Schieflage im Park
Die Gäste am Podium (von links): Hans Fleischmann, Siegfried Rinner, Josef Maschler, Michael Gamper, Erich Tscholl, Richard Theiner, Josef Hofer, Ferruccio Tomasi, Helmut Pinggera, Gottfried Tappeiner, Peter Gamper, Josef Noggler, Peter Gasser und Günther Pircher.

„Wir sind keine Plärrer“

Publiziert in 21 / 2009 - Erschienen am 4. Juni 2009
Martell – Wer geglaubt hat, die Marteller seien nur ­Plärrer und ewige Jammerer, die nichts anderes zu tun haben als über den Nationalpark herzufallen, wurde am 26. Mai bei einer sehr gut besuchten Podiums­diskussion im Bürgerhaus Martell eines Besseren belehrt: Es gibt eine Vielzahl von bisher nicht oder nur teilweise ge­östen Problemen, mit denen sich die im Park lebende Bevölkerung täglich konfrontiert sieht. Aus vielen kleinen Problemen ist ein großes geworden, die ­Akzeptanz dem Park gegenüber ist weitgehend auf den Nullpunkt gesunken. Um aus dem „Tief“ herauszukommen, braucht es vor allem eines: Eine bessere Kommunikation ­zwischen Parkverwaltung und Bevölkerung. In diesem Bereich hapert es derzeit offensichtlich ziemlich stark. An einem gegenseitigen Aufeinander-­Zugehen führt nach Meinung vieler Gäste am Podium kein Weg vorbei. Zum Auftakt der Podiumsdiskussion, zu welcher der SVP-Ortsausschuss Martell eingeladen hatte und zu der auch viele Interessierte aus anderen ­Nationalparkgemeinden und darüber hinaus gekommen waren, ließ SVP-Ortsobmann Hans Fleischmann die Geschichte des Nationalparks Stilfserjoch Revue passieren. Er erinnerte an die Gründung des Parks im Jahre 1935, als in Italien die Faschisten regierten. Die vielen Probleme, die der Park mit sich brachte, hätten seither nie zur vollen Zufriedenheit der Bevölkerung ausgeräumt werden können. 1992 und auch 2002 habe man vermehrt auf Mit- und Zusammenarbeit gesetzt, „doch dann ging es immer weiter abwärts, momentan ist die Stimmung auf dem Nullpunkt. Wir sind gezwungen, in diesem ‚Denkmal’ zu leben und zu überleben. Wenn sich die Lage nicht bessert, werde ich dafür sorgen, dass ganz Europa auf uns aufmerksam wird.“ Über die Probleme und Schwierig­keiten im Detail klärten 4 Vertreter aus Martell auf. Günther Pircher, Vize­präsident der Ferienregion Latsch-Martell, sagte, dass der in dieser Form geführte Park für die Tourismusbetriebe Nachteile bringe, dass es eine wirkliche Zusammenarbeit bezüglich Marketing nicht mehr gebe, dass eine Großum­zäunung vielleicht besser gewesen wäre als unzählige kleine Um­zäunungen, dass es sehr mühsam sei, das Park-Logo verwenden zu können, dass ein Dekret im letzten Winter Skitouren­geher und Schneeschuhwanderer „abgeschreckt“ habe und dass sich die Zusammenarbeit zwischen Tourismus­betrieben und Parkverwaltung verschlechtert habe, „nachdem das Gespenst eines skitouristischen Zusammenschlusses zwischen Sulden und Marell aufgetaucht war.“ Pircher forderte vom Park, dass eine eigene Person eingestellt wird, die sich gemeinsam mit dem Tourismusverein um ­Marketing kümmert. Der Bauernbund-Ortsobmann Josef Maschler kritisierte vor allem die viel zu hohe Rotwilddichte: „Wir haben hier nicht 4 Stück Rotwild pro ha, wie es sein sollte, sondern zwischen 8 und 12.