Der Bären-Schreck aus der Schweiz
Dietmar Gander aus Agums ist es gelungen, diesen Bär am 3. Juni auf der Stilfserjochstraße zu filmen.

Zwischen Wut, Entsetzen und Ohnmacht

Publiziert in 22 / 2007 - Erschienen am 13. Juni 2007
Trafoi – „In Graun haben sie 1913 den letzten Bären geschossen und über eine Woche lang gefeiert. Wir hier müssen in der heutigen Zeit zusehen, wie der Bär mitten im Dorf vor unseren Haustüren Schafe reißt.“ Das sagte Hermann Mazagg aus Trafoi am Morgen des 5. Juni. Er sah sich zusammen mit weiteren besorgten und erzürnten Schafbauern das „Schlachtfeld“ an, das der Bär in der Nacht auf den 5. Juni in einer eingezäunten Wiese mitten in Trafoi angerichtet hatte. Bis zu diesem Tag waren zwischen dem Flatschberg in Ulten, dem Gebiet des Schlichtberges in Hintermartell sowie auf der oberen Tartscher Alm oberhalb von Trafoi und im Dorf Trafoi mindestens 20 Schafe von Bären gerissen worden. Fest stand am 5. Juni außerdem, dass mindestens zwei Bären vom Trentiner Naturpark Adamello-Brenta in das Gebiet des Nationalparks Stilfserjoch eingestreunt waren. Ein dritter Bär soll am 3. Juni von einem Münstertaler Jagdaufseher in der Schweiz gesichtet worden sein. In Trafoi hat die Stimmung der Schafbauern am 5. Juni zweifellos den Tiefpunkt erreicht. Entdeckt hatte die getöteten bzw. teils schwer verletzten und noch lebenden Tiere Arnold Kuntner. Die Tiere waren nach den vorhergehenden Schaf­rissen auf der oberen Tartscher Alm nach Trafoi gebracht und in einer eingezäunten Wiese eingesperrt worden. Tagelang hatten die Schafbauern rund um die Uhr ihre Tiere bewacht. Dass der Bär einen hohen Maschendrahtzaun spielend leicht überwinden kann, hat er in Trafoi bewiesen. Er rannte den Zaun einfach nieder und fiel über die Tiere her. 5 Schafe hat er getötet, 2 weitere wurden schwer verletzt und mussten notgeschlachtet werden. „Ganz wohl war mir nicht, als ich am unteren Ende der Wiese etwas Schwarzes sah. Ich glaubte zunächst, dass es sich um den Bären handelt, aber es war der Kadaver eines schwarzen, trächtigen Mutterschafes, das der Bär angefallen hatte“, sagte Arnold Kuntner dem „Vinschger“. Eines seiner Opfer hat der Bär über den Zaun und bis hinunter in den Bach gezerrt. Solche Bilder lassen verständlicherweise Zorn und Wut hochkommen, gemischt mit Gefühlen der Sorge, der Angst, der Ratlosigkeit und Ohnmacht. Erst wenige Tage zuvor waren die Schafbauern von Vertretern des Nationalparks bei einer Versammlung in Gomagoi informiert worden, dass die Parkverwaltung derzeit nur eines tun kann, nämlich die Schäden vergüten. Für alle anderen Maßnahmen brauche es das Einverständnis des Umweltministers in Rom, zumal der Bär international geschützt ist. „Ich weiß, dass es nur ein schwacher Trost ist, aber wir werden das Umweltministerium schnellstens ersuchen, den Bär zumindest verscheuchen oder narkotisieren zu können.“ Dies teilte Nationalparkdirektor und Außenamtsleiter Wolfgang Platter dem für Trafoi zuständigen Gemeinderatsmitglied Alfred Thöni bereits am Morgen des 5. Juni telefonisch mit. Es sei jetzt leider so, „dass wir die Folgen des Wiederansiedlungsprojektes des Bären im Trentino ‚auffressen’ müssen.“ Mittlerweile hat Parkpräsident Ferruccio Tomasi den Umweltminister Alfonso Pecoraro ­Scanio schriftlich ersucht, den Bär in Trafoi einfangen zu können. In einem Punkt sind sich Alfred Thöni, Arnold Kuntner, der Schafer Walter Schwienbacher, Hermann Mazagg, Josef Mazagg und viele andere Trafoier, ganz gleich ob Schafhalter oder nicht, einig: Die derzeitige Situation ist nicht länger tragbar. Mit der Vergütung allein sei das Problem nicht gelöst. Es gehe nicht nur um das Geld, sondern auch darum, „dass man die eigenen Tiere liebt“. Wenn es nicht gelingt, den oder die Bären wegzubekommen, werden sich große Probleme einstellen. „Viele Bauern werden die Schafzucht einstellen“, hieß es in Trafoi, „und wer ist es dann, der verhindert, dass die Weiden zuwachsen? Wer wird dann dafür sorgen, dass die Landschaft so gepflegt aussieht wie jetzt? Der Berg braucht die Schafe.