„Wohin verführt der Obervinschgau den intensiven Obstbau?“
Publiziert in 11 / 2011 - Erschienen am 23. März 2011
Seit der Mensch Hütten baut und Vorräte anlegte, hat er in die Landschaft eingegriffen und damit die Kulturlandschaft geschaffen. Nun steht dem Obervinschgau eine weitere Kulturlandschaft bevor. Die Obstkultur hält Einzug und zieht Veränderungen nach sich, die sich nicht nur auf Betonsäulen und Hagelnetze beschränken. Das Leben werde umgekrempelt, schleichend, stellte die Bürgerinitiative
„Adam & Epfl“ fest und startete ihre Sensibilisierungskampagne mit einer Diskussionsveranstaltung im Kulturhaus von Mals.
von Günther Schöpf
Provokant war nicht nur die Verfremdung einer Adam und Eva-Darstellung von Lukas Cranach auf dem Einladungsfolder, provokant und verfremdend formuliert war auch der Tagungstitel: „Wohin verführt der Obervinschgau den intensiven Obstbau?“ Etwas provozieren, im Sinne von bewirken, hervorrufen wollte man auch mit der Diskussions-Methode im Kulturaal. An Stehtischen sollten sich die 150 Besucher aufhalten und die Antworten auf sechs von sieben vorformulierten Fragen gewissermaßen durch einen Positionswechsel geben. Die Moderatorin Heidy Kessler wollte die Ja-Sager zu ihrer Rechten und die Nein-Sager zur Linken. „Geht die Entwicklung des intensiven Obstbaus die gesamte Bevölkerung an?“ Und fast das ganze Volk setzte sich in Bewegung nach rechts. Als Frau Kessler vom Bezirksobmann des Bauernbundes, Andreas Tappeiner, wissen wollte, warum er gerade hier stehe, entpuppte sich die Diskussionsmethode „mit den Beinen“ als fragwürdig. „Ich stehe hier, weil ich gerade gekommen und hier stehen geblieben bin“, antwortete Tappeiner. Es habe geheißen, dass es um Meinungen gehe und nicht um Positionen. „Ich wollte mich informieren und nicht positionieren“, meinte der Bürgermeister von Laas. Nach einem kurzen Intermezzo mit dem Maurer Paul Gruber, der seine handgeschriebene „Kampfschrift„ gegen den Obstbau nicht verlesen durfte, kam es bei der zweiten Frage: „Ist der intensive Obstbau die einzige Alternative zum Überleben der Bergwirtschaft?“ zu durchaus bewegten Wortmeldungen, die von der Moderatorin nach dem Zufallsprinzip eingeholt wurden. Zuvor hatten ein Bürger aus Vilpian, ein Biobauer aus Prad und ein Obstbauer aus Mals zu verstehen gegeben, dass der Obstbau alle angehe, im Sinne, dass alle etwas davon hätten. Zum Obstbau als Möglichkeit für die Bergbauern meinte eine ehemalige Viehbäuerin und jetzt Obstbäuerin aus Schluderns plakativ: „Es braucht ein Auskommen mit dem Einkommen.“ Ohne auf den Begriff „einzige Möglichkeit“ einzugehen glaubte VI.P-Obmann Karl Dietl, dass der Obstbau, aber auch Sonderkulturen gute Möglichkeiten zum Überleben bieten. Der Malser Hotelier Friedl Steiner betonte: „Tourismus und Landwirtschaft müssen endlich zusammenarbeiten. Jetzt ergibt sich wieder eine Chance.“
Es geht um Existenzen
Bei der Frage: „Hat der intensive Obstbau Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit?“ Wurde es merklich unruhiger und mit dem Schlagwort „Rückstände nach Spritzungen“ drohte alles ins Emotionale abzugleiten. Sehr erregt machte eine Obstbäuerin aufmerksam: „Wenn man bedenkt, was früher alles gespritzt worden ist…“ Ein Koch teilte mit, dass er seit 40 Jahren biologisch orientiert gekocht habe. Er habe nie einen Apfel als schädlich einstufen müssen. „Hat der intensive Obstbau Auswirkungen auf den Fremdenverkehr?“, lautete Frage Nummer 4. Die Wortmeldungen dazu bezogen sich auf eine mögliche Vielfalt der Kulturen, was sicher positive Auswirkungen hätte. Auf die 5. Frage „Kommt das Geld aus dem intensiven Obstbau dem Oberen Vinschgau zugute?“ wurde es konkreter. Bauernbundobmann Tappeiner und der Direktor des Bezirksamtes für Landwirtschaft, Markus Joos, stellten die Erlöse aus Viehwirtschaft und Obstwirtschaft pro Hektar gegenüber und meinten: „Der Bauer muss sich an diese Realitäten halten.“ Eine Wortmeldung gab es plastisch wieder: „Mit sieben Hektar in der Viehwirtschaft bin ich ein Fretter, mit sieben Hektar intensiven Obstbaus bin ich ein Herr.“ Es wurde aufmerksam gemacht, dass der Tourismus im Oberen Vinschgau mehr Wertschöpfung aus einer intakten Landschaft als aus dem Obstbau beziehe. VI.P-Mitarbeiter Gerold Frank: „Wir haben durch den Obstbau die Möglichkeit, auch Betriebe mit kleineren Wirtschaftsflächen zu erhalten.