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Heutige Suldner Bergführer erzählen

Publiziert in 26 / 2010 - Erschienen am 7. Juli 2010
Sulden - Meine Neugier an den Berg­führern als geschickte Selbstvermarkter und geachtete Dienstleister alpinsportlicher Anfangszeiten ist durch ihre schon beschriebene faszinierende Geschichte geweckt. Eine anscheinend auf einer wirklichen Begebenheit basierende Anekdote aus den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, die mein Onkel, der ehemalige Bergführer Bruno Reinstadler erzählte, wirft wieder ein anders schillerndes Licht auf die Berufsgruppe. Gast und Führer übernachteten auf der ­Payerhütte. Dabei sah der Aufbruch für den trinkfreudigen Bergführer, als er um 4 Uhr morgens in die Gaststube stolperte anders aus als für den ausgeschlafenen, gut ausgerüsteten Gast. Anscheinend routiniert seilte er den Touristen im Halbdunkel an, rief ihm (und sich) noch das übliche „Bergheil“ zu und ging etwas brummig los. Aber der Bergfex rührte sich einfach nicht von der Stelle, obwohl ihn der Führer eindringlich darauf ansprach. Der Griff nach dem Lichtschalter erhellte die Situation: der Gast stand beobachtend an der Tür, während der Bergführer an der angeseilten Holzsäule in der Mitte der Gaststube zerrte. Der Tourist hatte an diesem Tag keine Lust mehr auf die angesagte Ortlertour. Die Geschichten meines Vaters Hans Reinstadler und diese Anekdote zeigen unterschiedliche Bilder des Führerberufs einmal aus der Kaiserzeit vor dem Ersten Weltkrieg, und dann aus der Zeit des Massentourismus im 20. Jahrhundert auf. Um die heutigen Suldner Berg- und Skiführer kennenzulernen, bitte ich einige von ihnen, nämlich Toni Stocker, Olaf Reinstadler, ­Roman Zischg und Kurt Ortler um ein kurzes Gespräch. Vorauszuschicken ist wohl die Tatsache, dass von diesen nur noch einer orts- und insgesamt zwei talansässig sind. Darauf angesprochen meint Kurt Ortler nicht ohne Stolz: „Was heißt Auswärtige? Nimm das Beispiel von Pontresina, St. Moritz oder Zermatt. Da gibt’s keine einheimischen Bergführer. Die dort sind ganz fremd und einfach von den Alpinschulen angestellt. Wir stammen ja alle aus den Nachbarorten und unsere Alpinschule Ortler ist ein Zusammenschluss von uns acht (heute elf) freiberuflichen Vinschger Bergführern. Unsere Sekretärin in unserem Suldner Büro ist von uns beauftragt unsere Marketingan­gelegenheiten zu bündeln“. Nun möchte ich schon wissen, wer die interviewten heutigen Bergführer sind und wie sie sich selbst in ihrem Arbeits- und ­Lebensumfeld wahrnehmen. Viele ihrer Antworten gebe ich leicht gekürzt wieder. Toni Stocker wohnt in Prad/Agums, ist 1966 geboren und ist hauptberuflich seit den neunziger Jahren als Berg- und Skiführer und seit 2005 als Präsident des „Verbands der Südtiroler Berg- und Skiführer“ tätig. Olaf Reinstadler aus Sulden, Jahrgang 1964 ist Bergführer mit Leib und Seele. Sein ­Vater und er betreiben auch noch die einzige ­Bäckerei im Tourismusort Sulden. Roman Zischg, wohnhaft auf dem Höflhof in Außersulden, ist 1946 geboren und arbeitet als Bergführer und Skilehrer. Er kennt jeden Stein im Tal auch aus der Position des Bergbauern und Schafhirten. Die Bergbauern aus Außersulden verdingten sich ja schon zu Zeiten des Payer- Führers Johann Pinggera äußerst erfolgreich als Hochgebirgshelfer, Bergführer oder Träger und Roman setzt diese Tradition heute als letzter engagiert fort. Kurt Ortler ist Jahrgang 1967, wohnt auf seinem Berghof in Vellnair/ Prad, erlernte das Tischlerhandwerk und lebt seit 1998 hauptberuflich vom Berg- und Skiführen. Auf seinen Beruf angesprochen erklärt Toni Stocker (im Bild): „Viele sagen: Na, was ist ein Bergführer? Das ist doch kein Beruf… und doch… Hängt ein bisschen ab, in welchem Gebiet du bist. Wenn du heut in Meran bist oder in Bozen, dann wirst dich hart tun ein ganzes Jahr. Das Ortlergebiet ist einfach ein Potenzial. Ja, die berufliche Ausbildung ist nicht leicht. Und dann sind da schon noch andere Bereiche, dies früher auch nicht gegeben hat“. Zu den traditionellen Bergsportarten des ausgehenden 20. Jahrhunderts wie