“ Nicht nur in den landwirtschaftlichen Intensivkulturen seien teils arge Fress- und Trittschäden festzustellen, sondern auch im Gründland und auf den Almen. Groß seien auch die Schäden in den Nutz- und Schutzwäldern. Das Schadensschätz-System sei neu zu regeln. Die Zahlungen seien den effektiven Schäden anzugleichen: „Es kann nicht sein, dass ein Bauer – immer bei gleich bleibendem Hirschbestand - derzeit um rund 10 Prozent weniger bekommt als vor 10 Jahren.“ Maschler ist überzeugt, dass viel mehr Hirsche abgeschossen werden müssen, „denn mit den Entnahme-Aktionen kann höchstens eine weitere Explosion verhindert, nicht aber eine Reduzierung der Population erreicht werden.“ Die Natur- und Kulturlandschaft habe aufgrund des Jagdverbotes arg gelitten. Maschler beanstandete auch, dass die Bevölkerung in punkto Parkplan und Durch­führungsbestimmungen zu wenig miteinbezogen worden sei. Der Bauernjugend-Vertreter Michael Gamper verwies auf Zukunftsängste unter jungen Leuten in Martell: „Nicht wenige fragen sich wie es weiter gehen soll.“ Die Lust, elterliche Betriebe zu übernehmen, sei teilweise im Schrumpfen begriffen. „Am Taleingang steht jetzt ein neues Schild, wo Nation­alpark draufsteht. Macht dieses Schild den einzigen Unterschied aus, den es zwischen Martell, dem Sarntal oder irgendeinem anderen Tal gibt? Man muss sich auch fragen, ob dieser Park noch zeitgerecht ist. An einem Bau-Denkmal kann man vorübergehen, wir hier wohnen in einem ‚Denkmal’“. Laut Erich Tscholl, dem Obmann der Jäger, kann von einem ökologischen Gleichgewicht seit der Einführung des Jagdverbotes vor 26 ­Jahren ­keine Rede mehr sein. „Der Wald wird zerstört, auch in seiner Schutzfunktion. Die Schäden in der Landwirtschaft sind nicht mehr tragbar. Weil immer neue Flächen eingezäunt werden müssen, verliert das Wild immer mehr Lebensraum und zieht sich die Wälder zurück.“ Aber nicht nur beim Rotwild gibt es Probleme, sondern auch beim Rehwild und anderen Wildtieren. Auch vor eventuellen Krankheiten und Seuchen warnte er. Die Entnahme-Aktionen seien keine Lösung für die Zukunft: „Wir haben hierbei nur die Drecksarbeit des Parks zu erledigen.“ Tscholl plädierte für die Wiedereinführung der Jagd, denn das sei der sicherste Schutz und die nachhaltigste Wildbewirtschaftung: „Laut Gesetz ist die Jagd verboten, aber Gesetze kann man ändern.“ Im Anschluss an diese Referate erteilte Bauernbunddirektor Siegfried Rinner, der als Moderator fungierte, den weiteren Gästen am Podium das Wort. Parkpräsident ­Ferruccio ­Tomasi sagte, dass­ sich der ­Parkrat, der Führungsausschuss und er selbst nicht über die Gesetze hinwegsetzen könnten. Er sei den Martellern im Rahmen seiner Möglichkeiten entgegengekommen: „Nur zweimal habe ich nein gesagt, einmal beim Zusammenschluss Sulden-Martell und einmal im Zusammenhang mit der Ausweisung ­einer Tourismuszone.“ Die Jagd sei verboten, „aber ich kann sie nicht öffnen, obwohl ich für dieses Thema Verständnis habe, denn ich war selbst über 50 Jahre lang aktiver Jäger.“ Der Parkplan werde in Kürze zur Begutachtung nach Rom geschickt. Danach müsse ein gemeinsames Einvernehmen zwischen dem Staat, den Provinzen ­Bozen und Trient und der Region Lombardei gefunden werden. Führungsausschuspräsident Josef Hofer sagte, dass die Kompetenzen der Führungsauschüsse sehr begrenzt seien: „Im Endeffekt entscheidet der Parkrat. Eine Ausweitung der Kompetenzen ist nur über den Weg der hohen Politik denkbar.