Blick von der Martinskapelle nach Schleis, Burgeis und auf die Multen, der oberen Malser Haide, in Richtung Plawenn (26.8.2006).

Flurnamen im Obervinschgau

Publiziert in 35 / 2007 - Erschienen am 10. Oktober 2007
Ist von Obervinschger Denkmälern die Rede, geht es oft um die Mauern auf Ganglegg, die Wandmalereien in der Marienberger Gruft oder das Beinhaus (mda. d’r Poand’rtūrn) bei Burgeis. Nur wenige wissen um die zahlreichen Flur-, Hof- und Siedlungsnamen, die viel über die Siedlungsentwicklung, Vegetationsgeschichte oder die Wirtschaftsweise unserer Vorfahren verraten. Um diese Sprachdenk­mäler aufzuwerten, hat sich das Süd­tiroler Landesarchiv vor fast zehn Jahren gemeinsam mit der Universität Innsbruck ent­schlossen, das Südtiroler Namengut systematisch zu sammeln, mundartgetreu aufzuzeichnen und zu kartieren. Heute finanziert die Koor­dinationsstelle „Südtiroler Landes­museen“ die kartografische Aufarbeitung der bestehenden Flurnamensammlung, wobei inhaltliche und methodische Lücken in den einzelnen Südtiroler Gemeinden geschlossen werden. Nach Abschluss der Arbeiten soll eine Art digitaler Flur­namenatlas der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen. Vor allem Projektmitarbeiter Cäcilia Wegscheider und Johannes Ortner kümmern sich um das Erfassen der Flurnamen und zeichnen sich verantwortlich für den Abschluss des ­Projektes. Spannend wird es, wenn der Bedeutung und Herkunft (Etymologie) einiger bekannter Flurnamen der Fraktionen Mals, Burgeis, Schleis und Laatsch auf den Grund gegangen wird. Gerade im Vinschgau gibt es einen hohen Prozentsatz an vor- und alpenromanischem Namengut. Bis in die Neuzeit herauf – in Taufers sogar bis ins 18. und 19. Jahrhundert – hörte man in den Gassen mancher Obervinschger Dörfer vereinzelt noch das Rumauntsch, die bündnerromanische Sprache. In einer Art Sprachenkampf leistete das Kloster Marienberg ab der Gegenreformation der Ausbreitung des Deutschen entschieden Vorschub. Nur auf diese Weise – so glaubte man – könne der aus Graubünden einsickernden „lutherischen“ Lehre entgegen gewirkt werden. In einigen ­Obervinschger Appellativen ­(Worten) spiegelt sich der ­alpenromanische Einfluss deutlich wider: di Tain (die Tein) = Ackerstück zwischen zwei Bewässerungsgräben, den Furchn. di Radont (die Radont) = Ackerrand; Wendeplatz des Pfluges. Im Mittelvinschgau Ounawånt (Anewand) genannt. ’s Mommat (das Mannmahd) = Mannmahd (kleines Mannmahd = ca. 25 Ar; Mannmahd = ca. 30 Ar). Die Fläche, die ein Mann am Tag zu mähen vermag. Diminutiv: ’s Mommatl (das Mannmahdl). In anderen Teilen Tirols Tomet „Tagmahd“ genannt. ’s Muggmol (das Muttmal) = Flächenmaß, das aus dem Sämaß „die Mutt“ entstanden ist. Andernorts wird das Sämaß „Star“ und als Flächenmaß „Starland“ verwendet. di Tschett (die Tschött) = Wasserspeicher zu Bewässerungszwecken, vgl. dazu lat. *conceptus „eingefasstes“ (Wasser). d’r Trai (der Trai) = Viehtriebweg. d’r Gångl (der Gangl) = Viehpferch; Diminutiv: ’s Gangele (das Gangele). di Tschanånt (die Tschenant, Tschenont) = Almleger, Almwiese bei der Almhütte. Zu Grunde liegt das lat. cena „Abend“. Ursprünglich handelte es sich also um eine Abendweide. di Lawot (die Lavod) = von einem Waal oder Bach abgeleiteter Wasserkanal. Er dient dem Antrieb von Mühlen, Schmieden, Sägen und den Frauen zum Waschen. di Plais (die Pleis) = die baum- und strauchfreien Lawinenstriche am Berg. Zwischen Mai und August 2007 ist in den Gemeinden Mals, Glurns und Taufers eine umfassende Nacherhebung der Flurnamen durchgeführt worden. Einige wenige Beispiele - aus der Fülle der über 5000 gesammelten Namen – sind: di Schpinai (die Spinei): Große