Der Pfarrer von Stilfs, ein Augenzeuge
Publiziert in 19 / 2005 - Erschienen am 6. Oktober 2005
Juli 1915
Von der Schaubachhütte kommen 22 Stilfser Standschützen, die in lobenswerter Weise Urlaub erhalten, für die Einbringung des Heues. Auf Kleinboden und Ferdinandshöhe begeben sich mit Auto die Kriegsberichterstatter verschiedener deutscher und österreichischer Zeitungen.
Der Tiroler Anzeiger schreibt: Bürgermeister von Bormio, ein dortiger Provinzial-Rat, der Direktor der Bagni nuovi, ein edler, charaktervoller Mann und andere Italiener wurden strafweise deportiert, wegen Unzulänglichkeit des Patriotismus und wegen Zweifel an der Gerechtigkeit der italienischen Waffen. Der Mailänder „Secolo“ vom 9. Juli veröffentlicht eine lange Reihe von Verhaftungen und Internierungen italienischer Geistlicher, welche als „austriacanti“ verdächtigt sind. Die größte Anzahl ist aus dem Veltlin, wo nach dem „Corriere della Sera“ der „Große Kehraus“ mit dem österreichisch gesinnten Klerus erst noch erfolgen wird Die Herren Italiener erklärten den Schweizern auf der Dreisprachenspitze, sie könnten deren Neutralität nicht mehr respektieren. Schweizer Militär und das unsrige, besonders Offiziere, verkehren sehr freundschaftlich. In Trafoi sammeln sich die ungarischen Soldaten, über 1000 Mann, die in der Gegend herum stationiert waren. Der Monte Scorluzzo soll jetzt tadellos befestigt und die Unterstände so gut betoniert sein, dass die Italiener mit ihren kleinkalibrigen Kanonen nichts mehr ausrichten.
August 1915
Die Kriegsmetallsammlung in Stilfs ergab 348 kg.
Abends gehen die Tschenglser Standschützen auf die Ferdinandshöhe, die Laaser auf Goldsee, die Prader auf die Franzenshöhe, die Lichtenberger auf die Schaubachhütte.
Hauptmann Florin Pinggera erhält für die Monate Juni und Juli an Gage, Ausrüstung etc. 1438 Kronen, ein schönes Stück Geld! So mag es nicht unmöglich sein, dass manche beten, um eine möglichst lange Dauer des Krieges.
Seit einiger Zeit schon wird Wein ausgeschenkt. Ausschank schon ganz und gar unnotwendig und wohl sicher auch unrentabel für Leib und Seele der Hausbewohner.
Kurat Eberhardt macht mich auf eine ganz unsittliche Darbietung aufmerksam, die sich am Kleinboden, bei einem Wasserrad findet. Die sofortige Entfernung der anstößigen Darstellung versuche ich zu bewerkstelligen durch Feuerwerker Mach. Wurde sofort entfernt. Bravo!
Herr Frühmesser dängelt mit der Maschine 26 Sensen. Es ist eine große Hilfe für das Weibervolk, das die Kunst des Dängelns vielfach nicht versteht. Der Dangel der Maschine sei scharf, halte aber nicht so lange, wie der andere.
Moser Josef schreibt aus Russland, dass er am 2. Juni in Gefangenschaft geraten sei, und dass bei ihm 10 Vinschgauer seien, darunter: Brenner Michael, Anton Ratt, Alois Reinstadler, Anton Wallnöfer und Johann Reisigl, letztere 2 von Prad.
Es sind nun oben im Ganzen auf der Höhe (Ferdinandshöhe, Nagler etc.) 22 Unterstände für circa 400 Mann, ein kleines fast ganz unterirdisches Dörfl.
Deutsche Autos sind in Meran angekommen, circa 150, sie bleiben dort vorläufig in Reserve.
