Würde des Menschen ist unantastbar
Facetten (k)einer Selbstverständlichkeit - 29. Marienberger Klausurgespräche
Schlinig - Auch heuer trafen sich im Kloster Marienberg Vertreter aus Kultur, Wirtschaft, Politik, Schule und Kirche zu den Klausurgesprächen. Zum bereits 29. Mal wurde über gesellschaftspolitische Themen referiert, diskutiert und nachgedacht. Den Veranstaltern ist es erneut gelungen, renommierte Referentinnen und Referenten aus dem In- und Ausland einzuladen. Abt Philipp Kuschmann begrüßte die Wahl des Themas „Würde des Menschen“ für die heurigen Gespräche: „Das ist eine fundamentale Frage unseres politischen und ethischen Selbstverständnisses, nämlich die Auseinandersetzung mit der Spannung zwischen Demokratie und der Unverfügbarkeit der menschlichen Würde“. Diese Auseinandersetzung bilde eine „essenzielle Grenze demokratischer Entscheidungsprozesse. Doch wie gehen wir mit Situationen um, in denen Mehrheiten Gesetze beschließen, die genau diese Grenze infrage stellen? Wie schützen wir die Würde des Einzelnen, ohne dabei den demokratischen Diskurs einzuschränken?“
„Der Dialogist entscheidend“
Laut dem Präsidenten des Kuratoriums Marienberger Klausurgespräche, Günther Andergassen, sei deutlich spürbar, „dass wir in einer Zeit großer sozialer, gesellschaftlicher und politischer Umbrüche leben, in einer Zeit, in der bisherige Selbstverständlichkeiten nicht mehr so selbstverständlich sind.“ In einer immer komplexer werdenden Welt sei der Dialog entscheidend: „Das Miteinanderreden und wirkliches Zuhören ist auch für ein demokratisches Miteinander im immer lauter werdenden medialen Rauschen eine wichtige Botschaft.“ Eröffnet hat die Vortragsreihe die Südtiroler Schriftstellerin Maxi Obexer. Sie sprach zum Thema „Die Würde der Tiere und das Vertrauen, Hannah Arendts Freiheit des Einzelnen und die Würde der Menschen als Gemeinschaftswerk.“ Obexer spürt die Würde vor allem auch bei den Tieren „in ihrer, wie es scheint, unzerstörbaren Vertrautheit mit dem Leben, mit der sie sich durch eine unberechenbare Welt bewegen; in ihrer Tapferkeit, angesichts der ständigen Gefahren. Ich sah sie auch bei den Haustieren, in ihrem unverrückbaren Vertrauen zu uns Menschen.“ Würdevolles sehe sie auch bei den Menschen. „Überhaupt wird die Würde als Begriff für die Menschen erdacht worden sein. Hier. Wo sie antastbar ist. ,Würde‘ - bei den Menschen ein Begriff im Konjunktiv, im Möglichen. Angesiedelt in einem politischen Feld, in dem - einzig und allein - wir die Entscheidungen treffen.“
„Krise der Menschenwürde“
Der Theologe Jan Bentz referierte zum Thema „Menschenwürde oder Personenwürde: das Verhältnis von Kirche und Staat als Analogie zur Einheit von Leib und Seele in der Person“. Laut Bentz gibt es eine „Krise der Menschenwürde“. Galt sie einst als unantastbar, sei sie heute ein Spielball ideologischer Deutungshoheit. „Menschenwürde“ sei ein moderner Begriff, mehrdeutig und daher politisch verschieden interpretierbar. Auf das Thema „Politik der Würde – Würde der Politik“ ging der Politikwissenschaftler Philipp Lepenies ein. In der Politik sollte man sich prinzipiell mit Anstand begegnen, mit Würde eben. Doch jedes Mal, wenn es um konkrete Transformationsvorschläge gehe, die zum Beispiel zu Veränderungen des persönlichen Konsumverhaltens führen würden, komme es zu lautstarker Empörung. Dabei werde eine besondere rhetorische Keule geschwungen. Sie lautet: „Das ist Verbotspolitik!“ Für Lepenies ein Totschlagargument. Neben einer Verbotspolitik spreche man auch von einer rundweg abzulehnenden „Politik von Verbot und Verzicht.“ Lepenies warnte vor einer drohenden „Ökodiktatur“ und vor der Gefährlichkeit eines „gestaltenden Staates“, der Verbotspolitik gegen den Willen aller durchsetzen will. Die Ablehnung einer Verbotspolitik sei jedoch unverantwortlich, populistisch und gefährlich. Sie sei unverantwortlich, „weil es im Lichte der Klimakatastrophe vollkommen absurd ist zu glauben, dass wir unseren Lebensstil nicht radikal verändern müssten.“
KI, Menschenrechte und Migration
Der Theologe Peter Kirchschläger (Universität Luzern), sprach zum topaktuellen Thema: „,KI und der Schutz der Menschenrechte“. „KI“-Systeme, die man adäquater als „Datenbasierte Systeme (DS)“ bezeichnen sollte, weil es sich bei ihnen nicht wirklich um Intelligenz handelt, eröffnen Chancen aus einer menschenrechtlichen Perspektive. Gleichzeitig werden durch und mit DS Menschenrechte verletzt. Kirchschläger forderte daher menschenrechtsbasierte DS und die Schaffung einer internationalen Agentur für datenbasierte Systeme bei der UNO. Verena Wisthaler, Leiterin des Zentrums für Migration und Diversität an der Eurac in Bozen, setzte sich mit dem Thema „Migration und Würde – Menschlichkeit in Bewegung“ auseinander. Migration sei keine abstrakte Zahl oder politische Herausforderung, sondern eine zutiefst menschliche Erfahrung.
Wir und die Anderen
„Nichtsdestotrotz sind Diskussionen über Migration oft polarisiert, und wir verfangen uns in binären Kategorien – Wir und die Anderen“, so Wisthaler. Die Gesellschaft suche zwar Arbeitsmigranten, verurteile jedoch jene Menschen als Wirtschaftsflüchtlinge, die aufgrund wirtschaftlicher Missstände ihr eigenes Land verlassen möchten. „Solche Kategorisierungen basieren auf einer von uns, den Medien, Parteien und politischen Diskursen konstruierten Hierarchie der Würdigkeiten: Wer verdient Aufnahme und Schutz? Wer muss und kann sich integrieren? Die Würde jener Menschen, die als ,die Anderen‘ kategorisiert werden, gerät oft in den Hintergrund, wird beschnitten, und ihre Mündigkeit in Frage gestellt.“ Zum Abschluss der Gespräche referierte die Unternehmerin Greta Grace zum Thema „Die Würde des Menschen in Zeiten des Wandels – Spiritualität, Bewusstsein und der Ruf nach Sinn“. In einer Welt, die von Krisen, Konflikten und digitaler Entfremdung geprägt ist, stelle sich mehr denn je die Frage nach der unantastbaren Würde des Menschen. Was bedeutet Würde heute - jenseits politischer Schlagworte - in unserem täglichen Handeln, Arbeiten und Menschsein? Grace sprach auch über die Gefahr technischer Überreizung, die Sehnsucht nach sinnerfüllter Arbeit und die Dringlichkeit, Würde wieder zur Grundlage unseres gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Handelns zu machen.