„40 Flüchtlinge dürfen für Schlanders kein Problem sein“

Publiziert in 31 / 2016 - Erschienen am 7. September 2016
In einigen Wochen sollen die ersten Asylbewerber eintreffen. Dieter Pinggera: „Wir orientieren uns am Vorzeigebeispiel Mals“. Kritik an Marktschreiern und Hasspredigern. Schlanders - Es war Ende Juli, als das Land der Gemeinde Schlanders mitteilte, dass im ehemaligen Sitz des Weißen Kreuzes in Schlanders rund 40 Asylantragsteller untergebracht werden sollen. Konkretere Informationen gab es seither nicht. „Auch zum heutigen Tag wissen wir noch nicht, wann die Flüchtlinge kommen, woher sie stammen und wer die ­Führung der Struktur übernimmt“, sagte Bürgermeister Dieter ­Pinggera bei der Gemeinderatssitzung am 1. September. Zum Tagesordnungspunkt „Information betreffend Aufnahme von Flüchtlingen“ hatte Pinggera auch den Abteilungsdirektor für Sozialwesen und Flüchtlingsbeauftragten, Luca ­Critelli, sowie die ­Malser Sozialreferentin Gertrud ­Telser Schwabl eingeladen. Einleitend ging Pinggera auf die dramatische Lage im Zusammenhang mit den Flüchtlingsströmen in Italien, Europa und auf der ganzen Welt ein: „Allein in den vergangenen 5 Tagen sind ca. 15.000 Menschen über das Meer nach Italien gekommen.“ Gewaltige Herausforderung Der Staat stehe vor einer gewaltigen Herausforderung. In Südtirol wurden bisher aufgrund eines gesamtstaatlichen Verteilungsschlüssels von 0,9% etwa 1.000 vom Staat zugewiesene Asylbewerber aufgenommen. Seit April sucht das Land nach Unterkünften für weitere ca. 700 Asylbewerber, wobei sich die Landesregierung laut Pinggera um eine möglichst gerechte und homogene Verteilung im Land bemüht. Der Vinschgau soll insgesamt 94 Menschen aufnehmen. In Mals sind vor knapp einem Jahr 40 Asylantragsteller eingetroffen. 10 weitere folgten vor wenigen Wochen. „Schlanders kann sich als Bezirkshauptort nicht aus der Verantwortung stehlen“, sagte der Bürgermeister. „Wir müssen bereit sein, Verantwortung zu übernehmen und Haltung zu zeigen. Werte, zu denen wir uns bekennen, müssen wir auch wirklich ernst ­nehmen. Wir haben es mit Menschen zu tun, die auf Herbergssuche sind.“ Für Schlanders „dürfen 40 Flüchtlinge kein Problem sein. Sie sind kein Problem und werden kein Problem sein.“ Eine deutliche Abfuhr erteilte Pinggera jenen, die Ängste schüren, Vorurteile verbreiten und Hass predigen. Schlanders wolle sich an der Gemeinde Mals orientieren, „welche die Herausforderung vorbildhaft gemeistert hat.“ Es gebe überhaupt keine Gründe, Angst vor den Asylantragstellern zu haben. Um sich auf die Ankunft der Flüchtlinge vorzubereiten und von Mals zu lernen, gab es unlängst auf Einladung der für Integration zuständigen Referentin Dunja Tassiello ein Informationstreffen, an dem der Gemeindeausschuss sowie Vertreter von Vereinen und Sicherheitskräften teilnahmen. Frauen, die sich im Haus Ruben in Mals freiwillig engagieren, berichteten laut Pinggera von positiven Erfahrungen. Auch Gertrud Telser Schwabl bestätigte, dass es in Mals bisher keine größeren Pro­bleme gab. Als besonders wertvoll, ja unabdingbar nannte sie den Einsatz der Freiwilligen und die generell positive Einstellung der Bevölkerung. „Niemand braucht Angst zu haben. Es sind schon eher die Flüchtlinge, die vor uns Angst haben. Vor allem den Behörden gegenüber sind sie misstrauisch.“ Rund 70% der Flüchtlinge in Mals gehören übrigens der römisch-katholischen Konfession an. Sehr wichtig ist laut Telser Schwabl auch eine gute Führung der Struktur. Das Haus Ruben in Mals wird von der Caritas geführt. Die Frage des Standortes Zum Standort der Aufnahme­einrichtung in Schlanders meinte Luca Critelli, dass es bisher bei jedem Standort in Südtirol Diskussionen gegeben habe. Er sieht im ehe­maligen Sitz des Weißen Kreuzes einen „geradezu idealen Standort“ Das Gebäude sei zentral gelegen, befinde sich in öffentlichem Eigentum und könne mit relativ geringen Kosten adaptiert werden. Laut Pinggera habe der Standort zwar bestimmte Nachteile, „doch die Nähe zur Fußgängerzone zum Beispiel sehe ich als Vorteil.