eben dem Fels- oder Gletschergehen, dem ­Klettern und Skitourengehen stellen das Eisfallklettern, Schneeschuhwandern, Freeclimbing, Bouldering oder Canyoning als neuere sportliche Herausforderungen weitere Tätigkeitsfelder für die Führer dar. Kurt Ortler (im Bild) führt aus, welche Aktivitäten aus diesen Bereichen sein heutiges Arbeitsleben bestimmen: „Wenn du mit dem Beruf leben willst, dann musst du viele Sachen anbieten, viele Sachen machen. Was mehr geworden ist, sind die Skitouren. Auch die Saisonlänge ist anders. Heut geht man ja schon im Dezember auf Skitour. Sobald Schnee ist, sobalds weiß ist, wird Skitour gegangen. Und das ist alleweil mehr Mode geworden. Dann im Winter geh ich Eisklettern. Eisklettern und Schneeschuhwandern haben Zukunft und stoßen auf immer breiteres Interesse. 14 Tage im Jahr bin ich als Ausbilder bei der Bergrettung unterwegs und dann arbeite ich noch am Kurs zur Arbeitssicherheit mit. Die Kurse werden außerhalb der Saisonzeit im Herbst, im Frühjahr und im Winter organisiert.“. Toni Stocker erzählt über das gewinnbringende Arbeitsfeld „Expeditionsbergsteigen“, wo Bergführer kleine Reisegruppen hauptsächlich im Winter auf Gipfeltouren in die hohen Gebirge anderer Weltteile begleiten. Das erinnert u. a. an alpinistische Expeditionstouren des ausgehenden 19. Jahrhunderts beispielsweise in den Dolomiten, wie sie May Norman-Neruda eindrücklich in ihrem Buch „Die letzte Bergfahrt“ beschreibt. Darin allerdings verarbeitet sie auch das traumatische Erlebnis um den unglücklichen Bergtod ihres Mannes ­Ludwig Norman-Neruda im Jahr 1898, zu einer Zeit, als die Bergrettung noch in den Kinderschuhen steckte und die Helfer dieser damals noch kaum organisierten Instanz von der technischen Ausrüstung heutiger Expeditionsbegehungen nicht einmal zu träumen wagten. „Da geht’s doch eher um eine kommer­zielle Expedition. Das kostet die Teilnehmer eine Stange Geld, grad im Himalaja, aber es gibt Leute genug, denen es das wert ist und die mit Sauerstoff hinaufkommen. Da kannst die Ethik glatt vergessen.“ Olaf Reinstadler (im Bild) verrät ein gewisses distanziertes Selbstbewusstsein, als er lachend meint: „Was meinst, wie oft ich den Kilimandscharo schon gemacht hab? Da kommst fast blind ­hinauf!“ Den Kilimandscharo erstieg als erster nachweislich Ludwig Purtscheller am 6. Oktober 1889. Dieser Alpinist des späten habsburgischen Kaiserreichs erklomm in Begleitung der Brüder Otto und Emil Zsigmondy auch den Ortler, war allerdings gern führerlos unterwegs. Toni Stocker weist auf gezielte Projekte in Pflicht- und Oberschulen hin, die Impulse zur Sicherheitserhöhung bei alpinen Betätigungen bieten sollen. Diese stellen einen Teil des 2008 überarbeiteten Berufsbilds des Verbands der Südtiroler Berg- und Ski­führer dar und wurden in Zusammenarbeit mit dem Assessorat für Tourismus und Alpinwesen erstellt. Im gleichen Jahr veröffentlichte derselbe Verband, dass jährlich 25 Schulen die gebotene Projektmöglichkeit in Anspruch nähmen. So rückt das Ziel immer näher, allen Südtiroler Schülern die alpine Umgebung unter professioneller Anleitung von Bergführern nahe zu bringen. „Heut ist der Führer auch irgendwo Risiko­manager. Grad deshalb bieten wir in Schulen Kurse an. Wieso sollen junge Leute nicht auch die Verkehrsregeln für die Bergnatur erlernen?“ Olaf Reinstadler beschreibt seine Lehrtätigkeit am Berg, die durch die „Alpinschule Ortler“ seit den Neunzigern erfolgreich transportiert wird. Oft vermitteln die Führer der Alpinschule Gästegruppen ihr Wissen und damit kommen sie unserem traditionell vorherrschenden Schulbild, das Lernende in Klassen und als Gruppe, Lehrende aber als Einzelne sieht sehr nahe. „Ich bin auch Alpinlehrer, denn meinen Gästen erkläre ich auch, wie sie sich verhalten sollen, damit sie später allein gehen können und nicht mehr auf mich angewiesen sind“. Nachdenklich erzählt Toni Stocker auch: „Bei uns kommen die Leute dann halt irgendwo an die Grenze und dann kommen oft interessante Gespräche heraus. Wenn du ein bisschen ein Gefühl hast, dann bist du auch Psychologe“. Demokratisch gefällte Entscheidungen kommen für keinen der Bergführer in Frage, denn am Berg fühlt sich jeder ganz allein für seine ­Gäste zuständig und verantwortlich. So meint Roman Zischg (im Bild): „Wenn ich mit einer ­Gruppe unterwegs bin und einer kommt nicht mehr weiter, dann kann ich den nicht allein lassen und mit den anderen weitergehen. Dann müssen wir alle umkehren. Und beim Wetter ists genauso. Das ist oft eine schwere Entscheidung. Das Hinaufgehen ist nicht die Kunst. Beim Bergsteigen ist die Kunst das Umkehren.