Weidefläche zwischen Mals und Ulten. Der Name kommt aus rom. *spinēdu „Ort mit Dornenbewuchs“. Vor der Urbarmachung wird die Gegend aus Brombeerhecken bzw. Pfrousldeirn ( = Heckenrosen) bestanden haben. in Raschtifes (in Rastifes): Wiesen oberhalb von Mals, Waldböden oberhalb von Schleis und eine Wiese in Matsch (Raschtif). Der Name kommt aus dem rom. *rezidīvju „Nachmahd; Grummet“. Es handelt(e) sich also um Groametwisn. in Larch (im Larch): Wiesen zwischen Burgeis und Mals. Aus mda. d’r Larch „Lärche“. Vor der Umwandlung in Wiesen befanden sich an der Stelle wohl noch Lärchenbestände. in Maraines (in Mareines): Ausgedehnte Wiesen bei Mals. Die zahlreichen „Marein“-Namen im Vinschgau (Algund, Kastelbell, Tarsch, Latsch, Vetzan, Sonnenberg, Göflan, Kortsch) lassen sich wohl auf vorromanisch *marra „Geröllhalde“ > *marrīna „kleine Geröllhalde“ zurückführen. in Fåsses (in Fasses), auch Gefåsses bzw. Pfåsses: Wiesen und Waal zwischen Burgeis und Schleis. Aus rom. *fossa „(Bewässerungs)-Graben“. in Quadres (in Quadres): Wiesen am westlichen Rand des Malser Oberdorfs. Aus rom.*quadra „Quadratisches Flurstück; Flureinheit“. Zusammen mit den „Quader“-Namen gehen häufig „Fascha“-Bezeichnungen (Bedeutung: „bindenförmiges Flurstück“) einher. di Gganalack’r (die Ganaläcker): Frühere Äcker westlich an den Malser Ortsteil Russland anschließend. Aus rom.*canāle „Einsenkung, Mulde (im Gelände)“. in P’rdatsch (in Pardatsch): Wiese in Schleis. Aus rom. *pradatsju „(schlechtes) Wiesenstück“. Bildungen mit Pra-(Wiese) sind sehr häufig: Pråprawis (Praprawiese zwischen Marienberg und Prämajur, „Wiese des Pfarrers“), Pramjur (Prämajur, „obere Wiese“), Pramassér (Wiese in Laatsch,“Wiese des Frühmessers“), Pradagrusch (Wiese bzw. Weide unterhalb vom Polsterhof in Schleis, „Wiese bei einem (Weg)-Kreuz“), Pradalapunt (Wiesen in Schleis und Matsch, „Wiese an der Brücke“), Pradawånt (Wiese am Schleiser Albweg, „die vordere Wiese“). Ebenfalls häufig sind Bildungen mit Plan- (Ebene) oder mit Plaz- (Platz) wie in Planezza (Burgeis), Plagrånt (Höfer Alp, Waldboden oberhalb von Surau, Schlinig), Plazutt (Glurns), Plazur, Plametz, Plandaluerz („Bärenboden“; Matsch) sowie Zusammensetzung mit alpenrom. aua „Wasser“ wie im Schliniger Hofnamen Surau („oberhalb bzw. auf dem Wasser liegendes Gelände“), im Laatsch und Rifair trennenden Grenzbach Awazass bzw. Lowazass („Wasser, das über Felsen rinnt“, „Steinbach“) oder im großen Laatscher Flurstück Lowaschina „Gelände am Wasser“. in Putzes (in Putzes): Wiesen zwischen Glurns und Mals. Ebenfalls rom.*pozza „Quelle, Brunnen“. in Runggs bzw. in Runk (in Rungs; in Runk): Wiesen in Laatsch bzw. in Glurns. Die Namen gehen auf rom. *ronco „Rodung“ zurück. Im Tirolerischen gibt es die entsprechende Form „Raut“ bzw. „Raitl“. Kompatsch (Kompatsch): Die Gewerbezone in Laatsch, außerdem Ortsteil in Naturns und Örtlichkeit auf der Seiser Alb. Aus rom.*campu „Feld“ + Suffix - atsju. Bedeutung in etwa minderwertiges Feld“. Quadra (schmale Türggäcker) und Fascha gibt es in Taufers. Im Ortsnamen Taufers steckt das rom. *tūvu „Röhre“ (das bündnerromanische Exonym lautet Tuer). Gemeint sein könnten die zahlreichen Steilrinnen am „Unteren Berg“, durch die ein wertvolles Holz in Risn und Plaisn im Winter zu Tal befördert wurden. In Schnals heißen solche Lawinenrinnen heute noch Tauf. Im Ortsnamen Rifair (mda. Rafoar; Exonym Rivaira) steckt die Lage des Orts am Ufer des Råmm (Rambach), nämlich rom. *riva „Ufer“ + Suffix -aira. Bedeutung: „am Bachufer gelegenes Gelände“. Johannes Ortner Katharina Hohenstein
Katharina Hohenstein
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