“ Der Führungsausschuss, der Parkpräsident und die Parkverwaltung hätten stets versucht, Anträge und ­Wünsche aus Martell und anderen Parkgemeinden nach Möglichkeit zu berücksichtigen: „Nicht alles stimmt, was man uns hier an den Kopf wirft.“ Die Wildschadensvergütung werde in Kürze neu geregelt. Der EU-Koordinator und Regionalentwickler Helmut ­Pinggera verwies auf das nach wie vor bestehende Spannungsfeld zwischen Siedlungsraum und Nationalpark: „Solange diese Spannung da ist, wird das Problem kaum zu lösen sein.“ Stünden keine Staatsgesetze dahinter, „wäre eine Regelung, wie wir sie in den Südtiroler Naturparken haben, sicher eine gute Lösung.“ Von einem „offensichtlich massiven Kommunikationsproblem“ und einer nicht gerade vorbildlichen Gesprächskultur sprach der Volkswirtschaftler Gottfried Tappeiner: „Mindes­tens die Hälfte der Probleme könnte gelöst werden, wenn man miteinander redet.“ Der Nationalpark könnte dem Tal viel Positives bringen, „wenn er eine Marke für das Gebiet wird, derzeit ist er das nicht.“ Marketing zu betreiben sei nicht Aufgabe eines Nationalparks, „darum müssen sich schon die Touristiker kümmern.“ Viele der angeschnit­tenen Probleme seien im Grunde „nebensächlich.“ Was die Berglandwirtschaft betrifft, so hänge deren Zukunft weniger vom Nationalpark ab, „sondern vom Milchpreis und einer angemessenen Bergbauern­förderung.“ Insofern sei es um die Entwicklung in Martell nicht schlechter oder besser bestellt als in Matsch, im Ahrntal oder anderswo. Landesrat und SVP-Obmann Richard Theiner bedauerte es, „dass die Aufbruchstimmung, die 2002 aufkam, jetzt wieder ins Negative gekippt ist. Die Marteller und wir alle wissen, dass wir den Park nicht weg kriegen.“ Die Ursache von nicht wenigen Problemen sei auf der menschlichen Beziehungs­ebene zu suchen: „Die Parkverwaltung muss einen deutlichen Schritt hin zur Bevölkerung machen. Beide Seiten müssen wieder mehr aufeinander zu­gehen.“ Oft seien es nur Kleinigkeiten, „welche die Stimmung vermiesen.“ Im Laufe der Diskussion regte Theiner ein Treffen im Vinschgau an, an dem noch im Vorfeld des genannten Einvernehmens Staat/Länder alle Beteiligten teilnehmen sollten, Landeshauptmann inklusive. Laut dem Landtagsabgeordneten Sepp Noggler ist es recht und billig, dass die Bevöl­kerung auch in punkto Nationalpark stärker mitreden und mitentscheiden will. Um aus der undankbaren „Bittsteller-Rolle“ herauszukommen, tue Martell gut daran, zusammen mit Laas und Latsch die Neuvergabe der Marteller Stausee-Konzession zu nutzen, um aus dieser Ausbeutung endlich ­etwas herauszuholen: „Mit dem Staussee ist ein Jahresumsatz von rund 25 Millionen Euro verbunden. Über 50 Jahre lang sind riesige Geldsummen das Tal hinausgeflossen.“ Es müsse verhindert werden, dass das Land die Konzessionen in Zukunft weiterhin an sich selbst vergibt. „Pius Leitner wird uns hier sicher auch helfen,“ meinte Noggler mit Blick auf den freiheitlichen Landtagsabgeordneten, der in der ersten Reihe saß. Froh gab sich Peter Gasser in Vertretung der Umweltschutzgruppe Vinschgau, „dass heute­ Abend bisher ­keiner beantragt hat, dass der Park weg muss.