“ Die Verwaltung sei sich bestimmter Ängste und Sorgen bewusst und nehme diese auch ernst, „allerdings gibt es keinen alternativen Standort.“ Wer sagt oder glaubt, es läge in der Macht des Bürgermeisters, Flüchtlinge nach Schlanders zu rufen oder die Aufnahme von Flüchtlingen zu verhindern, irre gewaltig. Es liege nun an der Verwaltung, den Vereinen und der gesamten Bevölkerung, „diese große Herausforderung zu meistern und bei der Integration mitzuhelfen. Es gibt keine Alternativen zur Integration.“ Noch offene Fragen Einige wichtige Fragen sind derzeit noch offen: Wer wird die Struktur führen? Von woher kommen die Flüchtlinge? Sind es zum Großteil Männer? Welcher Konfession gehören sie an? Laut Critelli ist es der Staat, der die Zuweisungen vornimmt: „Wir können uns die Menschen nicht aussuchen.“ Es sei anzunehmen, dass die ersten Flüchtlinge in einigen Wochen in Schlanders eintreffen. Angesichts der anhaltenden Flüchtlingswellen könnte es sein, dass Südtirol, und damit auch der Vinschgau, im nächsten Jahr oder in weiterer Zukunft weitere Unterkünfte bereitstellen muss. Derzeit sei die Quote für den Vinschgau mit den Aufnahmeeinrichtungen in Mals und Schlanders erfüllt. In Schlanders dürften zunächst ca. 20 Flüchtlinge eintreffen und im Anschluss an die notwendigen Anpassungsarbeiten weitere ca. 20. In der Regel dauert es zwischen 1,5 und 2 Jahren, bis die zuständigen Staatsbehörden darüber entscheiden, ob der Flüchtlingsstatus anerkannt wird oder nicht. Landesweit seien bisher laut Critelli ca. 70% der Anträge abgelehnt worden. Viele Anträge werden abgelehnt Was mit jenen Bewerbern geschieht, deren Antrag abgelehnt wird, wollte bei der Diskussion Roland Platzgummer wissen. Critelli räumte ein, dass eine Rückführung in die Herkunftsländer de facto sehr aufwändig und extrem schwierig sei, „so dass viele einfach ‚untertauchen’ und sich illegal auf dem Staatsgebiet aufhalten, vor allem in Groß­städten.“ Mehrere Ratsmitglieder der Mehrheit und auch der Opposition kritisierten die bisherige Informa­tionspolitik der Gemeindeverwaltung. Laut Patrik Gamper hätten die Räte sofort aus erster Hand informiert werden sollen. Was den Standort betrifft, wurde bemängelt, dass es beim Standort in Schlanders kaum Außenflächen gebe. „Die Zahl von 40 ist für diese Struktur in meinen Augen zu hoch“ meinte Dunja ­Tassiello. Erhard Alber (Süd-Tiroler Freiheit) warnte davor „alles nur schönzureden“. „Kein falsches Toleranzdenken“ Er habe nichts gegen Hilfe und Menschlichkeit, „aber falsches Toleranzdenken ist fehl am Platz“. Für ihn ist der Standort nicht ideal: „Es gibt in Schlanders ja große Kasernen“. Julia Pircher meinte: „Wenn jeder seinen Beitrag leistet, ist diese Herausforderung locker zu meistern.“ Berührungsängste sollte es keine geben. Kunhilde von Marsoner begrüßte die „humanitäre Art, mit der die Verwaltung dieses Thema angeht.“ Allerdings seien die Ängste der Bevölkerung ernst zu nehmen. Auch eine direkte Information der Bürger wäre angebracht. Der Bürgermeister kündigte an, dass es zu gegebener Zeit eine Bürgerversammlung geben werde. Eine mehrstündige Aus­sprache mit Anrainern habe bereits stattgefunden. Ein weiterer Diskussionspunkt war das Erlernen der Sprache seitens der Flüchtlinge. Mehrfach betont wurde, dass sich die Asylbewerber den hier geltenden Gesetzen und Regeln anzupassen haben. Der Zugang zu Arbeitsmöglichkeiten sollte erleichtert werden. Reinhard Schwalt gab zu bedenken, dass viele Flüchtlinge in einem traumatisierten Zustand in eine fremde Welt kommen und daher auch eine psychologische Betreuung bräuchten. Critelli räumte ein, „dass die fehlende psychologische Betreuung derzeit ein Schwachpunkt ist.“ Monika Wielander Habicher sagte, dass es auch in Bezug auf Zahlungen an Flüchtlinge Vorurteile gebe. Critelli dazu: „Der Staat zahlt 28 Euro pro Tag und Person. Die Flüchtlinge selbst bekommen 8 Euro pro Tag und Person, wenn sie selbst einkaufen und kochen. Tun sie das nicht, bekommen sie 2,5 Euro. Das ist alles, was sie erhalten.“ sepp
Josef Laner
Josef Laner
Vinschger Sonderausgabe

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