Schlechte Botschaft: die Welschen haben per Schlitten eine Kanone aufs Königsjoch befördert und beschießen die Halle-Hütte und den Cevedalepass. Drei Tarscher werden verwundet.
In Spondinig kommt das Drahtseil zur Stilfser-Joch-Schwebebahn, es wiegt 5000 Kilo und wird von 500 Soldaten nach Trafoi befördert. In Spondinig war das eine Ende, während das andere bei der alten Post in Prad war. Eine interessante Lieferung!
Um diese Zeit wird in Stilfs (Patzleida) eine Markoni-Station für drahtlose Telegraphie errichtet. In der abgelaufenen Woche desertierten 24 Italiener von der IV. Cantoniera in die Schweiz.
Einer der Unsrigen desertierte in die Schweiz, wird der erste sein da oben.
Oktober 1915
Die Welschen schießen wieder wacker, treffen gut, richten aber keinen Schaden an. Merkwürdig! Soviel verpulvern und fast keine Verwundeten auf unserer Seite! Der Schutz der Gottesmutter ist auffallend. Man hört, dass 2 Kompanien Ungarn in kürzester Zeit von hier versetzt werden sollen. Großes Vertrauen wurde dieser Mannschaft nicht entgegengebracht, obwohl Beweise von minderwertigem Patriotismus nicht vorlagen. Die Leute verstanden vielfach nicht Deutsch, mit dem Hochgebirge sind diese Tiefländer auch weniger vertraut.
Die Drahtseilbahn oben funktioniere vortrefflich und habe die höchste Spannung in Europa, wahrscheinlich in der ganzen Welt über 2 km. Was der Menschenverstand alles leistet!
Man hört, die Prader und Laaser Standschützen hätten eine Beschwerdeschrift eingereicht, da die Stilfser Kompanie nie auf die Höhe hineinkomme.
100 russische Gefangene kommen nach Trafoi zur Holzarbeit. Zugleich kommen heute nach Trafoi Kriegsmaler Prinz und Pippich, sie begaben sich an die Front und nach Goldsee, wo sie einige Aufnahmen machen.
Viele Weiber gehen aufs Land hinaus und schleppen um teures Geld Margarin, Reis, u. dgl. herein, sie beklagen sich, dass da nach Stilfs nichts kommt von Lebensmitteln. Am schwersten empfunden wird das Einrücken des Bäckers Josef Niederegger.
In Schlanders findet die Enthüllung eines „Adlers in Eisen“ für Kriegsinvalide des Bezirkes statt.
Dezember 1915
Ihre Majestät, die Königin von Bayern, sandte vor einigen Tagen an die Suldner Bergführer 47 Pakete, enthaltend je ein Wollhemd, eine Unterhose, ein Paar Strümpfe, Handschuhe, Brust- und Rückenwärmer, ein Pfeifl, guten Tabak, Zigarren, Schokolade, je ein Maulorgele je einen Rosenkranz und ein Bild der Königin. Große Ehre! Die Königin war zu Friedenszeiten früher ein- und das andere Mal in Sulden und interessierte sich sehr für die Bergführer, die sie, bzw. deren Töchter mit Vorliebe fotografierten.
In der Kirche von Trafoi ist das elektrische Licht gestern installiert worden, und hat gestern das erste Mal gebrannt. Im Schiff ist eine 50iger Lampe.
Zirkular, das befiehlt ein scharfes Augenmerk zu richten auf die internationale sozialistische Friedenspropaganda, die absonderlich unter den Eisenbahnern zu florieren scheine.
Die Weiber wandern mit Ruc- kkörben aufs Land hinaus, um Brot, Mehl und Butter einzukaufen, kehren aber leer zurück, ohne Brotkarten gibts nichts mehr.
Als Neujahrsgruß werden auf der Höhe 6 Artillerie-Schuss von Goldsee und 6 Schuss von Ferdinandshöhe zu den Welschen hinüber gesendet.*
Gerd Klaus Pinggera