“ Die derzeitige ökologische ­Situation im Natio­nalpark ist laut Gasser allerdings ­schlechter als außerhalb. Vor allem die Überpopulation des Rotwildes sei ein Riesenproblem. Um zumindest einiger­maßen wieder ein Gleichgewicht herzustellen, sei eine „sinnvolle Regulierung“ unumgänglich. Derzeit könne von einem ökologischen Gleichgewicht keine Rede sein. Gasser regte einen runden Tisch mit allen Beteilig­ten an. Dass ein Kommunikationsproblem seit einiger Zeit tatsächlich besteht, bestätigte auch Bürgermeister Peter Gamper: „Hätten wir dieses Problem nicht, könnte der Großteil der derzeitigen Schwierigkeiten ausgeräumt werden.“ ­Gamper forderte, dass der Süd­tiroler Führungsausschuss viel ­öfter zusammentreten soll. Wie schon Gasser plädierte auch Gamper für einen runden Tisch. Bei der Diskussion wurden im Wesentlichen jene Probleme angesprochen und vertieft wie sie schon in den Eingangreferaten genannt worden waren. Breiten Raum nahmen die Rotwilddichte, damit verbundene Schäden in der Land- und Forstwirtschaft, die Winterfütterung, das ent­sprechende Verbots-Dekret, die Wildentnahme und das Thema Wiedereinführung der Jagd ein. Einige Wort­meldungen waren teilweise emotional, sodass Siegried ­Rinner mehrmals zur Sachlichkeit mahnen musste. Mehrfach gefordert wurde, die Entnahme-Aktionen nicht nur zeitlich auszudehnen, sondern auch die Zahl der gezielten Abschüsse merklich anzuheben. Nachfolgend ein paar Wortmeldungen im Wortlaut. Florian Perkmann: „Den ­Tieren geht es im Park schlechter als außerhalb. Warum darf am Jagdverbot nicht gerüttelt werden?“ Heinz Fuchs: „Die Parkverwaltung ist viel zu abgehoben. Sie handelt penibel genau von oben herab, unabhängig davon, was die Menschen wünschen oder denken.“ Andreas Tappeiner. „Die Bevölkerung hat berechtigt Angst, dass mit dem Parkplan und mit den Durchführungsbestimmungen etwas Nachteiliges auf sie zukommt und dass die landwirtschaftliche Entwicklung eingeschränkt wird.“ Ein Vertreter aus Ulten: „Es muss bald alles eingezäunt werden, auch Grünland. Ist es da nicht besser, die Tiere einzuzäunen?“ Albert Pritzi: „Im Nationalpark gibt es Aufstiegsanlagen und so ziemlich alles, was auch außerhalb des Parks zu finden ist. Wo liegt da der große Unterschied? Mit der Zulassung der Jagd würde sich vieles bessern.“ Den Vorwurf von Andreas Tappeiner, wonach Vorschläge und Anträge zum Parkplan und zu den Durchführungsbestimmungen nicht behandelt worden wären, wies Josef Hofer zurück. „Die gesetzlich möglichen Vorschläge wurden im Parkrat akzeptiert,“ so ­Hofer. Er werde sich darum be­mühen, dass abgelehnte An­träge von der Landesregierung im Zuge des Einvernehmens Staat/­Länder mit eingebaut werden können. Bezüglich des mehrfach aufgeworfenen Themas der Logo-Verwendung machte Tomasi eine Zusage: „Wenn ihr das Logo für heimische Produkte verwenden möchtet, die hier in Martell oder in anderen Parkgemeinden hergestellt werden, werdet ihr das Logo bekommen.“ Diese Zusage kann als erster konkreter Ansatz gewertet werden, die Stimmung dem Park gegenüber wieder etwas zu heben. Damit sie sich weiter zum Positiven wendet, sind ­allerdings noch viele weitere Taten zu setzen.
Josef Laner
Josef Laner
Vinschger Sonderausgabe

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