“ Auch auf das Problem der Sicherheit für den Menschen wurde in Trafoi verwiesen. „Ich stand auf der Alm nur 5 Meter vom Bär entfernt. Er lief nicht weg, sondern trottete nur wenige Meter weiter, duckte sich und sah mich an. Dieser Bär ist nicht wild“, ist Hermann Mazagg überzeugt. Ein anderer Trafoier meinte: „Muss man tatsächlich so lange warten, bis der Bär auch einen Menschen anfällt?“ In der Nacht auf den 7. Juni hat der Bär erneut versucht, in die eingezäunte Wiese in Trafoi einzudringen. Am Schlichtberg in Martell wurden am 6. Juni zusätzlich zu den 3 schon vorher gerissenen Schafen 3 weitere getötete Tiere gefunden. Laut dem Marteller Bauernbundobmann und Vizebürgermeister Erich Stricker muss das Problem an der Wurzel gepackt werden. Diese ortet er eindeutig im Wiederansiedlungsprojekt der Bären im Trentino. Die Berglandwirtschaft hat laut Stricker ohnehin Probleme genug: „Wenn die Bauern gezwungen sind, die Tiere im Stall zu lassen, werden sie die Schafzucht aufgeben. Außerdem wird es unter diesen Umständen schwierig werden, Hirten zu finden.“ „Auch der Tourismus nimmt Schaden“ Wenn sich ein Bär in hohen Bergregionen herumtreibt, so könne er noch eine touristische Attraktion darstellen, „aber wenn ein Bär mitten ins Dorf kommt, ist das auch für den Tourismus absolut nicht tragbar.“ Dies sagte Josef Angerer vom Hotel Madatsch in Trafoi im Namen der Ferienregion Ortler dem „Vinschger“. In Trafoi setze man vor allem auf den Familientourismus „und wenn wir den Familien sagen müssen, dass sich in den Wäldern rund um Trafoi ein Bär herumtreibt, wird es nicht mehr viele Gäste geben, die mit ihren Kindern spazieren gehen wollen.“ Die Schafrisse mitten im Dorf hätten Einheimische und Gäste gleichermaßen eingeschüchtert. Umweltminister bekommt viel „Post“ Zusätzlich zum Schreiben des Nationalparks wird der italienische Umweltminister demnächst noch etliche weitere Anträge und Schreiben zum Thema Bär bekommen. So unter anderem einen Brief von Landeshauptmann Luis Durnwalder. Dieser sicherte Alfred Thöni aus Trafoi bei einem Treffen am 7. Juni zu, den Minister im Namen der Landesregierung zu ersuchen, den bzw. die Bären einfangen zu können. Laut Durnwalder ist die derzeitige Situation nicht länger tragbar. Neben den Landesräten Richard Theiner und Hans Berger sowie weiteren Politikern auf Gemeinde-, Bezirks- und Landesebene fordert auch Senator Manfred Pinzger rasche Maßnahmen. Er hat den Umweltminister bereits schriftlich mit der Problematik befasst (siehe auch Bericht auf Seite 5). „Es kann nicht sein, dass sich die Bevölkerung kaum mehr traut, aus dem Haus zu gehen. Gerade jetzt, wo die touristische Sommersaison beginnt, können wir es uns nicht leisten, durch solch negative Schlagzeilen in der internationalen Presse zu stehen und infolgedessen Buchungsrückgänge verzeichnen zu müssen“, erklärt Pinzger. Auch er fordert, dass die Bären eingefangen werden können. (sepp) Was tun, wenn man dem Bär ­begegnet? In Ländern, wo Bären leben, wird geraten, im Falle der Begegnung mit einem Bären auf sich aufmerksam zu machen, zum Beispiel mit lautem Sprechen oder mit einer kleinen Glocke am Rucksack. Der Bär nimmt dann wahrscheinlich Reißaus. Im Wald soll kein Müll hinterlassen werden, denn dieser kann den Bär anlocken. Bauern und Viehzüchter sollten ihre Tiere nicht frei über Nacht grasen lassen. Zäune und große Hirtenhunde könnten den Schutz gegen Bären vergrößern. Sollten Wanderer oder Ausflügler beim Picknick überrascht werden, empfehlen amerikanische Nationalparks: Das Essen liegen lassen und sich langsam zurückziehen. Für gewöhnlich greifen die Tiere sehr selten an und fliehen. Dennoch sollte provokatives Verhalten vermieden werden. Angriffe fangen fast immer mit dem Fehlverhalten von Menschen an. Viele sind zu unvorsichtig.
Josef Laner
Josef Laner
Vinschger Sonderausgabe

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