperioden war erheblich. Weil sich der Lebensraum für Wildtiere zunehmend verschlechterte, nahm auch der Verbiss-Druck auf die spärliche Laubholzverjüngung zu. Damit nicht genug, machte in den 90er-Jahren ein unscheinbarer Schmetterling mit seinen Raupen auf die ökologische Verwundbarkeit der Schwarzföhrenwälder aufmerksam. Die gefräßigen Prozessionsspinner wurden zwar kurzfristig mit dem „Bacillus Thuringiensis“ bekämpft; über Jahre sogar vom Hubschrauber aus. Gleichzeitig war man aber im Forstinspektorat Schlanders überzeugt, dass als mittel- bis langfristige Strategie, die Schwarzföhrenbestände zu ersetzen und ein „Waldumbau“ einzuleiten seien. 

Ein Pionierprojekt läuft an

Vom Projekt „Umstrukturierung“ war schon unter Forstinspektor Viktor Demetz die Rede. Daraus einen Schwerpunkt gemacht hat sein Nachfolger Andreas Feichter. Unter ihm und danach mit Direktor Mario Broll arbeitete sich der damalige Forstrat und seit Oktober 2017 Amtsdirektor Georg Pircher in die Materie ein. Es war im besten Sinn des Wortes ein Pionierprojekt, zu dem man erst Erfahrungswerte und Informationen sammeln musste. Nach sämtlichen Untersuchungen und Vergleichen mit ähnlichen, geologischen und klimatischen Voraussetzungen stand es fest: Nur ein Flaumeichenmischwald kann als natürlicher Waldtyp am Sonnenberg bestehen. Bei einer kurzen Exkursion in die „Laaser Leiten“ wurde dem der Vinschger vor Ort die Praxis erklärt. Am Sonnenberg zwischen Laas und Eyrs war man vor nunmehr 24 Jahren mit der Errichtung von sogenannten „Biozellen“ gestartet. Unter einem aufgelockerten Schwarzföhrenschirm waren auf einem Quadratmeter 21 Flaumeichen gepflanzt worden. Sie sollten zu Keimzellen für eine Laubholzausbreitung werden. Vor frühem Wildverbiss schützten und schützen kleine Zäune. Die hohe Anzahl an Jungeichen sollte einen Verlust durch Verbiss abfedern. Es kam zu einem Lernprozess für alle Beteiligten. Es wurden nicht nur verschiedene Pflanz- und Saat-Techniken erprobt, man konnte auch das Wachstumsverhalten der Flaumeiche studieren. So investiere die Flaumeiche bei sehr trockenen Standorten viel ins Wurzelwachstum, erst danach beginne das Höhenwachstum, erklärte und demonstrierte Direktor Pircher an Ort und Stelle. Festgestellt werden konnten auch die Einflüsse der „Oberschicht“ (die Kronen der bestehenden Schwarzföhren, Anm. d. R.). Je mutiger diese geöffnet würde, umso deutlicher nehme das Höhenwachstum der Laubhölzer zu. Abgesehen davon müsse auch dafür gesorgt werden, dass Niederschlag, auch der spärliche Schnee im Winter, den Boden erreiche, so Pircher. 

Widerstandsfähiger Mischwald

Das Konzept der Biozellen – inzwischen gibt es an die 4.000 - wurde durch eine weitere Vorgehensweise ergänzt. Quer zum Hang wurden aus schmalen „Schlitzen“ die Schwarzföhren entnommen. Übrige blieb nur die jeweils tiefste (südlichste) Reihe als Schattenspender. Die Lücken mit einem maximalen Ausmaß von 50 m x 50 m wurden stabil umzäunt und mit Flaumeichen, Blumeneschen und mehrjährigen Vogelkirschen bepflanzt. Die Vogelkirsche mit starkem Höhenwachstum sollte kurzfristig den Laubholzanteil abgeben; später würde die Flaumeiche an ihre Stelle treten. Unterstützt werde der Laubholzanteil auch durch das Pflanzen von Nuss, Birke, Linde, Feldahorn und Heckenkirsche. Wie wichtig es war, schon 1996 mit der Umstrukturierung zu beginnen, hätten die jüngsten Vorkommnisse verdeutlicht, meinte Pircher. Das Föhrensterben 2017 nach einem niederschlagsarmen und eher warmen Winter mit anschließendem Diplodia-Triebsterben (Pilzbefall), das Sturmtief „Vaia“ im Oktober 2018 und der Schneedruck vom November 2019 hätten die Schutzwirkung der Schwarzföhrenbestände erheblich beeinträchtigt. Erwiesen habe sich in diesen Jahren die Widerstandskraft des laubholzreichen Mischwaldes. Diese Vorteile seien durch das Interreg-Projekt „Bloessen“ erhärtet und verdeutlicht worden. Über Starkregensimulationen durch Beregnung habe sich herausgestellt, dass auf beweideten Trockenrasen 65% des Niederschlagswassers oberflächlich abfließen, im Schwarzföhrenwald nur mehr 25% und im umgewandelten Mischwald gar kein oberflächlicher Abfluss mehr festzustellen war.

Helfende Hände sind willkommen

Die Umstrukturierung werde von den Forstarbeitern über Schutzwaldsanierungsprojekte betrieben, erzählte Direktor Pircher. Es seien Landesprojekte, die z.T. von der EU mitfinanziert werden. Jährlich würden etwa 150.000 Euro investiert. Für die Pflanzungen im Frühjahr und Herbst und für andere Arbeiten im Hochsommer stelle das Forstinspektorat Schlanders über 90 Saisonarbeiter an. „Aber jede helfende Hand ist willkommen“, bekräftigte Pircher. „Für die Laaser Leiten hat die Versicherungsgruppe Helvetia im Rahmen ihres Projekts ‚Corporate Responsibility Protection Forest‘ 10.000 Laubbäume gespendet. Mehrere Klassen der Grundschule Schlanders waren in den Leiten aktiv (siehe Titelbild, Anm.d. R.). Mitarbeiter der Landesabteilung Gesundheit haben ihren Betriebsausflug zu einer Pflanzaktion gemacht. Für das nächste Jahr hat sich bereits der ladinische Kindergartensprengel angemeldet.“

Günther Schöpf
Günther Schöpf
Vinschger Sonderausgabe

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