“ Ich spreche Toni Stocker darauf an, dass bei Naturereignissen, deren Ursachen oft kaum erklärbar sind gern ein Schuldiger und recht oft ein Bergführer ins mediale Rampenlicht gerät und möchte seine Meinung dazu ­hören. „Die alpinen Gefahren sind immer noch für uns alle da und sind einfach zu respektieren. Die Leute müssen sensibilisiert werden für die Naturereignisse. Jeder sollte sich zuerst fragen was er selbst zur Vermeidung dieser oft tragischen Vorfälle beisteuern kann. Die Schuldfrage allein bringt uns nicht weiter. Auch deswegen machen wir jetzt die Projekte an den Oberschulen“. Er hebt ein besonderes Detail seiner Arbeitswelt hervor, mit dem er sicher auch die Heranwachsenden in den Schulen begeistern kann: „Dieser Beruf ist oft anstrengend, nie langweilig und immer auch abenteuerlich. Der gleiche Berg ist nämlich jeden Tag anders“. „Ja, die Arbeit ist schon schön. Es ist schon eine Freiheit, im Sommer auf den Ortler zugehen, um 9 Uhr vormittags unter den Gipfel hinauf zu spazieren beim schönsten Wetter und der andere muss irgendwo im Büro hocken. Da möchte ich mit keinem tauschen“, meint Kurt Ortler, deutet aber auch die Schattenseiten seines Berufs an: „Ein Problem bei dieser Freiheit ist, dass du als Freiberufler auch deine Verdienste selbst gestaltest. So wirst du auch am Ostersonntag und am Heiligen Abend mit Gästen auf Tour gehen müssen, wenn der andere daheim hockt. Da bin ich am Ostersonntag bei einem Schneesturm von der Pizzinihütte nach Sulden her übern Cedepass und ich hab auch gedacht, jo Herrgottsack, ich hab nicht gewusst, wann die Lawinen kommen! Und ein Wetter! 30 bis 40 Zentimeter Neuschnee und da hab ich auch gedacht: muss das jetzt am Ostersonntag sein? Aber das ist halt eine Saisonarbeit und wir müssen arbeiten, wenn Saison ist. Deswegen schränkt das Thema Saisonarbeiter die Freiheit auch wieder ein, denn schließlich müssen wir arbeiten, wenn Saison ist“. Das erinnert stark an die schon 1884 erstmals beim Brixner Bischof abgegebene Verpflichtung der Suldner Bergführer zur Sonntagsheiligung und im Besonderen zur Heiligung kirchlicher Feste. Da genügte dem Seelenhirten noch das „Manneswort“ seiner Schäfchen, die damit versprachen, an diesen Tagen immer die hl. Messe zu besuchen. Diese sonntägliche Arbeitspause aller Bergführer gefiel den damaligen Touristen nicht besonders und sie sannen auf Abhilfe. Um nicht zu viel kostbare Urlaubszeit zu verlieren, baute deshalb die Sektion Frankfurt am Main des DÖAV neben ihrem Gepatschhaus eine eigene Kapelle. Heutige Bergführer sind an solche Verpflichtungen längst nicht mehr gebunden, aber Spuren davon scheinen sich bei ihnen erhalten zu haben. Auf die neu entstandenen Berufszweige der Kultur- und Wanderführer, Nordic- Walkingführer oder etwa Nationalparkführer angesprochen, erläutert Toni Stocker die Möglichkeit der Aufnahme in einen Dachverband der Südtiroler Berg- und Skiführer, der allen diesen auseinanderdriftenden Berufssparten gesetzliche Absicherung, Austausch und Plattform bieten würde: „Wenn sie (die neuen Führer) ihre Kunden gut betreuen und für die Natur und die Berge begeistern, so sind ihre Kunden von heute unsere Kunden von morgen und wir werden uns über eine gute Zusammenarbeit mit ihnen sehr freuen. Wir Bergführer aber bleiben die einzigen, deren Beruf es ist, die Leute auf die hohen Gipfel zu führen“. Da bleibt mir nur noch, allen interviewten Bergführern für die äußerst interessanten Gespräche zu danken und ihnen weiterhin Begeisterung und Freude an ihrem Beruf zu wünschen!

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