“ Auf die Frage „Soll die Obervinschger Landwirtschaft in Zukunft in der Ernährung der heimischen Bevölkerung und der Gäste eine wichtige Rolle spielen?“, äußerte sich der Selbstvermarkter aus Laas, Karl Luggin: „Die Hotellerie ist nicht bereit, teurere Produkte an den Gast zu bringen. Die öffentliche Hand beliefert Mensen und Krankenhäuser mit den günstigsten Produkten.“ Andere Stimmen drückten es ebenfalls klar aus: „Der Konsument entscheidet und der entscheidet nach dem Preis. Man sollte essen, was vor Ort angebaut wird.“ Der Schludernser Bürgermeister Erwin Wegmann hielt die Frage: „Spielt der Gedanke, der Mensch lebt nicht vom Brot allein in dieser Diskussion eine Rolle?“ für schwierig. Es müsse eine Symbiose geben. Die Landschaft, die viel beschriebene, müsse auch eine Rolle spielen. Bürgermeisterkollege Ulrich Veith vertiefte. Es sei die Vielfalt der Produkte, die man schätze, und die Vielfalt der Meinungen dazu sei ebenso wichtig. Man müsse alle Stimmen anhören. Weniger rhetorisch die Wortmeldung: „Der Bauer wird anbauen, was ihm am meisten einbringt.“
Hochnotwendige Diskussion
Als Heidy Kessler die Teilnehmer nach ihrem Befinden in der Diskussion fragte, zeigten sich viele von der Veranstaltung angetan. Eine Wortmeldung lautete: „Wir müssen uns klar werden, dass wir in einer wunderbaren Landschaft leben. Wird es eine Apfellandschaft, kann ich sie höchstens für eine Woche bewerben, während der Apfelblüte.“ „Lassen wir ja nicht zu, dass wir gegeneinander ausgespielt werden. Seien wir ehrlich zueinander“, warnte eine Obstbäuerin aus Schluderns. Der Malser Tierarzt Peter Gasser formulierte: „Hochnotwendig diese Diskussion. Der Wert des Obervinschgaus liegt in der Vielfalt. Jetzt geht es um den Mammon und um das Zusammenleben. Jene, die jetzt hier eindringen, haben eine Bringschuld und nicht die, die seit langem hier leben. Auch jener Teil der Bevölkerung, der mit dem Obstbau nichts zu tun hat, sollte seine Heimat in einem Jahrzehnt wiedererkennen.“ Sepp Klotz aus Laas: „Es geht um die Einkommen der Bauern und es geht um Perspektiven“. Ein Nebenerwerbsbauer: „Wie werden meine Kühe leben neben dem intensiven Obstbau? Wir reden an den Tatsachen vorbei. Niemand interessiert die Landschaft. Die Viehbauern kriegen Probleme, weil Gründe weggekauft werden. Man kann alles schön reden, aber im Grund geht es um knallhartes wirtschaftliches Denken.“ Hanspeter Gunsch, Nationalpark Stilfserjoch: „Glückwunsch den Veranstaltern. Ein sauberes Miteinander in vielfältiger Landschaft muss möglich sein.“ Der Umweltschützer Albert Pritzi: „Ich hoffe, dass es nie so aussehen wird wie im Unteren Vinschgau.“ Braunviehchef Alois Hellrigl: „Die Grünlandwirtschaft wird von der Talsohle an die Hänge gedrückt. Es entstehen Probleme, vom Ertrag des eigenen Hofes zu leben.“ Als Schlusswort ließ Heidy Kessler den Appell des Nonstalers Giuliano Pezzini gelten, Tourismus und Landwirtschaft müssten zusammenarbeiten. „Adam & Epfl“-Vorsitzender Alexander Agethle machte auf den nächsten Termin am 29. März im Hallenbad Mals aufmerksam. Vorgesehen sei die Bildung von Arbeitskreisen zu den Themen Gesundheit, Wertschöpfung Lebensqualität, Biodiversität, Zahlen und Fakten, Nachhaltigkeit, spirituelle Fragen und Geisteshaltung, Existenzsicherung. Aufmerksam machte der Vorsitzende auch auf den 30. April als Abgabetag von Projektarbeiten in Form von Film, Aufsatz, Spiel, Straßenaktion, Kochrezept oder Verkostung.
„Die Realität ist, dass...“
Drei Fragen an Josef Thurner, einer der führenden Köpfe der Bürgerinitiative „Adam & Epfl“ und Referent für Landwirtschaft der Gemeinde Mals.
„Der Vinschger“: Wie könnte ein kurzes Fazit aus der Veranstaltung lauten?
Josef Thurner: Die Diskussion ist angestoßen. Wir haben alle eingeladen. Ganz bestimmt wollen wir nicht als die Verhinderer des Obstbaus aufscheinen. Besonders gefreut hat es mich, dass auch die Obstbauern gekommen sind
„Es gab aber sehr viele Stimmen, die vor allem Chancen im Obstbau gesehen haben.
Josef Thurner: Aber die Realität ist, dass eine Verdrängung stattfindet.
Kann man den Obstbau denn noch aufhalten?
Josef Thurner: Die Leute könnten eines Tages aufwachen und vor ihren Fenstern nur mehr Hagelnetze sehen. Deshalb müssen wir vorher darüber reden.